Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 07.09.2023, Az.: 1 LB 3/23
bauaufsichtliches Einschreiten; Bauaufsichtsbehörde; Baugenehmigung; vereinfachtes Verfahren; Baugrundstück; Luftraum; Vereinigungsbaulast; Errichtung einer baulichen Anlage im Luftraum über dem Nachbargrundstück, Versagung der Baugenehmigung im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren bei Verstößen gegen nicht zu prüfende baurechtliche Bestimmungen
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 07.09.2023
- Aktenzeichen
- 1 LB 3/23
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2023, 42467
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2023:0907.1LB3.23.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 04.04.2022 - AZ: 4 A 766/20
Rechtsgrundlagen
Fundstellen
- DÖV 2024, 205
- IBR 2024, 39
- NVwZ-RR 2024, 413
- NordÖR 2024, 48
- ZAP EN-Nr. 027/2024
- ZAP 2024, 15
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Eine bauliche Anlage ist auch dann i.S.v. § 4 Abs. 4 Satz 1 NBauO auf mehreren Baugrundstücken gelegen, wenn sie mit dem Gebäude auf dem Baugrundstück konstruktiv verbunden ist, sich ansonsten aber vollständig im Luftraum über dem Nachbargrundstück befindet (Fortführung der Senatsrspr.).
- 2.
Die Bauaufsichtsbehörde kann die Erteilung einer Baugenehmigung im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren (§ 63 Abs. 1 NBauO) ablehnen, wenn das Bauvorhaben in einer Weise gegen gemäß § 63 Abs. 1 Satz 3 NBauO nicht zu prüfende baurechtliche Bestimmungen verstößt, die ein bauaufsichtliches Einschreiten nach sich ziehen würde, sich das rechtliche Hindernis den vorliegenden Informationen ohne weitere Ermittlungen hinreichend sicher entnehmen und nach Lage der Dinge nicht ausräumen lässt.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer (Einzelrichterin) - vom 4. April 2022 geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in der Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung zur Errichtung einer Werbeanlage an der Grenzwand ihres Gebäudes.
Die Klägerin ist Nutzungsberechtigte des im Miteigentum ihres Geschäftsführers stehenden Grundstücks E. im Steintorviertel in Hannover. Das aufstehende Gebäude weist vier hohe Vollgeschosse sowie ein Satteldach auf und überragt damit das nordöstlich angrenzende Gebäude F., das über drei Vollgeschosse und ein Flachdach verfügt, erheblich. Im Erdgeschoss wird eine Spielhalle betrieben. Der für das Gebiet geltende Bebauungsplan setzt ein Kerngebiet sowie geschlossene Bauweise fest; dem entspricht die vorhandene, zur Goethestraße geschlossene Bebauung.
Mit Bauantrag vom 11. Februar 2019 beantragte die Klägerin die Erteilung einer Baugenehmigung für eine beleuchtete Werbetafel mit den Maßen 5,00 m (Höhe) x 0,62 m (Breite) und der Aufschrift "Spielothek" in Kletterschrift an der Grenzwand. Die bereits montierte Tafel befindet sich im Luftraum über dem Grundstück F.. Den Bauantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 3. September 2019 und Widerspruchsbescheid vom 6. Dezember 2019 ab. Zur Begründung wies sie insbesondere darauf hin, dass die Werbetafel außerhalb des Baugrundstücks liege und eine Vereinigungsbaulast fehle. Das Vorhaben widerspreche zudem der planungsrechtlich geforderten geschlossenen Bauweise und löse Abstandserfordernisse aus. Es führe zu einer störenden Häufung von Werbeanlagen und sei mit Blick auf die Vorgaben des § 26 Abs. 1 GlüStV unzulässig; diese Vorschrift verbiete eine besonders auffällige äußere Gestaltung einer Spielhalle.
Mit ihrer daraufhin erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, die Werbeanlage liege allein auf dem Nachbargrundstück F. und nicht auf mehreren Baugrundstücken. Dass die Stromversorgung über das Baugrundstück erfolge, spiele keine Rolle. Besondere grundstücksbezogene Anforderungen bestünden insofern nicht, sodass § 4 Abs. 4 NBauO nicht anzuwenden sei. Von einer störenden Häufung von Werbeanlagen könne keine Rede sein. Das Steintorviertel sei als Kerngebiet durch eine Vielzahl von Werbeanlagen geprägt, sodass die Schwelle der Unzulässigkeit extrem hoch liege und nicht überschritten sei. Die Werbeanlage selbst sei dezent und bewege sich im Rahmen des Vorhandenen. Ein Verstoß gegen Art. 26 Abs. 1 GlüStV liege ebenfalls nicht vor.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Versagungsbescheides vom 3. September 2019 und des Widerspruchsbescheids vom 6. Dezember 2019 zu verpflichten, der Klägerin eine Baugenehmigung für die Anbringung eines Aluverbundwerbeschilds (5000 mm x 620 mm) mit LED-Wandstrahlern am Ostgiebel des Gebäudes E. in D-Stadt-Mitte zu erteilen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat betont, dass sich die gesamte Werbeanlage im Luftraum über dem Nachbargrundstück befinde, weil die Gebäudewand, an der die Anlage befestigt sei, bereits ohne das darauf angebrachte Wärmedämmverbundsystem grenzständig sei. Ein neu vorgenommenes Aufmaß habe dies bestätigt. Es fehle an der daher erforderlichen Vereinigungsbaulast. Im Übrigen hat die Beklagte die angefochtenen Bescheide verteidigt.
Das Verwaltungsgericht Hannover hat der Klage nach Ortsbesichtigung mit dem angegriffenen Urteil vom 4. April 2022 stattgegeben. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, der Klägerin fehle nicht das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage, denn die - lediglich isoliert betrachtete - Werbetafel sei nicht als Werbung für den Spielbetrieb, sondern als Hinweis auf die Existenz einer Spielhalle zu verstehen und damit nach § 26 Abs. 1 GlüStV zulässig. Die Klage sei auch begründet. Das grundsätzliche Verbot des § 4 Abs. 4 NBauO, eine bauliche Anlage auf mehreren Baugrundstücken zu errichten, stehe der Werbetafel nicht entgegen, weil nicht zu befürchten sei, dass grundstücksbezogene Vorschriften des Baurechts unterlaufen würden; eine Vereinigungsbaulast könne daher ausnahmsweise nicht gefordert werden. Grenzabstandsvorschriften seien aufgrund der Vorgabe einer geschlossenen Bauweise nicht anzuwenden. Schließlich liege kein Verstoß gegen das Belästigungsverbot des § 50 Abs. 2 NBauO vor.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Berufung trägt die Beklagte vor, § 4 Abs. 4 Satz 1 NBauO stehe der Werbetafel entgegen. Die Tafel rage in den Luftraum über dem Nachbargrundstück hinein und liege daher auf mehreren Baugrundstücken. In einem solchen Fall bedürfe es nur dann keiner Vereinigungsbaulast nach § 2 Abs. 12 Satz 2 NBauO, wenn § 4 Abs. 4 Satz 2 NBauO i.V.m. § 21a NNachbG einschlägig sei. Sei das - wie hier - nicht der Fall, komme eine weitere teleologische Reduktion des § 4 Abs. 4 Satz 1 NBauO aufgrund der differenzierten Regelungsabsicht des Gesetzgebers nicht in Betracht. Die Werbetafel stehe zudem mit § 13 Abs. 1 Satz 1 NSpielhG, der Art. 26 Abs. 1 GlüStV entspricht, nicht in Einklang. Die Norm sei öffentliches Baurecht im Sinne von § 63 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 i.V.m. § 2 Abs. 17 NBauO und hindere die Erteilung der Baugenehmigung. Sowohl die Werbetafel als auch der Gesamteindruck, den die Spielhalle nach Anbringung der Tafel vermittele, schüfen einen zusätzlichen Anreiz zum Glückspiel.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer (Az.4 A 766/20) - vom 4. April 2022 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Berufung für unzulässig, weil die Berufungsbegründungsschrift weder qualifiziert elektronisch signiert noch über ein persönliches Postfach des signierenden Behördenmitarbeiters eingereicht worden sei. Die Berufung sei jedenfalls unbegründet. Die Werbetafel befinde sich vollständig auf dem Grundstück F., weil bereits die Wärmedämmung des Baugrundstücks mindestens 20 cm auf dieses Grundstück hinüberrage und die Werbetafel in dieser verankert sei. Insofern komme es zwar durch die Wärmedämmung, nicht aber durch die Werbetafel einschließlich ihrer Verankerung zum Grenzübertritt. Einer Vereinigungsbaulast bedürfe es mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zudem deshalb nicht, weil im konkreten Fall keine grundstücksbezogenen Anforderungen an die Werbetafel bestünden. Schließlich begegne die Gestaltung der Werbetafel keinen rechtlichen Bedenken.
Mit Bescheid vom 7. April 2021 hat die Beklagte die Entfernung der Werbetafel verfügt; diese Verfügung ist Gegenstand des mit Urteil vom heutigen Tag zum Nachteil der Klägerin entschiedenen Parallelverfahrens 1 LB 2/23. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.
I.
Die Berufung ist zulässig; insbesondere ist die Berufungsbegründungsschrift formgerecht eingereicht. § 55d Satz 1 VwGO sieht vor, dass vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch eine Behörde eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln sind. Das elektronische Dokument muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden (§ 55a Abs. 3 Satz 1 VwGO, Hervorhebung durch den Senat). Im vorliegenden Fall hat sich der verantwortlich zeichnende Mitarbeiter des Fachbereichs Recht der Beklagten entschieden, den Schriftsatz durch (einfache) Beifügung seines Namens zu signieren und über das besondere Behördenpostfach (§ 55a Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 VwGO) zu versenden. Das entspricht nach - soweit ersichtlich - allgemeiner Auffassung den rechtlichen Anforderungen in vollem Umfang (vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 4.5.2020 - 1 B 16.20 u.a. -, Buchholz 310 § 55a VwGO Nr. 4 = juris Rn. 5 ff. m.w.N.).
Die Klägerin hält dem entgegen, die Übermittlung einfach signierter Schriftsätze über ein gemeinsames, allen Behördenvertretern gleichermaßen zugängliches besonderes Behördenpostfach entspreche bei entsprechender Anwendung der für Rechtsanwälte geltenden Grundsätze nicht den rechtlichen Anforderungen, weil sich nicht ersehen lasse, ob derjenige, dessen Name maschinenschriftlich wiedergegeben sei, die Versendung autorisiert habe. Das überzeugt nicht. § 55a Abs. 3 und Abs. 4 Nr. 3 VwGO lässt es ausdrücklich genügen, dass die verantwortende Person das elektronische Dokument (einfach) signiert und sodann auf einem sicheren Übermittlungsweg, hier dem Postfach einer Behörde, eingereicht hat. Dabei ist Postfachinhaber gemäß § 55a Abs. 4 Nr. 3 VwGO, §§ 6 ff. ERVV die Behörde, nicht der einzelne Behördenmitarbeiter, dem als das eingereichte Dokument verantwortende Person ein Zugangsrecht besonders eingeräumt werden muss (vgl. § 8 ERVV). Die Rechtslage unterscheidet sich damit in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise von derjenigen bei Rechtsanwälten (vgl. näher BVerwG, Beschl. v. 12.10.2021 - 8 C 4.21 -, NVwZ 2022, 649 = juris Rn. 10 f.). Hier sieht § 55 Abs. 4 Nr. 2 VwGO das dem jeweiligen Anwalt als natürlicher Person zugeordnete besondere elektronische Anwaltspostfach (vgl. § 31a BRAO) als Kommunikationsweg vor.
II.
Die Berufung ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung.
1.
Im Ergebnis zu Recht ist das Verwaltungsgericht allerdings von der Zulässigkeit der Klage ausgegangen. Insbesondere hat die Klägerin ein Rechtsschutzbedürfnis. Ein Grund, dass diese von einer Baugenehmigung aus jenseits des Baurechts liegenden rechtlichen oder tatsächlichen Gründen offensichtlich keinen Gebrauch machen könnte, ist nicht ersichtlich. Bei § 13 Abs. 1 Satz 1 NSpielhG, der Art. 26 Abs. 1 GlüStV entspricht, handelt es sich um öffentliches Baurecht im Sinne von § 63 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 i.V.m. § 2 Abs. 17 NBauO. Die Vorschrift stellt Anforderungen an die Gestaltung von Spielhallen als bauliche Anlagen. Sie ist daher im Baugenehmigungsverfahren - und im Klageverfahren erforderlichenfalls im Rahmen der Begründetheit - zu prüfen.
2.
Die Klage ist indes unbegründet, weil die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrte Baugenehmigung hat. Ihrer Erteilung steht das Verbot, eine bauliche Anlage auf mehreren Baugrundstücken zu errichten (§ 4 Abs. 4 Satz 1 NBauO), entgegen.
a)
Gemäß § 4 Abs. 4 Satz 1 NBauO darf eine bauliche Anlage nicht auf mehreren Baugrundstücken gelegen sein. Eine körperliche Verbindung mit dem Erdboden mehrerer Baugrundstücke ist dafür nicht erforderlich. Auf mehreren Baugrundstücken gelegen ist eine bauliche Anlage auch dann, wenn sie körperlich lediglich auf einem Baugrundstück verankert ist, jedoch in den Luftraum des Nachbargrundstücks hineinragt (vgl. Senatsurt. v. 21.1.1999 - 1 L 5580/96 -, NVwZ 1999, 1364 = BRS 62 Nr. 146 = juris Rn. 15; v. 26.9.2000 - 1 L 96/00 -, BauR 2001, 379 = BRS 63 Nr. 168 = juris Rn. 5). Ein vergleichbarer Fall liegt hier vor. Die Werbetafel ist an der ihrerseits bereits auf das Grundstück F. hinüberragenden Wärmedämmung des Gebäudes auf dem Baugrundstück verankert und wird durch von diesem Gebäude ausgehende Versorgungsleitungen mit Elektrizität versorgt. Damit befindet sie sich vollständig im Luftraum über dem Nachbargrundstück F., ist aber zugleich Bestandteil des Gebäudes E.. Damit ist das Verbot des § 4 Abs. 4 Satz 1 NBauO einschlägig. Soweit die Klägerin dagegen meint, die Werbetafel befinde sich allein auf dem Grundstück F. und sei daher nicht auf mehreren Baugrundstücken gelegen, trifft das nicht zu. § 4 Abs. 4 Satz 1 NBauO stellt vielmehr eine vom jeweiligen Baugrundstück - schon aufgrund des statisch notwendigen Zusammenhangs mit dem Gebäude und auch ausweislich des Bauantrags das Grundstück E. - ausgehende Betrachtung an, sodass maßgeblich ist, dass dessen Grenzen überschritten sind. Das ist hier durch die Wärmedämmung und die an ihr befestigte Werbetafel der Fall. Das Maß der Grenzüberschreitung der Werbetafel ist schließlich keine baurechtlich unbeachtliche Bagatelle, wie dies bei einer einfachen Befestigung bzw. Verankerung einer vollständig im Luftraum über dem eigenen Baugrundstück befindlichen baulichen Anlage - etwa eines Lüftungsrohrs oder einer Versorgungsleitung - an der Grenzwand des Nachbarn der Fall sein kann.
Liegt die Werbetafel daher auf zwei Baugrundstücken, bedarf es - da ein Fall des § 4 Abs. 4 Satz 2 NBauO i.V.m. § 21a NNachbG nicht vorliegt - zu ihrer Legalisierung der Eintragung einer Vereinigungsbaulast (§ 2 Abs. 12 Satz 2 NBauO). Da diese fehlt und nach Lage der Akten aufgrund der fehlenden Bereitschaft des Nachbarn auch nicht erlangt werden kann, steht der Errichtung der Werbetafel das Verbot des § 4 Abs. 4 Satz 1 NBauO dauerhaft und endgültig entgegen.
Entgegen der Auffassung der Klägerin und ihr folgend des Verwaltungsgerichts ist § 4 Abs. 4 Satz 1 NBauO im vorliegenden Fall auch nicht ausnahmsweise teleologisch zu reduzieren, weil durch die Errichtung der baulichen Anlage auf mehreren Baugrundstücken grundstücksbezogene Vorschriften des Baurechts nicht unterlaufen werden. Eine solche freilich eng umgrenzte teleologische Reduktion hat der Senat im Fall einer Diaprojektionsanlage vorgenommen, die vollständig auf einem Baugrundstück errichtet war, als Projektionsfläche allerdings die Hauswand auf einem benachbarten Grundstück nutzte (vgl. Senatsurt. v. 26.9.2000 - 1 L 96/00 -, BauR 2001, 379 = BRS 63 Nr. 168 = juris Rn. 5 ff.). Anders als im Fall einer baulichen Anlage, deren Baukörper die Grenze zweier Baugrundstücke überschreitet oder die für die Einhaltung der grundstücksbezogenen Anforderungen auf mehrere Baugrundstücke angewiesen ist, gab es lediglich eine optische Verbindung zwischen Projektor und Projektionsfläche. Optische Verbindungen begründen aber keine grundstücksbezogenen Anforderungen des öffentlichen Baurechts, die bei einem unterschiedlichen Schicksal der beiden Grundstücke unterlaufen werden könnten.
Mit einer solchen atypischen, vom Gesetzgeber nicht bedachten Sachlage, die angesichts der differenzierten gesetzlichen Regelung notwendige Voraussetzung für eine teleologische Reduktion des § 4 Abs. 4 Satz 1 NBauO ist, ist der vorliegende Fall schon im Ausgangspunkt nicht vergleichbar. Ragt eine bauliche Anlage - hier in Gestalt der Wärmedämmung samt Werbetafel - in den Luftraum eines benachbarten Baugrundstücks hinein, drohen vielmehr typischerweise - und so auch hier - grundstücksbezogene Bestimmungen des öffentlichen Baurechts, etwa zu den Grenzabständen und zum Brandschutz, unterlaufen zu werden. Dabei kommt es entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts, das die Rechtsprechung des Senats insoweit missverstanden hat, nicht darauf an, ob im Ergebnis ein Verstoß vorliegt; die bloße, auch nur theoretische Möglichkeit, dass ein Verstoß eintreten könnte, genügt. Denn der Gesetzgeber hat sich im Rahmen seines Entscheidungsspielraums entschieden, das Verbot des § 4 Abs. 4 Satz 1 NBauO generell zu formulieren und Ausnahmen nur im Rahmen des § 4 Abs. 4 Satz 2 NBauO zuzulassen. Diese Entscheidung, die auf Risikominimierung zielt, hatte das Verwaltungsgericht gemäß Art. 20 Abs. 3 GG zu beachten. Es fällt nicht in seine Kompetenz, eine gesetzgeberische Entscheidung zugunsten eines Regelungssystems durch eine eigene Entscheidung zugunsten eines anderen zu ersetzen.
b)
Der somit vorliegende Verstoß gegen § 4 Abs. 4 Satz 1 NBauO hindert den Genehmigungsanspruch ungeachtet der Tatsache, dass ein vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren nach § 63 Abs. 1 Satz 1 NBauO durchzuführen war. In einem solchen Verfahren ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn die Baumaßnahme, soweit sie genehmigungsbedürftig ist und soweit eine Prüfung erforderlich ist, dem öffentlichen Baurecht entspricht (§ 70 Abs. 1 Satz 1 NBauO). Dabei ist die Prüfung gemäß § 63 Abs. 1 Satz 3 NBauO auf die Vereinbarkeit der Baumaßnahme mit dem städtebaulichen Planungsrecht, den §§ 5 bis 7, 33 Abs. 2 Satz 3, § 41 Abs. 2 Satz 2 und den §§ 47 und 50 NBauO sowie den sonstigen Vorschriften des öffentlichen Rechts im Sinne des § 2 Abs. 17 NBauO beschränkt. Vorschriften, die nicht zu dem in § 63 Abs. 1 Satz 3 NBauO genannten Kreis zählen, darf die Bauaufsichtsbehörde unberücksichtigt lassen; die Legalisierungswirkung der Baugenehmigung ist insofern begrenzt.
Verstößt die Baumaßnahme - wie hier - gegen Vorschriften, die nicht zum Prüfungsmaßstab gehören, und erkennt die Bauaufsichtsbehörde dies, ist sie gleichwohl nicht verpflichtet, die Baugenehmigung umstandslos zu erteilen. Dabei kann dahinstehen, ob dieses Ergebnis schon aus der an Systematik und Sinn und Zweck der Vorschriften orientierten Auslegung der § 63 Abs. 1, § 70 Abs. 1 NBauO folgt (vgl. insoweit die ausdrücklichen Regelungen in § 74 Abs. 1 2. Hs. HessBauO, Art. 68 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. BayBauO, § 72 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. LBO SH, zu der letztgenannten Vorschrift vgl. LT-Drs. 18/2778, S. 83 ff., dort noch § 73 LBO SH) oder ob es insoweit eines Rückgriffs auf das allgemeine Rechtsinstitut des Sachbescheidungsinteresses bedarf. Denn die Bauaufsichtsbehörden haben gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 NBauO, soweit erforderlich, darüber zu wachen und darauf hinzuwirken, dass Anlagen, Grundstücke und Baumaßnahmen dem öffentlichen Baurecht, und zwar auch in Bezug auf die im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nicht zu prüfenden Vorschriften, entsprechen. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats trifft die Bauaufsichtsbehörde deshalb regelmäßig die Pflicht, gegen baurechtswidrige Zustände auf der Grundlage von § 79 Abs. 1 NBauO einzuschreiten; es handelt sich um einen Fall von intendiertem Ermessen. Ein "Für und Wider" braucht nur dann abgewogen zu werden, wenn der Fall so geartet ist, dass ganz bestimmte konkrete Anhaltspunkte für die Angemessenheit einer Ausnahme vorliegen (vgl. Senatsbeschl. v. 11.5.2015 - 1 ME 31/15 -, NdsVBl. 2015, 304 = BRS 83 Nr. 101 = juris Rn. 15; Senatsurt. v. 1.9.2022 - 1 LB 13/21 -, BauR 2022, 1746 = NdsVBl 2023, 22 = juris Rn. 26; beide m.w.N.). Verstöße gegen öffentliches Baurecht, die über bloße Bagatellen hinausgehen und bei denen keine besonderen Umstände des Einzelfalls eine abweichende Betrachtung gestatten, ziehen daher nach dem Willen des Gesetzgebers regelmäßig bauaufsichtliche Maßnahmen nach sich.
Lässt sich ein in einer nach Maßgabe des § 63 Abs. 1 Satz 3 NBauO nicht zu prüfenden Vorschrift des Baurechts liegendes rechtliches Hindernis dauerhaft und schlechthin nicht ausräumen, ohne das beantragte Vorhaben in seiner Identität zu verändern, ist die Erteilung einer Baugenehmigung demzufolge ohne Nutzen. Eine solche nutzlose Baugenehmigung kann der Bauherr nicht beanspruchen, wenn sich die Nutzlosigkeit bereits aufgrund der im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren vorzulegenden Unterlagen und sonst bekannt gewordenen Tatsachen hinreichend sicher erkennen lässt und in diesem Sinne offenkundig ist (vgl. nur Senatsurt. v. 30.4.2014 - 1 LB 200/12 -, BauR 2014, 1455 = BRS 82 Nr. 161 = juris Rn. 33; OVG SH, Urt. v. 3.11.2022 - 1 LB 11/16 -, juris Rn. 47; VGH BW, Urt. v. 18.11.2021 - 8 S 3331/19 -, NVwZ-RR 2022, 529 = juris Rn. 18 ff.; OVG Berl-Bbg, Urt. v. 10.5.2021 - OVG 10 S 72/20 -, juris Rn. 21; OVG NRW, Urt. v. 27.1.2016 - 7 A 1899/14 -, BauR 2016, 643 = BRS 84 Nr. 80 = juris Rn. 22; Stiel/Lenz, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 10. Aufl. 2020, § 63 Rn. 14; alle m.w.N.). Es wäre weder mit dem Zweck des § 63 NBauO - der Entlastung der Bauaufsichtsbehörden durch Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung - noch mit dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass eine öffentlich-rechtliche Genehmigung nicht um ihrer selbst beansprucht werden kann, sondern ein Sachbescheidungsinteresse bestehen muss, vereinbar, wenn gleichwohl eine Verpflichtung zur Erteilung einer Baugenehmigung bestünde. Daher besteht eine Versagungsbefugnis - nicht Versagungspflicht - der Bauaufsichtsbehörde, wenn der Bauherr eine Baugenehmigung nicht ausnutzen kann, ohne in einer Weise gegen öffentliches Baurecht zu verstoßen, die ein behördliches Einschreiten nach sich zieht, sich das rechtliche Hindernis den vorliegenden Informationen hinreichend sicher entnehmen und sich dieses nach Lage der Dinge nicht ausräumen lässt.
Zu über den Prüfungsrahmen des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens hinausgehenden Sachverhaltsermittlungen oder gar Nachforderungen gegenüber dem Bauherrn ist die Bauaufsichtsbehörde hingegen nicht berechtigt, weil damit die Grenzen des § 63 Abs. 1 NBauO überschritten würden. Weitergehende Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung sind einem gesonderten Verwaltungsverfahren zur Prüfung eines bauaufsichtlichen Einschreitens vorbehalten. Eine solche Auslegung entspricht dem Sinn und Zweck des § 63 Abs. 1 Satz 3 NBauO, die Bauaufsichtsbehörde von weitergehendem Prüfungsaufwand freizustellen und das Baugenehmigungsverfahren im Interesse aller Verfahrensbeteiligten zu straffen. Zugleich verhindert diese Auslegung, dass die Bauaufsichtsbehörde Baugenehmigungen - mit dem damit ungeachtet der begrenzten Legalisierungswirkung verbundenen Anschein der Rechtmäßigkeit der Baumaßnahme - erteilen und sogleich gegen das genehmigte Vorhaben einschreiten muss.
Gemessen daran kann die Klägerin die begehrte Baugenehmigung nicht beanspruchen. Bereits aus den Bauvorlagen ergibt sich, dass die Werbetafel an einer Grenzwand befestigt ist und über das Baugrundstück hinausragt; der Verstoß gegen § 4 Abs. 4 Satz 1 NBauO ist damit offenkundig. Er ist ohne die Eintragung einer Vereinigungsbaulast, die der Nachbar nicht bewilligt, nicht auszuräumen und insofern dauerhafter Natur.
c)
Auf die weiteren geltend gemachten Verstöße gegen § 50 Abs. 2 NBauO bzw. § 13 Abs. 1 Satz 1 NSpielhG kommt es nach den obigen Ausführungen nicht mehr an.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.