Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.09.2022, Az.: 1 LB 13/21

Bauanzeige; Bauanzeigeverfahren; Baugenehmigung; Bestimmtheit; Bestimmtheit, hinreichende; Bezugspunkt; Ermessen; Höhenfestsetzung; nächstgelegene öffentliche Verkehrsfläche; Rückbau; Rückbauverfügung; Traufhöhe; Verhältnismäßigkeit; Verkehrsfläche, nächstgelegene öffentliche

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
01.09.2022
Aktenzeichen
1 LB 13/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 59776
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BVerwG - 25.07.2023 - AZ: BVerwG 4 B 28.22

Fundstellen

  • BauR 2022, 1746-1749
  • DÖV 2022, 1049-1050
  • IBR 2022, 653
  • KommJur 2022, 408-412
  • NordÖR 2022, 555

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Eine Höhenfestsetzung in einem Bebauungsplan (§ 16 Abs. 2 Nr. 4, § 18 Abs. 1 BauNVO), die als unteren Bezugspunkt die nächstgelegene öffentliche Verkehrsfläche und als oberen Bezugspunkt die Traufhöhe bezeichnet, ist hinreichend bestimmt.

2. Entscheidet sich ein Bauherr für das Bauanzeigeverfahren, übernimmt er das Risiko, dass sein Bauvorhaben gegen baurechtliche Vorschriften verstößt. Die Bauaufsichtsbehörde kann jedenfalls bei erheblichen Verstößen den Rückbau auch dann verlangen, wenn dieser mit gravierenden finanziellen Folgen verbunden ist (hier bejaht für Teilrückbau eines Einfamilienhauses bei Verstoß gegen Höhenfestsetzung).

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer - vom 16. September 2019 (4 A 7652/18) wird geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen eine bauaufsichtliche Rückbauanordnung der Beklagten.

Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks „A-Straße“ (Flurstück F., Flur 4, Gemarkung G.) im Stadtgebiet der Beklagten. Die Erschließung des Eckgrundstücks erfolgt über die westlich verlaufende Straße H. sowie über die südlich verlaufende, im Bebauungsplan festgesetzte Straße I.. Es liegt im Geltungsbereich des seit dem Jahr 2006 rechtsverbindlichen Bebauungsplans Nr. 360 „Mühlenkamp“ und ist als allgemeines Wohngebiet festgesetzt. Zum Maß der baulichen Nutzung sieht der Plan eine höchstens zweigeschossige Bauweise sowie eine maximale Traufhöhe von 5,50 m vor. § 1 der textlichen Festsetzungen (TF) bestimmt dazu, dass bei zweigeschossiger Bebauung die Traufhöhe nicht mehr als 5,50 m über der nächstgelegenen öffentlichen Verkehrsfläche liegen darf. In der Begründung des Bebauungsplans wird ausgeführt, die Festsetzung der Traufhöhe als Höchstmaß mit maximal 5,50 m, gemessen über der nächstliegenden Verkehrsfläche, solle neben der in der örtlichen Bauvorschrift bei zweigeschossiger Bebauung festgesetzten geringeren Dachneigung (max. 30 Grad) bewirken, „dass sich die Gebäude an die umgebende vorhandene eingeschossige Bebauung noch einfügen“ (Planbegründung S. 5).

Im Jahr 2013 zeigte der Kläger der Beklagten das Vorhaben „Neubau eines Einfamilienhauses mit Garage“ im Genehmigungsfreistellungsverfahren nach § 62 NBauO an. Das Gebäude weist zwei Vollgeschosse auf. In den eingereichten Planzeichnungen war die zulässige maximale Traufhöhe von 5,50 m vermerkt; die Unterkante des Traufkastens lag darunter, der Schnittpunkt der Dachhaut mit den aufgehenden Wänden ohne bezifferte Maßangaben etwas darüber. Zu einer Beanstandung oder einem bauaufsichtlichen Einschreiten kam es zunächst nicht.

Auf Bitten des Ortsrates G. überprüfte die Beklagte im Juni 2016 das Bauvorhaben und stellte fest, dass die Unterkante des Traufkastens auf einer Höhe von 5,22 m über der nächstgelegenen öffentlichen Verkehrsfläche lag. Der von außen nicht sichtbare Schnittpunkt der Dachhaut mit der aufgehenden Wand lag dementsprechend rund 80 cm höher. Der Kläger beauftragte daraufhin eine Vermessung seines Gebäudes, die für das Wohnhaus eine Höhe des Schnittpunktes des Außenmauerwerks mit der äußeren Dachhaut von 5,93 m bzw. 5,94 m bei einer Höhe der Fahrbahnkante zwischen -0,04 m und +0,02 m ergab.

Mit Bauaufsichtsanordnung vom 26. Juli 2018 forderte die Beklagte den Kläger zum Rückbau seines Wohnhauses auf die festgesetzte Traufhöhe von 5,50 m binnen vier Monaten nach Bestandskraft der Anordnung auf und drohte ihm für den Fall der Nichtbefolgung ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000 EUR an. Das Wohnhaus verstoße gegen die Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 360, weil die zulässige Traufhöhe um 0,48 m überschritten werde. Der Plan sei bezüglich der die Traufhöhe betreffenden Festsetzung wirksam. Der untere Bezugspunkt der nächstgelegenen öffentlichen Verkehrsfläche sei ebenso hinreichend bestimmt wie der obere Bezugspunkt der Traufhöhe. Eine Befreiung komme nicht in Betracht, weil die Festsetzung zur Traufhöhe einen Grundzug der Planung darstelle. Das Rückbauverlangen sei ermessensgerecht und verhältnismäßig. Der Rückbau sei bautechnisch möglich. Auch wenn anerkannt werde, dass der Kläger selbst den rechtswidrigen Zustand nicht zu vertreten habe, sondern seine Beauftragten die Schuld treffe, sei es nicht gerechtfertigt, auf die Herstellung baurechtsgemäßer Zustände zu verzichten. Den Widerspruch des Klägers wies die Region Hannover mit Widerspruchsbescheid vom 29. November 2018 unter vertiefender Begründung zurück.

Der daraufhin erhobenen Klage hat das Verwaltungsgericht Hannover mit dem angegriffenen Urteil vom 16. September 2019 stattgegeben. Die Rechtswidrigkeit der Rückbauanordnung ergebe sich daraus, dass die im Bebauungsplan Nr. 360 enthaltene Höhenbegrenzung unbestimmt und damit unwirksam sei. Aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folge, dass textliche Festsetzungen zur Höhe so eindeutig sein müssten, dass die in die Höhenberechnung einzustellenden Parameter klar und unmissverständlich benannt würden. Diesen Anforderungen genüge weder die Festsetzung der „Traufhöhe“ als oberen noch die Bezugnahme auf die „nächstgelegene öffentliche Verkehrsfläche“ als unteren Bezugspunkt.

Mit ihrer vom Senat mit Beschluss vom 19. Januar 2021 zugelassenen Berufung trägt die Beklagte vor, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht von der Unwirksamkeit der Höhenfestsetzung ausgegangen. Oberer wie unterer Bezugspunkt seien hinreichend bestimmt. Der Begriff der Traufhöhe sei durch Auslegung dahingehend zu bestimmen, dass der Durchstoßpunkt der aufsteigenden Wand durch die Dachhaut gemeint sei. Das entspreche sowohl den gängigen Kommentierungen als auch der Rechtsprechung. Zu unterscheiden sei der Begriff von den Begriffen der Traufe und der Traufrinne, die andere Punkte bezeichneten. Eindeutig bestimmbar sei auch, was mit der „nächstgelegenen öffentlichen Verkehrsfläche“ gemeint sei. Der Begriff „nächstgelegen“ beziehe sich auf das Gebäude, das reguliert werde, sodass der Punkt der öffentlichen Verkehrsfläche maßgebend sei, der die geringste Entfernung zum Gebäude habe. Es komme jeweils auf den geringsten Abstand des Gebäudes zu einer Verkehrsfläche an; bei einer ansteigenden oder abfallenden Verkehrsfläche dürfe die Traufhöhe entsprechend ansteigen oder abfallen. Es schade auch nicht, dass die Erschließungsstraße im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses noch nicht hergestellt gewesen sei; für die Baugenehmigung sei auf die zum Genehmigungszeitpunkt bereits vorhandene Erschließungsanlage, ob Baustraße oder endgültige Erschließungsstraße abzustellen. Zudem gebe es in diesem Fall ohnehin nur geringe Höhenunterschiede. Unwirksam sei die Traufhöhenfestsetzung auch nicht deswegen, weil sie nur für zweigeschossige Gebäude gelte. Die Errichtung eingeschossiger Häuser in praktisch unbegrenzter Höhe sei nicht zu erwarten gewesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 16. September 2019 (4 A 7652/18) zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil und trägt ergänzend vor, der Bebauungsplan sei auch deshalb unwirksam, weil die Straße „J.“ außerhalb des Plangebiets liege und deshalb nicht als unterer Bezugspunkt dienen könne. Die Straße „I.“ sei zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses noch nicht fertiggestellt gewesen; von einem Bauherrn könne nicht verlangt werden, den Vollausbau der Straße abzuwarten, bevor er sein Vorhaben realisiere. Sei der Plan unwirksam, hindere § 34 Abs. 1 BauGB sein Vorhaben nicht. Die Rückbauverfügung sei zudem unverhältnismäßig. Selbst wenn der Bebauungsplan entgegen der vertretenen Auffassung wirksam sein sollte, verwende die Beklagte unklare Begriffe, die ebenso wie die gänzlich unterlassene Prüfung trotz korrekter Bauanzeige eine Mitverantwortung begründeten. Das hindere sie ebenso an einem Einschreiten wie die gravierenden Folgen für den Kläger.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie die beigezogenen Vorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist begründet.

Die angegriffene Bauaufsichtsanordnung vom 26. Juli 2018 und der Widerspruchsbescheid vom 29. November 2018 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 16. September 2019 ist daher zu ändern und die Klage abzuweisen.

1.

Rechtsgrundlage der angegriffenen Bauaufsichtsanordnung ist § 79 Abs. 1 Satz 1 und 2 NBauO. Nach dieser Vorschrift kann die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen anordnen, die zur Herstellung oder Sicherung rechtmäßiger Zustände erforderlich sind, wenn bauliche Anlagen, Grundstücke, Bauprodukte oder Baumaßnahmen dem öffentlichen Baurecht widersprechen. Sie kann namentlich die Beseitigung von Anlagen oder Teilen von Anlagen anordnen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt.

a)

Das Einfamilienhaus des Klägers verstößt gegen öffentliches Baurecht, weil es den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 360 widerspricht. Der Plan begrenzt die zulässige Traufhöhe auf 5,50 m über der nächstgelegenen öffentlichen Verkehrsfläche. Tatsächlich weist das Haus des Klägers aber eine Traufhöhe von bis zu 5,98 m auf und überschreitet das zulässige Maß damit um bis zu 0,48 m.

Der Bebauungsplan Nr. 360 mit seiner Festsetzung der maximalen Traufhöhe ist wirksam. Die auf § 16 Abs. 2 Nr. 4, § 18 Abs. 1 BauNVO beruhende Festsetzung ist sowohl hinsichtlich ihres oberen als auch hinsichtlich ihres unteren Bezugspunktes hinreichend bestimmt und frei von gemäß §§ 214, 215 BauGB beachtlichen Abwägungsfehlern.

aa)

Der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Bestimmtheitsgrundsatz verlangt, Rechtsnormen - auch Festsetzungen eines Bebauungsplans - so präzise zu formulieren, dass Adressaten ihren Regelungsgehalt aus ihnen ableiten und mithin ihr Verhalten an ihnen ausrichten können; eine willkürfreie Handhabung durch Behörden und Gerichte muss möglich sein. Ausreichend ist es dabei, wenn sich mit den üblichen Auslegungsmitteln der Bedeutungsgehalt der Festsetzung erschließen lässt. Im diesem Rahmen fehlt es an der notwendigen Bestimmtheit nicht bereits dann, wenn mehrere Auslegungsergebnisse jeweils vertretbar wären. Erforderlich ist lediglich, dass eines davon in der Gesamtschau vorzugswürdig ist (vgl. Senatsurt. v. 10.11.2021 - 1 LB 78/19 -, BauR 2022, 443 = juris Rn. 43; v. 2.6.2022 - 1 LB 109/20 -, juris Rn. 38). Das ist hier der Fall.

(1)

Mit dem Begriff der Traufhöhe verwendet die Beklagte als oberen Höhenbezugspunkt einen in Nr. 2.8 der Anlage zur PlanZV 1990 enthaltenen Begriff, der entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts einen eindeutig bestimmten Inhalt hat. Traufhöhe bezeichnet die Höhe des Schnittpunktes der Fassade (Oberfläche der Außenwand) mit der äußeren Dachhaut (Traufpunkt) über dem unteren Höhenbezugspunkt (nahezu einhellige Meinung, vgl. aus der Rspr. OVG SH, Urt. v. 5.8.2021 - 1 KN 4/17 -, juris Rn. 56; BayVGH, Urt. v. 5.9.2017 - 2 N 16.1308 -, juris Rn. 46; HessVGH, Urt. v. 20.4.2017 - 3 C 725/14.N -, juris Rn. 26; VGH BW, Beschl. v. 23.8.2012 - 3 S 1274/12 -, juris Rn. 4; OVG NRW, Urt. v. 19.12.2011 - 2 D 31/10.NE -, juris Rn. 80; v. 3.5.2010 - 7 A 1942/08 -, juris Rn. 30, 44; v. 8.4.2002 - 7 A D 137/99.NE -, juris Rn. 37; OVG RP, Beschl. v. 12.1.1983 - 1 A 69/82 -, BauR 1983, 353 = BRS 40 Nr. 109 = juris Ls. 2; aus der Kommentarliteratur Fickert/Fieseler, BauNVO, 13. Aufl. 2019, § 16 Rn. 31; Söfker, in: EZBK, BauGB, 120. EL Februar 2016, § 18 BauNVO Rn. 4; Ziegler, in: Brügelmann, BauGB, 40. Lieferung Oktober 1998, § 18 BauNVO Rn. 4; Hartmann, in: Bönker/Bischopink, BauNVO, 2. Auf. 2018, § 18 Rn. 5; möglicherweise abweichend und jedenfalls unpräzise aber Petz, in: König/Roeser/Stock, BauNVO, 5. Aufl. 2022, § 18 Rn. 5). Der Begriff der Traufhöhe entspricht damit nicht zwingend der Höhe der Traufe, die die Kante des Daches bezeichnet, an der das Regenwasser abtropft; die Traufe liegt dann, wenn das Haus - wie hier - einen Dachüberstand aufweist, niedriger als der für die Bestimmung der Traufhöhe maßgebliche Traufpunkt (vgl. zutreffend OVG NRW, Urt. v. 8.4.2002 - 7 A D 137/99.NE -, juris Rn. 37; der Sache nach ebenso Urt. v. 3.5.2010 - 7 A 1942/08 -, juris Rn. 32). Soweit das Verwaltungsgericht in seinem Urteil demgegenüber Beispiele für eine vermeintlich abweichende Begriffsverwendung aufführt, übersieht es, dass diese Beispiele an andere Begriffe, etwa den Begriff der Traufe oder der Wandhöhe anknüpfen, die mit dem Begriff der Traufhöhe nicht zwangsläufig deckungsgleich sind, oder besonders gelagerte Einzelfälle betreffen (vgl. dazu näher bereits den Zulassungsbeschluss des Senats vom 19.1.2021 - 1 LA 151/19 -, V.n.b.).

(2)

Keinen Bedenken ausgesetzt ist auch die Bestimmtheit des unteren Höhenbezugspunktes in Gestalt der nächstgelegenen öffentlichen Verkehrsfläche. Die Beklagte knüpft mit diesem Begriff die maximal zulässige Traufhöhe an den dem jeweiligen Traufpunkt nächstgelegenen Punkt der öffentlichen Verkehrsfläche, also der Fläche, die nach der insoweit maßgeblichen Widmung für die Nutzung durch den öffentlichen Verkehr bestimmt ist. Damit ist in allen praktisch denkbaren Fällen ein unterer Bezugspunkt zweifelsfrei bestimmt. Zwei verschiedene untere Bezugspunkte können allein in dem angesichts des Zuschnitts des Plangebiets wohl eher theoretischen Fall in Betracht kommen, in dem auf einem an mehrere öffentliche Verkehrsflächen angrenzenden Eckgrundstück eine bauliche Anlage in exakt gleichem Abstand zu diesen Verkehrsflächen errichtet werden soll. Für diesen Fall ergibt die Auslegung des Bebauungsplans nach dem Sinn und Zweck der TF § 1, dass die maximale Traufhöhe in Bezug auf beide Verkehrsflächen einzuhalten ist, sodass im Ergebnis die niedriger gelegene Verkehrsfläche den Ausschlag gibt. Dies folgt daraus, dass es der Beklagten bei der Festsetzung der Traufhöhe maßgeblich darum ging zu gewährleisten, dass sich das neue Baugebiet an die bereits vorhandene eingeschossige Bebauung anpasst. Dieses Planungsziel erfordert es, dass die Traufhöhe zu allen Verkehrsflächen eingehalten wird, weil grundsätzlich von allen Verkehrsflächen aus Blickbeziehungen bestehen können. Das entspricht dem im Zweifelsfall ohnehin geltenden Auslegungsergebnis (vgl. Senatsurt. v. 26.10.2016 - 1 KN 6/15 -, BRS 84 Nr. 35 = juris Rn. 46; Senatsbeschl. v. 2.6.2020 - 1 MN 116/19 -, BauR 2020, 1269 = juris Rn. 22; Senatsurt. v. v. 2.6.2022 - 1 LB 109/20 -, juris Rn. 39).

Soweit der Kläger rügt, es dürfe nur auf Verkehrsflächen innerhalb des Plangebietes abgestellt werden, überzeugt das nicht. Dem Satzungsgeber steht es frei, den unteren Höhenbezugspunkt innerhalb oder außerhalb des Plangebietes anzusetzen oder eine Kombination beider Möglichkeiten zu wählen. Bezieht er sich ohne weitere Konkretisierung auf die nächstgelegene öffentliche Verkehrsfläche, erfasst er damit grundsätzlich - und so auch hier - Verkehrsflächen innerhalb und außerhalb des Plangebietes gleichermaßen. Das folgt in diesem Fall zudem aus dem Sinn und Zweck der Höhenfestsetzung, die auf eine Einbindung des Neubaugebiets in die bestehende Struktur abzielt. Dies erfordert es, die festgesetzte Höhe gerade auch mit Blick auf die bereits bestehenden Straßen außerhalb des Plangebiets einzuhalten. Ein Rechtsproblem erwächst daraus entgegen der nicht weiter begründeten Auffassung des Klägers nicht; die in Bezug genommene Kommentarstelle enthält ebenfalls keine nachvollziehbare Begründung („wegen des Sachzusammenhangs der Festsetzungen“) und meint zudem, der Bezugspunkt müsse nur „grundsätzlich“ innerhalb des Plangebietes liegen (vgl. Söfker, in: EZBK, BauGB, 120. EL Februar 2016, § 18 BauNVO Rn. 3). Auch das überzeugt schon mit Blick auf die planerische Gestaltungsfreiheit der Städte und Gemeinden sowie die übliche, nach ständiger Rechtsprechung aller Gerichte rechtmäßig verwendbare und vom Kläger selbst empfohlene Anknüpfung an die Höhe Normalnull nicht. Selbst wenn die Auffassung von Söfker indes zutreffen sollte, läge hier angesichts des Planungsziels der Beklagten ein Fall vor, der ein Abweichen von dem aufgestellten Grundsatz rechtfertigen würde.

Kein Bestimmtheitsproblem erwächst in diesem Fall schließlich daraus, dass die öffentlichen Verkehrsflächen innerhalb des Plangebietes zum Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses noch nicht fertiggestellt waren. Das Bestimmtheitsgebot soll den Planadressaten in die Lage versetzen zu erkennen, ob sein Vorhaben im Plangebiet zulässig ist oder nicht. Das ist auch dann gewährleistet, wenn die Übereinstimmung der Gebäudehöhe mit den Planfestsetzungen erst dann abschließend geprüft werden kann, wenn die Bauausführungsplanung für die für sein Grundstück relevante Erschließungsstraße vorliegt. Denn Voraussetzung der Genehmigung eines Vorhabens im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans nach § 30 Abs. 1 BauGB ist u.a., dass die Erschließung gesichert ist, d.h. mit ihrer konkreten Herstellung zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme muss gerechnet werden können. Das setzt entgegen der Auffassung des Klägers voraus, dass ihre konkrete Gestalt zum Genehmigungszeitpunkt zumindest hinsichtlich ihrer Höhe feststeht. Denn andernfalls kann nur von einer vagen Erschließungserwartung gesprochen werden, die zur Genehmigung eines Bauvorhabens nicht ausreicht; das ist auch mit Blick auf Art. 14 Abs. 1 GG unbedenklich; dass insofern eine Nachfrage bei der Beklagten erforderlich werden kann, ist unschädlich (vgl. Senatsurt. v. 2.6.2022 - 1 LB 109/20 -, juris Rn. 40). Dem kann nicht entgegengehalten werden, dass die Erschließung ggf. auch durch eine provisorische Baustraße gesichert sein kann. Denn jedenfalls der vorliegende Plan ist mangels anderweitiger Hinweise dahingehend auszulegen, dass zur Bestimmung der Gebäudehöhe die zum Genehmigungszeitpunkt jeweils vorhandene bzw. konkret geplante Erschließungsanlage, ob Baustraße oder endgültige Erschließungsstraße, heranzuziehen ist, zumal in einem Gelände, das wie hier nur geringe Höhenunterschiede und keine Auffälligkeiten des Baugrunds aufweist, die beispielsweise besondere Aufschüttungen erforderten, und nicht von großen Höhenunterschieden zwischen Baustraße und endgültiger Erschließungsstraße auszugehen ist (vgl. Senatsurt. v. 27.11.2019 - 1 KN 33/18 -, BauR 2020, 589 = juris Rn. 43). Soweit das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (etwa Urt. v. 13.2.2014 - 7 D 102/12.NE -, juris Rn. 69 ff.; auch Urt. v. 15.2.2012 - 10 D 46/10.NE -, BauR 2012, 1080 = BRS 79 Nr. 42 = juris Rn. 70 ff.) in von ihm entschiedenen Fällen zu abweichenden Ergebnissen gelangt ist, ist dem für den hier zu entscheidenden Einzelfall und den dafür maßgeblichen Bebauungsplan Nr. 360 nicht zu folgen.

bb)

Die Festsetzung der maximalen Traufhöhe ist frei von gemäß §§ 214, 215 BauGB beachtlichen Abwägungsfehlern. Das Planungsziel der Beklagten, das neue Baugebiet an die vorhandene eingeschossige Bebauung anzupassen, rechtfertigt die Begrenzung der Traufhöhe, die sich gerade zur Wahrung und Gestaltung des Orts- und Straßenbildes als zulässiges und geeignetes Mittel dargestellt (vgl. Senatsurt. v. 8.9.2010 - 1 KN 129/07 -, BauR 2011, 1131 = BRS 76 Nr. 35 = juris Rn. 252).

Ein Abwägungsfehler folgt auch nicht daraus, dass TF § 1 die Traufhöhe nur für zweigeschossige Gebäude begrenzt, während eingeschossige Bauten in grundsätzlich unbegrenzter Höhe errichtet werden dürfen. Angesichts der im allgemeinen Wohngebiet gemäß § 4 BauNVO recht eng begrenzten Art der baulichen Nutzung, des Zuschnitts der Bauflächen sowie der Lage des Plangebiets musste die Beklagte nicht damit rechnen, dass sich andere als Wohn- bzw. freiberufliche Nutzungen, die eine unbegrenzte Höhenentwicklung von vornherein nicht erwarten lassen, in nennenswertem Umfang einstellen würden; die Realität bestätigt diesen Befund. Im Gegenteil lassen es die eng begrenzten Baufenster, die weiteren Begrenzungen des Maßes der baulichen Nutzung durch eine Grundflächenzahl von 0,3, die Zulässigkeit von ausschließlich Einzel- und Doppelhäusern sowie die Vorgabe eines geneigten Daches als praktisch ausgeschlossen erscheinen, dass ein Bauherr ein eingeschossiges Gebäude mit einer Traufhöhe von mehr als 5,50 m errichten könnte. Dem „realistischen worst-case-Szenario“, auf das sich die Beklagte in ihrer planerischen Abwägung einzulassen hat (vgl. Senatsurt. v. 8.9.2021 - 1 KN 150/19 -, BauR 2022, 432 = juris Rn. 86; Senatsbeschl. v. 24.3.2022 - 1 MN 131/21 -, UPR 2022, 273 = juris Rn. 33), entspricht diese nur theoretische Möglichkeit nicht.

b)

Die Bauaufsichtsanordnung ist frei von Ermessensfehlern und entspricht insbesondere dem Gebot der Verhältnismäßigkeit. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats hat die Bauaufsichtsbehörde gegen baurechtswidrige Zustände regelmäßig einzuschreiten; es handelt sich daher um einen Fall von intendiertem Ermessen. Ein „Für und Wider“ braucht deswegen nur dann abgewogen zu werden, wenn der Fall so geartet ist, dass ganz bestimmte konkrete Anhaltspunkte für die Angemessenheit einer Ausnahme vorliegen (vgl. Senatsbeschl. v. 11.5.2015 - 1 ME 31/15 -, NdsVBl. 2015, 304 = BRS 83 Nr. 101 = juris Rn. 15; Beschl. v. 18.5.2020 - 1 LA 150/18 -, juris Rn. 16). Solche Umstände sind nicht gegeben.

Die Rechtswidrigkeit des Einfamilienhauses kann nicht im Wege der Erteilung einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB geheilt werden. Wie die Beklagte sowie die Region Hannover bereits im Verwaltungsverfahren zutreffend ausgeführt haben, zählen die Traufhöhenbegrenzung und das mit ihr verfolgte planerische Ziel zu den Grundzügen der Planung, die nicht berührt werden dürfen. Auf die entsprechenden Ausführungen im Bescheid und Widerspruchsbescheid nimmt der Senat gemäß § 117 Abs. 5 VwGO Bezug.

Ein Ermessensfehler folgt auch nicht aus einer „Mitverantwortung“ der Beklagten für die Errichtung des baurechtswidrigen Einfamilienhauses. Eine solche Mitverantwortung resultiert erstens nicht aus der Verwendung auslegungsbedürftiger Begriffe in dem Bebauungsplan Nr. 360. Die darin verwendeten Begrifflichkeiten sind allgemein üblich und weit verbreitet. Ihre Kenntnis ist von jeder bauvorlageberechtigten Person zwingend zu erwarten; die hier offenbar bestehende Unkenntnis der Entwurfsverfasserin des Klägers von Inhalt und Bedeutung des Begriffs der Traufhöhe ist ein außerordentlich gröblicher und schwerwiegender Verstoß gegen baurechtliche Sorgfaltspflichten (vgl. § 53 Abs. 1 und 2 NBauO). Selbst wenn indes Begriffe verwendet worden wären, deren Auslegung höhere Anforderungen stellte, wäre die Rechtslage nicht anders. Erforderlichenfalls hätte sich die Entwurfsverfasserin des Klägers um baurechtliche Beratung (vgl. § 58 Abs. 1 Satz 2 NBauO) bemühen oder - freiwillig - eine Baugenehmigung (vgl. § 62 Abs. 10 NBauO) einholen müssen. Eine im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigende Mitverantwortung folgt zweitens nicht daraus, dass die Beklagte die Mitteilung der Baumaßnahme (§ 62 Abs. 3 Satz 1 NBauO) nicht zum Anlass genommen hat, die Planzeichnungen auf ihre Vereinbarkeit mit dem Bebauungsplan zu überprüfen. Gemäß § 62 Abs. 5 Satz 2 NBauO besteht ausdrücklich keine über die in § 62 Abs. 5 Satz 1 NBauO genannten Anforderungen hinausgehende Prüfungspflicht; demzufolge durfte (und sollte) die Beklagte eine nähere Befassung mit den Bauvorlagen unterlassen.

Unverhältnismäßig ist das Rückbauverlangen nicht. Der hohen Belastung, die das Rückbauverlangen für den Kläger und seine Familie in finanzieller und auch persönlicher Hinsicht mit sich bringt, steht eine erhebliche Beeinträchtigung des Planungsziels, die neu entstehenden Gebäude an den bestehenden Baubestand anzupassen, gegenüber. Die Überschreitung der Traufhöhe von nahezu 0,50 m überschreitet jede Bagatellschwelle bei weitem und erreicht nahezu 10 % der maximal zulässigen Höhe. Eine solche Überschreitung und damit verbundene Beeinträchtigung ihrer städtebaulichen Zielsetzungen musste die Beklagte trotz der mit dem Rückbauverlangen verbundenen erheblichen Belastungen nicht hinnehmen, zumal die Niedersächsische Bauordnung die Verantwortung für die Baurechtmäßigkeit und auch das damit verbundene Risiko einer baurechtlichen Fehleinschätzung - wie ausgeführt - eindeutig der Rechtssphäre des Bauherrn zuweist. Dieses zusätzliche Maß an Verantwortung und Risiko stellt sich gewissermaßen als Kehrseite der mit der Genehmigungsfreistellung verbundenen weitergehenden Baufreiheit dar. Wer sich trotz der finanziellen Bedeutung des Baus eines Einfamilienhauses, das in zahlreichen Fällen die größte Investition im Leben bedeutet, für das genehmigungsfreie Bauen und gegen eine bauaufsichtliche Prüfung sowie die Schutzwirkung einer Baugenehmigung entscheidet, darf demzufolge auch nach Baufertigstellung nicht darauf vertrauen, dass eine baurechtswidrige Ausführung unbeanstandet bleibt bzw. hingenommen wird, selbst wenn damit - wie hier - erhebliche Belastungen verbunden sind. Das gilt in besonderer Weise in diesem Fall, in dem der Baurechtsverstoß einen Grundzug der Planung betrifft und seine Tolerierung - zumal angesichts der exponierten Lage des Klägergrundstücks am Westrand des Plangebiets - die Plankonzeption als solche in Frage stellen und eine negative Vorbildwirkung entfalten würde.

Etwaige Möglichkeiten, ohne einen vollständigen Rückbau der Dachkonstruktion die Schwere des Baurechtsverstoßes auf ein vertretbares, unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten noch zu duldendes Maß zu reduzieren, kann der Kläger ggf. im Vollstreckungsverfahren anbieten; eine Pflicht des Beklagten, derartige Möglichkeiten zu finden und bereits die Grundverfügung auf diese zu beschränken, bestand nicht.

2.

Die Zwangsgeldandrohung beruht auf §§ 64, 65, 67, 70 Nds. SOG, § 70 NVwVG in der zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung im November 2019 geltenden Fassung; sie ist ebenfalls frei von Rechtsfehlern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V. mit § 708 Nr. 10, § 709 Satz 2, § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor. Insbesondere sind die allgemeinen Anforderungen an die Bestimmtheit einer Höhenfestsetzung in der Rechtsprechung geklärt; die Auslegung der Bestimmungen des einzelnen Bebauungsplans ist demgegenüber in jedem Einzelfall vorzunehmen und entzieht sich einer grundsätzlichen Klärung.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 70.000 EUR festgesetzt. (§ 52 Abs. 1 GKG).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).