Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.09.2023, Az.: 14 PA 83/23

Formularerfordernis; Prozeskostenhilfe; Bewilligung von Prozesskostenhilfe für minderjährige Kinder; Formularerfordernis

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
07.09.2023
Aktenzeichen
14 PA 83/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 33347
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:0907.14PA83.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 26.07.2023 - AZ: 13 A 1248/23

Fundstellen

  • AK 2023, 203
  • FA 2023, 276
  • ZAP 2024, 107

Amtlicher Leitsatz

Wird Prozesskostenhilfe für minderjährige Kläger beantragt, müssen die gesetzlichen Vertreter auch eine Formularerklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Minderjährigen abgeben.

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichterin der 13. Kammer - vom 26. Juli 2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Beschwerde des Klägers gegen den die Gewährung von Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg.

Das Verfahren ist mittlerweile durch beiderseitige Erledigungserklärung beendet worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit verletzt, wenn das Fachgericht einen Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe unter Hinweis auf die zwischenzeitliche Erledigung der Sache verneint, obschon das Rechtsschutzbegehren zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe Aussicht auf Erfolg hatte; dieser Zeitpunkt ist der maßgebliche Zeitpunkt für die Prüfung der Erfolgsaussichten des Prozesskostenhilfegesuchs (BVerfG, Beschl. v. 16.4.2019 - 1 BvR 2111/17 -, juris Rn. 25 mit umfangreichen Nachweisen). Jedenfalls dürfen dem entscheidenden Gericht zuzurechnende Verzögerungen bei der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag nicht zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden berücksichtigt werden (BVerfG, Beschl. v. 12.5.2020 - 2 BvR 2151/17 -, juris Rn. 20; Beschl. v. 5.12.2018 - 2 BvR 2257/17 -, juris Rn. 15). Zwar setzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung begrifflich voraus, dass das entsprechende Rechtsschutzbegehren noch anhängig ist, allerdings kommt ausnahmsweise auch nach Abschluss der Instanz eine rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe in Betracht, wenn - wie hier - das Gericht sie bereits vor Beendigung des Verfahrens hätte bewilligen müssen (BVerfG, Beschl. v. 14.4.2010 - 1 BvR 362/10 -, juris Rn. 13f.). Auch unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kann dem Kläger indes Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil die Voraussetzung der Bewilligungsreife im Zeitpunkt der Erledigung der Hauptsache (BVerfG, Beschl. v. 8.11.2018 - 1 BvR 1020/17 -, juris Rn. 1; Beschl. v. 14.4.2010 - 1 BvR 362/10 -, juris Rn. 14 m.w.N.) hier nicht erfüllt ist.

Gemäß § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist dem Antrag auf Prozesskostenhilfe u.a. eine Erklärung der Partei über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (Familienverhältnisse, Beruf, Vermögen, Einkommen und Lasten) beizufügen. Soweit Formulare für die Erklärung eingeführt sind, wie inzwischen durch § 1 PKHFV, muss sich die Partei nach § 117 Abs. 4 ZPO ihrer bedienen. Davon ausgenommen sind lediglich die in § 2 Abs. 1 PKHFV bezeichneten Fälle. Die Vorschrift betrifft minderjährige unverheiratete Kinder, die in einer Abstammungssache nach § 169 FamFG oder in einem Verfahren über den Unterhalt ihre Rechte verfolgen oder verteidigen oder die einen Unterhaltsanspruch vollstrecken wollen. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass auch für ein im Verwaltungsprozess gemeinsam mit seinen Eltern klagendes Kind eine eigene Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem eingeführten Formular abgegeben werden muss (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 19.1.2021 - 8 PA 5/21 -, juris Rn. 3 m.w.N.; vgl. auch BSG, Beschl. v. 18.11.2021 - B 1 KR 67/21 B -, juris Rn. 3). Diesem Erfordernis genügt das Prozesshilfebegehren des Klägers nicht. Die Eltern des Klägers, die zunächst - bis zur "Rubrumsberichtigung" durch den Schriftsatz vom 8. Mai 2023 - im eigenen Namen Klage erhoben hatten, haben lediglich Formularangaben über ihre eigenen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht (vgl. die Erklärungen vom 29. April 2023), nicht jedoch über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ihres Sohnes, des minderjährigen Klägers. Angesichts dessen, was über die persönlichen Umstände des Klägers bekannt ist, ist die Wahrscheinlichkeit, dass er bzw. die Unterhaltsverpflichteten die Prozesskosten aus aktuell verfügbaren Mitteln oder aufgrund eines Anspruchs auf Prozesskostenvorschuss finanzieren kann, zwar gering. Dies führt aber nicht dazu, dass sich das Gericht mit einer solchen Mutmaßung zufriedengeben kann; die gesetzlichen Vertreter des Kindes haben vielmehr die erforderlichen Angaben zu machen und für deren Richtigkeit einzustehen (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 19.1.2021 - 8 PA 5/21 -, juris Rn. 3 m.w.N.).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Eltern des Klägers durch Vorlage eines Bescheids des Jobcenters vom 17. April 2023 glaubhaft gemacht haben, dass sie selbst sowie der Kläger als Bedarfsgemeinschaft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beziehen. Eine vereinfachte Erklärung der Abschnitte E bis J des Formulars ist nur im Fall des Bezugs von Leistungen nach dem SGB XII möglich (§ 2 Abs. 2 PKHFV, siehe auch den entsprechenden Hinweis in dem von den Eltern des Klägers genutzten Formular vor Abschnitt E, S. 2). Auch eine analoge Anwendung des § 2 Abs. 2 PKHFV zugunsten von Antragstellern, die Leistungen nach dem SGB II beziehen und darüber - wie die Eltern des Klägers - einen Bewilligungsbescheid vorlegen, scheidet mangels vergleichbarer Interessenlage aus (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 27.9.2022 - 11 ME 284/22 -, juris Rn. 34 m.w.N.). Ein Bescheid über Leistungen nach dem SGB II gibt nämlich nicht in vergleichbarer Weise wie ein Bescheid über Leistungen nach dem SGB XII Aufschluss über die Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe, da das Recht der Prozesskostenhilfe an das SGB XII anknüpft und die Anspruchsvoraussetzungen nach dem SGB II und nach dem SGB XII voneinander abweichen Folglich sind auch Empfänger von Leistungen nach dem SGB II - wie sämtliche sonstige Antragsteller von Prozesskostenhilfe - verpflichtet, das Formular vollständig auszufüllen (vgl. NdsOVG, Beschl. v. 27.9.2022 - 11 ME 284/22 -, juris Rn. 34 m.w.N.). Davon abgesehen hat der Kläger auch keine vereinfachte Erklärung abgegeben, sondern gar keine.

Zwar kann einem Kläger bei der Entscheidung über die Gewährung von Prozesskostenhilfe nach Beendigung des Verfahrens eine unvollständige bzw. unglaubhafte Erklärung ausnahmsweise nicht entgegengehalten werden, wenn er vor der Erledigung berechtigterweise darauf vertrauen durfte, seine wirtschaftlichen Verhältnisse genügend dargetan zu haben und ihn das Gericht auf etwaige - nicht ohne weiteres für ihn erkennbare - Mängel der Erklärung nicht hingewiesen hat, so dass er die Angaben nicht mehr vervollständigen konnte (vgl. Senatsbeschl. v. 19.4.2023 - 14 PA 11/23 -, V.n.b. und v. 17.3.2022 - 14 PA 155/22 -, V.n.b.; Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, Werksstand: 43. EL August 2022, § 166 Rn. 133 m.w.N.). Ein solcher Fall liegt hier indessen nicht vor. Denn der Kläger durfte nicht berechtigterweise darauf vertrauen, seine wirtschaftlichen Verhältnisse genügend dargetan zu haben, weil er - wie dargelegt - keine eigene Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse abgegeben hatte. Der Kläger kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht auf Unkenntnis berufen, weil er anwaltlich vertreten ist.

Nach der Erledigung des Rechtsstreits konnte Bewilligungsreife auch nicht mehr herbeigeführt werden, so dass es keines entsprechenden Hinweises durch das Oberverwaltungsgericht bedurfte (NdsOVG, Beschl. v. 19.1.2021 - 8 PA 5/21 -, juris Rn. 4 m.w.N.).

Nach § 166 Abs.1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet. Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).