Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.09.2023, Az.: 2 ME 75/23

Bezugnahme auf Schriftstücke; Bezugnahme auf Unterlagen; Bezugnahme pauschale; grobe Pflichtverletzung; Hantieren mit Rasiermesser; Körperverletzung gegenüber Mitschülern; Ordnungsmaßnahme; Ordnungsmaßnahme: Schule; Rasiermesser; Sexualisierte Sprache; sonderpädagogischer Förderbedarf; Überweisung an andere Schule; Verbale sexuelle Übergriffe

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
29.09.2023
Aktenzeichen
2 ME 75/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 36653
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:0929.2ME75.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 09.08.2023 - AZ: 6 B 4035/23

Fundstelle

  • NVwZ-RR 2024, 45-49

Amtlicher Leitsatz

Schulrechtlliche Ordnungsmaßnahme - Überweisung eines zehnjährigen Schülers wegen grober Pflichtverletzungen an eine andere Schule derselben Schulform.

  1. 1.

    Das Inklusionsprinzip (§ 4 NSchG) steht einer Ordnungsmaßnahme nach § 61 Abs. 3 Nr. 4 NSchG - Überweisung an eine andere Schule derselben Schulform -bei der Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs nicht entgegen.

  2. 2.

    Grobe Pflichtverletzungen eines Schülers, die im Zusammenhang mit einer anerkannten ADHS stehen, schließen eine Überweisung an eine andere Schule derselben Schulform - § 61 Abs. 3 Nr. 4 NSchG - auch bei einem in diesem Zusammenhang festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf grundsätzlich nicht aus.

  3. 3.

    Die Bezugnahme auf Schriftsätze und sonstige Unterlagen in der Begründung des Beschlusses - hier nach § 80 Abs. 5 VwGO - ist nach § 122 Abs. 2 VwGO zulässig, wenn diese Unterlagen den Beteiligten bekannt sind oder die Beteiligten von den Unterlagen ohne Schwierigkeiten Kenntnis nehmen konnten.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 6. Kammer - vom 9. August 2023 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragsteller wenden sich gegen die Überweisung ihres minderjährigen Sohns an eine andere Schule derselben Schulform.

Der im ... 2012 geborene Schüler besucht seit Schuljahresbeginn 2022/2023 die Antragsgegnerin. Zuvor besuchte er eine Grundschule in N. -Stadt. In der Grundschulzeit wurde ein Bedarf des Schülers an sonderpädagogischer Unterstützung - Förderschwerpunkt Körperliche und motorische Entwicklung - festgestellt. Im Schuljahr 2022/2023 befand er sich in der 5. Klasse der Antragsgegnerin. Seit dem Schuljahresbeginn kam es wiederholt zu Situationen, in denen der Schüler in der Schule erhebliche Schwierigkeiten in der Impulskontrolle (kurze Zündschnur) und Aufmerksamkeitslenkung, sowie eine niedrige Frustrationstoleranz und ein auffälliges regelinakzeptierendes und oppositionelles Verhalten gegenüber Lehrern und Schülerinnen und Schülern zeigte.

Der Schulleiter der Antragsgegnerin benennt in diesem Zusammenhang in dem Anhang zu dem Antrag auf Genehmigung der Ordnungsmaßnahme der Klassenkonferenz gegenüber dem Regionalen Landesamt für Schule und Bildung folgende Vorfälle und bisherige schulische Maßnahmen:

September 2022
7. September 2022O. schlägt seinem Mitschüler P. ins Gesicht.
7. September 2022O. erscheint 25 Min zu spät zum Unterricht.
19. September 2022O. spuckt seinem Mitschüler Q. ins Gesicht.
19. September 2022O. schlägt seinem Mitschüler Q. ins Gesicht.
27. September 2022O. provoziert eine Schlägerei mit seinem Mitschüler R.. Er stiftet seinen großen Cousin S. an, R. zu schlagen. R. wird ins Gesicht geschlagen und von O. beleidigt.
27. September 2022O. verweigert die Mitarbeit und beleidigt die Lehrkraft mit "Arschloch".
28. September 2022- Einladung zum Abmahnungsgespräch (am 7.10.2022)
29. September 2022O. beleidigt seinen Mitschüler Q. und schlägt ihm ins Gesicht.
29. September 2022O. fasst seiner Mitschülerin T. mehrfach an den Bauch und den Oberschenkel.
29. September 2022O. erhält ein zweiwöchiges Pausenverbot.
Oktober 2022
7. Oktober 2022O. hält sich nicht an die Ordnungsmaßnahme der Schule (zweiwöchiges Pausenverbot).
7. Oktober 2022O. sagt zu den beiden Mitschülerinnen U. u. V. "fickt euch!"
7. Oktober 2022O. nennt seinen Mitschüler W. einen "Fischkopf" und "Loser".
7. Oktober 2022- Abmahnungsgespräch:
Es wird vereinbart, das Pausenverbot bis zu den Ferien auszuweiten. O. erhält einen Einzelplatz ganz vorne und muss auch im Lernbüro alleine arbeiten. Frau A. sagt zu, Gutachten, Arzt- und Therapieberichte bereitzustellen.
10. Oktober 2022O. zeigt seiner Mitschülerin in der Mittagspause den Stinkefinger. Auf Ermahnung von Frau X. entgegnet O., sie solle sich nicht so aufspielen. Sie wäre schließlich nicht gemeint gewesen.
11. Oktober 2022O. schlägt sich in der Mittagspause mit seinem Mitschüler P..
November 2022
1. November 2022O. ruft seinem Mitschüler Y. mehrfach laut durch den Klassenraum zu: "Hol' mir 'mal einen runter!"
2. November 2022O. macht mehrfach sexuelle Gesten (z.B. Masturbationsgesten in der Hose und Leckbewegungen).
2. November 2022O. fordert seine Mitschüler:innen auf, ihm "geile Pornos" herauszusuchen
2. November 2022O. sagt zu seinen Mitschülerinnen: Ich denke an euch beim Wichsen."
2. November 2022O. entgegnet seinen Mitschüler:innen: "Ich kann die ganze Wasserflasche mit meinem Sperma füllen."
2. November 2022O. behauptet gegenüber seinen Mitschüler:innen, dass er häufig Geschlechtsverkehr mit seiner Stiefschwester hat.
3. November 2022O. fordert seine Mitschülerinnen auf ihm "Nudes" Nacktfotos zu schicken.
3. November 2022O. entgegnet Frau X. im Englischunterricht auf eine Ermahnung hin "Fick dich!"
3. November 2022O. fordert Y. auf, sich die Hose runterzuziehen und seinen Penis zu zeigen.
3. November 2022O. fragt seine Mitschülerinnen: "Riecht deine Pussy auch nach Thunfisch?"
3. November 2022O. wird per Eilmaßnahme vom Unterricht ausgeschlossen. Vorher führt er ein Gespräch mit der Schulsozialarbeiterin, Frau Z.. Am 8. November 2023 führen Frau J., Frau Z. und Herr K. ein langes Gespräch mit der Mutter von O.. Es werden Angebote und Lösungsansätze besprochen und die Beweggründe für O. Verhalten eruiert. Frau A. sichert die Übersendung der Arzt- und Therapieberichte zu.
10. November 2022- Ordnungsmaßnahmenkonferenz -Ordnungsmaßnahme
a) O. wird aus der Klasse verwiesen und wechselt in die Klasse 5....
b) Außerdem wird O. für das restliche Schuljahr 2022/2023 von außerschulischen Aktivitäten und Jahrgangsaktionen ausgeschlossen.
Nach der Konferenz findet noch ein Gespräch zwischen Frau Z., Herrn A. und Herrn K. statt. Hierin weist Herr A. die angebotenen Beratungsstellen und Hilfsangebote zurück.
Herr A. sieht die Ursache für O. Verhalten in einer ADHS und der Tatsache, dass O. durch seine Cousins in den Ferien Pornos konsumiert hätte. Therapien und Förderung sieht Herr A. als wirklich zielführend an. Herr A. möchte die Angelegenheit innerhalb der Familie aufarbeiten.
Im Anschluss an die Ordnungsmaßnahmenkonferenz ist O. fast 6 Wochen erkrankt.
Januar 2023
9. Januar 2023O. droht eine Mitschülerin, ein peinliches Video von ihr in der Schule herum zu zeigen und zu veröffentlichen.
Er wird von Frau Z. (Schulsozialarbeiterin) präventiv ermahnt, dies nicht zu tun und die möglichen Konsequenzen (sowohl schulische, als auch rechtliche Aspekte) werden mit ihm besprochen.
O. kündigt an das Video dennoch zu veröffentlichen.
10. Januar 2023O. zeigt vor Schulbeginn und in der 1. Pause das Video in seinem Freundes- und Bekanntenkreis herum.
10. Januar 2023 - Ordnungsmaßnahme -
O. wird für den restlichen Tag vom Unterricht ausgeschlossen. Vorher findet ein langes und intensives Reflexionsgespräch zwischen O., seiner Mutter und Herrn K. statt.
18. Januar 2023O. fragt Frau R., ob sie schon einmal Sexualkunde unterrichtet hätte. Er freue sich darauf, das Kondom "auf den Holzpimmel" aufzuziehen. Dabei macht O. Stoßbewegungen und stöhnt.
18. Januar 2023 - Ordnungsmaßnahme -:
Er freue sich darauf, das Kondom "auf den Holzpimmel" aufzuziehen. Dabei macht O. Stoßbewegungen und stöhnt.
19. Januar 2023O. ändert den Gerätenamen seines iPads in
AA." (Mitschülerin um. Er verschickt unter diesem Namen Bilder von (halb-)nackten Frauen an Mitschülerinnen. Gleichzeitig belästigt er mit anzügliche Bemerkungen und anstößigen, eindeutig sexualisierten Gesten (Wasserflasche im Schritt, Stoßbewegungen). Er sucht hierbei auch aktiv den Körperkontakt zu Mädchen.
19. Januar 2023O. wird für den restlichen Tag vom Unterricht ausgeschlossen. Es findet vorher ein langes und intensives Reflexionsgespräch zwischen O., seiner Mutter und Herrn K. statt.
23. Januar 2023- Gespräch mit den Eltern
26. Januar 2023O. stellt sein Lineal in den Schritt und ahmt mit der Hand Masturbationsbewegungen nach.
26. Januar 2023O. wird für den restlichen Tag vom Unterricht ausgeschlossen.
Februar 2023
17. Februar 2023O. beschimpfte Lehrkraft Frau CC., daraufhin wird er der Klasse verwiesen.
17. Februar 2023O. verhält sich gegenüber der Lehrkraft Frau DD. aggressiv und respektlos
O. wiederholt dieses Verhalten gegenüber der Schulleitung.
O. soll sich daraufhin in der Lehrerstation Grün melden, um abgeholt zu werden. Er versucht anschließend, sich der Schule zu entziehen und mit dem Bus nach Hause zu fahren
20. Februar 2023O. ignoriert die Anweisungen der Lehrkraft.
20. Februar 2023O. beleidigt und tritt eine Schülerin aus dem Gymnasium am Kiosk. Die Schülerin trägt deutliche Abstufungen und einem Bluterguss davon.
20. Februar 2023O. wird für den restlichen Tag vom Unterricht ausgeschlossen.
Es findet vorher ein langes und intensives Reflexionsgespräch zwischen O., seiner Mutter und Herrn K. statt. Es folgt eine Einladung zu Ordnungsmaßnahmenkonferenz am 27. Februar 2023, die im weiteren krankheitsbedingt auf den 7. März 2023 verschoben wird.
23 Februar 2023O. ignoriert die Anweisungen der Lehrkraft. Er kaut Kaugummi und nimmt sich sofort ein neues, nachdem er das alte wegwerfen musste.
23. Februar 2023O. stellt sich eine Flasche in den Schritt und macht Masturbationsbewegungen.
23. Februar 2023 - O. wird für den restlichen Tag vom Unterricht ausgeschlossen.
7. März 2023- Ordnungsmaßnahmenkonferenz -
Ordnungsmaßnahme: O. wird für 3 Wochen vom Unterricht ausgeschlossen; anschließend 10 Tage reduzierte Beschulung um O. einen konfliktarmen Schulbesuch zu ermöglichen. Dazu Wiedereingliederungsgespräch.
April 2023
14. April 2023O. verweigert die Mitarbeit und ignoriert die Anweisung der Lehrkraft. Er verlässt das Schulgelände.
24.April 2023O. stellt seine Mitschülerinnen EE. ein Bein auf der Treppe und beleidigt sie.
Mai 2023
3. Mai 2023O. guckt und dreht im Unterricht TikToks.
5. Mai 2023O. tanzt seine Schülerin EE. mit obszönen und sexualisierten Gesten im Unterricht an.
5. Mai 2023O. wird per Eilmaßnahme für den restlichen Tag vom Unterricht ausgeschlossen.
Frau A. hat kein Interesse an einem Gespräch.
16. Mai 2023O. spielt an seinem iPad. Er verweigert die Herausgabe.
17. Mai 2023O. beleidigt und schlägt seine Mitschülerin EE..
Juni 2023
5. Juni 2023O. beendet den zuvor eingerichteten, geführten Zugriff. Er spielt und hat TikToks im Unterricht.
7. Juni 2023O. benutzt im Schulgebäude eine Wasserpistole.
16. Juni 2023O. beleidigt seine Mitschülerin T. und sagt ihr:
"Ich ficke deinen Vater und deinen Bruder, bis sie tot sind!"
16. Juni 2023O. beleidigt seine Mitschülerin FF. und entgegnete ihr:
"Ich ficke deinen Vater und deine Toten!"
21. Juni 2023O. verletzt seine Mitschülerin GG. auf dem Pausenhof mit einem von ihm (versehentlich) in die Schule mitgebrachten Rasiermesser am Arm.
Die Polizei wird hinzugezogen.
21. Juni 2023:O. wird aufgrund des Vorfalls auf dem Pausenhof per Eilmaßnahme vom Unterricht ausgeschlossen. Es findet ein Gespräch zwischen der Mutter von O. und dem Schulleiter Herr BB. statt. Außerdem wird die Polizei hinzugezogen. Eine Einladung zur Ordnungsmaßnahmenkonferenz am 3. Juli 2023erfolgt.
Am 22. Juni 2023 berichteten mehrere Schülerinnen einer Lehrkraft, dass O. ihnen mehrfach pornografische Videos und Fotos gesendet und sie aufgefordert hätte, die dort gezeigten Praktiken mit ihm durchzuführen.
Außerdem habe er sie in den Pausen regelmäßig aufgefordert, sich selbst zu verletzen oder sexuelle Handlungen mit ihm durchzuführen. Mehrere Mädchen hätten berichtet, dass O. sie an Beinen, Brust und Po berührt habe. Auch sei es mehrfach zu Griffen unter den Rock gekommen.
Diese Vorfälle hätten sich laut Aussagen der Mädchen in den letzten zwei Wochen ereignet.
Aus Angst vor dem Schüler hätten sich die Mädchen erst jetzt getraut, von den Vorfällen zu berichten.

In der Klassenkonferenz vom 3. Juli 2023, an der neben dem Schüler auch seine Eltern, die Antragsteller teilnahmen und ebenso wie der Schüler Gelegenheit erhielten, sich zu dem Vorfall am 21. Juni 2023 zu äußern, beschloss die Klassenkonferenz, den Schüler an eine andere Schule derselben Schulform zu überweisen und benannte die IGS II..

Mit Bescheid vom 4. Juli 2023 verfügte die Antragsgegnerin auf der Grundlage des Beschlusses der Klassenkonferenz die Überweisung des Schülers an eine Schule derselben Schulform und benannte als aufnehmende Schule die IGS II.. Das Regionale Landesamt für Schule und Bildung genehmigte die Überweisung.

Der gegen den Bescheid vom 4. Juli 2023 am 20. Juli 2023 erhobene Widerspruch der Antragsteller wurde bislang noch nicht beschieden.

Das gegen den Schüler geführte staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren wurde zwischenzeitlich wegen Strafunmündigkeit eingestellt (§ 170 Abs. 2 StPO).

Den von den Antragstellern gestellten Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsteller.

II.

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 9. August 2023, mit dem dieses es abgelehnt hat, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den die Überweisung ihres Sohns an eine andere Schule derselben Schulform betreffenden Bescheid der Antragsgegnerin vom 4. Juli 2023 anzuordnen, hat keinen Erfolg.

Die mit der Beschwerde dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen es nicht, die die Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu ändern und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen.

Der Senat teilt die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verfügung der Antragsgegnerin keine durchgreifenden Bedenken bestehen und verweist zunächst auf den angefochtenen Beschluss, dessen Gründen er folgt.

Zu dem Beschwerdevorbringen weist der Senat teils wiederholend, teils ergänzend auf Folgendes hin:

1. Rechtliche Grundlage der verfügten Überweisung an eine andere Schule derselben Schulform, bei der es sich um eine schulrechtliche Ordnungsmaßnahme handelt, ist § 61 Abs. 2, Abs. 3 Nr. 4, Abs. 4 Satz 1 NSchG.

Da Widerspruch und Anfechtungsklage gegen diese Ordnungsmaßnahme gemäß § 61 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 NSchG keine aufschiebende Wirkung haben, kann vorläufiger Rechtsschutz lediglich über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 1VwGO) erlangt werden. Die Entscheidung setzt eine Abwägung der widerstreitenden Interessen voraus. Dabei hat der Gesetzgeber allerdings mit dem in § 61 Abs. 4 Satz 3 Halbs. 2 NSchG geregelten Ausschluss der aufschiebenden Wirkung für Ordnungsmaßnahmen nach § 61 Abs. 3 Nr. 4 NSchG bereits ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Durchsetzung dieser Ordnungsmaßnahmen (Vollzugsinteresse) angenommen. Die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kommt in diesem Fall nur in Betracht, wenn dem gesetzlich unterstellten besonderen öffentlichen Vollzugsinteresse im konkreten Einzelfall ausnahmsweise ein dies überwiegendes vorläufiges Rechtsschutzinteresse des Betroffenen (Aufschubinteresse) gegenübersteht (Littmann in Brockmann/Littmann/ Schippmann, NSchG, Stand: September 2022, § 61 Anm. 7.4; vgl. auch Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl., § 80 Rn. 140).

Ein das besondere öffentliche Vollzugsinteresse überwiegendes schutzwürdiges Aufschubinteresse besteht nicht, weil die angefochtene Ordnungsmaßnahme aller Voraussicht nach rechtmäßig ist.

2. Die Überweisung an eine andere Schule derselben Schulform ist gemäß § 61 Abs. 2 NSchG zulässig, wenn ein Schüler seine Pflichten grob verletzt, insbesondere unter anderem gegen rechtliche Bestimmungen verstößt, den Unterricht nachhaltig stört, die von ihm geforderten Leistungen verweigert oder dem Unterricht unentschuldigt fernbleibt. Nach § 61 Abs. 4 Satz 1 NSchG setzt die Verhängung der Maßnahme zudem voraus, dass der betroffene Schüler durch den Schulbesuch die Sicherheit von Menschen ernstlich gefährdet oder den Schulbetrieb nachhaltig und schwer beeinträchtigt hat. Über die Ordnungsmaßnahme entscheidet gemäß § 61 Abs. 5 Satz 1 NSchG grundsätzlich die Klassenkonferenz unter Vorsitz der Schulleitung. Dem Schüler und seinen Erziehungsberechtigten ist Gelegenheit zu geben, sich in der Sitzung der Konferenz, die über die Maßnahme zu entscheiden hat, zu äußern (§ 61 Abs. 6 Satz 1 NSchG). Die Überweisung an eine andere Schule derselben Schulform bedarf zudem nach § 61 Abs. 7 NSchG der Genehmigung der zuständigen Schulbehörde. Die Wahl der jeweiligen Ordnungsmaßnahme ist eine pädagogische Ermessensentscheidung der zuständigen Klassenkonferenz. Bei dieser Ermessensentscheidung ist darauf zu achten, dass die Ordnungsmaßnahme zur Schwere des zu ahndenden oder zu unterbindenden Verhaltens des Schülers in einem angemessenen Verhältnis steht. Die Maßnahme ist durch pädagogische Erwägungen bestimmt, die sich daran auszurichten haben, in welcher Weise einem in der Schule nicht mehr hinzunehmenden Verhalten eines Schülers unter pädagogischen Gesichtspunkten adäquat, sinnvoll und wirksam zu begegnen ist. Diese pädagogische Bewertung einer schulischen Situation, die vor allem auch eine pädagogische und psychologische Beurteilung der Person und des Verhaltens des betreffenden Schülers und etwaiger anderer Beteiligter verlangt, entzieht sich einer Bewertung nach allein rechtlichen Kriterien. Vielmehr steht der zuständigen Klassenkonferenz wie auch sonst bei Wertbeurteilungen im pädagogischen Bereich ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Wertungsspielraum zu.

Die Prüfungskompetenz der Verwaltungsgerichte beschränkt sich mithin regelmäßig darauf zu kontrollieren, ob die Voraussetzungen für die Anwendung einer Ordnungsmaßnahme vorliegen, ob bestehende Verfahrensvorschriften eingehalten worden sind und von einer richtigen und vollständigen Tatsachengrundlage ausgegangen worden ist, ob sachfremde Erwägungen angestellt oder gleichgelagerte Fälle ohne sachliche Rechtfertigung ungleich behandelt worden sind, ob von dem Ermessen entsprechend dem gesetzlichen Zweck Gebrauch gemacht worden ist und ob die ausgewählte Maßnahme geeignet und verhältnismäßig ist (Senatsbeschl. v. 14.5.2019 - 2 PA 490/18 -, juris Rn. 6; v. 14.6.2016 - 2 ME 104/16 -; v. 11.2.2015 - 2 LA 297/14 -; v. 14.1.2013 - 2 ME 416/12 -, juris Rn. 4; v. 26.1.2020 - 2 ME 444/09 -, juris Rn. 3; Littmann in Brockmann/Littmann/Schippmann, a.a.O., § 61 Anm. 7.4).

Davon ausgehend hat das Verwaltungsgericht zu Recht entschieden, dass sich die mit dem Bescheid vom 4. Juli 2023 verfügte Ordnungsmaßnahme nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung als voraussichtlich rechtmäßig erweist.

3. Entgegen der Ansicht der Beschwerde liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass der Ordnungsmaßnahme vor.

a) Der Schüler hat eine grobe Pflichtverletzung im Sinne des § 61 Abs. 2 NSchG begangen. Nach § 61 Abs. 2 NSchG, der keine abschließende, sondern nur eine beispielhafte Auflistung grober Pflichtverletzungen enthält, gehören dazu Verstöße gegen rechtliche Bestimmungen, die nachhaltige Störung des Unterrichts, die Verweigerung der geforderten Leistungen oder das unentschuldigte Fernbleiben vom Unterricht. Als grobe Pflichtverletzung können zunächst alle konkreten Handlungen in Betracht kommen, die - unabhängig von ihrer individuellen straf- oder jugendstrafrechtlichen Würdigung - einen Bezug zu Straftatbeständen wie der Körperverletzung, Nötigung, Beleidigung, Bedrohung, Sachbeschädigung und dem Diebstahl gegenüber Schülerinnen und Schülern, Lehrkräften und anderen Angehörigen der Schule haben (vgl. Littmann in Brockmann/Littmann/Schippmann, a.a.O. § 61 Erl. 4.1.; Senatsbeschl. v. 14.1.2013 - 2 ME 416/12 -, juris, Leitsatz und Rn. 6). Dasselbe gilt für Handlungen, die zu einer abstrakten Gefährdung führen, wie beispielsweise das Mitbringen von Waffen oder von anderen Gegenständen und Stoffen, deren Mitbringen in Schulen verboten ist (vgl. Littmann in Brockmann/ Littmann/Schippmann, NSchG, § 61 Erl. 4.1.).

Davon ausgehend hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, die grobe Pflichtverletzung im Sinne des § 61 Abs. 2 Satz 1 NSchG ergebe sich aus dem Verstoß des Schülers gegen das Verbot Waffen mit in die Schule zu bringen und die (wenn auch möglicherweise nur fahrlässige) Verletzung seiner Mitschülerin. Dazu hat das Verwaltungsgericht weiter ausgeführt, der Schüler habe am 21. Juni 2023 - wenn auch nach eigenen Angaben unbeabsichtigt - ein Rasiermesser in die Schule mitgebracht. Davon habe er (mindestens) einer Mitschülerin erzählt, das Messer nach deren Aufforderung aus der Tasche genommen und versucht damit Haare auf dem Arm des Mädchens zu entfernen. Dabei habe das Mädchen den Arm im letzten Moment weggezogen, sodass es zu einer Schnittverletzung gekommen sei. Insoweit sei der Sachverhalt unstreitig. Aus dem Verwaltungsvorgang ergebe sich zudem, dass der Schüler im Anschluss an diesen Vorfall mehrfach gegenüber der Schulleitung geäußert habe, er sei ein Mann, der ein Messer mit zur Schule bringen und damit Mädchen verletzen dürfe. Diese Tatsachengrundlage habe ausweislich des Protokolls vom 3. Juli 2023 auch die Klassenkonferenz ihrer Entscheidung zugrunde gelegt.

a) Dass das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang von einem - wie die Beschwerde meint - falschen und unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, ist nicht ersichtlich. Soweit die Beschwerde die Äußerung des Schülers bestreitet und meint, dieser habe anstelle der Äußerung: "Er sei ein Mann, der ein Messer mit zur Schule bringen und damit Mädchen verletzen dürfe." lediglich im Zusammenhang mit seiner Zusage, seiner Mitschülerin auf deren eigenen Wunsch die Haare am Arm zu rasieren gesagt: "Ein Mann ein Wort", wertet der Senat dies als Schutzbehauptung. Zudem vermag der Senat der Behauptung mangels substantiierter Anhaltspunkte nicht zu folgen. Gegen diese erstmalig im Beschwerdeverfahren geäußerte Behauptung spricht zunächst der Wortlaut des Protokolls der Klassenkonferenz vom 3. Juli 2013, auf den sich das Verwaltungsgericht bezieht. Darin wird, im Anschluss an die Anhörung des Schülers und seiner Eltern, eben dieser vom Verwaltungsgericht und der Klassenkonferenz zugrunde gelegte Sachverhalt zusammengefasst.

Soweit die Antragsteller mit der Beschwerde vortragen, das Protokoll der Klassenkonferenz sei falsch, richtig sei einzig die nun vorgetragene Äußerung des Schülers, so gibt es für die nun behauptete Äußerung - außerhalb der eigenen Angaben des Schülers und der Antragsteller - keine greifbaren Anhaltspunkte. Der Behauptung widersprechen die Angaben der an dem Vorfall bzw. an dessen anschließender Besprechung Beteiligten, namentlich in den Stellungnahmen der Schulleitung vom 22. Juni 2023 und 8. September 2023 sowie in den Stellungnahmen der Didaktischen Leiterin und des Jahrgangsleiters vom 6. September 2023. In der von dem Schulleiter unmittelbar nach dem Vorfall erstellten Aktennotiz vom 22. Juni 2023 wird zu dem Verhalten des Schülers, als dieser zur Rede gestellt wurde, ausgeführt: "Dort teilt O. Frau QA. (DL), Herrn RB. (KL) und mir mehrfach lautstark und sehr erregt mit, dass er ein Mann sei, der ein Messer zur Schule mitbringen und damit Mädchen verletzen dürfe. ,Die hat das ja gewollt!'. Der Schulleiter hat diese Angabe in seiner E-Mail vom 8. September.2023 nochmals ausdrücklich bestätigt. Auch Frau KK. erklärte, O. habe gesagt, er sei ein Mann und dürfe Messer benutzen. Herr RB. schreibt u.a.: "O. war nicht einsichtig, sowohl auf den Bezug, dass es sich bei dem Rasiermesser um eine Waffe handelt und der Tatsache, dass die von Frau KK vorgetragenen Regeln für die Kinder an der Schule für ihn nicht gelten. Dies begründete er mit den Worten, er sei "ein Mann".

Zwar hat der Schüler die von dem Schulleiter wiedergegebene Äußerung bei seiner Befragung durch die Polizeibeamten des Einsatz- und Streifendienstes des Polizeikommissariats UB.-Stadt am 21. Juni 2023 bestritten, für seine nun behauptete Äußerung findet sich aber auch in dem Protokoll des Einsatz- und Streifendienstes nichts. Vielmehr hat der Schüler danach gegenüber dem Polizeibeamten bei seiner Befragung zu dem Vorfall am 21. Juni 2023 noch erklärt, er habe sich durch die Aufforderungen seiner Mitschülerin, sie mit dem Rasiermesser "zu ritzen" provoziert gefühlt, sei aggressiv geworden und habe sie mit dem Messer verletzt.

b) Auch die weiteren Voraussetzungen des § 61 Abs. 4 Satz 1 NSchG, wonach die Ordnungsmaßnahme nach § 60 Abs. 3 Nr. 4 NSchG voraussetzt, dass der betroffene Schüler durch den Schulbesuch die Sicherheit von Menschen ernstlich gefährdet oder den Schulbetrieb nachhaltig und schwer beeinträchtigt hat, liegen vor.

Dem Einwand der Beschwerde, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts lasse keine hinreichende Prüfung des § 61 Abs. 4 Satz 1 NSchG erkennen, die Ausführungen ebenso wie der Verweis auf Inhalte der Schulakte seien viel zu allgemein und genügten nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Begründung, folgt der Senat nicht. Beschlüsse über die Aussetzung der Vollziehung müssen nach § 122 Abs. 2 VwGO erkennen lassen, welche Überlegungen für die richterliche Überzeugungsbildung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht maßgeblich gewesen sind (BVerwG, Urt. v. 6.10.2021 - 9 C 9.20 -, juris Rn. 24 mwN). Bezugnahmen sind außer in Fällen, in denen das Gericht das Rechtsmittel aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurückweist (§ 122 Abs. 2 Satz 3, § 130b Satz 2 VwGO), zulässig, wenn die Beteiligten die in Bezug genommene Entscheidung oder das sonstige in Bezug genommene Schriftstück kennen oder von ihm ohne Schwierigkeiten Kenntnis nehmen können und sofern sich für sie und das Rechtsmittelgericht die für die richterliche Überzeugung maßgeblichen Gründe mit hinreichender Klarheit ergeben (BVerwG, Urt. v. 6.10.2021 - 9 C 9.20 -, juris Rn. 24 und Beschl. v. 3.12.2008 - 4 BN 25.08 - juris Rn. 9).

Davon ausgehend muss bei Ordnungsmaßnahmen nach § 61 Abs. 2 und 3 NSchG aus der Begründung des Verwaltungsgerichts oder aus den in Bezug genommenen Schriftsätzen und sonstigen Unterlagen, die den Beteiligten bekannt sind oder von denen sie jedenfalls ohne Schwierigkeiten Kenntnis nehmen konnten, erkennbar sein, auf welche Umstände sich die vorgeworfene grobe Pflichtenverletzung stützt und welche Umstände der Annahme der zusätzlichen Voraussetzungen des § 61 Abs. 4 Satz 1 NSchG zugrunde liegen.

Die erstinstanzliche Entscheidung genügt diesen Anforderungen. Das Verwaltungsgericht hat ausgehend von der Regelung des § 61 Abs. 4 Satz 1 NSchG zunächst ausgeführt, dass der Schüler seit Beginn des Schuljahres durch ein unangebrachtes Sozial- und Arbeitsverhalten aufgefallen sei. Unter Bezugnahme auf die in der Schulakte (Blatt 5 des Verwaltungsvorgangs der Antragsgegnerin) enthaltene, oben wiedergegebene chronologische Dokumentation der Vorfälle und schulischen Maßnahmen im Schuljahr 2022/2023 hat das Verwaltungsgericht sodann, unter beispielhafter Wiedergabe der Art diverser Verhaltensweisen des Schülers (respektloses Auftreten, verbale Entgleisungen gegenüber Lehrern, körperliche Handgreiflichkeiten und Übergriffe, Beleidigungen, Bedrohungen und übersexualisiertes Verhalten gegenüber Schülerinnen und Schülern) weiter ausgeführt, der Schüler habe eine Vielzahl grober Pflichtverletzungen begangen. An die genannten Verhaltensweisen schließe sich der aktuelle Vorfall, bei dem es sich keineswegs um eine Bagatelle, sondern um einen erheblichen Verstoß gegen grundlegende Vorschriften zur Sicherung des Schulbetriebs handele, an.

Die Bezugnahme auf die in dem Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin enthaltene Übersicht zu den Vorfällen und schulischen Maßnahmen steht in Übereinstimmung mit dem Begründungserfordernis des § 122 Abs. 2 VwGO. Zum einen war diese Übersicht den Antragstellern augenscheinlich bereits im Verwaltungsverfahren bekannt geworden; dies schließt der Senat aus dem Vortrag der Antragssteller im Verwaltungsverfahren (Schriftsatz vom 12.7.2023). Zum anderen hatten die Antragsteller auch im erstinstanzlichen Verfahren die Möglichkeit sich im Wege des Akteneinsichtsgesuchs (§ 100 Abs. 1 VwGO) Kenntnis von der Übersicht zu verschaffen.

Auch in der Sache hat das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden, dass die Antragsgegnerin zu Recht davon ausgegangen ist, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 61 Abs. 4 Satz 1 NSchG vorliegen. Auch insoweit ist das Verwaltungsgericht - entgegen der Ansicht der Beschwerde - aus den bereits oben (unter 3.a) genannten Gründen von keinem falschen und/oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen. Dass der Schüler seine Mitschülerin mit dem Rasiermesser möglicherweise nicht absichtlich, sondern nur versehentlich verletzt hat, führt zu keiner anderen Bewertung, nämlich der in dem verbotswidrigen Hantieren mit dem Messer in der Pause liegenden groben Pflichtverletzung und der damit einhergehenden ernstlichen Gefährdung der Sicherheit von Menschen, die hier nicht nur abstrakt geblieben ist, sondern sich in der Verletzung der Schülerin infolge des pflichtwidrigen Hantierens mit dem Rasiermesser konkretisiert hat.

Darauf, dass der Schüler mit seinem Fehlverhalten in der Vergangenheit - wie die Beschwerde meint - partiell auf das Fehlverhalten anderer Schüler reagiert habe, kommt es nicht an. Dies mag sein eigenes Fehlverhalten möglicherweise in einzelnen Situationen erklären, aber den darin liegenden eigenen Pflichtenverstoß nicht zu beseitigen. Gleiches gilt für die Erläuterung der Beschwerde, dass sexualisierte Verhalten des Zehnjährigen sei damit zu erklären, dass er in den Ferien mit seinen Cousins Pornofilme gesehen habe.

Zutreffend hat das Verwaltungsgericht zudem (auch) bei der Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 61 Abs. 4 Satz 1 NSchG das Gesamtverhalten des Schülers, d.h. sowohl sein früheres als auch sein aktuelles Fehlverhalten in den Blick genommen und gewürdigt.

d) Die Beschwerde dringt auch mit ihren Einwänden gegenüber der Überprüfung der Ermessensentscheidung der Antragsgegnerin nicht durch.

Bei der Überprüfung der Ermessensentscheidung ist die Prüfungskompetenz der Verwaltungsgerichte - wie oben (unter 2) ausgeführt - darauf beschränkt zu kontrollieren, ob die Behörde von einer richtigen und vollständigen Tatsachengrundlage ausgegangen ist, keine sachfremden Erwägungen angestellt oder gleichgelagerte Fälle ohne sachliche Rechtfertigung ungleich behandelt hat, ob von dem Ermessen entsprechend dem gesetzlichen Zweck Gebrauch gemacht wurde und ob die ausgewählte Maßnahme geeignet und verhältnismäßig ist (Senatsbeschl. v. 14.5.2019 - 2 PA 490/18 -, juris Rn. 6, v. 14.6.2016 - 2 ME 104/16 -, v. 11.2.2015 - 2 LA 297/14 -, v. 14.1.2013 - 2 ME 416/12 -, juris Rn. 4, und v. 26.1.2020 - 2 ME 444/09 -, juris Rn. 3; Littmann, in Brockmann/Littmann/Schippmann, a.a.O., § 61 Anm. 7.4). Davon ausgehend begegnet die Ermessensentscheidung aller Voraussicht nach keinen Bedenken.

aa) Dem Einwand der Beschwerde, die Entscheidung enthalte überhaupt keine Ermessenserwägungen; solche seien erst im weiteren Verfahren in unzulässiger Weise nachgeschoben worden, folgt der Senat nicht. Dass die für die Entscheidung über die Ordnungsmaßnahme zuständige Klassenkonferenz eine Ermessensentscheidung getroffen hat, ergibt sich aus der Begründung des Bescheides und dem Protokoll der Klassenkonferenz. Die Ermessenserwägungen hinsichtlich eines Verwaltungsaktes können zudem noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzt werden (§ 114 Satz 2 VwGO).

bb) Das Verwaltungsgericht hat bei der Überprüfung der Ermessensentscheidung zu Recht angenommen, dass die Antragsgegnerin bzw. die Klassenkonferenz bei der Entscheidung von einem zutreffenden und vollständigen Sachverhalt ausgegangen sind. Die diesbezüglichen Einwände der Beschwerde sind - wie oben (unter 3.a) ausgeführt - nicht begründet.

cc) Auch ist nicht ersichtlich, dass die Klassenkonferenz bei der Ermessensentscheidung sachfremde Erwägungen angestellt oder diesen Fall im Vergleich zu gleichgelagerten Fällen ohne sachliche Rechtfertigung ungleich behandelt hat. Eine Ungleichbehandlung ergibt sich zunächst nicht im Hinblick auf die Entscheidung des Senats vom 29. März 2019 (- 2 ME 395/19 -, juris). In der Entscheidung hat der Senat ausgeführt, dass der Anspruch der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf auf eine adäquate Beschulung nicht durch eine unverhältnismäßige Handhabung von Ordnungsmaßnahmen konterkariert werden darf. Insbesondere darf eine Ordnungsmaßnahme nicht den Charakter eines dauerhaften Schulausschlusses annehmen. Angesichts der gesetzgeberischen Entscheidung in § 4 NSchG, die Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf grundsätzlich inklusiv in Regelschulen zu beschulen, ist es vielmehr vorrangig die Aufgabe der Niedersächsischen Landesschulbehörde, für die erforderliche Ausstattung und Unterstützung der Inklusivschulen zum Beispiel mit pädagogischem Personal Sorge zu tragen. Die von der Beschwerde behauptete allgemein gültige Aussage, dass schulrechtliche Maßnahmen gemäß § 61 Abs. 2 NSchG im Falle von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf grundsätzlich restriktiv anzuwenden seien, findet sich dagegen in der Entscheidung nicht. Der vorliegende Fall ist mit dem dem Senatsbeschluss vom 29. März 2019 zugrundeliegenden Fall zudem bereits deshalb nicht vergleichbar, weil es hier nicht um einen Unterrichtsausschluss geht, sondern mit der hier gewählten Ordnungsmaßnahme der Überweisung an eine andere Schule derselben Schulform gerade (auch) die weitere Beschulung des Schülers sichergestellt werden soll.

Soweit die Antragsteller zudem geltend machen, die Antragsgegnerin bzw. die Maßnahmenkonferenz habe das Verhalten des Schülers im Rahmen der Entscheidung bewusst negativ bewertet, sind konkrete Anhaltspunkte für eine unsachliche Behandlung im Rahmen des streitgegenständlichen Verfahrens der Ordnungsmaßnahme nicht zu erkennen. Solche ergeben sich auch nicht aus der in dem Bescheid enthaltenen Bemerkung: "In der Konferenz präsentiert sich O. zwar deutlich zurückhaltender, muss seinen Text jedoch ablesen." Die Feststellung entspricht unstreitig dem Auftreten des Schülers und dem Verlauf der Konferenz. Dass der Schüler seine Stellungnahme in der Konferenz aufgrund einer Empfehlung seines Jahrgangsleiters verlesen und nicht frei vorgetragen hat, ändert daran nichts. Aus der gebotenen Gesamtbetrachtung der Erwägungen der Klassenkonferenz, in deren Kontext die Anmerkung zu betrachten ist, ergibt sich zudem, dass die Konferenz das Verhalten des Schülers nicht unsachlich oder gar gezielt negativ behandelt hat. Ausweislich des Protokolls hat die Konferenz ausdrücklich gewürdigt, dass der Schüler in seiner Stellungnahme sein Bedauern ausgedrückt und versprochen habe, zukünftig ein leistungsbereiter, höflicher und zuverlässiger Schüler zu sein. Zudem hat sie gewürdigt, dass seine Stellungnahme in der Konferenz deutlich angemessener gewesen sei als in den vergangenen Konferenzen. Dass die anschließende Gesamtbetrachtung und Würdigung des in der Dokumentation abgebildeten Verhaltens des Schülers auch negative Wertungen enthält, ist dem gebotenen Entscheidungsprozess der Konferenz immanent. Zudem ist es nicht sachwidrig, sondern dient einer exakten Erfassung des Verhaltens, wenn darauf abgestellt wird, dass der Schüler seiner Reue zwar in einem vorbereiteten Text, nicht aber in einer freien, unmittelbar Gedankeninhalte wiedergebenden Äußerung Ausdruck verleihen kann.

dd) Von dem ihr eingeräumten Ermessen hat die Klassenkonferenz auch entsprechend dem gesetzlichen Zweck der Regelung des § 61 NSchG Gebrauch gemacht. Die - nach ihrer Schwere gestaffelten - Ordnungsmaßnahmen des § 61 Abs. 3 NSchG bezwecken zum einen, erzieherisch auf Schülerinnen und Schüler einzuwirken, um ein nicht hinnehmbares Verhalten zu ändern und damit die Erfüllung des Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule (§ 2 NSchG) zu gewährleisten. Zudem dienen die Ordnungsmaßnahmen der Sicherstellung des ordnungsgemäßen Schulbetriebs und dem Schutz der Schülerinnen und Schülern sowie der Lehrkräfte und des sonstigen Schulpersonals. Dem trägt die Entscheidung der Klassenkonferenz Rechnung. Nach den Ausführungen der Klassenkonferenz hat der Schüler durch sein Verhalten den Unterrichtsbetrieb und den Schulfrieden seit Beginn des Schuljahres 2022/2023 nachhaltig gestört. Die ihm vorgeworfenen Verhaltensweisen bildet die Übersicht der Antragsgegnerin zu den Vorfällen und Maßnahmen ab. Danach hat der Schüler den Schulfrieden und den Unterrichtsbetrieb z.B. im September und Oktober 2022 sowie im Februar, April und Mai 2023 wiederholt durch körperliche Übergriffe gegenüber Mitschülerinnen und Mitschülern, sexuelle Äußerungen, Anspielungen, Handlungen und Gesten gegenüber Lehrkräften, Mitschülerinnen und Mitschülern, ebenso wie durch ein wiederholtes distanz-, achtungs- und respektloses Verhalten gegenüber Lehrkräften nachhaltig gestört.

Entgegen der Ansicht der Beschwerde war der Erlass der Ordnungsmaßnahme nicht deshalb entbehrlich, weil eine Wiederholung des Fehlverhaltens des Schülers - wie die Beschwerde meint - ausgeschlossen werden kann. Dafür, dass der Schüler sein Verhalten zukünftig entsprechend ändert, bestehen nach dem festgestellten Sachverhalt und den Erwägungen der Konferenz keine begründeten Anhaltspunkte. Vielmehr zeigen danach sein bisheriges Fehlverhalten sowie seine auch im Zusammenhang mit dem letzten Vorfall erneut gezeigte Reizbarkeit und Uneinsichtigkeit sowie seine der Situation in keiner Weise angemessene Reaktion, dass der Erlass der Ordnungsmaßnahme erforderlich ist, um erzieherisch auf das Verhalten des Schülers einzuwirken und um den geordneten Unterrichts- und Schulbetrieb an der bisherigen Schule wieder sicher zu stellen. Auch aus dem vorgelegten Zwischenbericht des behandelnden Kinder- und Jugendpsychiaters vom 16. August 2023 ergibt sich eine solche Verhaltensprognose nicht. Vielmehr wird der Schüler darin als bedürfnisorientiert agierender 10-jähriger mit erheblichen Schwierigkeiten in der Aufmerksamkeitslenkung und in seiner Impulskontrolle (kurze Zündschnur) beschrieben. Die beschriebenen Schwierigkeiten bei der Impulskontrolle (kurze Zündschnur) spiegeln die seit Schuljahresbeginn beschriebenen körperlichen und verbalen Übergriffe gegenüber Mitschülerinnen und Mitschülern sowie das respektlose Verhalten gegenüber seinen Lehrkräften wider. Die Klassenkonferenz war nach dem damaligen Sachstand berechtigt zugrunde zu legen, dass die von der Familie geschilderten Maßnahmen bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung nicht umgesetzt worden waren.

ee) Die gewählte Ordnungsmaßnahme ist danach auch im Übrigen geeignet und verhältnismäßig. Nach den Ausführungen der Klassenkonferenz und der Übersicht zu den Vorfällen hat der Schüler durch sein Fehlverhalten den Unterrichtsbetrieb und den Schulfrieden seit Beginn des Schuljahres 2022/2023 nachhaltig gestört. Die ihm vorgeworfenen Verhaltensweisen bildet die Übersicht der Antragsgegnerin zu den Vorfällen und Maßnahmen ab. Danach hat der Schüler den Schulfrieden und den Unterrichtsbetrieb z.B. im September und Oktober 2022 sowie im Februar, April und Mai 2023 wiederholt durch körperliche Übergriffe gegenüber Mitschülerinnen und Mitschülern, sowie sexuelle Äußerungen, Anspielungen, Handlungen und Gesten gegenüber Mitschülerinnen und Mitschülern, ebenso wie durch ein distanz-, achtungs- und respektloses Verhalten gegenüber Lehrkräften nachhaltig gestört. Hinzu tritt, dass vorangegangene kurzfristige Erziehungsmaßnahmen der Lehrkräfte ebenso wie die im November 2022 und März 2023 verfügten Ordnungsmaßnahmen nach § 61 Abs. 3 Nr. 2 und 3 NSchG und die flankierenden Gespräche mit dem Schüler und den Antragstellern zu keiner Änderung seines Verhaltens geführt. Die Maßnahme ist geeignet, entsprechend ihrer Zweckrichtung erzieherisch auf den Schüler einzuwirken, um damit den Erziehungs- und Bildungsauftrag an der aufnehmenden Schule sicher zu stellen und zugleich den ordnungsgemäßen Unterrichtsbetrieb und Schulfrieden an der bisherigen Schule wiederherzustellen.

Entgegen der Beschwerde erweist sich die gewählte Ordnungsmaßnahme auch nicht deshalb als ermessensfehlerhaft, weil bei dem Schüler nach dem Vortrag der Beschwerde eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) besteht. Die Klassenkonferenz hat diesen Umstand in ihre Entscheidung eingestellt und zutreffend gewürdigt. Zudem wird in der im Beschwerdeverfahren vorgelegten schulpsychologischen Stellungnahme vom 15. September 2023 zutreffend ausgeführt, dass nicht ersichtlich ist, welche Form dieser Störung bei dem Schüler vorliegt. Auch den vorgelegten Stellungnahmen des behandelnden Kinder- und Jugendpsychiaters vom 29. Juni 2023 und 16. August 2023 enthalten keine, den Anforderungen der Klassifikation der ICD "Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme" der WHO (aktuelle Fassung: ICD-10), namentlich der Klassifikation ICD-10: F90.0 entsprechende fachliche Diagnose. Soweit die Schwierigkeiten des Schülers darin einer "einfache Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung" zugeschrieben werden, und eine solche zugunsten des Antragstellers unterstellt wird, führt auch dies zu keiner anderen Bewertung. Nach der von der Antragsgegnerin vorgelegten schulpsychologischen Stellungnahme vom 15. September 2023 ist das Vorliegen einer "einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung" kein Grund von der Überweisung des Schülers an eine andere Schule derselben Schulform abzusehen.

Soweit die Beschwerde meint, der Überweisung an eine andere Schule stehe das Inklusionsprinzip (§ 4 NSchG) entgegen, folgt der Senat auch dem nicht. Insoweit fehlt im vorliegenden Fall bereits ein im Zusammenhang mit der Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung festgestellter sonderpädagogischer Förderbedarf. Dessen ungeachtet hätte die streitgegenständliche Überweisung an eine andere Schule derselben Schulform als Ordnungsmaßnahme auch bei einem positiv festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf ausgesprochen werden können (vgl. Senatsbeschl. v. 14.1.2013 - 2 ME 416/12 -, juris Rn. 9). Pflichtwidrige Verhaltensweisen eines Schülers, die auf einer anerkannten ADHS beruhen, schließen eine Überweisung an eine andere Schule auch bei einem in diesem Zusammenhang festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf grundsätzlich nicht aus. Entgegen der Beschwerde steht das schulrechtliche Inklusionsprinzip (§ 4 NSchG) der Verfügung der streitigen Ordnungsmaßnahme bei der Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs - die hier zudem bereits fehlt - nicht entgegen. Dies ergibt sich auch aus der Zweckrichtung der Ordnungsmaßnahmen nach § 61 Abs. 3 NSchG. Diese bezwecken nicht allein die erzieherische Einflussnahme auf das Verhalten des betroffenen Schülers, sondern dienen vielmehr auch dem Schutz der durch die Pflichtverletzungen betroffenen Schülerinnen und Schüler sowie die Sicherung des zur Erfüllung des Bildungsauftrags der Schule erforderlichen Schulbetriebs. In diesem Zusammenhang bestimmt auch die Regelung des § 69 Abs. 2 NSchG, die auf alle Schülerinnen und Schüler einschließlich derjenigen mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf Anwendung findet, dass Schülerinnen und Schüler, außerhalb einer Ordnungsmaßnahmen nach § 61 Abs. 3 Nr. 4 NSchG, an eine andere Schule derselben oder einer für sie geeigneten anderen Schulform überwiesen werden können, wenn sie die Sicherheit von Menschen ernstlich gefährden oder den Schulbetrieb nachhaltig und schwer beeinträchtigen (vgl. Schriftlicher Bericht u.a. zum Entwurf eines Gesetzes zur Verwirklichung des Rechtes auf Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf in der Schule und zum Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der inklusiven Schule in Niedersachsen vom 19.3.2012, LTDrs. 16/4620, S. 2 und zu Nrn. 1 (§ 4), 11 (§ 61) und 13/1 (§ 69).

Im Übrigen haben die Antragsteller ihre im erstinstanzlichen Verfahren gegenüber der Überweisung ihres Sohnes an eine andere Schule vertretene ablehnende Haltung im Verlauf des Beschwerdeverfahrens geändert und zwischenzeitlich selbst den Wunsch nach einem Schulwechsel ihres Sohns, allerdings an eine andere IGS geäußert. Mit ihren gegenüber der aufnehmenden Schule geäußerten Bedenken dringen sie indes nicht durch. Soweit die Beschwerde im Kern geltend macht, die aufnehmende Schule habe keinen guten Ruf, greift dieser pauschale Einwand nicht. Zudem bestehen auch nach der schulpsychologischen Stellungnahme vom 15. September 2023 gegenüber dem Schulbesuch der aufnehmenden Schule keine Bedenken. Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die von den Antragstellern erstmalig im Beschwerdeverfahren thematisierte und gewünschte Überweisung an die IGS XY. auch deshalb ausscheidet, weil dort kein Schulplatz vorhanden ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung, die derjenigen der erstinstanzlichen Entscheidung entspricht, beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Beilage 2/2013 zu NVwZ-Heft 23/2013, S. 57 ff.; Kopp/Schenke, VwGO, 47. Auflage, Anh. § 164).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).