Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.09.1998, Az.: VII (III) 328/93
Anwendbarkeit der auf zehn Jahre verlängerten Festsetzungfrist; Notwendigkeit des Nachweises einer Steuerhinterziehung
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 01.09.1998
- Aktenzeichen
- VII (III) 328/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 18631
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1998:0901.VII.III328.93.0A
Rechtsgrundlagen
- § 169 Abs. 2 S. 2 AO
- § 3 GrEStG
Fundstellen
- NWB DokSt 2000, 239-240
- UVR 2000, 190
Verfahrensgegenstand
Grunderwerbsteuer
Amtlicher Leitsatz
Die ausnahmsweise auf zehn Jahre verlängerte Festsetzungsfrist kommt dann nicht zur Anwendung, wenn das beklagte Finanzamt das Vorliegen einer Steuerstraftat des Steuerpflichtigen nicht nachgewiesen hat und das Gericht aufgrund des vorhandenen Prozeßstoffes eine Steuerhinterziehung nicht hat feststellen können, § 169 Abs. 2 Satz 2 AO, § 3 GrEStG-EigWoG.
Der VII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 1. September 1998...
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Grunderwerbsteuerbescheid vom 25. März 1993 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 26. August 1993 wird aufgehoben. Die Kosten des Rechtsstreits trägt das beklagte Finanz amt. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Das beklagte Finanzamt darf die Zwangsvollstreckung der Klägerin wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kl die einmal gewährte Befreiung von der Grunderwerbsteuer wegen Wohnens im Eigenheim nach dem Gesetz zur Grunderwerbsteuerbefreiung beim Erwerb von Einfamilienhäusern, Zweifamilienhäusern und Eigentumswohnungen vom 11. Juli 1977 (BGBl. I 1977, 1213) - GrEStG-EigWoG - nachträglich durch einen Nachforderungsbescheid wieder genommen werden durfte. Die Klägerin erwarb 1979 eine in B belegene Eigentumswohnung, etwa 64 qm groß, bestehend aus drei Zimmern mit Küche, Diele und Bad, zum Preise von 128.000 DM. Auf Antrag wurde der Kl die Grunderwerbsteuerbefreiung nach dem GrEStG- EigWoG gewährt und nach Versicherung, die Voraussetzungen der Steuerbefreiung eingehalten zu haben, nämlich die Eigentumswohnung ununterbrochen für mindestens ein Jahr innerhalb von fünf Jahren nach dem Erwerb selbst bewohnt zu haben, zunächst belassen.
Mit einem am 2. Januar 1991 beim beklagten Finanzamt (FA) eingegangenen Schreiben sei - so der Vortrag des beklagten FA - von dritter Seite vorgebracht worden, die Kl habe die Eigentumswohnung in B nur zum Schein für etwa ein Jahr bewohnt und sich hierzu kurzfristig in B wohnhaft gemeldet. Tatsächlich - so die vom beklagten FA behauptete Anzeige - habe die Kl im gesamten Fünfjahreszeitraum in W gewohnt und dort ihre Eltern gepflegt sowie den eigenen Haushalt, dem ihr Ehemann und der Sohn aus erster Ehe angehörten, geführt. Mit Bescheid vom 25. März 1993 erhob das beklagte FA von der Kl Grunderwerbsteuer in Höhe von 8.960 DM nach und setzte ihr gegenüber 2.670 DM Nacherhebungszinsen fest, weil - so dasbeklagte FA - die Kl nicht den zweifelsfreien Nachweis des Selbstbewohnens für ein Jahr erbracht habe. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhebt die Kl Klage und trägt vor, daß der Nachweis des Selbstbewohnens für die Zeit von Mitte 1983 bis Mitte 1984 erbracht sei. Dies ergebe sich u.a. aus folgendem: Sie sei während der fraglichen Zeit mit Hauptwohnung in B gemeldet gewesen. Auch die schriftliche Aussage des Hausverwalters vom 12. Dezember 1991 (Blatt 50 der Steuerakte) bestätige ihren Vortrag. Sie habe im Zeitraum von 1983 bis 1985 ihre Schwester mit Ehemann, die schwerstpflegebedürftig waren und inzwischen verstorben sind, gepflegt; die Schwerstpflegebedürftigen hätten in B, in dem Haus, in dem die Klägerin ihre Eigentumswohnung besaß, gewohnt. Im Gegensatz dazu hätten die Eltern der Kl keinerlei Pflege nötig gehabt. Im übrigen sei in der fraglichen Zeit ihr Sohn bei der Bundeswehr und ihr Ehemann auf Außenmontagestellen beschäftigt gewesen. Der Stromverbrauch sei allein deshalb relativ niedrig gewesen, weil sie damals berufstätig gewesen sei und auch außerhalb der Wohnung gegessen habe. Wegen der steuerlichen Unschädlichkeit eines untergeordneten entgeltlichen Mitbewohnens durch einen Dritten habe sie - die Kl - sich beim beklagten FA rechtzeitig erkundigt.
Die Kl beantragt,
den Grunderwerbsteuerbescheid vom 25. März 1993 in der Fassung des Einspruchsbescheids vom 26. August 1993 aufzuheben.
Das beklagte FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es sieht in den Aussagen und Hinweisen der Kl keinen hinreichenden Nachweis des Selbstbewohnens. Statt dessen verweist das beklagte FA - ohne diesen Schriftsatz dem Gericht zugänglich zu machen - auf ein Schreiben eines Anzeigenerstatters. Das Gericht hat am 31. Juli 1998 beschlossen, den - wie vorgetragen - ehemaligen Mitbewohner der Kl in B, Herrn K, als Zeugen zu vernehmen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg. Der angefochtene Grunderwerbsteuer-Nacherhebungsbescheid ist rechtswidrig, denn zum Zeitpunkt der Herausgabe des Bescheids war die übliche Festsetzungsfrist von vier Jahren bereits abgelaufen. Die ausnahmsweise auf zehn Jahre verlängerte Festsetzungsfrist kommt hier nicht zur Anwendung, weil das beklagte FA das Vorliegen einer Steuerhinterziehung der Kl nicht nachgewiesen hat und das Gericht aufgrund des vorhandenen Prozeßstoffes eine Steuerstraftat nicht hat feststellen können. Werden die in § 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder 3 GrEStG-EigWoG bezeichneten Voraussetzungen (u.a. Selbstbewohnen des Eigenheims mindestens ein Jahr lang ununterbrochen binnen einer Fünfjahresfrist) nicht erfüllt, entfällt die Steuerbefreiung mit Wirkungfür die Vergangenheit (§ 3 Abs. 1 Satz 1 GrEStG-EigWoG). Die danach nachzuerhebende Steuer ist nach § 3 Abs. 2 GrEStG-EigWoG zu verzinsen. Die Festsetzungsfrist für die nachzuerhebende Steuer beginnt in diesen Fällen mit Ablauf der Fünfjahresfrist (§ 3 Abs. 1 Satz 2 GrEStG-EigWoG). Die Voraussetzungen für eine Nacherhebung der Grunderwerbsteuer sind schon deshalb nicht gegeben, weil Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Als das beklagte FA den Nachforderungsbescheid im März 1993 herausgab, war die Vierjahres-Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO), die mit Ablauf der Fünfjahresfrist des GrEStG-EigWoG, also in 1984 begann, bereits abgelaufen (Ende 1988). Die Verlängerung der Festsetzungsfrist auf zehn Jahre nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO (Ablauf Ende 1993) scheitert an dem fehlenden Nachweis des Vorliegens einer Steuerhinterziehung.
Wie auch sonst hat die Finanzbehörde steuerbegründende und steuererhöhende Tatsachen nachzuweisen, im Falledes § 169 Abs. 2 Satz 2 AO alle Tatbestandsmerkmale der strafbaren Handlung (vgl. Tipke/Kruse, Kommentar zur AO/FGO, 16. Auflage, Loseblatt, § 169, Tz. 25, Stand April 1998; BFH, BStBl II 1988, 213, 214). Dieser Nachweispflicht ist das beklagte FA, etwa durch Benennung des Anzeigenerstatters, - aus welchen Gründen auch immer - nicht nachgekommen. Im übrigen hat der Vortrag der Klägerin sowie das Ergebnis der Vernehmung des Zeugen ergeben, daß eher von der Erfüllung als von der Nichterfüllung der Voraussetzungen der ehemals gewährten Steuerbefreiung auszugehen ist. Das Gericht konnte jedenfalls aufgrund des vorhandenen Prozeßstoffes das Vorliegen einer Steuerstraftat und damit das Vorliegen einer verlängerten Festsetzungsfrist nicht feststellen. Nach alledem war der angefochtene Nacherhebungsbescheid aufzuheben und der Klage mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) stattzugeben. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozeßordnung.
Die Revision ist nicht zugelassen worden.