Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 30.09.1998, Az.: IX 265/93
Anfechtungsklage gegen einen Gewerbesteuermessbescheid; Gewerbliche Tätigkeit und Gewerbesteuerpflicht bei Betriebsaufspaltung; Einordnung von im Rahmen einer Betriebsaufspaltung erzielten Pachteinkünfte; Voraussetzungen der Rechtsfigur der Betriebsaufspaltung; Anteilsmehrheit/Stimmenmehrheit und Beherrschung eines Betriebes
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 30.09.1998
- Aktenzeichen
- IX 265/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 20552
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1998:0930.IX265.93.0A
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 1 GewStG
- § 15 EStG
- § 47 GmbHG
- § 745 BGB
- § 709 Abs. 2 BGB
- § 709 Abs. 1 BGB
- § 710 S. 2 BGB
- § 40 Abs. 1 FGO
Fundstelle
- SteuerBriefe 1999, 774
Verfahrensgegenstand
Gewerbesteuermeßbetrag 1990
Amtlicher Leitsatz
Anforderungen an die Beherrschungsidentität im Rahmen einer Betriebsaufspaltung.
Der IX. Senat des Finanzgerichts Niedersachsen hat
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 30. September 1998,
an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter ... am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtliche Richterin ... Geschäftsführerin
ehrenamtliche Richterin ... Sparkassenangestellte
fürRecht erkannt:
Tenor:
Der Gewerbesteuermeßbescheid 1990 vom 24. August 1992 in der Fassung vom 30. September 1998 wird aufgehoben.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor entsprechend Sicherheit leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), im Streitjahr 1990 Einkünfte aus Gewerbebetrieb bezogen hat und dementsprechend ein Gewerbesteuermeßbescheid zu erlassen war.
Die Klägerin ist aus einer 1958 zwischen R S ,G S (G.S.) und dessen Ehefrau Gisela Salzmann (Gi.S.) gegründeten offenen Handelsgesellschaft hervorgegangen. Der Gesellschaftsvertrag aus dem Jahr 1958 enthielt keine Bestimmung über die Gesellschaftsanteile der einzelnen Gesellschafter bzw. über die Höhe ihrer Stimmrechte. Der Vertrag sah in § 4 lediglich eine bestimmte Gewinnbeteiligung der einzelnen Gesellschafter vor.
Durch Erbfolge ging der Gesellschaftsanteil von R S an dessen Sohn G.S. über. Durch Änderung des Gesellschaftsvertrags vom 30. Dezember 1984 wurde die Tochter der Eheleute S., H B (H.B.), in die Gesellschaft aufgenommen. Mit dieser Vertragsänderung wurde ebenfalls keine Bestimmung über die Höhe der jeweiligen Gesellschafteranteile und die Stimmrechte der Gesellschafter vereinbart. Lediglich die Verteilung des Restgewinns wurde wie folgt geregelt:
a) G.S. | 51,66 v.H. |
---|---|
b) Gi.S. | 33,34 v.H. |
c) H.B. | 15,00 v.H. |
Geschäftsgegenstand der Gesellschaft war bis zum 31. Dezember 1984 der Betrieb eines Einzelhandelsgeschäfts für Kinderbekleidung. Das Unternehmen wurde auf einem Grundstück betrieben, das die Gesellschaft von G.S. gepachtet hatte. Der Pachtvertrag ist mit einer Frist von drei Monaten zum Ende eines Kalenderjahres kündbar.
Durch notariellen Vertrag vom 26. Dezember 1984 (Nr. der Urkundenrolle des Notars W) gründete G.S. zusammen mit seiner Tochter eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). An dieser GmbH sind G.S. mit 51 v.H. und H.B. mit 49 v.H. beteiligt. Zu Geschäftsführern wurden G.S. und Gi.S. bestellt.
Aufgrund Pacht- und Übernahmevertrages vom 28. Dezember 1984 führte die GmbH das Unternehmen der Klägerin fort. Das Pachtverhältnis begann am 1. Januar 1985 und wurde zunächst auf zehn Jahre fest - mit Verlängerungsoption - vereinbart. Der Pachtzins betrug zunächst 3.500,00 DM monatlich.
Der Beklagte (das Finanzamt - FA -) ordnete die von der Klägerin 1990 erklärten Pachteinkünfte solchen aus Gewerbebetrieb zu und erließ am 24. August 1992 einen Gewerbesteuermeßbescheid. Der dagegen erhobene Einspruch war erfolglos.
Mit ihrer Klage verfolgt die Klägerin ihr Ziel weiter, den Meßbescheid aufheben zu lassen, da aufgrund der verschiedenen Beteiligungsverhältnisse bei der Klägerin und der GmbH nicht von einer Betriebsaufspaltung ausgegangen werden könne.
Sie trägt dazu vor, es fehle an einer personellen Verflechtung zwischen beiden Gesellschaften. Der Gesellschafter G.S. beherrsche zwar aufgrund seines Stimmenanteils von 51 v.H. die GmbH, nicht aber die GbR. Nach dem Recht der Gesellschaften bürgerlichen Rechts werde die GbR durch alle Gesellschafter gemeinsam vertreten (§ 709 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -). Die Gesellschafter der GbR hätten die Geschäftsführungsbefugnis allerdings auf die Gesellschafter G.S. und Gi.S. übertragen. Aber auch zwischen diesen gelte durch den Verweis in§ 710 BGB auf 709 BGB das Einstimmigkeitsprinzip, so daß G.S. sowohl bei den täglichen als auch bei außerordentlichen Rechtsgeschäften der GbR immer auch auf die Zustimmung der Nur-Besitzgesellschafterin und Geschäftsführerin Gi.S. angewiesen sei.
Die Klägerin beantragt,
den Gewerbesteuermeßbescheid vom 24. August 1992 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 30. September 1998 (ersatzlos) aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es bleibt bei seiner im Rechtsbehelfsverfahren vertretenen Auffassung, daß eine personelle Verflechtung zwischen Besitz- und Betriebsgesellschaft vorliege. Der Gesellschafter G.S. könne beiden Gesellschaften durch Kündigung des Grundstückmietvertrags die wesentliche Betriebsgrundlage entziehen. Er sei an beiden Gesellschaften mit Stimmenmehrheit beteiligt. Der Ausschluß der Tochter H.B. von der Geschäftsführung und Vertretung der Klägerin entziehe ihr nicht das Stimmrecht, so daß G.S. und H.B. beide Gesellschaften beherrschten; damit liege auch eine personelle Verflechtung vor.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Der angefochtene Gewerbesteuermeßbescheid ist rechtswidrig. Die Klägerin wird dadurch in ihren Rechten verletzt, denn das FA hat die Einkünfte der GbR unzutreffend als solche aus Gewerbebetrieb erfaßt.
Entgegen der Rechtsauffassung des beklagten FA stellt die Verpachtung des Geschäftsbetriebs an die GmbH keinen Gewerbebetrieb i.S. des § 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG),§ 15 des Einkommensteuergesetzes (EStG) dar. Eine Betriebsaufspaltung liegt nicht vor.
Nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzenüber die Betriebsaufspaltung ist ein Unternehmen (Besitzunternehmen), das lediglich ihm gehörende Wirtschaftsgüter an ein anderes gewerblich tätiges Unternehmen (Betriebsunternehmen) zur Nutzungüberläßt, nur dann als Gewerbebetrieb zu behandeln, wenn zwischen beiden Unternehmen eine personelle und sachliche Verflechtung besteht. Eine personelle Verflechtung ist zu bejahen, wenn "die hinter beiden Unternehmen stehenden Personen einen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen" haben. Für die Annahme eines solchen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen genügt es, daß die Person oder die Personen, die das Besitzunternehmen beherrschen, in der Lage sind, auch in der Betriebsgesellschaft ihren Willen durchzusetzen (ständige Rechtsprechung seit BFH-Beschluß vom 8. November 1971 GrS 2/71, BFHE 103, 440, BStBl II 1992, 63). Dies geschieht grundsätzlich mit den Mitteln des Gesellschaftsrechts. Ist das Betriebsunternehmen - wie hier - eine GmbH, so bedarf es dazu der Mehrheit der das Stimmrecht bestimmenden Anteile (§ 47 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung). An die Voraussetzung der personellen Verflechtung,über deren Vorliegen nach den Verhältnisses des Einzelfalles und jeweils des Streitjahres zu entscheiden ist, sind strenge Anforderungen zu stellen. Der Beherrschungswille muß sich insbesondere auf das Nutzungsverhältnis hinsichtlich der wesentlichen Betriebsgrundlagen beziehen. Dieses soll nicht gegen den Willen der Person oder der Personengruppe, die das Besitzunternehmen beherrscht, aufgelöst werden können (BFH-Urteil vom 27. August 1992 IV R 13/91, BFHE 169, 231, BStBl II 1993, 134, unter 2 b).
Der häufigste Fall der so beschriebenen Betriebsaufspaltung ist der, bei dem sich das Besitzunternehmen als Einzelunternehmen, Bruchteilsgemeinschaft oder - so hier - als eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts darstellt, und bei dem das Betriebsunternehmen in Form einer GmbH tätig wird. Welche Gesellschafter bei derartigen Sachverhaltsgestaltungen - von dem Ausnahmefall einer faktischen Beherrschung abgesehen - die GmbH beherrschen,richtet sich nach der Mehrheit der Anteile und damit der Stimmen (BFH-Urteil vom 27. August 1992 IV R 13/91, BFHE 169, 231, BStBl II 1993, 134, mit weiteren Nachweisen). Beherrschungsidentität liegt dann vor, wenn die Gesellschafter, die die GmbH beherrschen, bei dem Besitzunternehmen ebenfalls über die Mehrheit der Stimmen verfügen, sofern kraft Gesetzes (z.B. § 745 BGB) oder Vertrags (§ 709 Abs. 2 BGB) wenigstens für Geschäfte des täglichen Lebens das Mehrheitsprinzip maßgeblich ist.
Unzutreffend ist das beklagte FA davon ausgegangen, daß im Streitjahr der Gesellschafter G.S. beherrschender Gesellschafter sowohl der Besitz-GbR als auch der Betriebs-GmbH war. Beherrschende Gesellschafter der Besitz-GbR waren vielmehr die zur Geschäftsführung berufenden Gesellschafter G.S. und seine Ehefrau die Gesellschafterin Gi.S., während der Gesellschafter G.S. lediglich aufgrund der Stimmrechtsverteilung mit 51 v.H. die Betriebs-GmbH beherrschte.
Die Klägerin weist zu Recht darauf hin, daß nach§ 709 Abs. 1 BGB die Führung der Geschäfte einer GbR den Gesellschaftern gemeinschaftlich zusteht. Für jedes Geschäft ist die Zustimmung aller Gesellschafter erforderlich. Diese Grundregel wurde durch die Änderung des Gesellschaftsvertrages vom Dezember 1984 dahin geändert, daß die Geschäftsführung den Gesellschaftern G.S. und Gi.S. übertragen wurde. Nach § 710 Satz 2 BGB ist in einem solchen Fall gleichwohl die Vorschrift des § 709 BGB entsprechend anzuwenden. Das bedeutet, daß nunmehr zur gemeinschaftlichen Geschäftsführung die beiden Gesellschafter G.S. und Gi.S. berufen wurden. Zwischen ihnen gilt nunmehr das in § 709 Abs. 1 BGB normierte Einstimmigkeitsprinzip. Durch diese Regelung war es dem die GmbH beherrschenden Gesellschafter G.S. nicht möglich, innerhalb der Besitz-GbR seinen Willen gegen die Gesellschafterin Gi.S. durchzusetzen. Eine Einschränkung des Einstimmigkeitsprinzips ist in dem Gesellschaftsvertrag nichtvereinbart. Eine Beherrschungsidentität in der Person des Gesellschafters G.S in beiden Gesellschaften lag deshalb nicht vor.
Aus den dargestellten vertraglich vereinbarten Stimmrechten in der GmbH und den gesetzlichen Regelungen für die GbR kann auch nicht von einer Beherrschungsidentität der beiden Gesellschafter der GmbH (G.S. und H.B.) ausgegangen werden.
Der Senat folgt auch nicht der Auffassung des beklagten FA, daß der Gesellschafter G.S. die beiden Gesellschaften dadurch faktisch beherrschen kann, daß er als Eigentümer des Betriebsgrundstücks den Pachtvertrag mit der Klägerin unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum Jahresende kündigen kann. Ein solches vertraglich zwar vereinbartes Kündigungsrecht hält der Senat für nicht durchsetzbar. Das Betriebsgrundstück wurde von der Klägerin an die Betriebs-GmbH (unter-)verpachtet. Diesen Pachtvertrag hat auch G.S. in seiner Eigenschaft als Beteiligter an der Besitz-GbR unterzeichnet. Damit hat er zugleich der vereinbarten Unterverpachtungüber eine Laufzeit von zehn Jahren auch als Eigentümer des Grundstücks und Vermieter zugestimmt. Auf eine Berufung auf das ursprünglich vereinbarte Kündigungsrecht von drei Monaten hat er damit inzidenter verzichtet. Im Ergebnis ist es ihm deshalb nicht möglich, als Eigentümer des Grundstücks der Besitz-GbR die wesentliche Betriebsgrundlage zu entziehen.
Der Senat mißt dieser Fallgestaltung eine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) zu und hält deshalb die Zulassung der Revision für angebracht.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozeßordnung.