Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.09.1998, Az.: VII (III) 505/89

Bauerrichtungskosten als Bestandteil der Bemessungsgrundlage für die Festsetzung der Grunderwerbsteuer; Begriff des einheitlichen Vertragswerks; Wert der Gegenleistung als Bemessungsgrundlage für die Festsetzung der Grunderwerbsteuer

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
15.09.1998
Aktenzeichen
VII (III) 505/89
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 18635
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1998:0915.VII.III505.89.0A

Verfahrensgegenstand

Grunderwerbsteuer

Amtlicher Leitsatz

In Fällen des sog. einheitlichen Vertragswerks unterliegen allein die Anschaffungskosten des (noch unbebauten) Baugrundstücks und nicht die Herstellungskosten des (noch zu errichtenden) Gebäudes der Grunderwerbsteuer. Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs.

Der VII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 15. September 1998,
an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter ... am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtliche Richterin ...Kauffrau
ehrenamtliche Richterin ...Landwirtin
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Grunderwerbsteuerbescheid vom 3. Dezember 1987 so wie der Einspruchsbescheid vom 19. Juli 1989 werden aufgehoben.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung des Klägers wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, es sei denn, der Kläger leistet vorher Sicherheit in gleicher Höhe.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob Bauerrichtungskosten Bestandteil der Bemessungsgrundlage für die Festsetzung der Grunderwerbsteuer sind.

2

Mehrere Personen haben gemeinschaftlich im Jahre 1983 das in der Gemarkung D belegene Grundstück erworben. Ebenfalls im Dezember 1983 schlossen diese Personen einen Gesellschaftsvertrag, in dem sie sich verpflichteten, auf dem o.g. Grundstück eine Wohnanlage mit Pkw-Einstellplätzen zu errichten. Die Gründungserklärungen wurden von einer Treuhänderin, der Firma W GmbH (in Zukunft W) im Namen der Grundstückseigentümer abgegeben. Die Treuhandverträge zwischen den Grundeigentümern und der W sind ebenfalls im Dezember 1983 geschlossen worden. Hierin beauftragen die Bauherren den Treuhänder, die Rechte und Interessen der Treugeber bei der Errichtung und Finanzierung des o.g. Bauvorhabens wahrzunehmen, das Grundstück gemäß einem bereits vorliegenden Bauplan zu bebauen und alle damit zusammenhängenden Aufgaben für die Treugeber wahrzunehmen. Der Treuhänder konnte alle zur Zweckerreichung der gemeinsamen Bauausführung notwenigen Maßnahmen durchführen. So hatte er einen Baubetreuungs-, Generalunternehmer-, Finanzierungsvermittlungs-, Mietvermittlungs-, Steuerberatungs-, Architekten-, Bürgschafts- und Verwaltungsvertrag abzuschließen. Hierbei war ihm die Möglichkeit eingeräumt worden, Bauausführungen zu ändern und jeden Vertrag zu ergänzen. Entsprechend erteilten die Treugeber dem Treuhänder unwiderruflich Vollmacht. Diese Vollmacht bezog sich u.a. auch darauf, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts zwischen den Miteigentümern zu gründen. Die Treugeber ihrerseits waren verpflichtet, dem Treuhänder das erforderliche Kapital für die Bebauung zur Verfügung zu stellen.

3

Mit notariellem Vertrag vom 14. Mai 1984 erwarb der Kläger von einem der Miteigentümer einen 1072/10.000 Miteigentumsanteil an dem o.g. Grundstück zu einem Kaufpreis von 29.507 DM.

4

Zeitgleich mit dem Abschluß des Grundstückskaufvertrags vom 14. Mai 1984 ist der Kläger in den Gesellschaftsvertrag eingetreten. Der Kläger muß zu diesem Zeitpunkt bereits auch den Treuhandvertragunterzeichnet haben. Denn die Änderung des Gesellschaftsvertrags durch Neueintritt des Klägers in die Gesellschaft ist für alle Bauherren von der WFK unterzeichnet worden.

5

Das Gebäude, für dessen Errichtung bereits am 30. Dezember 1982 Bauantrag gestellt worden ist, ist in den Folgejahren im wesentlichen entsprechend der dem Bauantrag zugrundeliegenden Planung fertiggestellt worden.

6

Mit Grunderwerbsteuerbescheid vom 3. Dezember 1987 wurde der Grunderwerbsteuerbescheid vom 13. Juli 1984, dem als Bemessungsgrundlage der Grundstückskaufpreis zugrunde lag, geändert und es wurden die anteiligen Gebäudeherstellungskosten in die Bemessungsgrundlage einbezogen. Zur Begründung hierfür führte der Beklagte im Einspruchsverfahren aus, daß aufgrund der vielfältigen vertraglichen Verpflichtungen des Klägers der Vertrag auf den Erwerb eines bebauten Grundstücks gerichtet sei. Der Kläger habe keine Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der Bebauung des Grundstücks gehabt, sondern sei verpflichtet, entsprechend dem vor Erwerb bereits erstellten Plan, die Bebauung durchzuführen. Dies zeige sich auch darin, daß bereits vor dem Zeitpunkt des Eigentumserwerbs des Klägers die Baugenehmigung erteilt worden sei. Diese sei im März 1984 erteilt worden. Ebenso im März 1984 seien bereits der Bauvertrag und der Architektenvertrag geschlossen worden.

7

Gegen die Einbeziehung der anteiligen Gebäudeherstellungskosten in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer richtet sich die Klage.

8

Zum einen weist der Kläger darauf hin, daß es sich bei der Bauherrengemeinschaft, der er im Mai 1984 beigetreten sei, nicht um eine klassische Bauherrengemeinschaft mit weit über 100 Beteiligten und/oder Wohneinheiten handele. Vielmehr bestehe die Bauherrengemeinschaft, in die er eingetreten sei, nur aus sechs Bauherren, die gemeinsam acht Wohneinheiten errichten wollten.

9

Darüber hinaus habe im Gegensatz zu den klassischen Bauherrengemeinschaften keine Abhängigkeit zwischen Grundstücksveräußerer, Baubetreuern und Unternehmer, Treuhänder und Grundstückserwerber bestanden. Insbesondere habe der Grundstücksveräußerer dem Kläger keine bestimmte Art der Bebauung vorgeschrieben. Ebensowenig bestehe zwischen den Beteiligten (Grundstücksveräußerer, Architekt, Baubetreuer, Treuhänder, Bauunternehmer und den einzelnen Bauherren) irgendeine wirtschaftliche Verflochtenheit.

10

Darüber hinaus weist der Kläger darauf hin, daß im Bauvertrag kein Festpreis vereinbart worden sei. Es seien vielmehr die Kosten lediglich kalkuliert worden. Im Endeffekt seien die kalkulierten Kosten aber unterschritten worden. Dies sei ihm zugute gekommen und entspreche nicht dem, was bei klassischen Bauherrengemeinschaften üblich sei.

11

Grundstückskauf und anschließende Bebauung stellen keinen einheitlichen Lebenssachverhalt dar. Vielmehr seien der Kaufvertrag und die Aufbauvereinbarung als getrennte Rechtsgeschäfte zusehen. Dies gelte auch im Rahmen der Grunderwerbsteuerfestsetzung.

12

Der Kläger, dessen Vertreter zur mündlichen Verhandlung am 15. September 1998 nicht erschienen ist, hat im Schriftsatz vom 18. November 1989 den Antrag angekündigt,

den Grunderwerbsteuerbescheid vom 3. Dezember 1987 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 19. Juli 1989 dahin abzuändern, daß die Grunderwerbsteuer auf 590 DM festgesetzt wird.

13

Der Beklagte, der ebenfalls zum Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist, hat im Schriftsatz vom 3. Januar 1990 den Antrag angekündigt,

die Klage abzuweisen.

14

Der Beklagte beruft sich im wesentlichen auf seine Ausführungen im Einspruchsverfahren und meint, daß nach den Grundsätzen der Rechtsprechung zum einheitlichen Vertragswerk der vom Kläger gezeichnete Vertrag als ein Vertrag auf den Erwerb eines bebauten Grundstückes anzusehen ist.

15

Wegen des weitergehenden Parteivorbringens wird auf die zwischenden Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die beigezogene Grunderwerbsteuerakte des Beklagten zu der Steuernummer sowie die Vertragsunterlagen unter dem Az.: Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

16

Die Klage ist begründet.

17

Zu Unrecht hat der Beklagte die Gebäudeherstellungskosten in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer einbezogen.

18

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) unterliegt ein Kaufvertrag, soweit er sich auf inländische Grundstücke bezieht, der Grunderwerbsteuer. Als Bemessungsgrundlage für die Festsetzung der Grunderwerbsteuer ist nach § 8 Abs. 1 der Wert der Gegenleistung anzusetzen, wobei als Gegenleistung bei einem Kauf der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen gilt (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 GrESt).

19

Unter sonstigen Leistungen im Sinne der Vorschrift des § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrESt gilt jede beim Abschluß des Kaufvertragsvereinbarte Leistung des Käufers, die Entgelt für den Erwerb des Grundstücks ist, aber nicht unmittelbar auf die Zahlung von Geld gerichtet ist (Sack in Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz,14. Aufl., § 9 Rdz. 242). Da der Kläger eine solche sonstige Leistung nicht übernommen hat, ist der Kaufpreis für das Grundstück in dem Zustand, in dem es sich zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses befand - also unbebaut - Bemessungsgrundlage für die Grunderwerbsteuer, wie es im Bescheid vom 13. Juli 1984 auch erfolgt ist.

20

Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist jedoch bei einem zivilrechtlich einheitlichen Vertrag, der auf Übereignung eines Grundstücks und Errichtung eines Gebäudes gerichtet ist, Gegenstand des Erwerbsvorganges das Grundstück in bebautem Zustand (Urteil des BFH vom 23. November 1994 II R 53/94, BStBl II 1995, 331).

21

Auch in dem Fall, wenn sich die Verpflichtung zur Übereignung des Grundstücks und zur Errichtung des Gebäudes aus zwei odermehreren Verträgen ergibt, die zivilrechtlich keine Einheit bilden, ist nach der Rechtsprechung des BFH Gegenstand des Erwerbsvorgangs das bebaute Grundstück, wenn zwischen den Verträgen ein so enger sachlicher Zusammenhang besteht, daß der Erwerber bei objektiver Betrachtungsweise als einheitlichen Leistungsgegenstand das bebaute Grundstück erhält (BFH, a.a.O.).

22

Ob unter Anwendung dieser Rechtsgrundsätze des BFH die Klage abzuweisen wäre, konnte der Senat offenlassen. Denn der Senat widerspricht der o.g. Rechtsprechung. Diese findet keine Grundlage im Gesetz und widerspricht der gesetzgeberischen Wertung in § 4 Nr. 9 a Umsatzsteuergesetz (UStG).

23

A.

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG unterliegt der Grunderwerbsteuer u.a. ein sich auf ein inländisches Grundstück beziehender Kaufvertrag, der den Anspruch auf Übereignung begründet. Als Bemessungsgrundlage für die Festsetzung der Grunderwerbsteuer ist nach § 8 Abs. 1 GrEStG der Wert der Gegenleistung maßgeblich,wobei als Gegenleistung bei einem Kauf der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen gilt (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG). Der Steuersatz beträgt für das Streitjahr 2 % (vgl. § 11 Abs. 1 GrEStG vor 1997).

24

Nach diesen gesetzlichen Vorgaben unterliegt lediglich der notarielle Grundstücksvertrag der Grunderwerbsteuer. Dagegen ist der Bauvertrag über das erst nach Erwerb des Grund und Bodens hergestellte Gebäude nicht grunderwerbsteuerbar. Denn allein der Grundstücksvertrag begründet einen Anspruch auf Übereignung, nicht der Bauvertrag.

25

Zudem macht auch die Bestimmung der Steuerschuldner in § 13 Nr. 1 GrEStG, wonach die an einem Erwerbsvorgang als Vertragsteile beteiligten Personen Gesamtschuldner sind, deutlich, daß die Erweiterung des Steuergegenstandes um künftige Gebäudekosten von Gesetzes wegen nicht gewollt sein kann. Denn wenn es so wäre, könnte der Veräußerer des Grund und Bodens als Gesamtschuldner auch für die Grunderwerbsteuer, die auf das später erstellte Gebäude, mithin auf die von dem Bauunternehmer ausgelösten Gebäudeherstellungskosten, entfällt, in Anspruch genommen werden.

26

Im übrigen bestätigen die Vorschriften über grunderwerbsteuerliche Anzeigepflichten, daß künftige Bauleistungen grunderwerbsteuerlich nicht belastet werden sollen. Denn es gibt - als Spiegelbild zur Grunderwerbsteuerbarkeit - allein ausdrückliche Grunderwerbsteuer-Anzeigepflichten der Gerichte, Behörden und Notare (vgl. § 18 GrEStG) und derjenigen, die an der Grundstücksübertragung beteiligt sind (vgl. § 19 GrEStG), nicht aber derjenigen, die einen Bauvertrag abgeschlossen haben.

27

B.

Daneben deckt sich das Ergebnis der hier vertretenen An wendung des Grunderwerbsteuergesetzes mit dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers in § 4 Nr. 9 a UStG, die Doppelbesteuerung durch Umsatzsteuer und Grunderwerbsteuer zu vermeiden (dazu auch Bundestags-Drucksache IV/1590, 29). § 4 Nr. 9 a UStG, der die Umsätze von der Umsatzsteuer befreit, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen, verdeutlicht, daß Umsatzsteuer und Grunderwerbsteuer zwar nebeneinander, nicht aber angehäuft erhoben werden dürfen. Die Anti- Doppelbelastungsvorschrift des § 4 Nr. 9 a UStG ist eine Konkretisierung eines allgemeinen Rechtsgedankens, der das nationale und internationale Steuerrecht prägt (vgl. u.a. § 35 EStG: Einkommensteuer/Erbschaftsteuer; § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG: Einkommensteuer/Körperschaftsteuer; Anti-Doppelbesteuerungs-Abkommen Deutschlands mit einer Vielzahl anderer Staaten) und der auch im Umsatzsteuer- und Grunderwerbsteuerrecht neben § 4 Nr. 9a UStG an zahlreichen Stellen zum Ausdruck kommt; vgl. § 4 Nr. 9b, 10a UStG; §§ 1 Abs. 6 und 7, 3 Nr. 2, 9 Abs. 3 GrEStG; auch die 6. EG-Richtlinie zur Umsatzsteuer (ABl. EG 1977, Nr. L 145/1 vom 13. Juni 1977) empfiehlt den Mitgliedstaaten im Art. 9 Abs. 3 Regelungen zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen.

28

Da die Errichtung von Bauwerken sowie sonstige Lieferungen und Leistungen von Bauunternehmern und anderen Unternehmern im Zusammenhang mit der Errichtung von Bauwerken ohne gleichzeitige Lieferung eines Grundstücks durch diese Personen der Umsatzsteuer zu unterwerfen ist (vgl. EuGH HFR 1986, 487; BFH BStBl II 1987, 145, 147; Schwakenberg, UR 1986, 100), kann eine gänzliche oder teilweise Doppelbesteuerung in der Weise ausgeschlossen werden, daß bei der Grunderwerbsteuer solche Umsätze, die nach dem Umsatzsteuergesetz steuerpflichtig sind, nicht zur Bemessungsgrundlage bei der Grunderwerbsteuer zu rechnen sind (vgl. auch Reiß, in Tipke/Lang, Steuerrecht, 16. Auflage 1998,§ 14 Rz. 3), es sei denn, dem doppelbelasteten Steuerbürger wird ein Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch eingeräumt; ein solcher Erstattungsanspruch des Steuerbürgers müßte indes erst gesetzlich geregelt werden. Durch verfassungskonforme Auslegung ist er nicht zu entwickeln. Solange keine gesetzliche Regelung des Erstattungsanspruchs existiert, müssen Bauhandwerkerleistungen, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, bei der Grunderwerbsteuer außer Ansatz bleiben. Hinzu kommt, daß der Steuerbürger derzeit nur bei der Grunderwerbsteuer (= direkte Steuer) und nicht bei der Umsatzsteuer (= indirekte Steuer) sein Recht und damit die Vermeidung der Doppelbesteuerung Umsatzsteuer/Grunderwerbsteuer einfordern kann (zur allgemeinen Problematik der weitverbreiteten Rechtsschutzlosigkeit für die Steuerträger bei den indirekten Steuern vgl. BVerfG UVR 1997, 328, wonach die Frage des Umsatzsteuer-Grundfreibetrages bezüglich des Verbrauchers füroffen erklärt worden ist; Kirchhof, in: Tagungsband 18 der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft, 1995, 17, 28 ff.; Tipke, Kirchhof und Kruse, Symposionsbericht, StuW 1996, 192, 200).

29

Zwar führt der Rechtsgedanke des § 4 Nr. 9a UStG bei der grunderwerbsteuerlichen Bestimmung des Leistungsgegenstandes nicht zur Vermeidung jeglicher wirtschaftlicher Doppelbelastung von Grunderwerbsteuer und Umsatzsteuer; so bleibt etwa in Fällen, in denen ein bereits erstelltes Haus erworben wird, die Umsatzsteuer, die zunächst den Bauherrn belastet und dann in den Verkaufspreis einfließt, neben der Grunderwerbsteuer für den Erwerber bestehen. Diese wirtschaftliche Doppelbelastung hat aber eine andere Qualität als die Belastung der zeitlich gleichgelagerten Bauhandwerker-Umsätze mit Umsatzsteuer und Grunderwerbsteuer.

30

Der Einwand, die Regelung des § 4 Nr. 9 a UStG spiele im Grunderwerbsteuerrecht keine Rolle, weil sie Teil des Umsatzsteuergesetzes und nicht des Grunderwerbsteuergesetzes sei, geht fehl und ist Ausdruck eines Kästchendenkens ohne Blick auf das Ganze. Denn der Gesetzgeber, der sowohl für die Grunderwerbsteuer wie für die Umsatzsteuer zuständig ist, hat erkennbar die genannten Steuerarten aufeinander abgestimmt und entschieden, eine Doppelbesteuerung sei zu vermeiden (BT-Drucksache IV, 1590, 29). Im übrigen bedarf es einer ausdrücklichen Steuerbefreiungsvorschrift im Grunderwerbsteuergesetz nicht, denn künftige Baukosten unterfallen schon nicht der Steuerbarkeit nach § 1 Abs.1 Nr. 1 GrEStG.

31

C.

Der erkennende Senat folgt dagegen nicht der Rechtsauffassung des beklagten FA, das sich auf die (ständige) Rechtsprechung des für Grunderwerbsteuersachen zuständigen II. Senats des BFH stützt. Denn diese Rechtsprechung, mit dem Ergebnis einer gewaltigen Erweiterung der Grunderwerbsteuer-Bemessungsgrundlageum künftige Baukosten, findet - wie unter A. ausgeführt - keine Stütze im Steuergesetz.

32

a)

Hiergegen läßt sich nicht einwenden, die steuerliche Gleichbelastung von Erwerbern bebauter Grundstücke und Erwerbern noch unbebauter Baugrundstücke sei mit Hilfe der Rechtsfigur des einheitlichen Leistungsgegenstandes, wonach verschiedene Verträge zu einem zusammenzufassen sind, herzustellen (dazu BFH BStBl II 1997, 85, 86; 1995, 335; BFH/NV 1995, 265; 1993, 623; vgl. auch Sack in Boruttau, Kommentar zum GrEStG, 14. Auflage 1997, § 9 Anm. 160 ff., 165 a f., 179 b). Denn es macht nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich einen bedeutenden Unterschied, ob jemand sich durch mehrere Vertragsbeziehungen mit unterschiedlichen Vertragspartnern verschiedene Wirtschaftsgüter (unbebautes Grundstück; noch zu erstellendes Haus) verschafft und dann diesen "Bausatz" während der Bauphase zu dem neuen Wirtschaftsgut "Hausgrundstück" zusammensetzt, oder ob jemand dasbereits zusammengesetzte Wirtschaftsgut "Hausgrundstück" als solches von einem Vertragspartner erwirbt. Zudem zahlt der Erwerber eines "Hausgrundstücks" zwar - gleichgültig ob Neu- oder Altbau - die volle Grunderwerbsteuer auf den Kaufpreis, indes fällt die Umsatzsteuer beim Neubau nur bedingt (vgl. §§ 4 Nr. 9 a, 9 Abs. 1 UStG), beim Altbau grundsätzlich nicht (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 UStG) an. Daneben bewirkt die Rechtsprechung des II. Senats des BFH uneinheitliche Belastungen, indem wirtschaftlich schwächere Steuerbürger grunderwerbsteuerlich strukturell höher belastet werden als wirtschaftlich leistungsfähigere. Denn Immobilienerwerber, die es sich finanziell leisten können, entscheiden sich zunächst für den Kauf des Grund und Bodens, der Grunderwerbsteuer allein nach dem Kaufpreis des Grund und Bodens auslöst, und nach einem gewissen zeitlichen Abstand entscheiden sie sich für den Bau eines Hauses, das mit der Grunderwerbsteuer - auch nach Auffassung des II. Senats des BFH - nicht mehr belastet wird. Auf diese Weise zahlt der Reihenhaus-Bauherr (mit einer Ansammlung von Verträgen einschließlich einer vollen Fremdfinanzierung der Baukosten) erheblichmehr Grunderwerbsteuer als der wirklich Leistungsfähige, der sich nach und nach ein Grundstück mit später erstelltem, großzügig ausgestattetem Wohnhaus zulegt.

33

b)

Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, der II. Senat des BFH lehne sich mit seiner Rechtsprechung an die den Käufer grundsätzlich schützende zivilrechtliche Rechtsprechung zur Formbedürftigkeit von Bauverträgen und Grundstücksübertragungsverträgen an (vgl. BGHZ 76, 43, 48; Palandt/Heinrichs, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 57. Auflage 1998, § 313 Anm. 32 ff. mit weiteren Nachweisen) und erfülle damit das Gebot der Einheit der Rechtsordnung.

34

Denn der II. Senat des BFH entwickelt auf der Grundlage eineszivilrechtlichen Schutzgedankens - ohne Rücksicht auf die gesetzlichen Grundwertungen zur Grunderwerbsteuerbarkeit und zur Vermeidung der steuerlichen Doppelbelastung (ausgeführt unter A.) - eine vom Gesetzgeber nicht gewollte enorme Steuerverschärfung im Bereich der Einkommensverwendungssteuern. Aus einem zivilrechtlichen Erwerberschutz macht der II. Senat des BFH ohne Not eine steuerliche Benachteiligung der Erwerber.

35

c)

Auch läßt sich die Einheit der Rechtsordnung nicht ohne Einheit der Steuerrechtsordnung erreichen, die mit der Rechtsprechung des II. Senats des BFH verfehlt wird (in diesem Sinne auch Reiß, in Tipke/Lang, Steuerrecht, 16. Auflage 1998, § 14 Rz. 2, 3, 8, 9; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, 3 Bände, 1993, 944 f.; das FG Berlin - u.a. EFG 1991, 496 - hielt die Rechtsprechung des II. BFH-Senats für eine "steuerverschärfende und damit unzulässige Analogie").

36

Denn von Einheit der Steuerrechtsordnung kann auch nicht im Ansatz mehr die Rede sein, wenn derselbe Vorgang, nämlich der Erwerb eines zu bebauenden Grundstücks, einerseits, nämlich bewertungsrechtlich, umsatzsteuerlich und einkommensteuerlilch als der Erwerb eines unbebauten Grundstücks behandelt wird, undandererseits grunderwerbsteuerlich als der Erwerb eines bebauten Grundstücks (ähnlich: Ossola-Haring-Hrsg.-, Jahrbuch der Steueränderungen 1998, 480 f., m.w.N.).

37

d)

Auch innerhalb der Anwendung des Grunderwerbsteuergesetzes führt die Rechtsprechung des II. Senats des BFH zu Brüchen.

38

So wird die auf der Ebene der Grunderwerbsteuer-Bemessungsgrundlage gefundene Einheit von Verträgen für Zwecke der Bestimmung des Umfangs von Anzeigepflichten, die für die Verjährung von Grunderwerbsteueransprüchen bedeutsam sind, wieder aufgelöst: Der BFH führt hierzu im Urteil vom 30.10.1996 (II R 69/94; BStBl 1997, 85, 86) aus: "Trotz ähnlichem Wortlaut sind § 9 Abs. 2 Nr. 1 und § 19 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983 unterschiedlich auszulegen ... Die Regelung des § 9 GrEStG 1983 beschreibt, welche Aufwendungen des Erwerbers in die Bemessungsgrundlage als Gegenleistung miteinzubeziehen sind. Dies erfordert es, formal getrennte Rechtsvorgänge für die materiell grunderwerbsteuerrechtliche Betrachtungsweise als Einheit aufzufassen ... Diese für das materielle Grunderwerbsteuerrecht zulässige und gebotene Betrachtungsweise kann jedoch nicht auf die die Anzeigepflicht begründende Regelung des § 19 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983 übertragen werden. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist - wie insgesamt der Regelungen über die Anzeigepflichten - eine möglichst lückenlose Information des FA über grunderwerbsteuerrechtlich relevante Vorgänge".

39

e)

Im übrigen widerspricht die Rechtsprechung des II. Senats des BFH der Rechtsprechung des für Umsatzsteuersachen zuständigen V. Senat des BFH.

40

Der Widerspruch zur Rechtsprechung des V. Senats des BFH zeigtsich darin, daß nach dessen Gesetzesanwendung (künftige) Bauhandwerker-Leistungen nicht mit Grundstücksübertragungen zu bündeln und mithin umsatzsteuerpflichtig sind. So führt der V. Senat des BFH folgendes aus: "Selbständige Baubetreuungsleistungen fallen nicht unter das GrEStG, weil die Verpflichtung zur Ausführung dieser Leistungen nicht in § 1 Abs. 1,Abs. 2 GrEStG als steuerbarer Rechtsvorgang bezeichnet wird" (BFH BStBl. II 1993, 318, 319) und die "selbständige Verpflichtung zur Ausführung von Bauleistungen ist nicht nach § 1 GrEStG steuerbar" (BFH BStBl. II 1991, 737, 738; vgl. auch BFH/NV 1994, 198; BFH/NV 1995, 456; Wagner, Richter des V. BFH-Senats, NWB vom 29. Juli 1996, Fach 7a, 365, 379, er schreibt von "der gefestigten, aber am Sinne der Kollisionsvorschrift des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG vorbeigehenden Rechtsprechung"; vgl. auch Fischer, UR 1986, 283).

41

f)

Der Entscheidung des erkennenden Senats kann auch nicht entgegenhalten werden, daß nach einem Kammerbeschluß des BVerfG (durch drei von acht Berufsrichtern) aus 1991, die BFH-Rechtsprechung zur Doppelbelastung ein und derselben Leistung mit Umsatzsteuer und Grunderwerbsteuer keine "Auslegungsfehler" enthalte (BVerfG BStBl II 1992, 212, 213; a. A. Jehner DStR 1992, 485). Denn zum einen kann diese Kammer-Entscheidung den erkennenden Senat im Sinne des § 31 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) nicht binden (vgl. Winter in Maunz/Schmidt- Bleibtreu/Klein/Ulsamer, Kommentar zum BVerfGG, Loseblatt, § 93 b Rn. 11 cc, 15, Stand 1993). Zudem steht der Kammerbeschluß des BVerfG aus 1991 argumentativ sogar in Widerspruch zu einem Beschluß des Vollsenats (acht Berufsrichter) des BVerfG aus 1984 zur Doppelbelastung eines Vorgangs mit Grunderwerb- und Schenkungsteuer (BVerfG BStBl II 1984, 608); hiernach spreche der Sinngehalt der einschlägigen Anti-Doppelbelastungsvorschrift (§ 3 Nr. 2 Satz 2 GrEStG) dafür, daß bei der Grunderwerbsteuer nicht noch einmal Bemessungsgrundlage sein soll, was bereits Bemessungsgrundlage bei der Schenkungsteuer war. Die Auslegung der Norm, - so das BVerfG - "die eine Doppelbelastung des Erwerbs eines Vermögensgegenstandes mit Schenkung- oder Erbschaftsteuer und Grunderwerbsteuer ausschließt, ist danach einfachrechtlich möglich und verfassungsrechtlich geboten" (BVerfG BStBl II 1984, 608, 614; vgl. aber BVerfG, Kammerbeschluß, HFR 1989, 153 zur Doppelbelastung Grunderwerbsteuer/Umsatzsteuer, wonach man sich auf BVerfG BStBl II 1984, 608, nicht berufen dürfe; diese Ansicht vertritt die Kammer ohne Angabe von Gründen). Nach alledem war der Klage mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) stattzugeben. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozeßordnung. Die Revision war wegen Abweichens von der Rechtsprechung des für Grunderwerbsteuersachen zuständigen II. Senats des BFH zuzulassen (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).