Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.09.1998, Az.: I 101/93

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
01.09.1998
Aktenzeichen
I 101/93
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 34754
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1998:0901.I101.93.0A

Tenor:

  1. Die Klagen werden abgewiesen.

    Die Kosten der Verfahren trägt die Klägerin.

    Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

    Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

1

Die Parteien streiten über die Rechtsfrage, ob bei der Ermittlung des Wertes der nichtnotierten Anteile der Klägerin (Kl.) die Regelung über den Beteiligungsbesitz in Abschnitt (A) 83 Abs. 1 Satz 2 Vermögensteuerrichtlinien (VStR) 1986/1989 bzw. A 11 Abs. 4 Satz 1 VStR 1993/1995 analog auch auf Beteiligungen von nur 50 v.H. anzuwenden ist.

2

Die Kl. betreibt Handel mit Zucker und sonstigen Erzeugnissen und Bedarfsgegenständen der Zuckerindustrie. Sie unterhält zu diesem Zweck ein Speditionsgewerbe und vermittelt darüber hinaus weitere Beförderungsleistungen. Die Kl. ist an folgenden Unternehmen beteiligt:

1. Fa. R

L

GmbH (R + L)

2. S

R

GmbH & Co. KG

(SZR)KG und

3. S

- R

GmbH

(SZR GmbH)

3

Die Anteile an der Fa. R + L hält die Kl. zu 100 v.H. an den Firmen SZR KG und SZR GmbH -; letztere ist die Komplementärin der KG und ausschließlich mit deren Geschäftsführung befasst -; ist sie mit jeweils 50 v.H. beteiligt. Die anderen Anteile daran werden von einem Dritten gehalten, so dass an beiden Unternehmen zwischen ihr und dem Dritten eine gleich große Beteiligung besteht.

4

Im Anschluss an eine Betriebsprüfung stellte das Finanzamt (FA) mit mehrfach geänderten Bescheiden den gemeinen Wert der nichtnotierten Anteile an der Kl. auf den 31. Dez. 1986 bis 31. Dez. 1990 gesondert fest. Bei diesen Feststellungen berücksichtigte es die Beteiligung an der Fa. R + L in Anwendung von A 83 Abs. 1 Satz 2 VStR 1986/1989 nur mit dem Vermögenswert. Für die Beteiligung an den Firmen SZR KG und SZR GmbH wandte es diese Regelung nicht an. Vielmehr berechnete es den Anteilswert der Kl. im übrigen nach A 77 -; 79 VStR 1986/1989 und berücksichtigte auf diese Weise die Anteile an den Unternehmen SZR KG und SZR GmbH sowohl beim Vermögenswert als auch der Ermittlung des Ertragshundertsatzes.

5

Gegen diese Berechnung wendet sich die Kl. nach erfolglosen Vorverfahren mit ihren Klagen I 101/93 (Anteilsbewertung auf den 31. Dez. 1989 und 31. Dez. 1990) und I 107/93 (Anteilsbewertung auf den 31. Dez. 1986, 31. Dez. 1987 und 31. Dez. 1988), die der Senat zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden hat. Sie vertritt darin die Auffassung, dass die Regelung des A 83 VStR 1986/1989 auch für ihre Beteiligungen an den Firmen SZR KG und SZR GmbH zu gelten habe. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung müsse sie auch auf Beteiligungen mit 50 v.H. angewendet werden. Die Wertfeststellung nach dem Stuttgarter Verfahren richte sich nach dem Vermögen eines Unternehmens einerseits und nach dessen Ertragsaussichten andererseits. Bei Beteiligungen führe das zu einer doppelten Berücksichtigung des Ertrages der beteiligten Unternehmen. Der Ertrag eines Tochterunternehmens fließe bereits in die Bewertung der Beteiligung ein und werde damit im Substanzwert der Obergesellschaft erfasst. Er könne daher nicht noch einmal bei der Berechnung des Ertragshundertsatzes erfasst werden. Diese Doppelerfassung solle durch die Regelungen der A 81 und 83 VStR 1986/1989 vermieden werden, wonach Beteiligungen lediglich im Vermögenswert der Obergesellschaft zu berücksichtigen seien, Ertragsaussichten der Untergesellschaft jedoch außer Betracht blieben. Das habe z.B. der Bundesfinanzhof -; BFH -; in seiner Entscheidung vom 6. März 1991 II R 18/88, BStBl II 1991, 558, erkannt. Eine solche Doppelerfassung der Ertragsaussichten der Beteiligungsgesellschaften liege auch dann vor, wenn die Beteiligung nur 50 v.H. ausmache. Es gehe deshalb nicht an, dass A 83 Abs. 1 Satz 2 VStR 1986/1989 nach seinem Wortlaut die Doppelerfassung nur in den Fällen ausschließe, in denen eine Beteiligung von mehr als 50 v.H. bestehe. Die Vorschrift sei deshalb auf Beteiligungen mit nur 50 v.H. analog anzuwenden, zumal sie -; die Kl. -; die beiden Unternehmen SZR KG und SZR GmbH faktisch so beherrsche, wie wenn sie daran mehr als 50 v.H. hätte. So könne sie wegen der gleich großen Beteiligung daran jede Entscheidung innerhalb dieser Gesellschaften wie ein Mehrheitsgesellschafter verhindern. Andererseits sei sie in jede Entscheidung wie ein Mehrheitsgesellschafter eingebunden. Was für die Beteiligung an der SZR GmbH gelte, müsse in gleicher Weise auch für die Personengesellschaft gelten. Auch bei ihr komme es zu einer Doppelerfassung des Ertrages, weil der Gewinn gleichzeitig auch das Gesellschaftsvermögen erhöhe.

6

Die Kl. beantragt,

den Beklagten zu verpflichten, die Bescheide über die Feststellung des gemeinen Wertes auf den 31. Dez. 1986 bis 1988 vom 21. Jan. 1992, zuletzt geändert am 1. März 1993 bzw. 9. Juni 1992, in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 19. März 1993, sowie die Bescheide über die Feststellung des gemeinen Wertes auf den 31. Dez. 1989 und 31. Dez. 1990 vom 9. Juni 1992 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 25. März 1993 unter Weglassung der Beteiligungserträge an der SZR KG sowie an der SZR GmbH festzustellen.

7

Der Beklagte beantragt,

die Klagen abzuweisen.

8

Er ist der Auffassung, dass die Regelung des A 83 Abs. 1 Satz 2 VStR 1986/1989 nicht auf die Beteiligung der Kl. an den Firmen SZR KG und SZR GmbH angewendet werden könne. Das Stuttgarter Verfahren sehe eine solche Anwendung auf Beteiligungen mit nur 50 v.H. nicht vor. Aus dem Urteil des BFH vom 6. März 1991 folge nichts anderes.

9

Wegen des Vortrags der Parteien im übrigen wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze im Klageverfahren sowie im Vorverfahren verwiesen.

10

Das Gericht hat durch Beschluss vom 24. Okt. 1997 die Inhaberin der Gesellschaftsanteile der Kl. beigeladen. Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Gründe

11

I.

Die Klagen haben keinen Erfolg.

12

Gem. § 113 a i.V.m. § 11 Abs. 2 Bewertungsgesetz (BewG) wird der Wert von Anteilen an inländischen Kapitalgesellschaften, die nicht zum amtlichen Handel an einer deutschen Börse zugelassen sind, gesondert festgestellt. Auf die Anteile der Kl. trifft das zu, der Wert ihrer Anteile ist daher -; wie im Streitfall geschehen -; gesondert festzustellen.

13

1. Gem. § 11 Abs. 2 Satz 1 BewG sind die Anteile mit dem gemeinen Wert anzusetzen. Lässt sich der gemeine Wert nicht aus Verkäufen ableiten, die weniger als ein Jahr zurückliegen, so ist er unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft zu schätzen. Im Streitfall liegen zeitnahe Verkäufe nicht vor, so dass eine Schätzung durchzuführen ist. Für diese Schätzung hat die Finanzverwaltung das in den A 76 f. VStR 1986/1989 beschriebene sog. Stuttgarter Verfahren entwickelt, das der BFH in ständiger Rechtsprechung als ein geeignetes Schätzungsverfahren zur Feststellung des gemeinen Wertes anerkannt hat (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 6. März 1991 II R 18/88, BFHE 164, 91, BStBl II 1991, 558 [BFH 06.03.1991 - II R 18/88]).

14

Nach dem Stuttgarter Verfahren setzt sich der gemeine Anteilswert aus dem Wert des Vermögens (A 77 VStR 1986/1989) und den Ertragserwartungen (A 78 VStR 1986/1989) der Gesellschaft zusammen. Ist die Kapitalgesellschaft, deren Anteile zu bewerten sind, an anderen Gesellschaften beteiligt, so ist der Wert der Beteiligung im Vermögenswert zu erfassen. Handelt es sich dabei um eine Gesellschaft, deren gemeiner Wert ihrerseits im Stuttgarter Verfahren festgestellt ist, so fließt dieser Wert im Ausmaß der Beteiligung in den Vermögenswert ein. Ob bei den Ertragserwartungen der zu bewertenden Gesellschaft auch die Beteiligungserträge zu berücksichtigen sind, hängt davon ab, ob die Regelungen in A 81 und A 83 VStR 1986/1989 eingreifen. Nach A 81 Abs. 1 VStR 1986/1989 ist der gemeine Wert der Anteile an einer Holdinggesellschaft nur mit dem Vermögenswert anzusetzen, die Ertragserwartungen bleiben außer Betracht. Nach A 81 Abs. 1 a VStR 1986/1989 gilt dies auch für Anteile an einer anderen Gesellschaft, wenn ihr Vermögen zu mehr als 80 v.H. aus Beteiligungsbesitz besteht. Schließlich ist nach A 83 Abs. 1 VStR 1986/1989 eine Mischberechnung für Beteiligungsbesitz von mehr als 50 v.H. des Gesamtvermögens durchzuführen: Der Wert des Beteiligungsbesitzes ist nur mit dem Vermögenswert festzustellen, das sonstige Vermögen mit dem Vermögenswert und den Ertragserwartungen. Sinn und Zweck dieser Ausnahmeregelungen in den A 81 und 83 VStR 1986/1989 ist die Erkenntnis, dass bei Beteiligungen an Kapitalgesellschaften der Beteiligungsertrag bereits im Vermögenswert der Beteiligung enthalten ist. Wird bei der Feststellung des gemeinen Anteilswertes neben dem Vermögenswert auch noch die Ertragserwartung der Beteiligungsgesellschaft berücksichtigt, so kommt es zu einer Doppelerfassung des Ertrages (vgl. BFH-Urteil vom 6. März 1991 II R 18/88, BFHE 164,91, BStBl II 1991, 558 [BFH 06.03.1991 - II R 18/88]). Diese Doppelerfassung wird unter den in den A 81 und 83 genannten Voraussetzungen vermieden.

15

2. Im Streitfall greifen diese Ausnahmeregelungen für die Beteiligung an der SZR GmbH nicht ein. A 81 Abs. 1 VStR 1986/1989 ist nicht erfüllt, weil die Kl. keine Holdinggesellschaft ist. Sie unterhält neben ihren Beteiligungen auch einen eigenen Handelsbetrieb. A 81 Abs. 1 a VStR 1986/1989 ist deshalb nicht einschlägig, weil das Gesellschaftsvermögen der Kl. nicht zu mehr als 80 v.H. aus Beteiligungen besteht. Nach ihren Einheitswertbescheiden machen die Beteiligungswerte nur etwa 1/4 ihres Rohvermögens aus. A 83 Abs. 1 VStR 1986/1989 findet schließlich keine Anwendung, weil ihre Beteilgung an der SZR GmbH nur 50 v.H. und nicht "mehr" als 50 v.H. ausmacht.

16

Eine analoge Anwendung der Regelung des A 83 Abs. 1 VStR 1986/1989 auf die Beteiligung von 50 v.H. an der SZR GmbH ist zur Überzeugung des Senats nicht möglich. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass es auch bei Beteiligungen von exakt 50 v.H. zu einer Doppelerfassung des Beteiligungsertrages kommt. Deshalb wird die in den Richtlinien enthaltene Grenzregelung von mehr als 50 v.H. in der Literatur als "nicht ganz unproblematisch" angesehen (vgl. Rössler/Troll, Bewertungsgesetz und Vermögensteuergesetz, 17. Aufl., § 113 Rdn. 79). Andererseits hält es der Senat für durchaus legitim, dass der Richtliniengeber Grenzregelungen einführt. Das gesamte Stuttgarter Verfahren ist ohnehin nur ein Schätzungsverfahren und es enthält wie jede Schätzung Ungenauigkeiten. Es erhebt nicht den Anspruch, exakte Werte zu ermitteln. Es sollen nur Näherungswerte geschaffen werden, weil eine punktgenaue Feststellung des Anteilswertes zu kompliziert und für ein Massenbewertungsverfahren unpraktikabel und nicht tauglich wäre. Es kann dem Richtliniengeber deshalb nicht verwehrt sein, zur Bewältigung der Massenbewertungsverfahren Typisierungen einzuführen, auch wenn damit im Einzelfall Ungenauigkeiten verbunden sind. Eine solche Typisierung enthält die Regelung in A 83 Abs. 1 VStR 1986/1989. Sie ist ohnehin schon derart detailliert, dass damit die Grenze dessen erreicht ist, was sich ein typisiertes Schätzungsverfahren an Perfektion noch erlauben darf (vgl. Moench, DStR, 1980, 495).

17

3. Für die Beteiligung an der SZR KG kommt eine Anwendung der Regelungen der A 81 und 83 VStR 1986/1989 schon von der Sache her nicht in Betracht. Da der Sinn und Zweck der Regelungen darin besteht, eine Doppelerfassung des Beteiligungsertrages zu vermeiden, können sie bei einer Beteiligung an Personengesellschaften nicht eingreifen. Anders als bei der Beteiligung an Kapitalgesellschaften, die ihrerseits nach dem Stuttgarter Verfahren bewertet werden, kommt es bei Beteiligungen an Personengesellschaften nicht zu einer Doppelerfassung. Das Gesellschaftsvermögen von Personengesellschaften wird lediglich mit dem Einheitswert des Betriebsvermögens angesetzt (§ 98 a BewG). Dies ist der Substanzwert, in den Ertragserwartungen nicht einfließen. Deshalb sind bei der Bewertung der Anteile an einer GmbH, die ihrerseits an einer Personengesellschaft beteiligt ist, die Ertragserwartungen wie im Regelfall anzusetzen (vgl. Rössler/Troll, 17. Aufl. § 113 Rdn. 80). Dem hat die Finanzverwaltung dadurch Rechnung getragen, dass sie in A 11 Abs. 4 VStR 1993/1995 die Regelung ausdrücklich auf Beteiligungen an Kapitalgesellschaften präzisiert hat.

18

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

19

Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ergibt sich aus § 139 Abs. 4 FGO. Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Es entspricht deshalb der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt.

20

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung über die Reichweite der Regelungswirkung der A 81 und 83 VStR 1986/1989 zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.