Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.09.1998, Az.: I 857/97 Ki

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
29.09.1998
Aktenzeichen
I 857/97 Ki
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 33019
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1998:0929.I857.97KI.0A

Tenor:

Der Aufhebungs- und Änderungsbescheid vom 11. September 1997 und der Einspruchsbescheid vom 1. Oktober 1997 werden aufgehoben. Das Kindergeld für den Sohn Tobias des Klägers wird für 1997 auf 1. 320 DM festgesetzt. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Geldbetrages in Höhe der an den Kläger zu erstattenden Kosten abwenden, sofern der Kläger nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen

Tatbestand:

1

Die Parteien streiten über die Frage, ob die Voraussetzungen für den Bezug von Kindergeld für den Sohn Tobias des Klägers (Kl.) im Jahre 1997 rückwirkend weggefallen sind.

2

Der Kl. hat zwei in seinem Haushalt lebende Söhne, den am 2. Februar 1978 geborenen Tobias und den 1980 geborenen Sebastian. Für beide Kinder bezog er seit dem 1. Januar 1996 Kindergeld in Höhe von zuletzt jeweils  220 DM. Im Streitjahr 1997 befand sich Tobias zunächst in einer Berufsausbildung als Gärtner und bezog daraus eine Berufsausbildungsvergütung von monatlich  963 DM brutto. Am 4. Juli 1997 legte er die Abschlussprüfung erfolgreich ab. Daraufhin wurde er ab dem 7. Juli 1997 als Arbeitnehmer übernommen. Er erzielte deshalb im Juli zusätzlich zu seiner Ausbildungsvergütung ein Bruttoarbeitsentgelt von 2.592,60 DM.

3

Unter Hinweis auf diesen Verdienst änderte der Beklagte (Bekl.) mit Bescheid vom 11. September 1997 die Kindergeldauszahlung und setzte das Kindergeld für Tobias rückwirkend ab Januar 1997 auf 0 DM fest. Außerdem forderte er den Kl. zur Rückzahlung des bis dahin für Tobias gezahlten Kindergeldes für die Zeit von Januar bis Juni 1997 in Höhe von 1. 320 DM auf. Er verrechnete diesen Betrag mit den Kindergeldzahlungen für Sebastian.

4

Gegen die rückwirkende Festsetzung des Kindergeldes für Tobias auf 0 DM hat der Kl. nach erfolglosem Vorverfahren Klage erhoben, mit der er die Aufhebung des Festsetzungs- und Rückforderungsbescheides erstrebt. Er ist der Auffassung, dass ihm für die Monate Januar bis Juni 1997 das Kindergeld für Tobias in voller Höhe von monatlich  220 DM zustehe. Für die Berechnung der Einkommensgrenze seines Sohnes komme es nur auf die Einkünfte und Bezüge an, die während der Berufsausbildung zuflössen, also auf die Einkünfte in den Monaten Januar bis Juni 1997. In dieser Zeit habe sein Sohn nur Einkünfte in Höhe von 5. 778 DM erzielt und liege damit unter der maßgeblichen Einkunftsgrenze von 6. 000 DM.

5

Der Kl. beantragt,

den Bescheid des Bekl. vom 11. September 1997, mit dem das Kindergeld für den Sohn Tobias ab Januar 1997 auf 0 DM festgesetzt ist, und den Einspruchsbescheid vom 1. Oktober 1997 aufzuheben und Kindergeld für Tobias bis einschließlich Juni 1997 zu gewähren.

6

Der Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Er ist der Auffasung, dass Tobias im Jahre 1997 die maßgebliche Einkommensgrenze überschritten habe. Sein Berufsausbildungsverhältnis sei mit bestandener Lehrabschlussprüfung vom 4. Juli 1997 beendet gewesen. Damit seien für den Kl. die Voraussetzungen für den Bezug von Kindergeld gem. §§ 63, 32 Abs. 4 Nr. 2 a Einkommensteuergesetz (EStG) bis zum 4. Juli erfüllt gewesen. Damit habe er einen Kindergeldanspruch bis Ende Juli 1997 (§ 66 Abs. 2 EStG). Da der Kindergeldanspruch bis einschließlich Juli bestehe, komme es auch auf die Einkünfte an, die Tobias bis einschließlich Juli erziele. Dieses beliefen sich -; abzüglich anteiliger Werbungskosten -; auf 7. 204 DM und überschritten damit den Grenzbetrag von 7. 000 DM. Damit sei der gesamte Kindergeldanspruch für 1997 weggefallen und die bis dahin geleisteten Zahlungen seien zu erstatten.

8

Wegen des Vortrags der Parteien im übrigen wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze im Klage- und Vorverfahren verwiesen.

Gründe

9

I.

Die Klage hat Erfolg.

10

1. Der Kindergeldanspruch des Kl. für den beantragten Zeitraum Januar 1997 bis Juni 1997 ergibt sich aus den §§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 und 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG. Nach diesen Normen wird für ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, Kindergeld bewilligt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird und daraus Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 12. 000 DM im Kalenderjahr hat. Dieser Grenzbetrag von 12. 000 DM mindert sich nach Satz 6 der Norm für jeden Monat um 1/12, in dem die Voraussetzungen für den Bezug von Kindergeld nach den Nummern 1 oder 2 der Norm nicht vorliegen. Im Falle der Kürzung bleiben Einkünfte und Bezüge, die auf die Kürzungsmonate entfallen, außer Ansatz (§ 32 Abs. 4 Satz 7 EStG).

11

2. Im Streitfall erfüllt der Sohn Tobias des Kl. im beantragten Zeitraum Januar 1997 bis Juni 1997 die Anspruchsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG. Er befand sich in dieser Zeit in einer Berufsausbildung als Gärtner. Dem Anspruch stehen die Einkünfte des Kindes nicht entgegen. Dabei geht das Gericht von folgender Berechnung aus:

12

a) Der für den Kindergeldanspruch schädliche Grenzbetrag von 12. 000 DM in Satz 2 der Norm ermäßigt sich nach Satz 6 auf 7. 000 DM. Dieser Erkenntnis liegt die Tatsache zugrunde, dass das Kind Tobias die Berufsausbildung erst mit der Abschlussprüfung am 4. Juli 1997 beendet hat. Folglich haben die Voraussetzungen für den Bezug von Kindergeld nach Satz 1 Nr. 2 a der Norm bis einschließlich Juli 1997 bestanden. In den Monaten August bis Dezember hat dagegen keine Berufsausbildung mehr stattgefunden. Das führt nach § 32 Abs. 4 Satz 6 EStG zu einer Kürzung für die Monate August bis Dezember, also in Höhe von 5. 000 DM auf 7. 000 DM.

13

Bei der Berechnung des anspruchschädlichen Grenzbetrages hat das Gericht den Antrag des Kl. -; der Kindergeld nur bis Juni 1997 begehrt -; nicht berücksichtigt. Der Senat ist der Auffassung, dass der Klageantrag keinen Einfluss auf die Höhe dieses Betrages haben kann. Diese Erkenntnis gewinnt das Gericht aus Satz 8 der Norm, wonach ein Verzicht auf Teile der zustehenden Einkünfte der Anwendung der Grenzbetragsregelung nicht entgegensteht.

14

Darin kommt zur Überzeugung des Senats der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass die Höhe der Kindeseinkünfte und damit letztlich die Voraussetzungen für den Bezug des Kindergeldes der Disposition der Steuerpflichtigen entzogen sein sollen. Wenn auf Teile der Kindeseinkünfte nicht anspruchsbegründend verzichtet werden kann, dann kann die Höhe der anrechenbaren Kindeseinkünfte auch nicht von seiner Antragsbegrenzung abhängen. Anderenfalls könnte die Berechnungsregelung in den Sätzen 2, 6 und 7 des Gesetzes durch eine Antragsbeschränkung auf einzelne Monate umgangen werden. Das Gericht teilt insoweit die Auffassung des FG Münster im Urteil vom 22. Juni 1993 6 K 3834/91 E, EFG 1993,662, das zur vergleichbaren Regelung in § 33 a EStG ergangen ist. Im übrigen ist der Antrag keine materiell rechtliche Voraussetzung für den Kindergeldanspruch (vgl. Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 17. Aufl. § 67 Rdnr. 1).

15

b) Bei der Berechnung der Höhe der Kindeseinkünfte hat das Gericht nur die Einkünfte berücksichtigt, die der Sohn bis zum 4. Juli 1997, also bis zum Abschluss seiner Berufsausbildung erzielt hat. Nach § 32 Abs. 4 Satz 7 EStG bleiben Einkünfte und Bezüge des Kindes, die auf die Kürzungsmonate entfallen, außer Ansatz. Welche Einkünfte das sind, ist durch eine wirtschaftliche Zurechnung festzustellen (vgl. Senatsurteil vom 1. September 1998 I 842/97 Ki, n.v.; BFH-Urteil vom 26. April 1991 III R 48/89, BFHE 146, 286 BStBl II 1991, 716 [BFH 26.04.1991 - III R 48/89] zu § 33 a Abs. 4 EStG; Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 32 Rdnr. 144). Diese wirtschaftliche Zurechnung verlangt eine rechtliche Würdigung, beider der Sinn und Zweck der Regelung nicht außer acht gelassen werden kann. Nach Auffassung des Senats besteht der Sinn und Zweck der Anrechnungsregelung der Sätze 2, 6 und 7 der Norm darin, solche Einkünfte anzurechnen, die im Zusammenhang mit der Ausbildung stehen, weil sie aus der Ausbildung heraus erwachsen oder zur Durchführung der Ausbildung bestimmt oder geeignet sind. Deutlich wird das aus dem Wortlaut des Satzes 2 der Norm, der die Berücksichtigung von Einkünften und Bezügen anordnet, die "zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind". Der Gesetzgeber hat mit dieser Formulierung eine sachbezogene Anrechnung angeordnet. Damit steht zugleich fest, dass solche Einkünfte nicht angerechnet werden, bei denen der Bezug zur Berufsausbildung fehlt. Dies sind im Streitfall alle Einkünfte, die der Sohn des Kl. nach Abschluss seiner Berufsausbildung nach dem 4. Juli 1997 erzielt hat.

16

Die Auffassung des Bekl. und der Verwaltung (vg. Dienstanweisung zur Durchführung des steuerlichen Familienlastenausgleichs -; DA 63.4.11 -; BStBl I 1997, 7 ff.) sowie eines Teils der Literatur (vgl. Glanegger in Schmidt, EStG, 17. Aufl. § 32 Rdnr. 29), nach der alle Einkünfte in die Anrechnung einzubeziehen sind, die auf Kalendermonate entfallen, für die ein Kindergeldanspruch besteht, teilt der Senat nicht. Sie führt zu Ergebnissen, die wirtschaftlich unsinnig sind und vom Gesetzgeber nicht gewollt sein können. Sie hätte die Konsequenz, dass im Streitfall der im gesamten Jahr 1997 entstandene Kindergeldanspruch nur deshalb untergeht, weil der Sohn des Kl. im Anschluss an seine Berufsausbildung sofort eine Arbeitsstelle als Geselle angetreten hat. Im Vergleich dazu würde der Kindergeldanspruch jedoch in voller Höhe bestehen bleiben, wenn der Sohn die Arbeitsstelle nicht sofort, sondern erst zu Beginn des Monats August angetreten hätte. Der Senat ist der Überzeugung, dass die Existenz des Kindergeldanspruchs nicht davon abhängen kann, ob eine Arbeitsstelle sofort oder erst nach Monatsfrist angetreten wird. Das wäre eine sachlich nicht gerechtfertigte Diskriminierung des ohne Unterbrechung arbeitenden Kindes, die mit Artikel 3 des Grundgesetzes nicht vereinbar wäre.

17

Aus § 66 Abs. 2 EStG lässt sich zur Überzeugung des Gerichts nichts anderes herleiten. Nach dieser Norm wird Kindergeld nicht nur bis zum Ende des Tages gezahlt, an dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfallen, sondern bis zum Ende des Monats, in dem sie auslaufen. Das Gericht sieht in dieser Regelung den Versuch des Gesetzgebers, dem Kindergeldberechtigten eine Begünstigung zukommen lassen. Diese Begünstigungsnorm würde sich jedoch ins Gegenteil verkehren, wenn man der Auffassung des Bekl. folgen und auf den Auslaufmonat auch die Einkünfte anrechnen würde, die das Kind nach dem Ende der Ausbildung erzielt hat.

18

c) Mithin sind für die Berechnung des Grenzbetrages die Einkünfte des Kindes aus der Berufsausbildungsvergütung von Januar 1997 bis zum 4. Juli 1997 zu berücksichtigen. Sie belaufen sich pro Monat auf  963 DM. Damit ist der Grenzbetrag schon vor Abzug von Werbungskosten nicht erreicht. Folglich musste dem Antrag entsprochen und der angefochtene Bescheid aufgehoben werden.

19

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

20

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 und 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Ziff 10 und 711 Zivilprozessordnung.

21

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache -; insbesondere zur Berechnung des Grenzbetrageszugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.