Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.09.1998, Az.: I 816/97
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 29.09.1998
- Aktenzeichen
- I 816/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 34768
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1998:0929.I816.97.0A
In dem Rechtsstreit
wegen Einheitsbewertung auf den 1.1.1987 (für das Grundstück B9
hat der I. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 29. September 1998, an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter am Finanzgericht .
Richter am Finanzgericht .
Richter am Finanzgericht .
ehrenamtlicher Richter. Geschäftsführer
ehrenamtliche Richterin .Landwirtin
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Im Streit ist, ob eine ehemalige landwirtschaftliche Hofstelle mit einem Niedersächsischen Bauernhaus, ehemaligem Kuhstall und Scheune (Schuppen) als Einfamilienhaus zu bewerten ist oder als gemischt genutztes Grundstück.
Die Klägerin erwarb zusammen mit ihrem Ehemann mit notariellem Vertrag vom 24. Juli 1985 das Grundstück B. Mit notariellem Vertrag vom 7. Oktober 1985 übertrug der Ehemann Dr. W seinen Grundstücksanteil auf die Klägerin. Das Hauptgebäude der ehemaligen Hofstelle, ein Niedersächsisches Bauernhaus, wurde im Jahre 1986 umgebaut. Im vorderen zur Straße gelegenen Teil wurde im Erdgeschoß eine Arztpraxis eingerichtet und an den Ehemann vermietet. Dieser betreibt dort seine freiberufliche Praxis. Der hintere Teil des Gebäudes wurde im Erd- und Obergeschoß zu einer Wohnung umgebaut, die von der Familie der Klägerin genutzt wird. Das Obergeschoß über der Arztpraxis, ein Bodenraum, ist nicht ausgebaut. Wegen der Einzelheiten wird auf die Nutzflächenberechnung des Architekten und die Bauzeichnung Bl. 23-30 der Einheitswertakten Bezug genommen.
Das Finanzamt hat auf den 1. Januar 1987 wegen des Umbaus mit Bescheid vom 5.6.1990 eine Wertfortschreibung durchgeführt. Diese ist bestandskräftig. In dem Wertfortschreibungsbescheid heißt es u.a.: "Die Grundstücksart wie bisher Einfamilienhaus".
Einen Antrag auf Artfortschreibung auf den 1.1.1987 hat das Finanzamt mit dem Bescheid vom 25. September 1996 abgelehnt. Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Vorverfahren die Klage.
Der Vorsitzende des Senats hat das Grundstück in Augenschein genommen. Danach ist das Grundstück wie folgt gestaltet: Die Familienwohnung hat nach den Berechnungen eines Architekten eine Wohnfläche von 103,74 qm im Erdgeschoß und 89,32 qm im Dachgeschoß = 193,06 qm (ohne eine Kürzung um 10% nach § 44 Abs. 3 Nr. 1 der 2. Berechnungsverordnung). Auf die Berechnungen des Architekten R Bl. 23-25 der Einheitswertakten wird Bezug genommen. In der Wohnflächenberechnung nicht enthalten ist ein Anbau an den Wohnteil mit direktem Zugang zur Wohnung, der nach den Angaben der Klägerin am Stichtag als Werkstatt des Ehemannes und als Hauswirtschaftsraum genutzt worden sein soll. Dieser Raum hat eine Nutzfläche von ca. 18 qm. Die Praxisfläche im Erdgeschoß beträgt nach den Berechnungen des Architekten 117,42 qm. Für die Praxis wird ferner ein Kellerraum unter den Praxisräumen in Größe von 12-15 qm genutzt, der bei der Flächenberechnung des Architekten außer Betracht geblieben ist. Der Bodenraum über der Praxis ist in den Flächenberechnungen ebenfalls nicht enthalten. Er hat eine Größe von mehr als 100 qm. Der Bodenraum ist nicht ausgebaut. Er kann nur durch die Familienwohnung erreicht werden, und zwar durch einen Flur, der mit Regalen ausgestattet ist, in denen Kleidungsstücke und Wäsche der Familie offen aufbewahrt werden. In dem Bodenraum wurden im Zeitpunkt der Augenscheinseinnahme Praxisgegenstände aufbewahrt, Archivmaterial, ausgediente medizinische Geräte, Bücher u.ä.. Teilweise war der Boden leer. -; Auf dem Grundstück befinden sich zwei weitere ehemalige landwirtschaftliche Wirtschaftsgebäude, einmal ein Stallgebäude mit einem Durchgang zum Haupthaus. Es handelt sich um den ehemaligen Kuhstall. Dieser soll am Stichtag wegen des schlechten Bauzustandes und der alten Kuhstalleinrichtung ungenutzt und auch nicht nutzbar gewesen sein. Im Zeitpunkt der Besichtigung wurde das Gebäude zu Wohnungen umgebaut. -; Ferner steht auf dem Grundstück eine ehemalige Scheune (Schuppen), die sich in baufälligem Zustand befindet und voller Gerümpel steht. Die Seitenwände sind unzulänglich mit Brettern verkleidet. Der Fußboden besteht aus gestampftem Lehm. In der Scheune werden u.a. die Autos der Familie untergestellt.
Die Klägerin trägt zur Begründung der Klage vor: Das Grundstück sei als gemischt genutztes Grundstück zu bewerten, weil es überwiegend zu anderen als Wohnzwecken genutzt werde. In dem vorangegangenen Rechtsstreit I 53/92 sei bereits ein Kostenanschlag vom 22. November 1985 überreicht worden, aus dem sich ergebe, daß der Bodenraum über den Praxisräumen zu dem freiberuflich genutzten Teil des Hauses gehöre, da dort ein Büro, ein Therapieraum, ein Infusionsraum, ein Sozialraum, ein Assistentenzimmer, ein Behandlungszimmer und ein Aktenraum geplant sei. Zwar seien die geplanten Umbaumaßnahmen insoweit bisher nicht durchgeführt worden. Jedoch werde der Teil des Dachgeschosses, der sich über den Praxisräumen befinde, von Anfang an von der Praxis als Abstellfläche genutzt. Der Bodenraum sei von Anfang an an den Praxisinhaber mit vermietet worden. -; Im übrigen sei der bewertungsrechtliche Einfamilienhausbegriff nicht ein von der Verkehrsauffassung bestimmter Begriff, sondern ein durch die Umschreibung i.S.v. § 75 Abs. 5 BewG gekennzeichneter Rechtsbegriff. Das Grundstück gelte nur dann als Einfamilienhaus, wenn durch die freiberufliche Nutzung die Eigenart als Einfamilienhaus nicht wesentlich beeinträchtigt werde -; § 75 Abs. 5 Satz 4 BewG. Die Frage nach der wesentlichen Beeinträchtigung sei nicht nach der Verkehrsauffassung, sondern nach dem äußeren Erscheinungsbild unter Berücksichtigung von Einfamilienhäusern zu beantworten, die nicht zu freiberuflichen/gewerblichen Zwecken mitbenutzt würden. Vergleiche man das Haus B mit den umliegenden Einfamilienhäusern, so spreche das äußere Erscheinungsbild gegen eine Einordnung als Einfamilienhaus. Von der Straßenseite aus seien nur Praxisräume sowie Parkplätze für Patienten und Mitarbeiter zu sehen. Der Wohnbereich auf der Rückseite des Gebäudes trete total in den Hintergrund. Nur der Praxiseingang sei von der Straßenseite zu sehen. Die 13 Praxisfenster seien alle mit Milchglas versehen. Auf der rechten Seite des Gebäudes sei der große Parkplatz für Patienten, auf der linken Seite der Parkplatz für die Mitarbeiter. Auch der Fahrradständer vor dem Eingang weise auf die Praxis hin. Während der Sprechstundenzeit sei der Parkplatz mit 20 und mehr Pkw's vollgeparkt, ebenso der Mitarbeiterparkplatz von den 8 bis 10 Angestellten. Das äußere Erscheinungsbild des gesamten Anwesens werde hauptsächlich von der Arztpraxis geprägt und vermittle keineswegs den Eindruck eines Einfamilienhauses.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 25. September 1996, mit dem der Antrag auf Artfortschreibung abgelehnt worden ist, und den Einspruchsbescheid vom 3. September 1997 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, das Grundstück B auf den 1.1.1987 als gemischt genutztes Grundstück zu bewerten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt vor: Das Haus unterscheide sich nicht von den anderen Häusern in der Straße. Die Mitbenutzung zu anderen als Wohnzwecken trete nach außen nicht in der Weise hervor, daß sie die Eigenart des Grundstücks deutlich präge, also in den Vordergrund trete. Eine freiberufliche Mitbenutzung beeinträchtige in der Regel die Eigenart eines Grundstücks als Einfamilienhaus weniger stark als eine Mitbenutzung zu gewerblichen Zwecken. Dem allgemeinen Vorstellungsbild widerspreche es regelmäßig nicht, daß ein Arzt, ein Rechtsanwalt, ein Steuerberater usw. seine Praxis bzw. sein Büro in einem Einfamilienhaus unterhalte. Die freiberufliche Nutzung des Grundstücks überwiege nicht. Bei dem Vergleich der Nutzflächen könne der ehemalige Kuhstall und die Scheune außer Ansatz bleiben; denn der Bodenraum über der Praxis sei nicht der freiberuflichen Nutzung zuzurechnen. Weder im Einspruchsverfahren noch in dem vorangegangenen Klageverfahren I 53/92 sei jemals von einer Nutzung des Bodenraumes für Praxiszwecke die Rede gewesen. Es sei vielmehr stets ausgeführt worden, daß eine solche Mitbenutzung für die Praxis geplant sei. Jedoch seien die geplanten Baumaßnahmen zur Erweiterung der Praxis bis heute nicht durchgeführt worden. Es fehle nach wie vor an einem gesonderten Zugang zum nicht ausgebauten Bodenraum, der bis heute nur durch die Wohnräume zu erreichen sei. Aus dem Mietvertrag ergebe sich ebenfalls keine Vermietung des Bodenraums an den Ehemann. Im übrigen enthalte der Bescheid des Landkreises über die Anerkennung von Wohnungen als steuerbegünstigte Wohnungen vom 22.6.1988 den Hinweis, daß die Klägerin den Bodenraum in ihrem Wohnhaus nicht ausbauen dürfe.
Im übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Einheitswertakten des Finanzamts Bezug genommen; insbesondere auch auf die Fotos in der Hülle im Aktendeckel -; 3 Luftaufnahmen, 11 schwarzweiß-Fotos von dem Grundstück nach dem Umbau und der Nachbarschaft und 2 Farbfotos vom Dezember 1985 vor dem Umbau, ferner auf die Kopie des Mietvertrages mit Anlagen Bl. 56-62 der Gerichtsakten.
Das Gericht hat die Akten I 53/92 des Senats beigezogen.
Gründe
Die Klage ist nicht begründet. Der Beklagte hat das Grundstück zutreffend als Einfamilienhaus bewertet, weil es nur eine Wohnung enthält -; § 75 Abs. 5 Satz 1 BewG.
Nach § 75 Abs. 5 Satz 4 BewG gilt ein Grundstück auch dann als Einfamilienhaus, wenn es zu gewerblichen oder öffentlichen Zwecken mitbenutzt wird und dadurch die Eigenart als Einfamilienhaus nicht wesentlich beeinträchtigt wird. Eine Mitbenutzung hier zu freiberuflichen Zwecken -; kann nur vorliegen, wenn die Nutzung zu anderen als Wohnzwecken nicht den Umfang der Nutzung zu Wohnzwecken erreicht bzw. übersteigt. Das ist hier der Fall, und zwar aus folgenden Gründen: Für die Bestimmung des Flächenverhältnisses der Nutzung zu Wohnzwecken und der Mitbenutzung zu anderen Zwecken sind auch die Nebenräume, wie Keller, Abstell- und Hauswirtschaftsräume und Garagen einzubeziehen. Bei der Berechnung der Wohnfläche scheidet eine Kürzung um bis zu 10 v.H. der ermittelten Grundfläche der Wohnung nach § 44 Abs. 3 Nr. 1 der 2. Berechnungsverordnung aus, da es nicht um die Schätzung der üblichen Miete geht, sondern auf das Verhältnis der Wohnzwecken sowie anderen Zwecken tatsächlich dienenden Flächen ankommt. Außenanlagen z.B. Parkplätze, bleiben außer Ansatz.
Im vorliegenden Fall beträgt die von dem Architekten ermittelte Wohnfläche 193,06 qm. Diese Fläche ist nach der Ortsbesichtigung um einen Nebenraum -; Hauswirtschaftsraum/Werkstatt -; von ca. 18 qm auf ca. 211 qm zu erhöhen. Demgegenüber steht die Praxisfläche, die der Architekt mit 117,42 qm ermittelt hat und die um einen Kellerraum von ca. 12-15 qm Größe zu erhöhen ist. Die ehemaligen landwirtschaftlichen Wirtschaftsgebäude -; Kuhstall und Scheune -; bezieht der Senat in den Flächenvergleich nicht mit ein, weil sie am Stichtag baufällig waren, zu wesentlichen Teilen -; wie der Kuhstall -; nach der Darstellung der Klägerin nicht genutzt werden konnten und die Aufbewahrung von Gerümpel in der ehemaligen Scheune sich dem Gericht nicht als sinnvolle Nutzung darstellt. Wenn die Klägerin und ihr Ehemann am Stichtag auch ihre Autos in der Scheune untergestellt haben, so gleicht sich die freiberufliche Nutzung durch den Pkw des Ehemannes und die private Nutzung durch den Pkw der Ehefrau aus.
Für die Frage, ob die freiberufliche Nutzung des Gebäudes überwiegt, kommt es danach auf die Einordnung des Bodenraumes über der Praxis an. Dieser Bodenraum ist nach Auffassung des Senats nicht den freiberuflich genutzten Flächen zuzurechnen; weil zwischen Praxis und Bodenraum keine unmittelbare bautechnische Verbindung besteht. Man kann den Bodenraum nur erreichen, wenn man die Wohnung durchquert. Zwar war ein direkter Zugang von der Praxis zum Boden am Stichtag geplant. Es kommt aber nicht auf die Planung, sondern auf die tatsächliche Gestaltung an. Das Gericht folgt damit den Regeln, die der BFH für ein im Wohnbereich gelegenes (zusätzliches) häusliches Arbeitszimmer eines zu freiberuflichen Zwecken mitbenutzten Einfamilienhauses aufgestellt hat -; BFH vom 9. November 1988 II R 61/87, BStBl II 1989, 135.
Nach Auffassung des Senats kommt es auch nicht darauf an, ob der Bodenraum am Stichtag an den Praxisinhaber mit vermietet war, wie die Klägerin behauptet. Der Senat konnte die Vermietung nicht feststellen. Aus dem Wortlaut des Mietvertrages geht die Vermietung des Bodenraumes nicht hervor. In dem Mietvertrag vom 31. Mai 1986, der von dem Prozeßbevollmächtigten im Verhandlungstermin am 29. September 1998 als Original vorgelegt worden ist, war der Bodenraum rot umrandet. Das Formular des Mietvertrages ist von der Druckerei mit 9/86 gekennzeichnet, so daß die Vermutung nahe liegt, daß das Formular am 31. Mai 1986 noch nicht gedruckt war, sondern der Vertrag später unterschrieben worden ist.
Rechnet der Bodenraum nicht zu den freiberuflich genutzten Flächen, überwiegt die Nutzung zu Wohnzwecken bei weitem.
Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Das Gericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.