Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.09.1998, Az.: VII (III) 371/92

Bauerrichtungskosten als Bestandteil der Bemessungsgrundlage für die Festsetzung der Grunderwerbsteuer; Begriff des einheitlichen Vertragswerks; Wert der Gegenleistung als Bemessungsgrundlage für die Festsetzung der Grunderwerbsteuer

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
15.09.1998
Aktenzeichen
VII (III) 371/92
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 18634
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1998:0915.VII.III371.92.0A

Fundstellen

  • DStRE 1999, 403-406 (Volltext mit amtl. LS)
  • KFR 1999, 209
  • MittRhNotK 1999, 210-211
  • NWB 1999, 1074
  • SteuerBriefe 1999, 770-771
  • SteuerBriefe 1999, 899
  • ZfIR 1999, 476-479

Verfahrensgegenstand

Grunderwerbsteuer

Amtlicher Leitsatz

In Fällen des sog. einheitlichen Vertragswerks unterliegen allein die Anschaffungskosten des (noch unbebauten) Baugrundstücks und nicht die Herstellungskosten des (noch zu errichtenden) Gebäudes der Grunderwerbsteuer. Abweichung von der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs.

Der VII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 15. September 1998 ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Unter Änderung des Grunderwerbsteuerbescheids vom 10. Dezember 1991 in der Fassung vom 15. September 1998 wird die Grunderwerbsteuer von 7.943 DM auf 2.162 DM herabgesetzt.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Streitig bleibt, ob Besteuerungsgegenstand ein unbebautes oder ein bebautes Grundstück ist. Dagegen werden vom Kläger (Kl.) verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Grunderwerbsbesteuerung des selbstgenutzten Eigenheims (einschließlich des Grund und Bodens) nach der Neubescheidung (mit Vorläufigkeitsvermerk) durch das beklagte Finanzamt (FA) in diesem Verfahren nicht weiterverfolgt (vgl. Sitzungsprotokoll; dazu auch Vorlage- und Aussetzungsbeschluß des Senats vom 18. August 1998, VII - III -306/97, Az. des BVerfG: 1 BvL 14/98).

2

Der Kl. mußte für ein unbebautes Grundstück in B laut Notarvertrag vom 23. September 1991 105.120 DM an die Verkäuferin, die ... kurz ..., zahlen. Daneben übernahm der Kl. in § 10 Abs. 2 des Notarvertrages die Vermessungskosten in Höhe von 3.000 DM. Am 21. Oktober 1991 beauftragte der Kl. die ..., kurz, das Grundstück mit einem Reihenhaus zu bebauen; ein Teil der Baukosten für "Zusatzleistungen" (etwa Balkon) wurden in einem Schriftstück vom 17. September 1991 festgelegt. Der vertragliche Gebäudepreis (einschließlich der damaligen Umsatzsteuer in Höhe von 14 % = 35.500 DM) war festgesetzt auf 289.070 DM. Am 24. Oktober 1991 wurden die notariellen Erklärungen vom 23. September 1991 durch die genehmigt.

3

Die teilte auf Anfrage des beklagten FA mit, daß der mündlich das Recht zur Erstellung der Reihenhausanlage in B zugesichert worden sei. Die Grundstückserwerber seien der durch die vermittelt worden. Den Reihenhauskomplex habe die konzipiert.

4

Die teilte dem beklagten FA auf Anfrage mit, daß sie keine Grundstücke gegen Entgelt vermittele, sondern sie als kostenlose Serviceleistung nachweise. Die habe ihr in loser Absprache Grundstücke zur Reihenhausbebauung an die Hand gegeben. Die erhalte von ihr die Namen der Bauherren, die mit ihr einen Werkvertrag abgeschlossen hätten. Das beklagte FA setzte gegenüber dem Kl. mit Bescheid vom 10. Dezember 1991 7.943 DM (= 2 % von 397.190 DM) Grunderwerbsteuer fest, weil es die Verträge zum Erwerb des Grund und Bodens sowie zur Errichtung eines Wohnhauses als einheitliches Vertragswerk, gerichtet auf den Erwerb eines bezugsfertigen Hausgrundstücks, ansah. Mit Schreiben vom 5. Januar 1992 legte der Kl. Einspruch ein und beantragte, die Grunderwerbsteuerfestsetzung insoweit aufzuheben, wie sie auf den Kaufpreis des Gebäudes (2 % von 289.070 DM) entfällt. Der Kl. zog 1993 in das dann fertiggestellte Haus ein und nahm die steuerliche Eigenheimvergünstigung in Anspruch.

5

Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhebt der Kl. Klage und trägt u.a. vor:

6

Nach dem notariellen Grundstückskaufvertrag habe er ein unbebautes Grundstück erworben. Der danebenstehende Bauvertrag begründe keinen Anspruch auf Übereignung eines Teils eines inländischen Grundstücks und sei deshalb nicht von § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) erfaßt. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) mit seiner Fiktion eines einheitlichen Vertragswerks mißachte nicht nur den Tatbestand des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG, sondern auch die Wertung des Gesetzgebers in § 4 Nr. 9 a des Umsatzsteuergesetzes (UStG).

7

Der Kl. beantragt,

unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 22. April 1992 den am 15. September 1998 erlassenen Grunderwerbsteuerbescheid zu ändern und die Grunderwerbsteuer von 7.943 DM auf 2.162 DM herabzusetzen.

8

Das beklagte FA beantragt,

die Klage abzuweisen,

9

hilfsweise,

die Revision zuzulassen.

10

Das beklagte FA stützt sich dabei im wesentlichen auf die Rechtsprechung des BFH zum einheitlichen Vertragswerk. Es ist der Meinung, ein einheitlich zu beurteilender Leistungsgegenstand sei hier deshalb gegeben, weil bei objektiver Betrachtungsweise der Kl. im Zeitpunkt des Grundstücksübertragungsvertrages in seiner Entscheidung über das "Ob" und "Wie" der Bebauung nicht mehr frei gewesen sei.

11

Der Senat hat Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

12

Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die Grunderwerbsteuerakte des beklagten FA unter der Steuernummer ... Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13

Die Klage hat Erfolg. Zu Unrecht bezog das beklagte FA die Kosten für das nach Erwerb des Grund und Bodens hergestellte Gebäude in die Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer ein.

14

Zwar haben der festgestellte Tatbestand und das eindeutige Ergebnis der Beweisaufnahme ergeben, daß auf der Grundlage der ständigen Rechtsprechung zum einheitlichen Leistungsgegenstand (auch einheitliches Vertragswerk genannt) des für Grunderwerbsteuersachen zuständigen II. Senats des BFH (vgl. u.a. BFH BStBl II 1997, 85, 86; 1995, 331, mit weiteren Nachweisen; bestätigt durch Kammerbeschlüsse des BVerfG BStBl 1992, 212; HFR 1989, 153) die Klage abzuweisen wäre. Denn zwischen den Verträgen besteht ein enger sachlicher Zusammenhang, insbesondere aufgrund des Zusammenwirkens der Beteiligten auf der Nichterwerberseite. Dennoch muß nach Auffassung des erkennenden Senats die Klage Erfolg haben. Denn der Senat folgt dieser Rechtsprechung nicht, da sie insbesondere gegen § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG und § 4 Nr. 9 a UStG verstößt.

15

A.

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG unterliegt der Grunderwerbsteuer u.a. ein sich auf ein inländisches Grundstück beziehender Kaufvertrag, der den Anspruch auf Übereignung begründet. Als Bemessungsgrundlage für die Festsetzung der Grunderwerbsteuer ist nach § 8 Abs. 1 GrEStG der Wert der Gegenleistung maßgeblich, wobei als Gegenleistung bei einem Kauf der Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen gilt (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG). Der Steuersatz beträgt für das Streitjahr 2 % (vgl. § 11 Abs. 1 GrEStG vor 1997).

16

Nach diesen gesetzlichen Vorgaben unterliegt lediglich der notarielle Grundstücksvertrag vom 23. September 1991, genehmigt am 24. Oktober 1991, der Grunderwerbsteuer. Dagegen ist der Bauvertrag vom 21. Oktober 1991 über das erst nach Erwerb des Grund und Bodens hergestellte Gebäude zum Preis von 289.070 DM (einschließlich 14 % Umsatzsteuer) nicht grunderwerbsteuerbar. Denn allein der Grundstücksvertrag begründet einen Anspruch auf Übereignung, nicht der Bauvertrag. Entsprechend bemißt sich die Grunderwerbsteuer nach dem Grundstückskaufpreis in Höhe von 105.120 DM zuzüglich sonstiger - im Grundstücksvertrag übernommener - Leistungen (Vermessungskosten) in Höhe von 3.000 DM. Die Grunderwerbsteuer ist danach auf 2.162 DM (= 2 % von 108.120 DM) festzusetzen.

17

Zudem macht auch die Bestimmung der Steuerschuldner in § 13 Nr. 1 GrEStG, wonach die an einem Erwerbsvorgang als Vertragsteile beteiligten Personen Gesamtschuldner sind, deutlich, daß die Erweiterung des Steuergegenstandes um künftige Gebäudekosten von Gesetzes wegen nicht gewollt sein kann. Denn wenn es so wäre, könnte der Veräußerer des Grund und Bodens als Gesamtschuldner auch für die Grunderwerbsteuer, die auf das später erstellte Gebäude, mithin auf die von dem Bauunternehmer ausgelösten Gebäudeherstellungskosten, entfällt, in Anspruch genommen werden.

18

Im übrigen bestätigen die Vorschriften über grunderwerbsteuerliche Anzeigepflichten, daß künftige Bauleistungen grunderwerbsteuerlich nicht belastet werden sollen. Denn es gibt - als Spiegelbild zur Grunderwerbsteuerbarkeit - allein ausdrückliche Grunderwerbsteuer-Anzeigepflichten der Gerichte, Behörden und Notare (vgl. § 18 GrEStG) und derjenigen, die an der Grundstücksübertragung beteiligt sind (vgl. § 19 GrEStG), nicht aber derjenigen, die einen Bauvertrag abgeschlossen haben.

19

B.

Daneben deckt sich das Ergebnis der hier vertretenen Anwendung des Grunderwerbsteuergesetzes mit dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers in § 4 Nr. 9 a UStG, die Doppelbesteuerung durch Umsatzsteuer und Grunderwerbsteuer zu vermeiden (dazu auch Bundestags-Drucksache IV/1590, 29). § 4 Nr. 9 a UStG, der die Umsätze von der Umsatzsteuer befreit, die unter das Grunderwerbsteuergesetz fallen, verdeutlicht, daß Umsatzsteuer und Grunderwerbsteuer zwar nebeneinander, nicht aber angehäuft erhoben werden dürfen. Die Anti-Doppelbelastungsvorschrift des § 4 Nr. 9 a UStG ist eine Konkretisierung eines allgemeinen Rechtsgedankens, der das nationale und internationale Steuerrecht prägt (vgl. u.a. § 35 EStG: Einkommensteuer/Erbschaftsteuer; § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 EStG: Einkommensteuer/Körperschaftsteuer; Anti-Doppelbesteuerungs-Abkommen Deutschlands mit einer Vielzahl anderer Staaten) und der auch im Umsatzsteuer- und Grunderwerbsteuerrecht neben § 4 Nr. 9 a UStG an zahlreichen Stellen zum Ausdruck kommt; vgl. § 4 Nr. 9 b, 10 a UStG; §§ 1 Abs. 6 und 7, 3 Nr. 2, 9 Abs. 3 GrEStG; auch die 6. EG-Richtlinie zur Umsatzsteuer (ABl. EG 1977, Nr. L 145/1 vom 13. Juni 1977) empfiehlt den Mitgliedstaaten im Art. 9 Abs. 3 Regelungen zur Vermeidung von Doppelbesteuerungen.

20

Da die Errichtung von Bauwerken sowie sonstige Lieferungen und Leistungen von Bauunternehmern und anderen Unternehmern im Zusammenhang mit der Errichtung von Bauwerken ohne gleichzeitige Lieferung eines Grundstücks durch diese Personen der Umsatzsteuer zu unterwerfen ist (vgl. EuGH HFR 1986, 487; BFH BStBl II 1987, 145, 147; Schwakenberg, UR 1986, 100), kann eine gänzliche oder teilweise Doppelbesteuerung in der Weise ausgeschlossen werden, daß bei der Grunderwerbsteuer solche Umsätze, die nach dem Umsatzsteuergesetz steuerpflichtig sind, nicht zur Bemessungsgrundlage bei der Grunderwerbsteuer zu rechnen sind (vgl. auch Reiß, in Tipke/Lang, Steuerrecht, 16. Auflage 1998, § 14 Rz. 3), es sei denn, dem doppelbelasteten Steuerbürger wird ein Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch eingeräumt; ein solcher Erstattungsanspruch des Steuerbürgers müßte indes erst gesetzlich geregelt werden. Durch verfassungskonforme Auslegung ist er nicht zu entwickeln. Solange keine gesetzliche Regelung des Erstattungsanspruchs existiert, müssen Bauhandwerkerleistungen, um eine Doppelbesteuerung zu vermeiden, bei der Grunderwerbsteuer außer Ansatz bleiben. Hinzu kommt, daß der Steuerbürger derzeit nur bei der Grunderwerbsteuer (= direkte Steuer) und nicht bei der Umsatzsteuer (= indirekte Steuer) sein Recht und damit die Vermeidung der Doppelbesteuerung Umsatzsteuer/Grunderwerbsteuer einfordern kann (zur allgemeinen Problematik der weitverbreiteten Rechtsschutzlosigkeit für die Steuerträger bei den indirekten Steuern vgl. BVerfG UVR 1997, 328, wonach die Frage des Umsatzsteuer-Grundfreibetrages bezüglich des Verbrauchers für offen erklärt worden ist; Kirchhof, in: Tagungsband 18 der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft, 1995, 17, 28 ff.; Tipke, Kirchhof und Kruse, Symposionsbericht, StuW 1996, 192, 200).

21

Zwar führt der Rechtsgedanke des § 4 Nr. 9 a UStG bei der grunderwerbsteuerlichen Bestimmung des Leistungsgegenstandes nicht zur Vermeidung jeglicher wirtschaftlicher Doppelbelastung von Grunderwerbsteuer und Umsatzsteuer; so bleibt etwa in Fällen, in denen ein bereits erstelltes Haus erworben wird, die Umsatzsteuer, die zunächst den Bauherrn belastet und dann in den Verkaufspreis einfließt, neben der Grunderwerbsteuer für den Erwerber bestehen. Diese wirtschaftliche Doppelbelastung hat aber eine andere Qualität als die Belastung der zeitlich gleichgelagerten Bauhandwerker-Umsätze mit Umsatzsteuer und Grunderwerbsteuer.

22

Der Einwand, die Regelung des § 4 Nr. 9 a UStG spiele im Grunderwerbsteuerrecht keine Rolle, weil sie Teil des Umsatzsteuergesetzes und nicht des Grunderwerbsteuergesetzes sei, geht fehl und ist Ausdruck eines Kästchendenkens ohne Blick auf das Ganze. Denn der Gesetzgeber, der sowohl für die Grunderwerbsteuer wie für die Umsatzsteuer zuständig ist, hat erkennbar die genannten Steuerarten aufeinander abgestimmt und entschieden, eine Doppelbesteuerung sei zu vermeiden (BT-Drucksache IV, 1590, 29). Im übrigen bedarf es einer ausdrücklichen Steuerbefreiungsvorschrift im Grunderwerbsteuergesetz nicht, denn künftige Baukosten unterfallen schon nicht der Steuerbarkeit nach § 1 Abs.1 Nr. 1 GrEStG.

23

C.

Der erkennende Senat folgt dagegen nicht der Rechtsauffassung des beklagten FA, das sich auf die (ständige) Rechtsprechung des für Grunderwerbsteuersachen zuständigen II. Senats des BFH stützt. Denn diese Rechtsprechung, mit dem Ergebnis einer gewaltigen Erweiterung der Grunderwerbsteuer-Bemessungsgrundlage um künftige Baukosten, findet - wie unter A. ausgeführt - keine Stütze im Steuergesetz.

24

a)

Hiergegen läßt sich nicht einwenden, die steuerliche Gleichbelastung von Erwerbern bebauter Grundstücke und Erwerbern noch unbebauter Baugrundstücke sei mit Hilfe der Rechtsfigur des einheitlichen Leistungsgegenstandes, wonach verschiedene Verträge zu einem zusammenzufassen sind, herzustellen (dazu BFH BStBl II 1997, 85, 86; 1995, 335; BFH/NV 1995, 265; 1993, 623; vgl. auch Sack in Boruttau, Kommentar zum GrEStG, 14. Auflage 1997, § 9 Anm. 160 ff., 165 a f., 179 b). Denn es macht nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich einen bedeutenden Unterschied, ob jemand sich durch mehrere Vertragsbeziehungen mit unterschiedlichen Vertragspartnern verschiedene Wirtschaftsgüter (unbebautes Grundstück; noch zu erstellendes Haus) verschafft und dann diesen "Bausatz" während der Bauphase zu dem neuen Wirtschaftsgut "Hausgrundstück" zusammensetzt, oder ob jemand das bereits zusammengesetzte Wirtschaftsgut "Hausgrundstück" als solches von einem Vertragspartner erwirbt. Zudem zahlt der Erwerber eines "Hausgrundstücks" zwar - gleichgültig ob Neu- oder Altbau - die volle Grunderwerbsteuer auf den Kaufpreis, indesfällt die Umsatzsteuer beim Neubau nur bedingt (vgl. §§ 4 Nr. 9 a, 9 Abs. 1 UStG), beim Altbau grundsätzlich nicht (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1, 2 UStG) an. Daneben bewirkt die Rechtsprechung des II. Senats des BFH uneinheitliche Belastungen, indem wirtschaftlich schwächere Steuerbürger grunderwerbsteuerlich strukturell höher belastet werden als wirtschaftlich leistungsfähigere. Denn Immobilienerwerber, die es sich finanziell leisten können, entscheiden sich zunächst für den Kauf des Grund und Bodens, der Grunderwerbsteuer allein nach dem Kaufpreis des Grund und Bodens auslöst, und nach einem gewissen zeitlichen Abstand entscheiden sie sich für den Bau eines Hauses, das mit der Grunderwerbsteuer - auch nach Auffassung des II. Senats des BFH - nicht mehr belastet wird. Auf diese Weise zahlt der Reihenhaus-Bauherr (mit einer Ansammlung von Verträgen einschließlich einer vollen Fremdfinanzierung der Baukosten) erheblichmehr Grunderwerbsteuer als der wirklich Leistungsfähige, der sich nach und nach ein Grundstück mit später erstelltem, großzügig ausgestattetem Wohnhaus zulegt.

25

b)

Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, der II. Senat des BFH lehne sich mit seiner Rechtsprechung an die den Käufer grundsätzlich schützende zivilrechtliche Rechtsprechung zur Formbedürftigkeit von Bauverträgen und Grundstücksübertragungsverträgen an (vgl. BGHZ 76, 43, 48; Palandt/- Heinrichs, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 57. Auflage 1998, § 313 Anm. 32 ff. mit weiteren Nachweisen) und erfülle damit das Gebot der Einheit der Rechtsordnung.

26

Denn der II. Senat des BFH entwickelt auf der Grundlage eines zivilrechtlichen Schutzgedankens - ohne Rücksicht auf die gesetzlichen Grundwertungen zur Grunderwerbsteuerbarkeit und zur Vermeidung der steuerlichen Doppelbelastung (ausgeführt unter A.) - eine vom Gesetzgeber nicht gewollte enorme Steuerverschärfung im Bereich der Einkommensverwendungssteuern. Aus einem zivilrechtlichen Erwerberschutz macht der II. Senat des BFH ohne Not eine steuerliche Benachteiligung der Erwerber.

27

c)

Auch läßt sich die Einheit der Rechtsordnung nicht ohne Einheit der Steuerrechtsordnung erreichen, die mit der Rechtsprechung des II. Senats des BFH verfehlt wird (in diesem Sinne auch Reiß, in Tipke/Lang, Steuerrecht, 16. Auflage 1998, § 14 Rz. 2, 3, 8, 9; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, 3 Bände, 1993, 944 f.; das FG Berlin - u.a. EFG 1991, 496 - hielt die Rechtsprechung des II. BFH-Senats für eine "steuerverschärfende und damit unzulässige Analogie").

28

Denn von Einheit der Steuerrechtsordnung kann auch nicht im Ansatz mehr die Rede sein, wenn derselbe Vorgang, nämlich der Erwerb eines zu bebauenden Grundstücks, einerseits, nämlich bewertungsrechtlich, umsatzsteuerlich und einkommensteuerlilch als der Erwerb eines unbebauten Grundstücks behandelt wird, undandererseits grunderwerbsteuerlich als der Erwerb eines bebauten Grundstücks (ähnlich: Ossola-Haring -Hrsg.-, Jahrbuch der Steueränderungen 1998, 480 f., m.w.N.).

29

d)

Auch innerhalb der Anwendung des Grunderwerbsteuergesetzes führt die Rechtsprechung des II. Senats des BFH zu Brüchen.

30

So wird die auf der Ebene der Grunderwerbsteuer-Bemessungsgrundlage gefundene Einheit von Verträgen für Zwecke der Bestimmung des Umfangs von Anzeigepflichten, die für die Verjährung von Grunderwerbsteueransprüchen bedeutsam sind, wieder aufgelöst:Der BFH führt hierzu im Urteil vom 30.10.1996 (II R 69/94; BStBl 1997, 85, 86) aus: "Trotz ähnlichem Wortlaut sind § 9 Abs. 2 Nr. 1 und § 19 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983 unterschiedlich auszulegen ... Die Regelung des § 9 GrEStG 1983 beschreibt, welche Aufwendungen des Erwerbers in die Bemessungsgrundlage als Gegenleistung miteinzubeziehen sind. Dies erfordert es, formal getrennte Rechtsvorgänge für die materiell grunderwerbsteuerrechtliche Betrachtungsweise als Einheit aufzufassen ... Diese für das materielle Grunderwerbsteuerrecht zulässige und gebotene Betrachtungsweise kann jedoch nicht auf die die Anzeigepflicht begründende Regelung des § 19 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983 übertragen werden. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist - wie insgesamt der Regelungen über die Anzeigepflichten - eine möglichst lückenlose Information des FA über grunderwerbsteuerrechtlich relevante Vorgänge".

31

e)

Im übrigen widerspricht die Rechtsprechung des II. Senats des BFH der Rechtsprechung des für Umsatzsteuersachen zuständigen V. Senat des BFH.

32

Der Widerspruch zur Rechtsprechung des V. Senats des BFH zeigt sich darin, daß nach dessen Gesetzesanwendung (künftige) Bauhandwerker-Leistungen nicht mit Grundstücksübertragungen zu bündeln und mithin umsatzsteuerpflichtig sind. So führt der V. Senat des BFH folgendes aus: "Selbständige Baubetreuungsleistungen fallen nicht unter das GrEStG, weil die Verpflichtungzur Ausführung dieser Leistungen nicht in § 1 Abs. 1, Abs. 2 GrEStG als steuerbarer Rechtsvorgang bezeichnet wird" (BFH BStBl. II 1993, 318, 319) und die "selbständige Verpflichtung zur Ausführung von Bauleistungen ist nicht nach § 1 GrEStG steuerbar" (BFH BStBl. II 1991, 737, 738; vgl. auch BFH/NV 1994, 198; BFH/NV 1995, 456; Wagner, Richter des V. BFH-Senats, NWB vom 29. Juli 1996, Fach 7a, 365, 379, er schreibt von "der gefestigten, aber am Sinne der Kollisionsvorschrift des § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG vorbeigehenden Rechtsprechung"; vgl. auch Fischer, UR 1986, 283).

33

f)

Der Entscheidung des erkennenden Senats kann auch nicht entgegenhalten werden, daß nach einem Kammerbeschluß des BVerfG (durch drei von acht Berufsrichtern) aus 1991, die BFH-Rechtsprechung zur Doppelbelastung ein und derselben Leistung mit Umsatzsteuer und Grunderwerbsteuer keine "Auslegungsfehler" enthalte (BVerfG BStBl II 1992, 212, 213; a. A. Jehner DStR 1992, 485). Denn zum einen kann diese Kammer-Entscheidung den erkennenden Senat im Sinne des § 31 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) nicht binden (vgl. Winter in Maunz/Schmidt- Bleibtreu/Klein/Ulsamer, Kommentar zum BVerfGG, Loseblatt, § 93 b Rn. 11 cc, 15, Stand 1993). Zudem steht der Kammerbeschluß des BVerfG aus 1991 argumentativ sogar in Widerspruch zu einem Beschluß des Vollsenats (acht Berufsrichter) des BVerfG aus 1984 zur Doppelbelastung eines Vorgangs mit Grunderwerb- und Schenkungsteuer (BVerfG BStBl II 1984, 608); hiernach spreche der Sinngehalt der einschlägigen Anti-Doppelbelastungsvorschrift (§ 3 Nr. 2 Satz 2 GrEStG) dafür, daß bei der Grunderwerbsteuer nicht noch einmal Bemessungsgrundlage sein soll, was bereits Bemessungsgrundlage bei der Schenkungsteuer war. Die Auslegung der Norm, - so das BVerfG - "die eine Doppelbelastung des Erwerbs eines Vermögensgegenstandes mit Schenkung- oder Erbschaftsteuer und Grunderwerbsteuer ausschließt, ist danach einfachrechtlich möglich und verfassungsrechtlich geboten" (BVerfG BStBl II 1984, 608, 614; vgl. aber BVerfG, Kammerbeschluß, HFR 1989, 153 zur Doppelbelastung Grunderwerbsteuer/Umsatzsteuer, wonach man sich auf BVerfG BStBl II 1984, 608, nicht berufen dürfe; diese Ansicht vertritt die Kammer ohne Angabe von Gründen).

34

Nach alledem war der Klage mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) stattzugeben. Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozeßordnung. Die Revision war wegen Abweichens von der Rechtsprechung des für Grunderwerbsteuersachen zuständigen II. Senats des BFH zuzulassen (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).