Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 05.05.2011, Az.: 4 OB 117/11

Bekanntgabe an die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern bzw. den allein sorgeberechtigten Elternteil als Wirksamkeitsvoraussetzung der Anordnung einer Ergänzungspflegschaft

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
05.05.2011
Aktenzeichen
4 OB 117/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 25556
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2011:0505.4OB117.11.0A

Fundstellen

  • DVBl 2011, 1375
  • DÖV 2011, 903
  • FamRB 2012, 211
  • JAmt 2012, 45-46
  • NJW 2011, 3112-3113

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft nach den §§ 1697, 1909 BGB bedarf gemäß § 40 Abs. 1 FamFG für ihre Wirksamkeit der Bekanntgabe an die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern bzw. an den allein sorgeberechtigten Elternteil.

  2. 2.

    Entspricht die Anordnung der Ergänzungspflegschaft dem erklärten Willen des Sorgeberechtigten nicht, hat die Bekanntgabe des Beschlusses gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG durch Zustellung zu erfolgen.

Gründe

1

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts hat Erfolg.

2

Das Verwaltungsgericht hat den Streit um die Rechtmäßigkeit des Handelns von Mitarbeitern des Beklagten im Zusammenhang mit der Abholung der Klägerin von der Schule am 28. Januar 2011 zu Unrecht an das Amtsgericht C. verwiesen. Denn für den vorliegenden Rechtsstreit ist nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, weil der Streitgegenstand dem öffentlichen Recht zuzuordnen ist.

3

Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich ist, richtet sich, wenn eine ausdrückliche gesetzliche Rechtswegzuweisung fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird (GmS-OGB, Beschl. v. 10.4.1986 - 1/85 -, BVerwGE 74, 368, 370). Maßgeblich ist dabei die wirkliche Natur des behaupteten Rechtsverhältnisses, d.h. es kommt darauf an, wie die Behörde tatsächlich gehandelt hat (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 40 Rn. 6). Hier streiten die Beteiligten um die Frage, ob die Mitarbeiter des Beklagten die Klägerin am 28. Januar 2011 rechtmäßig von der Schule abholen durften, um diese in das Kinderdorf des ASF nach D. zu bringen. Sofern der Beklagte in diesem Zusammenhang geltend gemacht hat, in Ausübung des seinem Jugendamt mit Beschluss des Amtsgerichts C. vom 28. Januar 2011 - 51 F 135/10 SO - übertragenen Aufenthaltsbestimmungsrechts als Amtspfleger gehandelt zu haben, verfängt dieses nicht. Denn das hier streitige Verhalten der Mitarbeiter des Beklagten ist objektiv nicht in Ausübung der dem Jugendamt übertragenen Amtspflegschaft erfolgt, da der Beschluss des Amtsgerichts C. vom 28. Januar 2011 zu dem Zeitpunkt der Abholung der Klägerin noch nicht wirksam gewesen ist. Der Rechtsstreit kann daher auch nicht an das Amtsgericht C. mit der Begründung verwiesen werden, dass die Überprüfung von Handlungen des Amtspflegers allein dem Vormundschaftsgericht obliegt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 10.11.2005 - 12 A 3295/05 -, [...]; ferner OVG Bremen, Beschl. v. 7.1.1964 - a B 29/63 -, FEVS 11, 327), auch wenn die Ausübung der Aufgaben eines Amtspflegers die Ausübung öffentlicher Gewalt darstellt (so ausdrücklich in Bezug auf die Amtsvormundschaft BVerwG, Urt. v. 4.2.1988 - 5 C 88.85 -, NJW 1988 S. 2399, vgl. ferner Senatsbeschl. v. 1.7.2009 - 4 LA 291/08 -).

4

Dass der Beschluss des Amtsgerichts C. vom 28. Januar 2011 zu dem Zeitpunkt der Abholung der Klägerin von der Schule noch nicht wirksam gewesen ist, ergibt sich aus Folgendem:

5

Nach § 40 Abs. 1 FamFG wird in Verfahren in Familiensachen ein Beschluss wirksam mit Bekanntgabe an den Beteiligten, für den er seinem wesentlichen Inhalt nach bestimmt ist. Ist der Beschluss seinem Inhalt nach für mehrere Beteiligte bestimmt, so erlangt er bei teilbarem Inhalt mit der Bekanntmachung an jeden für ihn Wirksamkeit; hat er dagegen einen teilbaren Inhalt, so wird er erst mit der Bekanntmachung an den letzten Adressaten wirksam (vgl. dazu Meyer-Holz in Keidel, FamFG, 16. Aufl., § 40 Rn 19). Hier ist mit Beschluss des Amtsgerichts C. vom 28. Januar 2011 der Mutter der Klägerin neben dem Aufenthaltsbestimmungsrecht auch die Gesundheitssorge, das Recht auf Antragstellung für Sozialleistungen sowie der Schulangelegenheiten für die Klägerin entzogen und auf das Jugendamt des Beklagten als Pfleger übertragen worden. Die Übertragung dieser personensorgerechtlichen Befugnisse auf das Jugendamt setzt nach dem Regelungsgehalt des Beschlusses deren Entzug bei dem bislang Sorgeberechtigten voraus. Demzufolge konnte die hier erfolgte Anordnung einer Ergänzungspflegschaft nach § 1909 BGB erst mit der Bekanntgabe auch an den bislang Sorgeberechtigten wirksam werden (so auch Meyer-Holz in Keidel, a.a.O., § 40 Rn 22). Nach der zwischen den Beteiligten insoweit nicht streitigen Darstellung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin war der Beschluss des Amtsgerichts C. vom 28. Januar 2011 zum Zeitpunkt der Abholung der Klägerin - gegen 9.00 Uhr - der damaligen Verfahrensbevollmächtigten der Mutter der Klägerin im Sorgerechtsverfahren vor dem Amtsgericht jedoch noch nicht bekannt gegeben. Gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 FamFG kann die Bekanntgabe grundsätzlich durch Zustellung nach den §§ 166 bis 195 ZPO oder dadurch bewirkt werden, dass das Schriftstück unter der Anschrift des Adressaten zur Post gegeben wird. Die nach dieser Vorschrift bestehende Wahlmöglichkeit zwischen förmlicher Zustellung und Aufgabe zur Post ist hier jedoch eingeschränkt gewesen, da der bekannt zu gebende Beschluss vom 28. Januar 2011 dem erklärten Willen der Mutter der Klägerin nicht entsprochen hat. § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG sieht in diesem Fall vor, dass der Beschluss förmlich zuzustellen ist. Eine förmliche Zustellung an die damalige Verfahrensbevollmächtigte der Mutter der Klägerin im Sorgerechtsverfahren hat zum Zeitpunkt der Abholung gegen 9.00 Uhr am 28. Januar 2011 jedoch noch nicht vorgelegen. Soweit ersichtlich, ist hier von der Möglichkeit der förmlichen Zustellung gegen Empfangsbekenntnis nach § 174 ZPO Gebrauch gemacht worden. Die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis ist jedoch erst dann als bewirkt anzusehen, wenn der Rechtsanwalt das ihm zugestellte Schriftstück mit dem Willen entgegengenommen hat, es als zugestellt gegen sich gelten zu lassen, und dies auch durch Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses beurkundet (vgl. nur BGH, Urt. v. 18.1.2006 - VIII ZR 114/05 -, NJW 2006, 1206). Die Verfahrensbevollmächtigte der Mutter der Klägerin hat ausweislich ihrer Erklärung vom 14. März 2011 jedoch erst gegen 12.30 Uhr über die "Gerichtspost" den Beschluss erhalten. Folglich war zum Zeitpunkt der Abholung der Klägerin durch Mitarbeiter des Jugendamtes des Beklagten der Beschluss des Amtsgerichts noch nicht förmlich zugestellt und die Ergänzungspflegschaft daher mangels Bekanntgabe an die betroffene bisherige alleinige Sorgerechtsinhaberin noch nicht wirksam angeordnet.

6

Demzufolge haben die Mitarbeiter des Beklagten in objektiver Hinsicht nicht in Ausübung der dem Jugendamt übertragenen Amtspflegschaft gehandelt. Dass der Beklagte damals der Auffassung gewesen ist, das Aufenthaltsbestimmungsrecht über die Klägerin schon ausüben zu können, ist ohne Belang, da es allein auf die tatsächliche Rechtsnatur des hier streitigen Verhaltens ankommt. Entscheidend ist daher, dass die Mitarbeiter des Beklagten objektiv nicht in Ausübung einer Amtspflegschaft , sondern als Träger der öffentlichen Jugendhilfe gehandelt haben und sich ihr Verhalten daher als schlicht hoheitliches Verwaltungshandeln darstellt. Folglich handelt es sich hier um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, für die nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist. Dass der Beklagte - entgegen der ursprünglichen Annahme der Prozessbevollmächtigten der Klägerin - keinen auf die Inobhutnahme der Klägerin gerichteten Verwaltungsakt auf der Grundlage des§ 42 SGB VIII erlassen hat, steht dem nicht entgegen, da das Vorliegen eines Verwaltungsaktes nicht Voraussetzung für die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist.

7

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 188 und 154 Abs. 1 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens sind gemäß § 154 Abs. 1 VwGO dem Beklagten aufzuerlegen gewesen. Denn die Vorschrift des § 17 b Abs. 2 Satz 1 GVG betrifft nur den - hier gerade nicht vorliegenden - Fall, in dem ein Verfahren an ein anderes Gericht verwiesen wird, und kann zudem bei der Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren generell nicht angewandt werden (vgl. Senatsbeschl. v. 22.10.2008 - 4 OB 309/08 -; Kopp/ Schenke, a.a.O., Anh § 41 Rdnr. 37 m.w.N.). Auch können die außergerichtlichen Kosten nicht gemäß § 21 GKG wegen einer (eventuellen) unrichtigen Sachbehandlung der Staatskasse auferlegt werden. Denn nach ihrem Wortlaut eröffnet diese Bestimmung dem Gericht nur die Möglichkeit, bei unrichtiger Sachbehandlung von der Erhebung gerichtlicher Kosten abzusehen, die hier wegen der Gerichtskostenfreiheit nach§ 188 VwGO nicht anfallen. Eine analoge Anwendung des § 21 GKG auf außergerichtlichen Kosten kommt nicht in Betracht, da es sich bei dieser Vorschrift bereits um eine Ausnahmeregelung handelt, die eine erweiternde Auslegung nicht zulässt (vgl. Senatsbeschl. v. 11.7.2006 - 4 OB 171/06 - m.w.N.).

8

Die weitere Beschwerde ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe im Sinne des § 17a Abs. 4 Satz 5 GVG nicht vorliegen. Damit ist dieser Beschluss unanfechtbar (§ 17a Abs. 4 Satz 4 GVG).