Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 24.06.2011, Az.: 4 OB 132/11
Notwendigkeit einer förmlichen Entscheidung für die Fortführung des Verfahrens nach Erhebung einer zulässigen und begründeten Anhörungsrüge bzgl. Anordnung einer Ergänzungspflegschaft
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 24.06.2011
- Aktenzeichen
- 4 OB 132/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 25561
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2011:0624.4OB132.11.0A
Rechtsgrundlagen
- § 152a Abs. 5 S. 4 VwGO
- § 343 ZPO
- § 1697 BGB
- § 1909 BGB
- § 40 Abs. 1 FamFG
Fundstellen
- DVBl 2011, 1376
- DÖV 2011, 904
- FamFR 2011, 452
- FamRZ 2012, 42
- FamRZ 2012, 1313-1314
- JAmt 2012, 46-47
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Eine zulässige und begründete Anhörungsrüge führt zur Fortführung des Verfahrens, ohne dass es insoweit einer förmlichen Entscheidung bedarf. Stimmt die wegen der Fortführung des Verfahrens erneut zu treffende Entscheidung mit der (früheren) Entscheidung überein, so ist gemäß § 152 a Abs. 5 Satz 4 VwGO i.V.m. § 343 ZPO auszusprechen, dass die (frühere) Entscheidung aufrechtzuerhalten ist.
- 2.
Die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft nach den §§ 1697, 1909 BGB bedarf gemäß 40 Abs. 1 FamFG für ihre Wirksamkeit der Bekanntgabe an die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern bzw. an den allein sorgeberechtigten Elternteil (vgl. Senatsbeschl. v. 5.5.2011 - 4 OB 117/11 -).
Gründe
Die von dem Beklagten erhobene Anhörungsrüge ist zulässig und begründet, so dass das Verfahren fortzuführen ist (vgl. § 152 a Abs. 5 Satz 1 VwGO). Zu Recht rügt der Beklagte, dass der Senat mit seinem Beschluss vom 5. Mai 2011 - 4 OB 117/11 - vor Ablauf der mit gerichtlicher Verfügung vom 20. April 2011 eingeräumten zweiwöchigen Stellungnahmefrist zu der Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 5. April 2011 - 4 A 20/11 - entschieden und damit seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat. Das Verfahren ist daher fortzuführen, ohne dass es insoweit einer förmlichen Entscheidung des Senats bedarf (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 152 a Rn. 32; Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl. § 152 a Rn. 14).
Die Stellungnahme des Beklagten zu der Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 5. April 2011 und die mit der Anhörungsrüge vorgebrachten Einwände gegen den Senatsbeschluss vom 5. Mai 2011 rechtfertigen eine Aufhebung der Entscheidung des Senats indessen nicht. Die wegen der Fortführung des Verfahrens erneut zu treffende Entscheidung des Senats über die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts stimmt daher mit der (früheren) Senatsentscheidung überein, so dass gemäߧ 152 a Abs. 5 Satz 4 VwGO i.V.m. § 343 ZPO auszusprechen ist, dass der Senatsbeschluss vom 5. Mai 2011 aufrechtzuerhalten ist.
Wie bereits in dem Senatsbeschluss vom 5. Mai 2011 ausgeführt, handelt es sich bei der von der Klägerin begehrten Feststellung, dass die Abholung der Klägerin von der Schule durch Mitarbeiter des Jugendamts des Beklagten am 28. Januar 2011 rechtswidrig gewesen ist, um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit, für die gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Der Beklagte kann dem nicht mit Erfolg entgegenhalten, dass die Mitarbeiter des Jugendamts in Ausübung des dem Amt mit Beschluss des Amtsgerichts B. vom 28. Januar 2011 übertragenen Aufenthaltsbestimmungsrechts gehandelt hätten und deshalb eine in die Zuständigkeit des Vormundschaftsgerichts fallende Angelegenheit vorliege. Denn der Beschluss des Amtsgerichts ist zum Zeitpunkt der Abholung der Klägerin noch nicht wirksam gewesen, so dass die Mitarbeiter des Beklagten objektiv nicht in Ausübung des dem Jugendamt übertragenen Aufenthaltsbestimmungsrechts gehandelt haben.
Gemäß § 40 Abs. 1 FamFG wird ein Beschluss in Verfahren in Familiensachen wirksam mit der Bekanntgabe an den Beteiligten, für den er seinem wesentlichen Inhalt nach bestimmt ist. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist die Wirksamkeit der mit Beschluss des Amtsgerichts vom 28. Januar 2011 erfolgten Übertragung der im Tenor aufgeführten personensorgerechtlichen Befugnisse auf das Jugendamt nicht getrennt von der Wirksamkeit des ebenfalls in dem Beschluss ausgesprochenen Entzugs dieser bis dahin der Mutter der Klägerin zustehenden Befugnisse eingetreten. Auch wenn, worauf der Beklagte zutreffend hingewiesen hat, zwischen den Verfahren, die die elterliche Sorge betreffen (§ 151 Nr. 1 FamFG), und den Verfahren, die die Pflegschaft betreffen (§ 151 Nr. 5 FamFG), zu unterscheiden ist, ist vorliegend zu berücksichtigen, dass das Amtsgericht diese Verfahren verbunden und in einem Akt über den (teilweisen) Entzug der Personensorge und die Übertragung der entzogenen Befugnisse auf das Jugendamt entschieden hat. Nach dem Inhalt des Beschlusses sind die im Tenor aufgeführten personensorgerechtlichen Befugnisse der Mutter der Klägerin entzogen und auf das Jugendamt als Pfleger übertragen worden. Der Entzug der Befugnisse ist demnach für ihre Übertragung an das Jugendamt Voraussetzung gewesen. Dass mit dem (teilweisen) Entzug der Personensorge in die Rechte der Mutter der Klägerin eingegriffen wird und dieser daher erst mit der Bekanntgabe ihr gegenüber wirksam wird, liegt auf der Hand und bedarf keiner näheren Begründung. Folglich ist auch die nach dem Regelungsgehalt des Beschlusses mit dem (gleichzeitigen) Entzug dieser Befugnisse untrennbar verbundene Übertragung der personenrechtlichen Befugnisse auf das Jugendamt der Mutter der Klägerin bekanntzugeben gewesen, damit diese wirksam wird.
Im Übrigen wäre die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts zum Zeitpunkt der Abholung der Klägerin von der Schule gegen 9.00 Uhr auch dann nicht wirksam gewesen, wenn man entgegen der vorstehenden Ausführungen mit dem Beklagten davon ausginge, dass der Beschluss des Amtsgerichts vom 28. Januar 2011 mit dem (teilweisen) Entzug der Personensorge und der Übertragung der personenrechtlichen Befugnisse auf das Jugendamt zwei selbständige Regelungen enthielte, deren Wirksamkeit getrennt voneinander zu beurteilen seien. Dieses ergibt sich aus Folgendem:
Die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft nach den §§ 1697, 1909 BGB bedarf für ihre Wirksamkeit der Bekanntgabe an die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern bzw. an den allein sorgeberechtigten Elternteil (so ausdrücklich die von dem Senat bereits in seinem Beschluss vom 5. Mai 2011 in Bezug genommene Kommentierung von Meyer-Holz in Keidel, FamFG, 16. Aufl., § 40 Rn 22). Denn die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft führt gemäߧ 1630 Abs. 1 BGB zu einer Einschränkung der Rechte des Sorgeberechtigten, soweit ihm die Befugnisse der elterlichen Sorge nach den§§ 1626 ff. BGB nicht bereits entzogen worden sind. Der mit Beschluss des Amtsgerichts vom 28. Januar 2011 erfolgte (teilweise) Entzug personensorgerechtlicher Befugnisse ist gegenüber der Mutter der Klägerin erst gegen 12.30 Uhr wirksam geworden, da erst zu diesem Zeitpunkt die gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 FamFG erforderliche Zustellung des Beschlusses an die damalige Verfahrensbevollmächtigte der Mutter der Klägerin in dem Sorgerechtsverfahren erfolgt ist. Der sinngemäße Einwand des Beklagten, dass sich die Klägerin wegen eines technischen Defektes des Faxgerätes der damaligen Verfahrensbevollmächtigten nicht auf einen verspäteten Zugang berufen könne, ändert daran nichts. Unabhängig davon, dass bereits keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die fehlgeschlagene Übersendung des Beschlusses per Fax tatsächlich auf Umstände zurückzuführen ist, die in der Sphäre der damaligen Verfahrensbevollmächtigten gelegen haben, diente die hier erfolgte Übersendung des Beschlusses per Fax durch die Geschäftsstelle des Amtsgerichts ersichtlich nicht einer den Maßgaben des § 174 Abs. 2 ZPO genügenden förmlichen Zustellung, sondern erfolgte lediglich zur Information der Beteiligten vorab. Für die hier erforderliche Bekanntgabe des Beschlusses durch förmliche Zustellung ist es daher ohne Belang, aus welchen Gründen die Übersendung per Fax gescheitert ist. Folglich ist die Mutter der Klägerin zum Zeitpunkt der Abholung der Klägerin von der Schule gegen 9.00 Uhr noch (uneingeschränkt) personensorgeberechtigt gewesen, so dass die Anordnung der Ergänzungspflegschaft und damit auch die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts als Teil des Personensorgerechts zu diesem Zeitpunkt mangels förmlicher Bekanntgabe des Beschlusses gegenüber der Mutter der Klägerin selbst dann nicht wirksam gewesen wäre, wenn man in der in dem Beschluss des Amtsgerichts angeordneten Übertragung der personenrechtlichen Befugnisse auf das Jugendamt eine eigenständige, von dem gleichzeitig angeordneten Entzug der Befugnisse zu trennende Regelung erblicken würde.
Soweit der Beklagte mit seiner Anhörungsrüge geltend gemacht hat, dass eine Ergänzungspflegschaft auch dann wirksam sei, wenn die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die Anordnung nicht vorgelegen haben oder Verfahrensfehler vorliegen, verfängt dieses ebenfalls nicht. Denn für die hier entscheidende Frage der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs ist nicht entscheidend, inwieweit Handlungen eines nicht rechtmäßig bestellten Ergänzungspflegers wirksam sind, sondern zu welchem Zeitpunkt die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf das Jugendamt des Beklagten mit Beschluss vom 28. Januar 2011 wirksam geworden ist und ob die Mitarbeiter des Jugendamtes des Beklagten in Ausübung des ihm übertragenen Aufenthaltsbestimmungsrechts gehandelt haben.
Schließlich ist entgegen der Auffassung des Beklagten die Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg wirksam erhoben worden. Insbesondere sind die Prozessbevollmächtigten der Klägerin vertretungsbefugt gewesen. Zwar stehen nunmehr, nachdem die erforderliche förmliche Zustellung des Beschlusses des Amtsgerichts mittlerweile erfolgt ist, das Recht der Aufenthaltsbestimmung und damit verbunden auch das Vertretungsrecht gemäß den §§ 1629 Abs. 1 Satz 1, 1630 Abs. 1 BGB ausschließlich dem Jugendamt des Beklagten als Ergänzungspfleger zu. Die von der Klägerin (nunmehr) begehrte Feststellung der Rechtswidrigkeit der Abholung am 28. Januar 2011 bezieht sich jedoch objektiv auf eine Handlung, die - wie dargelegt - nicht in Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts erfolgt ist. Da die Vertretungsbefugnis der Mutter der Klägerin nur in den in dem Beschluss vom 28. Januar 2011 genannten Bereichen der Personensorge nicht mehr besteht und das Recht zur Vertretung des Kindes in anderen Angelegenheiten fortbesteht, konnte die Mutter der Klägerin als deren Vertreterin den Prozessbevollmächtigten wirksam Prozessvollmacht erteilen. Folglich konnten diese die Klägerin sowohl in dem erstinstanzlichen als auch in dem Beschwerdeverfahren wirksam als Prozessbevollmächtigte vertreten. Die Erklärung des Beklagten, die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten durch die Mutter der Klägerin nicht zu genehmigen und das erteilte Mandat zu entziehen, geht mithin ins Leere.