Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.02.2014, Az.: 5 LA 204/13

Entschädigung und Schadenersatz bei Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot wegen Verweigerung der Zahlung des Familienzuschlags für eine verpartnerte Beamtin

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
25.02.2014
Aktenzeichen
5 LA 204/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 11244
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2014:0225.5LA204.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade - 11.04.2013 - AZ: 3 A 756/11

Fundstellen

  • DÖD 2014, 120-122
  • NZA-RR 2014, 329-331
  • NdsVBl 2014, 228-229

Redaktioneller Leitsatz

Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Juni 2012 (2 BvR 1397/09) ist es im Hinblick auf den Anspruch eines Beamten auf Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG zweifelhaft, ob dem Dienstherrn die diskriminierende Wirkung eines Gesetzes – hier des § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG – zugerechnet werden kann. Das gilt erst recht, soweit der materielle Schaden des Beamten durch die rückwirkende Angleichung an die höhere Besoldung durch Zahlung des Familienzuschlags vollständig ausgeglichen worden ist.

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 3. Kammer - vom 11. April 2013 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 4.027,16 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe eines Monatsentgelts von 4.027,16 EUR.

Sie ist Studienrätin (Besoldungsgruppe A 13) und mit der Klägerin des Parallelverfahrens 5 LA 203/13 seit dem 1. Februar 20 nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz verpartnert. Im Jahr 20 begehrte sie, ihr rückwirkend ab dem 1. Februar 20 den Familienzuschlag der Stufe 1 zu gewähren. Im Verlaufe des diesbezüglichen Klageverfahrens beim Verwaltungsgericht Stade (3 A 1161/10) stellte die Beklagte die Klägerin unter Hinweis auf die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Oktober 2010 (- BVerwG 2 C 10.09 und 2 C 21.09 -, [...]), den Runderlass des Niedersächsischen Finanzministeriums vom 30. März 2011 (Nds. MBl. S. 277), den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Juni 2012 (- 2 BvR 1397/09 -, [...]) und den Runderlasses des Niedersächsischen Finanzministeriums vom 23. August 2012 (Nds. MBl. S. 681) entsprechend dem Antrag der Klägerin klaglos.

Parallel zu diesem Verfahren beantragte die Klägerin mit Schreiben vom 21. Oktober 20 bei der Beklagten, ihr Schadensersatz und Entschädigung auf der Grundlage des § 15 AGG zu gewähren mit der Begründung, die Verweigerung des begehrten Familienzuschlags stelle sich als ein an die sexuelle Orientierung anknüpfender Verstoß gegen die §§ 1 und 7 AGG dar. Nach erfolglosem Widerspruch hat die Klägerin mit ihrer Klage ihren Anspruch auf Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG in Höhe eines Monatsgehalts weiterverfolgt. Das Verwaltungsgericht hat einen solchen Anspruch mit dem angefochtenen Urteil abgelehnt. Hiergegen richtet sich der Zulassungsantrag der Klägerin.

II.

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.

Es bestehen im Ergebnis keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Die Klägerin kann von der Beklagten keine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verlangen.

Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG kann der Beschäftigte wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Der Entschädigungsanspruch setzt einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot gemäß § 7 Abs. 1 i. V. m. § 1 AGG voraus. Da für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG die Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erforderlich ist, muss ein Kausalzusammenhang vorliegen. Ein Kausalzusammenhang ist dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen oder mehrere der in § 1 AGG genannten Gründe anknüpft oder dadurch motiviert ist (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 32). Ausreichend ist, dass ein in § 1 AGG genannter Grund Bestandteil eines Motivbündels ist, welches die Entscheidung beeinflusst hat (BAG, Urteil vom 28.4.2011 - 8 AZR 515/10 -, [...] Rn. 32).

1. Dies zugrunde gelegt, vermag der Senat allerdings der Einschätzung des Verwaltungsgerichts nicht zu folgen, wonach es an einer Kausalität zwischen dem Merkmal der sexuellen Orientierung der Klägerin und der Nichtzahlung des Familienzuschlags gefehlt habe, weil die Zahlung des Familienzuschlags der Stufe 1 nicht aufgrund der sexuellen Identität der Klägerin unterblieben sei, sondern weil die Klägerin zum damaligen Zeitpunkt die Voraussetzungen der vorhandenen gesetzlichen Regelungen (weil sie nicht verheiratet ist) nicht erfüllt habe. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 19. Juni 2012 (- 2 BvR 1397/09 -, [...] Rn. 62) festgestellt, dass die Ungleichbehandlung von verheirateten und in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebenden Beamten durch die Regelung des § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG eine am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu messende mittelbare Ungleichbehandlung wegen der sexuellen Orientierung darstelle. Es hat hierzu weiter ausgeführt (a. a. O., Rn. 63):

"Zwar richtet sich die Gewährung beziehungsweise Nichtgewährung des Familienzuschlags nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG nicht ausdrücklich nach der sexuellen Orientierung, sondern nach dem Familienstand des jeweiligen Beamten. Mittelbar wird damit jedoch an die sexuelle Orientierung angeknüpft. Denn auch wenn der das Differenzierungskriterium für die Gewährung des Familienzuschlags bildende Familienstand den betroffenen Beamten unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung zugänglich ist, ist doch die Entscheidung des Einzelnen für eine Ehe oder eine eingetragene Lebenspartnerschaft kaum trennbar mit seiner sexuellen Orientierung verbunden (vgl. BVerfGE 124, 199 [BVerfG 07.07.2009 - 1 BvR 1164/07] <221>; 126, 400 <419>). Gesetzliche Bestimmungen, die die Rechte eingetragener Lebenspartner regeln, erfassen typischerweise homosexuelle Menschen, während solche, die die Rechte von Ehegatten regeln, typischerweise heterosexuelle Menschen erfassen (vgl. BVerfGE 124, 199 [BVerfG 07.07.2009 - 1 BvR 1164/07] <221 f.>; 126, 400 <419>; BVerfGK 12, 169 <176>)."

Lag demnach bei der Ablehnung eines Anspruchs auf Gewährung des Familienzuschlags der Stufe 1 bei verpartnerten Beamten eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der sexuellen Orientierung vor, folgt hieraus zugleich, dass verpartnerte Beamte wie die Klägerin bei der Anwendung damaligen Rechts zumindest mittelbar wegen ihrer sexuellen Orientierung benachteiligt im Sinne von § 1 AGG (vgl. auch § 3 Abs. 2 AGG) worden sind und damit eine Kausalität im o. g. Sinne gegeben war.

2. Es ist allerdings zweifelhaft, ob damit bereits die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG vorliegen.

Es kann hier Einiges dafür sprechen, dass der Beklagten die diskriminierende Wirkung des von ihr anzuwendenden Gesetzes nicht zugerechnet werden kann. Denn sie war gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an das Gesetz gebunden. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach eine unmittelbare Anwendung des Art. 2 Abs. 1 und 2a der Richtlinie 2000/78 EG für die Beklagte nicht in Betracht kam, und verweist zur Begründung auf die diesbezüglichen Ausführungen in dem angefochtenen Urteil (S. 7 bis 9). Zu diesem Spannungsverhältnis, insbesondere zu einer Zurechenbarkeit in einem solchen Falle, äußert sich das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das gemäß § 24 Nr. 1 AGG u. a. entsprechend für Beamte der Länder unter Berücksichtigung ihrer besonderen Rechtsstellung gilt, aber nicht. Nach § 3 Abs. 5 AGG gilt die Anweisung zur Benachteiligung einer Person aus einem in § 1 AGG genannten Grund als Benachteiligung. Eine solche Anweisung kann auch durch die Normen eines Tarifvertrags folgen. Im Falle einer solchen Anweisung haften bei beidseitiger Tarifgebundenheit Arbeitgeber und Verband gesamtschuldnerisch über § 426 BGB (vgl. Adomeit/ Mohr, AGG, 2. Aufl. 2011, § 3 Rn. 267). Hieraus kann jedoch nicht auf eine Zurechenbarkeit zu Lasten der Beklagten geschlossen werden, zumal die Bindung eines Arbeitgebers an einen Tarifvertrag nicht mit der Gesetzesbindung des Art. 20 Abs. 3 GG vergleichbar sein dürfte.

Dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz kann zwar weiter entnommen werden, dass ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG kein Verschulden des Arbeitgebers voraussetzt (vgl. BAG, Urteil vom 22.1.2009 - 8 AZR 906/07 -, [...] Rn. 67), zur Frage der Zurechenbarkeit der diskriminierenden Wirkung eines Gesetzes verhält sich diese Vorschrift jedoch nicht. Im Übrigen hat der Gesetzgeber in § 15 Abs. 3 AGG ein Haftungsprivileg für den Arbeitgeber bei der Anwendung von Kollektivvereinbarungen vorgesehen. In dieser Vorschrift ist geregelt, dass der Arbeitgeber bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet ist, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig handelt. Der Gesetzgeber hat hierzu ausgeführt, die vermutete "höhere Richtigkeitsgewähr" rechtfertige es, die Rechtsfolgen benachteiligender kollektiver Regelungen anders auszugestalten als bei Maßnahmen, für die der Arbeitgeber allein verantwortlich sei (BT-Drucks. 16/1780, S. 38). Diesem Ansinnen des Gesetzgebers folgend müsste dann aber ein entsprechendes Haftungsprivileg erst recht in einem Fall wie dem vorliegenden gelten, in dem der Arbeitgeber bzw. die Beklagte Gesetzesvorschriften anwendet. Ob § 15 Abs. 3 AGG allerdings mit Blick auf die Verschuldensunabhängigkeit des Entschädigungsanspruchs europarechtswidrig ist und ob diese Vorschrift angewandt werden darf, ist streitig (vgl. hierzu Adomeit/Mohr, § 15 Abs. 88 Fn. 372) und vom Bundesarbeitsgericht offengelassen worden (vgl. BAG, Urteil vom 22.1.2009, a. a. O., [...] Rn. 68).

Zweifelhaft ist hier auch, ob überhaupt ein immaterieller Schaden im Sinne des § 15 Abs. 2 AGG bejaht werden kann. Das Bundesarbeitsgericht hat es in seinem Urteil vom 22. Januar 2009 (a. a. O., [...] Rn. 77) offen gelassen, ob in bestimmten Ausnahmefällen ein immaterieller Schaden und damit ein Entschädigungsanspruch zu verneinen ist, wenn die Benachteiligung so geringe Auswirkungen hat, dass die Zahlung einer Entschädigung nicht mehr in einem angemessenen Verhältnis zu der Benachteiligung steht. Bejahte man eine solche "Erheblichkeitsschwelle", dürfte diese hier nicht erreicht sein. Denn die Beeinträchtigung lag allein in dem Umstand, dass die Klägerin als verpartnerte Beamtin eine geringere Besoldung erhalten hatte als verheiratete Beamte. Die Klägerin hat die begehrte Besoldung rückwirkend in vollem Umfang erhalten. Bislang wurde Arbeitnehmern bei Entgeltdiskriminierungen ausschließlich ein Anspruch auf Ersatz der Entgeltdifferenz zugesprochen ("Angleichung nach oben"; Adomeit/Mohr, AGG, a. a. O., § 15 Rn. 52 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 8.4.1976 - Rs 43/75 -, NJW 1976, 2068 ff.).

Letztlich bedürfen die aufgeworfenen Zweifel aus dem unten unter Ziffer 3. dargelegten Grund aber keiner abschließenden Klärung.

3. Denn selbst wenn man unter Zurückstellung der oben aufgezeigten Bedenken annimmt, die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG lägen grundsätzlich vor, kann die Klägerin gleichwohl keine Entschädigung verlangen, weil der Senat hier der Höhe nach keine Entschädigung für angemessen hält.

Bei der Entscheidung der Frage, welche Entschädigung angemessen im Sinne von § 15 Abs. 2 AGG ist, besteht für Gerichte ein Beurteilungsspielraum, innerhalb dessen sie die Besonderheiten jedes einzelnen Falles zu berücksichtigen haben (BT-Drucks. 16/1780, S. 38). Zu diesen zählen etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns, der Grad der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers, etwa geleistete Wiedergutmachung oder erhaltene Genugtuung und das Vorliegen eines Wiederholungsfalles. Ferner ist der Sanktionszweck der Norm zu berücksichtigen, so dass die Höhe auch danach zu bemessen ist, was zur Erzielung einer abschreckenden Wirkung erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass die Entschädigung geeignet sein muss, eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber zu haben und in jedem Fall in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen muss (BVerwG, Urteil vom 22.1.2009, a. a. O., Rn. 82).

Gemessen hieran liegen hier entschädigungsmindernde Umstände vor, die es rechtfertigen, im vorliegenden Fall keine Entschädigungssumme für angemessen zu halten.

Es ist entschädigungsmindernd zu berücksichtigen, dass durch die rückwirkende Angleichung an die höhere Besoldung durch Zahlung des Familienzuschlags ein etwaiger materieller Schaden ausgeglichen worden ist.

Ferner kann eine Verantwortlichkeit der Beklagten, die gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden ist, nicht festgestellt werden. Insoweit wird wiederum auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Urteil auf den Seiten 7 bis 9 Bezug genommen, die sich der Senat zu Eigen macht. Die Beklagte hatte zudem mit Schreiben vom 27. Februar 20 und 27. November 20 wegen einer fehlenden gesetzlichen Grundlage und einer geplanten Änderung des Niedersächsischen Besoldungsgesetzes das Antragsverfahren ausgesetzt. Damit hat die Beklagte zu erkennen gegeben, dass sie eine Verletzung der Rechte der Klägerin vermeiden wollte.

Zudem ist zu berücksichtigen, dass hier die Beeinträchtigung allein in dem Umstand lag, dass die Klägerin eine geringere Besoldung erhalten hat als andere Beamte. Die unterschiedliche Behandlung zeigte sich somit nicht während des Dienstes, sondern nur in der Bezügeabrechnung. In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass es sich nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts nur um eine mittelbare Ungleichbehandlung gehandelt hat.

Schließlich ist hier eine ausreichende Sanktion durch die rückwirkende Zahlung des Familienzuschlags gewährleistet. Die rückwirkende Zahlung des Familienzuschlags und das damit aufgezeigte erhebliche finanzielle Risiko bieten dem Dienstherrn bzw. dem Gesetzgeber einen hinreichenden Anreiz zu einem dem Entgeltgleichheitsgebot konformen Verhalten (vgl. hierzu auch Adomeit/ Mohr, a. a. O., § 15 Rn. 44). Einer weiteren abschreckenden Wirkung bedarf es nicht.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).