Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.02.2014, Az.: 2 PA 11/14
Eintritt der Entscheidungsreife für einen im Zusammenhang mit einem Eilantrag auf Zulassung zum Studium gestellten Prozesskostenhilfeantrag
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 07.02.2014
- Aktenzeichen
- 2 PA 11/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 11224
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2014:0207.2PA11.14.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 19.12.2013 - AZ: 12 C 6357/13
Rechtsgrundlagen
- § 166 VwGO
- § 114 S. 1 ZPO
Fundstellen
- NVwZ-RR 2014, 6
- NVwZ-RR 2014, 664
Amtlicher Leitsatz
- 1)
Für einen Prozesskostenhilfeantrag, der im Zusammenhang mit einem Eilantrag auf Zulassung zum Studium gestellt wird, tritt die Entscheidungsreife regelmäßig nicht vor der Ermöglichung einer Einsichtnahme in die Kapazitätsberechnungen der Hochschule ein.
- 2)
Vor Bereitstellung dieser Kapazitätsberechnungen kann eine auf die Darlegung hinreichender Erfolgsaussichten abzielende substanzielle Begründung von Eil und Prozesskostenhilfeantrag mangels anderer Informationsmöglichkeiten regelmäßig nicht erwartet werden, soweit nicht etwa Einwände betroffen sind, die schon wiederholt Gegenstand veröffentlichter gerichtlicher Entscheidungen zu früheren Semestern des fraglichen Studienganges waren.
- 3)
Erledigt sich der Eilantrag bereits vor Entscheidungsreife des PKH Antrags durch innerkapazitäres Nachrücken, kann Prozesskostenhilfe nicht ohne Weiteres mangels ausreichender Begründung von Eil und Prozesskostenhilfeantrag versagt werden, wenn die Entscheidungsreife aus Gründen noch nicht eingetreten war, die jedenfalls nicht in der Sphäre des Rechtsschutzsuchenden lagen.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 12. Kammer - vom 19. Dezember 2013 geändert.
Der Antragstellerin wird für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe bewilligt; Rechtsanwalt Guhl aus Bremen wird beigeordnet.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtbewilligung von Prozesskostenhilfe im Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 19. Dezember 2013 ist begründet, denn es bestand im maßgeblichen Zeitpunkt nach § 166 VwGO i. V. m. § 114 Satz 1 ZPO "hinreichende Aussicht auf Erfolg".
Prozesskostenhilfe dient dazu, einem Beteiligten ohne zureichendes Einkommen und Vermögen eine beabsichtigte Rechtsverfolgung zu ermöglichen. Die Bezugnahme auf eine "beabsichtigte" Rechtsverfolgung zeigt dabei, dass es zumindest im Regelfall um die Förderung einer konkreten, in der vom Prozesskostenhilfegesuch erfassten Instanz noch nicht abgeschlossenen Rechtsstreitigkeit gehen muss; denn die Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat nicht die Aufgabe, finanziell bedürftige Personen für prozessbedingte Kosten bzw. dafür eingegangene Verpflichtungen nachträglich zu entschädigen. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe kommt daher grundsätzlich nicht mehr in Betracht, wenn die zugrundeliegende kostenverursachende Instanz bereits abgeschlossen ist, also nichts mehr gefördert werden kann. Etwas anderes gilt ausnahmsweise, wenn der Prozesskostenhilfeantrag vor Abschluss des Verfahrens bereits entscheidungsreif war und Billigkeitsgründe für eine rückwirkende Bewilligung vorliegen (z. B. OVG Münster, Beschl. v. 9.3.2012 - 18 E 1326/11 -, [...], mwN.; vgl. ferner BGH, Beschl. v. 7.3.2012 - XII ZB 391/10 -, NJW 2012, 1964). Eine Beschwerde gegen die Ablehnung eines Prozesskostenhilfeantrags in einem erstinstanzlichen Erledigungsbeschluss kann aber auch dann erhoben werden, wenn die Entscheidungsreife für den Prozesskostenhilfeantrag zuvor aus Gründen nicht eingetreten war, die nicht in der Sphäre des Rechtsschutzsuchenden lagen (Senatsbeschl. v. 30.10.2012 - 2 PA 335/12 -, NVwZ-RR 2013, 245).
So liegt der Fall hier. Entscheidungsreife liegt in der Regel vor, wenn die vollständigen Prozesskostenhilfeunterlagen vorgelegt sind und die Gegenseite angemessene Frist zur Stellungnahme hatte (vgl. BVerwG, Beschl. v. 12.9.2007 - 10 C 39.07 -, AuAS 2008, 11; vgl. auch OVG Münster, Beschl. v. 18.3.2011 - 13 E 237/11 -, [...]). Im Hochschulzulassungsrecht kann allerdings Anlass bestehen, der Antragstellerseite nach Eingang der Antragserwiderung noch weitere Gelegenheit zur Antragsbegründung einzuräumen, bevor Entscheidungsreife angenommen wird. Denn vielfach kann sie erst zu diesem Zeitpunkt Einsicht in die Kapazitätsberechnungen erlangen. Anders als in "klassischen" Verwaltungsverfahren, in denen bereits im Widerspruchsverfahren durch Akteneinsicht und den Austausch der gegenläufigen Meinungen eine rechtliche Vorklärung erfolgte, hat sie bis dahin regelmäßig nur Ablehnungsbescheide in Händen, die sich zu Details der Kapazitätsberechnung nicht verhalten. Sowohl in einem isolierten Prozesskostenhilfeverfahren (vgl. zu den dortigen Begründungsanforderungen Senatsbeschl. v. 16.6.2009 - 2 NB 67/09 -, NVwZ-RR 2009, 784) als auch bei einem bloß begleitenden Prozesskostenhilfeantrag kann der Prozesskostenhilfeantragsteller in der Praxis deshalb frühestens ab diesem Verfahrensstadium substanzielle Hinweise darauf geben, aus welchen Gesichtspunkten er seine Erfolgsaussichten herleitet. Ihm muss in diesen Fällen daher genügend Zeit für eine Äußerung eingeräumt werden, bevor Entscheidungsreife angenommen wird (vgl. Senatsbeschl. v. 23.1.2013 - 2 PA 387/12 -, [...]).
Hier hatte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 21. Oktober 2013 unter Beifügung entsprechender Anlagen die Erklärung über ihre wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse vorgelegt, die vom Verwaltungsgericht nicht als unzureichend beanstandet worden ist. Zu einer - über die generalisierende Anführung möglicher Fehler im Kapazitätsberechnungsverfahren hinausgehenden - detaillierten Begründung ihres Eilantrags war sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Lage. Dem Ablehnungsbescheid vom 16. August 2013 konnte sie nur entnehmen, dass sie nach den Kriterien Gesamtnote und Wartezeit nicht berücksichtigt worden war. Immerhin enthielt der Bescheid den "wichtigen Hinweis", dass sie automatisch an einem eventuell stattfindenden Nachrückverfahren teilnehme; fall sie dies nicht wünsche, solle sie es mitteilen. Dem durfte sie bei unbefangener Betrachtungsweise entnehmen, dass sie bereits innerkapazitär keinen aussichtlosen Rangplatz innegehabt hatte, sondern eine "zulassungsnahe" Qualifikation aufwies. Sollte es sich dabei um Formulierungen gehandelt haben, die die Antragsgegnerin ohne Rücksicht auf die Rangsituation in jedem Ablehnungsbescheid verwendet, waren die dadurch möglicherweise mitbedingten falschen Vorstellungen der Antragstellerin ihr jedenfalls nicht anzulasten. Im Übrigen hat ihr tatsächliches Nachrücken jedenfalls für den Teilstudiengang Sachunterricht - dem der Erledigung zugrunde liegenden Ereignis - im Nachhinein bestätigt, dass ihre Bewerbung nicht von vornherein aussichtslos war. Jedenfalls dann, wenn auch die Vergabe außerkapazitär aufgedeckter Restkapazitäten nicht nach dem Losverfahren, sondern nach Maßgabe innerkapazitärer Vergaberegeln zu erfolgen hatte (vgl. zu dieser Möglichkeit BVerwG, Urt. v. 23.3.2011 - 6 CN 3.10 -, BVerwGE 139, 210 = NVwZ 2011, 1135), hatte sie damit auch eine günstige Ausgangsposition für ein gerichtliches Verfahren.
Eine weitere Substantiierung war ihr hiernach vor Einsicht in die Kapazitätsberechnungen, welche die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2013 vorlegte und die vom Verwaltungsgericht am 29. Oktober 2013 an den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin weitergeleitet wurden, nicht möglich. Zwar gibt es Studiengänge, für die durch veröffentlichte Entscheidungen des Senats und der Verwaltungsgerichte dokumentiert ist, dass jedes Semester bzw. jedes Jahr die gleichen oder doch sehr ähnliche Einwände gegen die jeweils fortgeschriebenen Kapazitätsberechnungen erhoben werden (etwa Medizin und Tiermedizin in Göttingen und Hannover); in diesen Fällen erwartet der Senat, dass auch ohne Kenntnis der aktuellen Kapazitätsberechnung jedenfalls solche - wiederholten - Einwände für den Prozesskostenhilfeantrag angemessen aufbereitet werden, die der Senat schon früher beschieden hatte. Um einen solchen Fall geht es hier jedoch nicht; für den hier streitigen Studiengang gibt es aus früheren Semestern jedenfalls keine Senatsentscheidungen und keine dem Senat bekannten veröffentlichten Entscheidungen des Verwaltungsgerichts.
Der Befund, dass die Antragstellerin ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vor Offenlegung der Kapazitätsberechnungen nicht näher begründen konnte, stellt entgegen dem Missverständnis der Antragsgegnerin keinen Hinweis auf behördliche "Säumnisse" dar. Dass die Kapazitätsberechnungen erst im gerichtlichen Verfahren vorgelegt werden, lässt sich angesichts der zeitlichen Strukturen der Zulassungsverfahren - auch mangels Zwischenschaltung eines Widerspruchsverfahrens - in der Regel nicht vermeiden. Das kann indes prozesskostenhilferechtlich nicht zu Lasten der Studierwilligen gehen, die ihrerseits keinen Einfluss auf die Gestaltung des Verfahrens haben. Ihnen wird vom Gesetzgeber und den Behörden angesonnen, ihre gerichtlichen Eilanträge praktisch "ins Blaue hinein" zu stellen, ohne die Erfolgsaussichten selbst verlässlich abschätzen zu können. Für ihre finanziellen Dispositionen ist - anders als für das Gericht - nicht der Zeitpunkt der Entscheidungsreife maßgeblich, sondern die (möglicherweise durch anwaltlichen Rechtsrat begleitete) Einschätzung der Situation vor Stellung des Eilantrages. Wird ihnen durch die - für sich genommen rationale - Verfahrensgestaltung jede Möglichkeit genommen, ihr Kostenrisiko abzuschätzen, kann dies dazu führen, dass ihr Zugang zu den Gerichten und die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verbürgte Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) unangemessen geschmälert werden. Jedenfalls bei Antragstellern, die nach dem Inhalt des Ablehnungsbescheids annehmen dürfen, dass sie eine "zulassungsnahe" Qualifikation aufweisen, bei denen die frühzeitige Verfahrenserledigung auf einem Erfolg im Nachrückverfahren beruht und die nicht aus Vorgängerverfahren bereits konkrete Hinweise auf die speziellen Kapazitätsprobleme gerade dieses Studienganges gewinnen und für eine nähere Darlegung ihrer Erfolgsaussicht auswerten konnten, kann deshalb Prozesskostenhilfe letztlich nicht versagt werden.
Die Entscheidung über die Beiordnung beruht auf § 166 VwGO i.V.m. § 121 Abs.1 ZPO.
Nach § 166 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO werden die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).