Landgericht Göttingen
Urt. v. 10.02.2003, Az.: 9 S 77/02

Abbiegen; Bremsen; Linksabbiegen; Mitverschulden; Traktor; Verkehrsunfall

Bibliographie

Gericht
LG Göttingen
Datum
10.02.2003
Aktenzeichen
9 S 77/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 47666
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG - 19.09.2002 - AZ: 4 C 53/02

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Herzberg am Harz vom 19.09.2002 - 4 C 53/02 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger als Gesamtschuldner 1.596,00 Euro nebst 4 % Zinsen auf 1.163,26 Euro seit dem 03.12.2001 bis zum 13.03.2002 und 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf 1.596,00 Euro seit dem 14.03.2002 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen der Kläger 2/3 und die Beklagten als Gesamtschuldner 1/3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Berufungsstreitwert: 4.788,00 Euro.

Gründe

I.

1

Wegen der erstinstanzlichen Feststellung wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

2

Mit seiner Berufung greift der Kläger die Beweiswürdigung des Amtsgerichts an und bezieht sich auf ein Ergänzungsgutachten des Sachverständigen H., das das Landgericht Göttingen in dem Parallelverfahren umgekehrten Rubrums 4 O 29/02 eingeholt hat.

II.

3

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Der Kläger kann von den Beklagten aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 823 Abs. 1, 847 BGB, 3 PflVG Zahlung von insgesamt 1.596,00 DM verlangen.

4

1. Durch die beiden Gutachten des Sachverständigen H. ist bewiesen, dass dem Beklagten zu 1. ein schuldhafter Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO zur Last fällt. Danach hat sich jeder Verkehrsteilnehmer so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt wird. Aus den Gutachten, die in jeder Beziehung nachvollziehbar und überzeugend sind, ergibt sich, dass der Beklagte zu 1. das Abbiegemanöver des Klägers abhängig von seiner eigenen Geschwindigkeit - wenigstens 67 km/h, höchstens 108 km/h - aus einer Entfernung von 40,3 beziehungsweise 86,3 m bemerken und hierauf durch Bremsen reagieren musste. Hätte der Beklagte zu 1. in diesem Moment durch eine Vollbremsung reagiert, so hätte er sein Fahrzeug - wie der Sachverständige H. im Zuge seiner mündlichen Anhörung durch die Kammer ausgeführt hat - auf eine Kollisionsgeschwindigkeit von ca. 10 km/h herunterbremsen können. Tatsächlich betrug die Aufprallgeschwindigkeit des Fahrzeugs des Beklagten zu 1. aber zwischen 40 und 50 km/h. Hieraus folgt, dass der Beklagte zu 1. entweder gar nicht oder doch jedenfalls nicht genügend gebremst hat. Damit stehen die Bekundungen der Zeugin I. im Einklang, die angegeben hat, nach ihrer Einschätzung habe der Beklagte zu 1. auf den abbiegenden Traktor des Klägers so gut wie gar nicht durch Bremsen reagiert.

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2. Das dargestellte schuldhafte Verhalten des Beklagten zu 1. ist für den Unfall mitursächlich geworden. Denn wie der Sachverständige H. ausgeführt hat, wäre der Aufprall des Fahrzeugs des Beklagten zu 1. auf dasjenige des Klägers weit weniger heftig gewesen, wenn der Beklagte zu 1. sofort heftig gebremst hätte. Es liegt auf der Hand, dass dann auch sowohl die körperlichen als auch die Schäden des Klägers an seinem Traktor weit weniger gravierend gewesen wären.

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3. Hingegen ist nicht bewiesen, dass der Beklagte zu 1. den Unfall gänzlich hätte vermeiden können. Selbst wenn man nicht nur auf die räumliche, sondern auch auf die zeitliche Vermeidbarkeit abstellt, hätte der Pkw des Beklagten zu 1. den Traktor des Klägers auch dann noch touchiert, wenn man in Rechnung stellt, dass sich das klägerische Fahrzeug bei stärkerer Bremsverzögerung des Fahrzeugs des Beklagten zu 1. noch weiter aus dem Kollisionsbereich entfernt hätte. Von dem Beklagten zu 1. kann nicht im Sinne eines Verschuldensvorwurfes verlangt werden, kurz vor der Kollision mit dem Fuß von der Bremse zu gehen, um sein Fahrzeug noch ein wenig nach links zu lenken, was den Zusammenstoß verhindert hätte. Denn ein mit normalen Fahrfähigkeiten ausgestatteter Kraftfahrer, an dessen Vermögen sich der Sorgfaltsmaßstab im Sinne des § 276 Abs. 2 BGB orientiert (vgl. dazu die Nachweise bei Palandt/Heinrichs, BGB, 62. Aufl., § 276 Rn 15 f.), wäre zu einem solchen Manöver nicht in der Lage gewesen; hierfür bedarf es - wie der Sachverständige erklärt hat - besonderer Fertigkeiten, die von dem Beklagten zu 1. nicht verlangt werden konnten.

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4. Der Kläger hat die Kollision jedoch schuldhaft mitverursacht (§ 254 BGB). Denn er ist nach links auf seine Wiese abgebogen, obwohl er zu diesem Zeitpunkt das ihm entgegenkommende Fahrzeug des Beklagten zu 1. ohne weiteres hätte bemerken können und müssen. Auch das ergibt sich im Einzelnen aus dem Gutachten des Sachverständigen H.. Damit hat der Kläger schuldhaft gegen § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO verstoßen und die Vorfahrt des Beklagten zu 1. verletzt.

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5. Die im Rahmen des § 254 Abs. 1 BGB vorzunehmende Abwägung der Verursachungsbeiträge führt zu dem Ergebnis, dass die Beklagten für nur 1/3 der Unfallfolgen einzutreten haben. Denn der Beklagte zu 1. war vorfahrtberechtigt, weswegen dem Kläger der gravierendere Vorwurf trifft. Andererseits aber hat sich in dem Unfall durch das unzureichende Bremsmanöver des Beklagten zu 1. mehr als nur die normale Betriebsgefahr seines Pkw niedergeschlagen.

9

6. Der materielle Schaden des Kläger beträgt unstreitig 3.509,77 Euro (Reparaturkosten 3.489,77 Euro, Kostenpauschale 20,00 Euro). 1/3 hiervon sind 1.169,92 Euro.

10

Darüber hinaus steht dem Kläger gemäß §§ 823 Abs. 1, 847 BGB ein Schmerzensgeld in Höhe von 426,08 Euro zu. Angesichts der Verletzungen des Klägers, deretwegen auf die Klagschrift Bezug genommen wird, und des den Kläger treffenden Mitverschuldens von 2/3 erscheint ein derartiges Schmerzensgeld als angemessen.

11

7. Der Zinsanspruch ist seit Rechtshängigkeit aus §§ 291, 288 BGB gerechtfertigt und für den Zeitraum davor aus §§ 849, 246 BGB, jedoch lediglich gerechnet auf den eigentlichen Sachschaden. Im Übrigen hat der Kläger einen früheren Zinsbeginn nicht dargelegt.

12

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

13

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst.