Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 25.01.2000, Az.: 1 K 510/97 Ki
Keine Berücksichtigung von Einkünften des Kindes nach Abschluss der Berufsausbildung
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 25.01.2000
- Aktenzeichen
- 1 K 510/97 Ki
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 35733
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2000:0125.1K510.97KI.0A
Rechtsgrundlagen
- EStG § 32 Abs. 4 Satz 2
- EStG § 32 Abs. 4 Satz 6 und 7
- EStG § 32 Abs. 4 Satz 6 und 7
Fundstelle
- DStRE 2000, 1081-1082 (Volltext mit amtl. LS)
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Bei der Ermittlung der Höhe der Kindeseinkünfte im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG sind nur die Einkünfte anzurechnen, die das Kind bis zum Abschluss seiner Berufsausbildung erzielt hat.
- 2.
Das Gesetz regelt nicht, welche Kindeseinkünfte anzurechnen sind, wenn die Berufsausbildung oder Arbeitslosigkeit während eines Kalendermonats endet und das Kind im Anschluss daran in dem selben Monat Einkünfte aus einer normalen Berufstätigkeit erzielt.
- 3.
Diese Regelungslücke ist unter Berücksichtigung von Systematik und Sinn und Zweck der Kindergeldregelung dergestalt zu schließen, dass nach Abschluss der Arbeitslosigkeit erwirtschaftete Einkünfte des Kindes nicht anzurechnen sind.
Tatbestand
Umstritten ist, ob die Klägerin (Kl.) Kindergeld zurückzahlen muss.Die Kl. - sie ist geschieden - hat vier Kinder, für sie in der Zeit vom 01.02. bis 30.09.1996 Kindergeld in folgender Höhe monatlich erhielt:
F | geb. 1977 | 200 DM |
---|---|---|
X | geb. | 200 DM |
Y | geb. | 300 DM |
Z | geb. | 350 DM |
1. 050 DM |
Bereits seit September 1992 hatte die Kl. Kindergeld für die 4 Kinder erhalten. Seit dem 01.08.1993 erlernte der älteste Sohn F den Beruf eines Lackierers. Mit Verfügung vom 23.08.1994 widerrief der Beklagte (Arbeitsamt AA) das Kindergeld für F mit Wirkung ab 01.08.1994, weil dieser ab August 1994 geringfügig zu viel verdiente. Am 21.08.1996 beantragte die Kl. erneut Kindergeld für F, nachdem sich der Grenzbetrag der unschädlichen eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes erhöht hatte. Durch Bescheid vom 23.08.1996 gewährte das AA erneut Kindergeld für F, jedoch wegen der Vorschrift des § 66 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) nur rückwirkend für 6 Monate, d.h. ab 01.02.1996.
Ende Juli 1996 beendete F seine Lehre. Vom 01.01.1996 bis zum Lehrabschluss hatte er eine Ausbildungsvergütung in Höhe von 7. 553 DM erhalten. Danach war er bis zum 03.09.1996 arbeitslos; für diese Zeit wurden ihm 1.001.60 DM Arbeitslosengeld gezahlt. Ab 04.09.1996 fand er einen Arbeitsplatz als Lackierer und verdiente im September 1996 2.935.37 DM.
Durch Bescheid vom 28.11.1996 widerrief das AA die Gewährung des Kindergeldes für F für das gesamte Jahr 1996 und forderte von der Kl. den für die Monate Februar bis September 1996 gezahlten Betrag in Höhe von 2. 800 DM (8 x 350 DM) zurück. Zur Begründung berief es sich auf § 32 Abs. 4 Satz 1 Ziff. 1 in Verbindung mit § 32 Abs. 4 Sätze 2, 6 und 7EStG. Dabei ging das AA davon aus, dass F für die Zeit bis Ende September 1996 ein berücksichtigungsfähiges Kind im Sinne von § 32 Abs. 4 Satz 1 Ziff. 1EStGwar mit der Folge, dass seine in dem Zeitraum vom 01.01. bis zum30.09.1996erzielten Einkünfte und Bezüge daraufhin geprüft werden müssten, ob sie den Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 Sätze 2, 6 und 7EStGüberschritten. Das AA kam zu dem Ergebnis, dass der Grenzbetrag überschritten sei. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf den Einspruchsbescheid vom 20.05.1997 Seite 4 (Bl. 100 Kindergeld-Akte) Bezug genommen. Es ist unstreitig, dass der Grenzbetrag überschritten ist, wenn man Fs Einkünfte aus seinem Arbeitsverhältnis im September 1996 einbezieht, unabhängig davon, ob man der Berechnung des AA in allen Einzelheiten folgt oder nicht. Den gegen den Rückforderungsbescheid eingelegte Einspruch wies das AA mit Einspruchsbescheid vom 20.05.1997 zurück.
Hiergegen richtet sich die Klage, mit der die Kl. jedoch nicht mehr Kindergeld für den Monat September 1996 geltend macht. Sie meint, es gehe nicht an, ihr das Kindergeld rückwirkend für die Monate Februar bis August 1996 zu versagen. Sie habe ihren Sohn tatsächlich bis Anfang September 1996 unterhalten und das Kindergeld sei verbraucht. Die Berechnung der eigenen Einkünfte und Bezüge von F sei fehlerhaft, weil zu Unrecht der im Monat September 1996 bezogene Arbeitslohn einbezogen worden sei.
Die Kl. beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
unter Änderung des Rückforderungsbescheides vom 28.11.1996 und des Einspruchsbescheides vom 20.05.1997 den Rückforderungsbetrag auf 350 DM herabzusetzen.
Das AA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es meint, nach dem Wortlaut des § 32 Abs. 4 EStG müsse bei der Berechnung des Grenzbetrages der Arbeitslohn für September einbezogen werden.
Im übrigen wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen und die vorgelegte Kindergeldakte Bezug genommen.
Gründe
Die Klage ist begründet.
Das AA hat die Kindergeldfestsetzung für die Monate Februar bis August 1996 zu Unrecht rückwirkend aufgehoben. Das ergibt sich aus Folgendem:
Nach §§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 und 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 aEStGin der für 1996 geltenden Fassung wird grundsätzlich für ein Kind, das - wie der Sohn F der Kl. - das 18., aber noch nicht das 21. Lebensjahr vollendet hat, Kindergeld bewilligt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird oder arbeitslos ist und der Arbeitsvermittlung im Inland zur Verfügung steht. Diese Voraussetzungen hat F bis 03.09.1996 erfüllt. Der Anspruch auf Kindergeld besteht gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG jedoch nur, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 12. 000 DM im Kalenderjahr hat. Für jeden Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung des Kindes nicht vorliegen, ermäßigt sich dieser Betrag um 1/12 ( § 32 Abs. 4 Satz 6 EStG ). Einkünfte und Bezüge, die auf diese Kalendermonate entfallen, bleiben außen Ansatz ( § 32 Abs. 4 Satz 7 EStG ). Nach § 66 Abs. 2 EStG wird das Kindergeld bis zum Ende des Monats gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfallen.
Danach hat die Kl. zumindest bis August 1996 Anspruch auf Kindergeld für ihren Sohn F. Der für die Zeit von Januar bis August 1996 geltende Grenzbetrag von 8. 000 DM (8/12 von 12. 000 DM) ist nicht überschritten. Der Grenzbetrag wäre auch dann nicht erreicht, wenn man bis zum 03.09.1996 rechnen würde. Nur dann, wenn man zusätzlich Fs Arbeitslohn für September aus seinem Beruf als Lackierer hinzurechnen würde, wäre der Grenzbetrag überschritten. Das ist jedoch nicht zulässig. Denn bei der Ermittlung der Höhe der Kindeseinkünfte sind nur die Einkünfte anzurechnen, die das Kind bis zum Abschluss seiner Berufsausbildung erzielt hat (vgl. Senatsurteil vom 29.09.1998 I 857/97 Ki,EFG 1999, 178;FG Düsseldorf, Urteil vom 07.05.1999 18 K 1064/99Kg). Zwar ist zuzugeben, dass die buchstabengetreue Anwendung des § 32 Abs. 4 Satz 6 und 7 EStG zu der von dem AA vertretenen Meinung führen könnte. Ein solche Anwendung wäre jedoch formalistisch und ist nicht zulässig. Denn das Gesetz regelt in § 32 Abs. 4 Satz 6 und 7 EStG nicht, welche Einkünfte des Kindes anzurechnen sind, wenn - wie im Streitfall - die Berufsausbildung oder die Arbeitslosigkeit während eines Kalendermonats endet und das Kind anschließend in demselben Monat Einkünfte aus einer normalen Berufstätigkeit erzielt. Die sich hieraus ergebende verdeckte Regelungslücke ist unter Berücksichtigung von Systematik sowie Sinn und Zweck der Kindergeldregelung dergestalt zu schließen, dass nach Abschluss der Arbeitslosigkeit erwirtschaftete Einkünfte des Kindes nicht anzurechnen sind. Die Gegenmeinung würde in einem Fall wie hier dazu führen, dass F seine Arbeit nur am 01.09.1996 oder am 01.10.1996 aufnehmen dürfte, um nicht den Kindergeldanspruch seiner Mutter rückwirkend für das ganze Jahr zum Erlöschen zu bringen. Eine solche Regelung wäre systemwidrig, unverständlich und mit dem Gesichtspunkt der materiellen Gerechtigkeit nicht vereinbar. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die o.a. Urteile des Senats und des FG Düsseldorf Bezug genommen.
Die Frage, ob der Kl. Kindergeld auch für den Monat September 1996 zustehen würde oder nicht, braucht der Senat nicht zu entscheiden, weil sie dies nicht beantragt hat und das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen darf. Nur zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass im Streitfall die Unterschreitung des Grenzbetrages nicht auf dem Kindergeldverzicht für den Monat September beruht ( § 32 Abs. 4 S. 8 EStG )
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die übrigen Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 151 Abs. 3 und 155 FGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen ( § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ).