Landgericht Hannover
Urt. v. 19.01.2005, Az.: 11 O 467/04

Abstellen der Versorgung mit Wasser bei einem Gewerbebetrieb wegen rückständiger Mieten; Widerspruch des Vermieters gegen eine einstweilige Verfügung gerichtet auf die Versorgung mit Wasser; Berücksichtigung materiellrechtlicher Einwendungen gegen eine einstweilige Verfügung hinsichtlich einer Besitzstörung; Bestimmung der Voraussetzungen für das Vorliegen einer Besitzstörung

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
19.01.2005
Aktenzeichen
11 O 467/04
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 33259
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2005:0119.11O467.04.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
OLG Celle - 28.04.2005 - AZ: 11 U 44/05

Fundstelle

  • ZMR 2005, 615-616 (Volltext mit amtl. LS)

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren
hat die 11. Zivilkammer des Landgerichts Hannover
auf die mündliche Verhandlung vom 12.01.2005
durch
die Vorsitzende Richterin am Landgericht ...,
den Richter am Landgericht ... und den Richter am Landgericht ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 20.12.2004 bleibt aufrecht erhalten.

Die weiteren Kosten des Verfügungsverfahrens trägt die Verfügungsbeklagte.

Tatbestand

1

Die Verfügungsklägerin zu 2. betreibt in den im Erdgeschoss des Gebäudes ..., Hannover, gelegenen Räumen eine Gaststätte mit Namen "...".

2

Die Verfügungsbeklagte hatte der Verfügungsklägerin zu 1. die Gaststättenräume mit Mietvertrag vom 05.09.2002 (Bl. 5 ff. d.A.) i.V.m. einer Nachtragsvereinbarung vom 25./28.03.2003 (Bl. 65 ff d.A.) vermietet. Die Gaststättenräume werden von der Verfügungsklägerin zu 1. an die Verfügungsklägerin zu 2. untervermietet.

3

Nachdem die Verfügungsklägerin zu 1. die Mieten für die Monate Juni und Juli 2004 nicht gezahlt hatte, kündigte die Verfügungsbeklagte mit am 15.07.2004 übereichten Anwaltsschreiben vom 13.07.2004 das Mietverhältnis fristlos (11 O 302/04, Bl. 27 ff.). Mit - nicht rechtskräftigem - Urteil vom 15.12.2004 (11 O 302/04) ist die Verfügungsklägerin zu 1. zur Räumung und Herausgabe der Gaststätte an die Verfügungsbeklagte verurteilt worden. Mit weiteren anhängigen Klagen nimmt die Verfügungsbeklagte die Verfügungsklägerin zu 1. auf Zahlung von Mieten bzw. Nutzungsentschädigung in Anspruch (11 O 315/04: 28.366,76 EUR für Juli - Oktober 2004; 11 O 406/04: 9.360,- EUR für November 2004; 11 O 448/04: 9.860,- EUR für Dezember 2004). Wegen der Einzelheiten wird auf die genannten Verfahrensakten Bezug genommen.

4

Wie mit Schreiben vom 15.12.2004 (Bl. 15 f. d.A.) angekündigt, unterbrach die Verfügungsbeklagte am 17.12.2004 die Wasserzufuhr zu der Gaststätte.

5

Auf Antrag der Verfügungsklägerinnen ist der Verfügungsbeklagten durch Beschluss der Kammer vom 20.12.2004 (Bl. 23 d.A.) aufgegeben worden, die unterbrochene Wasserzufuhr zu der Gaststätte "..." wiederherzustellen. Hiergegen hat die Verfügungsbeklagte mit Schriftsatz vom 20.12.2004 (Bl. 37 ff. d.A.) Widerspruch eingelegt.

6

Die Verfügungsklägerinnen sind der Ansicht, das Absperren der Wasserversorgung stelle eine verbotene Eigenmacht der Verfügungsbeklagten dar.

7

Die Verfügungsklägerinnen beantragen,

die einstweilige Verfügung vom 20.12.2004 aufrecht zu erhalten.

8

Die Verfügungsbeklagte beantragt,

die einstweilige Verfügung vom 20.12.2004 aufzuheben und den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

9

Die Verfügungsbeklagte ist der Ansicht, die Verfügungsklägerinnen könnten eine Wiederherstellung der Wasserversorgung nicht beanspruchen, da sie - die Verfügungsbeklagte - den Mietvertrag mit der Verfügungsklägerin zu 1. wirksam gekündigt habe. Außerdem sei sie nicht zu einer Wasserversorgung auf ihre eigenen Kosten verpflichtet, weil ihr ein Zurückbehaltungsrecht zustehe.

10

Eine verbotene Eigenmacht sei nicht gegeben. Zum einen stelle die Unterbrechung lediglich ein Unterlassen dar, wobei aufgrund der Kündigung des Mietvertrages keine Pflicht zur Wasserversorgung mehr bestehe. Zum anderen handele es sich nicht um eine Besitzstörung, sondern um eine bloße Gebrauchshinderung, wobei nach Beendigung des Mietverhältnisses auch die Pflicht zur Gebrauchsgewährung beendet sei.

Entscheidungsgründe

11

Der Widerspruch der Verfügungsbeklagten ist gemäß §§ 936, 924 ZPO zulässig, er hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die einstweilige Verfügung vom 20.12.2004 war aufrecht zu erhalten.

12

I.

1.

Die Verfügungsklägerinnen haben gemäß §§ 862, 858 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Wiederherstellung der unterbrochenen Wasserzufuhr.

13

a)

Die Unterbrechung der Wasserzufuhr durch die Verfügungsbeklagte stellt - auch bei wertender Betrachtung - kein bloßes Unterlassen, sondern ein aktives Tun dar. Die bislang bestehende Wasserversorgung wurde erst durch das Tätigwerden der Verfügungsbeklagten unterbunden, indem sie einen Absperr-Hahn der Versorgungsleitung schließen ließ.

14

b)

Hierbei handelte es sich auch um eine Besitzstörung im Sinne des § 862 BGB (vgl. Palandt/Bassenge, BGB, 64. Aufl. 2005, § 862 Rn. 5; Bamberger-Roth/Fritzsche, BGB, Aktualisierung 2004, § 858 Rn. 10, jeweils m.w.N.). Eine Besitzstörung ist gegeben, wenn die bestimmungsgemäße Nutzung der Sache verhindert oder eingeschränkt wird (Bamberger-Roth, a.a.O.). Da eine Gaststätte nicht ohne Frischwasserversorgung betrieben werden kann, wurde durch das Unterbrechen der Wasserversorgung die bestimmungsgemäße Nutzung der Gaststättenräume verhindert und hierdurch der bestehende Besitz der Verfügungsklägerinnen gestört.

15

Nicht zu überzeugen vermag die in einer Entscheidung des Kammergerichts vertretene abweichende Ansicht, wonach die Einstellung der Wasserversorgung keine Besitzstörung darstelle, weil es sich um eine bloße Gebrauchshinderung ohne Eingriff in die Sachherrschaft handele (KG, ZMR 2004, 905 ff.). Ob der Besitz gestört ist, lässt sich nicht abstrakt, sondern nur unter Berücksichtigung des konkreten Gebrauchs, den der Besitzer von der Sache macht, beurteilen. Die tatsächliche Sachherrschaft des Besitzers umfasst die bestehende Gebrauchsmöglichkeit. Ein Hinderung des bestehenden Gebrauchs schränkt die Sachherrschaft ein.

16

Die in der Kammergerichtsentscheidung vertretene Ansicht, wonach die Gebrauchsmöglichkeit von der Sachherrschaft abgespaltet werden soll, würde den possessorischen Schutzanspruch des § 862 BGB völlig entwerten und im Ergebnis zu einer weit reichenden - und sanktionslosen - Umgehung des zur Durchsetzung von Räumungsansprüchen vorgesehen Rechtsweges sowie des Zwangsvollstreckungsverfahrens führen.

17

c)

Da die Besitzstörung zudem ohne Willen der Verfügungsklägerinnen - vielmehr unter deren ausdrücklichem Protest (Bl. 17 f. d.A.) - erfolgte, handelte es sich um verbotene Eigenmacht, sodass die Verfügungsklägerinnen die Beseitigung der Besitzstörung gemäß § 862 BGB verlangen konnten.

18

Darauf, ob nach der Kündigung noch mietvertragliche Ansprüche der Verfügungsklägerin zu 1. bestehen bzw. in welcher Höhe sie mit der Zahlung der Miete und der Betriebskosten in Rückstand ist, kommt es hierbei nicht an.

19

Ohne Belang ist insoweit auch, dass ein vollstreckbares Räumungsurteil gegen die Verfügungsklägerin zu 1. vorliegt. Das Urteil kann mit den gesetzlich vorgesehenen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen vollstreckt werden, berechtigt aber nicht dazu, dieses Ziel im Wege der Selbsthilfe herbeizuführen.

20

2.

Da ohne Wasserversorgung der laufende Gaststättenbetrieb nicht durchgeführt werden kann, besteht auch der für den Erlass der einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgrund im Sinne des § 940 ZPO.

21

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Einer Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit bedurfte es nicht, da das die einstweilige Verfügung bestätigende Urteil mit der Verkündung sofort vollstreckbar ist (§§ 936, 929 Abs. 1 BGB; Zöller/Vollkommer, ZPO, 24. Aufl. 2004, § 925 Rn. 9).