Landgericht Hannover
Urt. v. 26.08.2005, Az.: 9 O 275/03
Bewegungsbeeinträchtigung; Beweislastumkehr; Dornfortsatzengstand; Gefahrübergang; Gewährleistungsanspruch; Gewährleistungsausschluss; Haftungsausschluss; Kaufvertrag; Kissing Spines; Kissing-Spines; klinischer Befund; Pferdekauf; Proberitt; Reitpferd; Röntgenbefund; Rücktrittsrecht; Sachmangel; Spondylarthrose; Traumatisierung; Unreitbarkeit; Wandelung; Zuchtpferd; Übergabe
Bibliographie
- Gericht
- LG Hannover
- Datum
- 26.08.2005
- Aktenzeichen
- 9 O 275/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 50973
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 346 BGB
- § 434 BGB
- § 437 BGB
- § 440 BGB
- § 474 BGB
- § 476 BGB
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt Rückzahlung des Kaufpreises und Aufwendungsersatz nach erklärtem Rücktritt vom Vertrag über den Kauf eines Pferdes.
Mit Kaufvertrag vom 28.2.2003 erwarb die Klägerin zu Freizeitzwecken von der Beklagten die 10jährige Hannoversche Stute " ... ", Lebens-Nr.: ... zum Preis von 4.000,00 EUR. In dem Kaufvertrag wurde vereinbart, dass die Stute wie probeberitten und gesehen erworben werden sollte. Außerdem nahmen die Parteien in dem Vertrag Bezug auf das von ... am 25.2.2003 ausgestellte Untersuchungsprotokoll (Bl. 13 d.A.). Nach Angaben der Tierärztin waren danach Beeinträchtigungen der Gebrauchsfähigkeit des streitgegenständlichen Pferdes als Reit- oder Zuchtpferd nicht zu erwarten.
Eine röntgenologische Untersuchung des Pferdes erfolgte zu diesem Zeitpunkt nicht. Im Rahmen der Verkaufsverhandlungen fand seitens der Klägerin ein kurzer Proberitt statt, bei dem das Pferd keine Auffälligkeiten oder Krankheitssymptome aufwies.
Da die Klägerin das Pferd nicht selbst reiten konnte, wurde es von ca. Mitte März an für 5 Wochen von ... geritten, davon dienstags und donnerstags im Unterricht. Es stellte sich dann heraus, dass die Stute unter dem Reiter einen hinkenden Gang zeigte. Sie zeigte zunehmend eine starke Widersetzlichkeit und ignorierte mehr und mehr sämtliche reiterlichen Hilfen.
Am 31.5.2003 ließ die Klägerin die Stute in einer Tierärztlichen Klinik untersuchen. Mit tierärztlichem Attest vom 4.6.2003, dem u.a. fünf Röntgenaufnahmen des Rückens zugrunde lagen, bestätigte ... , dass sich im Bereich des 10. bis 12. Brustwirbels starke Spondylarthrosen befinden. Es müsse davon ausgegangen werden, dass diese schon seit längerer Zeit existieren. Eine Wiederherstellung des Pferdes sei nicht möglich und das Pferd sei aufgrund dieser Befunde nicht reitbar und auch nicht als Turnierpferd einsetzbar.
Mit Schreiben vom 12.6.2003 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie vom Vertrag zurücktrete und verlangte Rückerstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe der Stute. Die Beklagte wies die Ansprüche der Klägerin zurück.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin nunmehr weiterhin die Rückabwicklung des Kaufvertrages. Zudem begehrt sie Zahlung weiterer 2.019,17 EUR für Kosten, die für Pension, Futter und Unterstellung des Pferdes, Tierarztkosten, Schmiedkosten und Transportkosten zur Tierklinik entstanden sind.
Die Klägerin behauptet unter Bezugnahme des oben genannten Gutachtens des vom 4.5.2003, das Lahmen der Stute sei auf eine irreversible Schädigung des Pferdes im Bereich zwischen dem 10. und 12. Brustwirbel zurückzuführen.
Diese Schädigung habe bereits seit längerer Zeit, jedenfalls bereits im Zeitpunkt der Übergabe des Pferdes, vorgelegen. Sie vertritt in diesem Zusammenhang die Auffassung, dass das Vorliegen eines Mangels des Pferdes im Zeitpunkt der Übergabe vermutet werde. Außerdem behauptet sie, die von ihr in der Klageschrift vom 2.9.2003, S. 9 und 10 (Bl. 9 und 10 d.A.) geltend gemachten Aufwendungsersatzkosten seien tatsächlich angefallen und der Höhe nach auch angemessen.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 6.019,17 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der LZB ab dem 21.06.2003 Zug um Zug gegen Herausgabe der Stute " ... ", Lebensnummer: ... , zu zahlen.
2. festzustellen, dass die Beklagte mit der Annahme des zuvor bezeichneten Pferdes in Verzug ist.
3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jegliche über den Antrag zu 1. hinausgehenden Kosten für die Pflege und Unterstellung, das Futter sowie tierärztliche Untersuchungen und Behandlungen etc. zu ersetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie behauptet, das Pferd sei zum Zeitpunkt der Übergabe mangelfrei gewesen.
Sie meint, das tierärztliche Gutachten vom 31.5.2003 beweise nicht, dass zwischen einer eventuellen Schädigung des Pferdes und dem Lahmen ein Ursachenzusammenhang bestehe. Die Gehbeeinträchtigung des Pferdes könne auch durch eine unsachgemäße reitsportliche Nutzung hervorgerufen worden sein.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.7.2005 (Bl. 254-255 d.A.) Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 2.1.2004 (Bl. 85, 86 d.A.), ergänzt durch Beschlüsse vom 19.2.2004 (Bl. 108 d.A.), vom 25.3.2004 (Bl. 115 d.A.) und vom 29.11.2004 (Bl. 160 d.A.) sowie durch ergänzenden Beschluss vom 12.7.2005 (Bl. 254 d.A.) durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des ... und dessen ergänzende Befragung im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 10.3.2005 (Bl. 192-213 d.A.) und auf die Ausführungen des Sachverständigen im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 12.7.2005 (Bl. 254, 255 d.A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Klägerin steht kein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises gemäß §§ 346 Abs. 1, 434, 437 Nr. 2 1. Alternative, 440, 323 Abs. 1, 326 Abs. 5 BGB und in der Folge auch kein Anspruch auf Aufwendungsersatz und auf die begehrte Feststellung eines Annahmeverzuges der Beklagten zu. Sie ist dem Grunde nach gewährleistungspflichtig und hat nicht bewiesen, dass das Pferd " ... " zum Zeitpunkt der Übergabe mit einem Mangel behaftet war.
1. Die Parteien haben keinen umfänglichen Gewährleistungsausschluss vereinbart. Die Formulierung "wie probegeritten und gesehen" bezieht sich nämlich nur auf solche Mängel, die bei einer Besichtigung oder bei einem Proberitt festgestellt werden können und nicht auf Mängel, die erst nach einer längeren oder intensiveren Nutzung des Pferdes zu Tage treten.
2. Die Beweislast für den Mangel zum Zeitpunkt der Übergabe liegt bei der Klägerin. Eine Beweislastumkehr gemäß § 476 BGB kommt nicht in Betracht, da die Klägerin nicht dargelegt hat und auch aus sonstigen Anhaltspunkten nicht ersichtlich ist, dass die Beklagte Unternehmerin i.S.v. §§ 474, 14 Abs. 1 BGB ist.
3. Ein Mangel liegt nicht vor. Ein solcher ist zu bejahen, wenn bei Übergabe des Pferdes dieses nicht die vereinbarte Beschaffenheit aufweist.
Da die Parteien in dem Kaufvertrag Bezug auf das Untersuchungsprotokoll der vom 25.2.2003 nehmen, ist der Parteiwillen dahingehend auszulegen, dass das Pferd nicht mit Mängeln behaftet sein soll, die seine Nutzung als Reit- oder Zuchtpferd einschränken würden.
Das Gericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht hinreichend überzeugt, dass die Stute " ... " zum Zeitpunkt der Übergabe bereits einen Mangel im vorgenannten Sinne aufwies. Der Sachverständige Prof. Dr. St. hat in seinem Gutachten vom 10.3.2005 nachvollziehbar dargelegt, dass die Spondylose nicht die wesentliche Ursache des hinkenden Ganges gewesen sind; vielmehr manifestiert sich die Hauptursache der Bewegungsstörung in einem klinisch relevanten Engstand der Dornfortsätze des 16. bis 18. Brustwirbels und des 1. Lendenwirbels ("kissing spines"). Es lässt sich in diesem Zusammenhang nicht ausschließen, dass das Lahmen der Stute im wesentlichen durch unsachgemäße Nutzung nach Übergabe verursacht sein könne.
Der Sachverständige hat die Stute satteln und unter Aufsicht reiten lassen.
Ein geregelter Schritt am Zügel war nicht möglich. Beim Antraben eilte die Stute ebenfalls davon. Außerdem schlug sie mit dem Kopf und trat hinten rechts und hinten links abwechselnd deutlich kürzer. Die Symptomatik verstärkte sich mit zunehmenden Reiten. Am folgenden Tag longierte der Sachverständige die Stute vor und nach einer Anästhesie im Bereich der engstehenden Dornfortsätze. Nach der Betäubung zeigte sich unter dem Reiter eine deutliche Besserungstendenz. Die Stute konnte in einem ruhigen Arbeitstrab geritten werden. Am dritten Tag ohne Anästhesie zeigte die Stute wiederum die Probleme, die sie am ersten Tag der Testserie ohne Betäubung aufgewiesen hatte. Auch auf den von dem Sachverständigen gefertigten Röntgenbildern konnte der vorgenannte Befund kissing spines reproduziert und verifiziert werden.
Der Sachverständige hat weiterhin, insbesondere auch im Rahmen seiner mündlichen Erläuterung des Gutachtens, ausgeführt, dass es keinerlei Untersuchungen gebe, in welchem Zeitraum sich entsprechende Symptome bei den Pferden entwickeln. Es lägen jedoch neuere Untersuchungen vor, insbesondere auch Befunde von jüngeren 2 bis 3jährigen Pferden, die das Symptom der "kissing spines" aufweisen, aber komplett beschwerdefrei seien.
Auch viele Dressur- und Springpferde hätten trotz des Befundes "kissing spines" keinerlei Beschwerden. Zudem könne - insoweit vom Sachverständigen mündlich ausgeführt und nicht schriftlich protokolliert - der Engstand der Dornfortsätze im Ausnahmefall sogar durch eine einmalige Traumatisierung hervorgerufen werden. In jedem Fall lasse sich nicht ausschließen, dass sich auch der Engstand erst nach Übergabe des Pferdes entwickelt hat.
Unter vorgenannten Aspekten kommt es nicht auf die Frage an, ob allein die Tatsache, dass ein Pferd "kissing spines" aufweist, ohne jedoch Beschwerden zu zeigen, als Mangel im Sinne des Gesetzes anzusehen ist. Denn es lässt sich im konkreten Fall bereits nicht ausschließen, dass sich die "kissing spines" bei der streitgegenständlichen Stute erst nach Übergabe entwickelt haben.
Nach alledem war die Klage ohne weiterer Beweisaufnahmen abzuweisen. Ein weiteres von der Klägerin beantragtes Gutachten über die Frage, ob die bei den röntgenologischen Aufnahmen am 31.5.2003 festgestellten Befunde bereits zum Zeitpunkt der Übergabe vorlagen, wobei der Sachverständige versuchen sollte, einen Grad der Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen zu bestimmen, war nicht einzuholen. Die Klägerin hat keine konkreten Gründe vorgetragen, die gegen die Qualifikationen des gerichtlich bestellten sprechen. Der Sachverständige ist als Tierarzt und als Hochschulprofessor bei der ... tätig. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass er seinem Gutachten nicht den aktuellen Stand der Wissenschaft zu Grunde gelegt hat. Seine Ausführungen waren durchweg verständlich und nachvollziehbar. Weiterhin waren auch die von der Klägerin benannten Zeugen, die das Pferd nach Übergabe geritten haben, nicht zu vernehmen. Selbst wenn sie die Darlegungen der Klägerin bestätigt hätten, hätte dies nichts am Ergebnis des Sachverständigengutachtens und der darauf sich begründenden Überzeugung des Gerichts ändern können.
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlagen in §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.