Landgericht Hannover
Urt. v. 09.06.2005, Az.: 3 S 73/04
Anspruch auf Kostenerstattung nach Maßgabe der wirksam vereinbarten Versicherungsbedingungen; Umfang der Erstattungspflicht des Rechtsschutzversicherers auf Grund einer gütlichen Erledigung im Sinne eines Vergleiches; Fälle der gleichmäßigen Kostenteilung beim Vergleich; Ausrichtung der Zahlungspflicht des Rechtsschutzversicherers an dem Verhältnis zwischen "Erfolg" und "Misserfolg" des Versicherungsnehmers
Bibliographie
- Gericht
- LG Hannover
- Datum
- 09.06.2005
- Aktenzeichen
- 3 S 73/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 33253
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGHANNO:2005:0609.3S73.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hameln - 01.10.2004 - AZ: 22 C 69/04 (5b)
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 3 a ARB
- § 98 ZPO
- § 812 BGB
- § 818 BGB
Fundstelle
- RVGreport 2005, 437-438 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Rückerstattung von Versicherungsleistung
In dem Rechtsstreit
hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Hannover
auf die mündliche Verhandlung vom 19. Mai 2005
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ...,
den Richter am Landgericht ... und die Richterin am Landgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das am 1. Oktober 2004 verkündete Urteil des Amtsgerichts Hameln - 22 C 69/04 (5b) - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Ziffer 1 ZPO).
Die Berufung ist zulässig, obgleich der Wert des Beschwerdegegenstandes den Betrag von 340,00 EUR nicht übersteigt, da das Amtsgericht in seinem Urteil vom 1.10.2004 die Berufung zugelassen hat (§ 511 Abs. 2 Ziffer 2 ZPO).
In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Amtsgericht entschieden, dass sich bei einem von dem Versicherungsnehmer geschlossenen - auch außergerichtlichen -Vergleich die Leistungspflicht des Versicherers nach dem formalen Verhältnis zwischen Obsiegen und Unterliegen gemäß der Hauptsacheregelung des Vergleichs richtet und es weder auf die Kosten, die nach den ursprünglichen Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung entstanden wären, noch auf die Kosten, die bei einer Fortsetzung des Rechtsstreits im Falle eines Urteils möglicherweise angefallen wären, ankommt, maßgeblich vielmehr allein das objektive Wertverhältnis zwischen den ursprünglichen Sachanträgen und dem, womit die Parteien gemäß der gütlichen Erledigung effektiv Erfolg haben, ist.
Maßgebend für die Frage des Umfangs der Erstattungspflicht des Rechtsschutzversicherers ist die Bestimmung des § 2 Abs. 3 a ARB 75. Dort heißt es: "Der Versicherer trägt nicht die Kosten, die aufgrund einer gütlichen Erledigung, insbesondere eines Vergleiches, nicht dem Verhältnis des Obsiegens zum Unterliegen entsprechen". Bereits aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich, dass es bezüglich der Erstattungspflicht allein auf das formale Verhältnis des Obsiegens zum Unterliegen ankommt, nicht dagegen auf ein die materielle Rechtslage anknüpfende Erwägungen. Dies ergibt auch ein Gegenschluss aus § 2 Abs. 3 a 2. Alternative ARB 75, der auf die materielle Rechtslage abstellt. Der Regelung des § 2 Abs. 3 a 1. Alternative ARB 75 liegt ersichtlich das Vorbild zu Grunde, das ein Urteil entsprechenden Inhalts erginge; in diesem Fall würden nach § 92 Abs. 1 ZPO die Kosten in dem genannten Umfang grundsätzlich dem Gegner des Versicherungsnehmers auferlegt.
Die Vorschrift bezweckt nach praktisch einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. bereits BGH VersR 1977, Seite 809 ff.; OLG Hamm VersR 1982, Seite 392 f; OLG Hamm NJW-RR 1999, Seite 1403 f; Prölss-Martin - Armbrüster, WG, 27. Aufl., Seite 2037), Kosten von der Erstattungspflicht des Versicherers auszunehmen, deren Übernahme der Versicherungsnehmer dem Gegner zugesteht, um von ihm Zugeständnisse in der Hauptsache zu erhalten. Soweit der Versicherungsnehmer sonst mit seinem Anspruch im Prozess unterläge, träfe ihn und damit den Rechtsschutzversicherer insoweit freilich ohnehin die Kostenlast; dann könnte bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht davon gesprochen werden, er habe das Nachgeben des Gegners auf Kosten des Versicherers herbeigeführt. Die eigentliche wirtschaftliche Gefahr, der die Versicherer mit § 2 Abs. 3 a 1. Alternative ARB 75 begegnen wollen, besteht darin, dass der Versicherungsnehmer bei sonst auch im streitigen Verfahren durchsetzbaren Ansprüchen ein Entgegenkommen des Gegners in Form der Erfüllungsbereitschaft durch ein "unnötiges" Zugeständnis in der Kostenfrage erwirkt, das letztlich zu Lasten der Versichertengemeinschaft ginge. Dafür nehmen die Versicherer in Kauf, dass der Versicherungsnehmer in anderen Fällen bei streitiger Entscheidung schlechter abschneidet als bei einem Vergleich und dann unter Umständen sogar mit höheren Kosten belastet wird, die sie decken müssen. Auf solche an die materielle Rechtslage anknüpfende Erwägungen, für die im Einzelfall erfahrungsgemäß nur schwer feststellbare Umstände maßgebend wären, soll es bei der Anwendung der ersten Alternative des § 2 Abs. 3 a ARB 75 nach deren Wortlaut und Sinn jedoch ersichtlich nicht ankommen, die genannte Vorschrift wäre dann auch schlechter praktikabel.
Auch aus der Vorschrift des § 98 ZPO kann nichts Grundsätzliches gegen § 2 Abs. 3 a 1. Alternative ARB 75 hergeleitet werden. Das Gesetz sieht die gleichmäßige Kostenteilung beim Vergleich nur für den Fall vor, dass die Parteien nichts anderes vereinbaren. Eine solche Vereinbarung ist jederzeit möglich. § 2 Abs. 3 a 1. Alternative ARB 75 bringt klar zum Ausdruck, dass jedenfalls die Zahlungspflicht des Rechtsschutzversicherers nicht an dem subsidiären gesetzlichen Maßstab des § 98 ZPO, sondern an dem Verhältnis zwischen "Erfolg" und "Misserfolg" des Versicherungsnehmers ausgerichtet ist. Eine andere Auslegung der Bestimmung ist auch nicht mit Blick auf die rechtspolitische Zielsetzung der Zivilprozessordnung (insbesondere auch nach der ZPO-Reform) geboten. Das Bestreben, Rechtsstreitigkeiten nach Möglichkeit gütlich beizulegen, bleibt unberührt. Auch der rechtsschutzversicherten Partei steht es frei, einen von ihr gewünschten Vergleich einschließlich einer Vereinbarung über die Kosten so abzuschließen, wie sie es ohne Rechtsschutzversicherung tun würde. Daran wird sie durch die Versicherung nicht gehindert. Anspruch auf Kostenerstattung hat sie aber nur nach Maßgabe der wirksam vereinbarten Versicherungsbedingungen. Das Kostenrisiko wird hierdurch für den Versicherungsnehmer auch nicht untragbar. Denn auch wenn der Versicherungsnehmer einen Vergleich mit einer Kostenregelung abschließt, die nicht dem Verhältnis des Obsiegens zum Unterliegen entspricht, so entfällt die Erstattungspflicht des Rechtsschutzversicherers ja nicht völlig, sondern bleibt im Umfang des Verhältnisses des Obsiegens zum Unterliegen bestehen.
Die Kostenbegrenzung des § 2 Abs. 3 a 1. Alternative ARB 75 gilt unabhängig davon, ob die Parteien die rechtliche Auseinandersetzung durch einen Prozessvergleich oder durch eine außergerichtliche gütliche Einigung beigelegt haben. Anhaltspunkte dafür, dass sie nur auf gerichtliche Vergleiche anwendbar sei, sind nicht ersichtlich (Prölss-Martin-Armbrüster, a.a.O.). Soweit in der Rechtsprechung - u.a. durch das Landgericht Hannover (VersR 1987, Seite 759) - die Auffassung vertreten worden ist, § 2 Abs. 3 a 1. Alternative ARB 75 sei bei einem außergerichtlichen Vergleich nur zu berücksichtigen, wenn dem Versicherungsnehmer gegen den Gegner ein materiell-rechtlicher Kostenerstattungsanspruch zustehe, ist diese Ansicht vereinzelt geblieben und überholt. Ihr ist auch nicht zuzustimmen, denn sie findet in dem Wortlaut der Bestimmung keine Stütze. Der Rechtsschutzversicherer soll nach der Ausschlussregelung in den ARB 75 nicht die Kosten tragen, die bei einer Entscheidung durch Urteil nach Maßgabe der §§ 91 ff. ZPO dem Gegner aufzuerlegen wären, sondern der Rechtsschutzversicherer soll seinen Versicherungsnehmer (nur) von denjenigen Rechtskosten freistellen, die ihm das Gericht auferlegt hätte. Darüber hinausgehende Kosten muss der Versicherungsnehmer selbst tragen. Bei einer Entscheidung durch Urteil wäre bei der Kostenregelung nach den §§ 91 ff. ZPO aber nicht darauf abzustellen, ob eine Partei einen Kostenerstattungsanspruch hat oder nicht.
Das Verhältnis des Obsiegens zum Unterliegen, auf das danach abzustellen ist, ist durch eine Gegenüberstellung der erstrebten Rechtsfolgen und der im Vergleich erzielten Ergebnisse zu ermitteln. Das Ergebnis des Vergleichs soll so gewertet werden, als ob die Parteien ein Urteil entsprechenden Inhalts erzielt hätten. Zu Grunde zulegen ist dieser Wertung allein das durch die beabsichtigten Klageanträge gekennzeichnete Klagebegehren. Danach hätte hier der Beklagte mit seiner Forderung zu 84 % obsiegt und wäre lediglich in Höhe von 16 % unterlegen. Dementsprechend hätte er bei einer streitigen Entscheidung lediglich 16 % der Kosten zu tragen gehabt. Deshalb muss auch die Klägerin als Rechtsschutzversicherer nur 16 % der Kosten der Rechtsverfolgung des Beklagten übernehmen. Da sie aber bereits in höherem Umfang Zahlungen erbracht hat, hat der Beklagte ihr den zu viel geleisteten Betrag zurückzugewähren, §§ 812, 818 BGB i.V.m. § 2 Abs. 3 a 1. Alternative ARB 75. Die Höhe der Forderung ist zwischen den Parteien außer Streit.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO, die übrigen Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 708 Nr. 10 analog, 713, 743 ZPO.
Fritsche
Claus