Landgericht Hannover
Urt. v. 12.09.2005, Az.: 20 O 57/05
Schadensersatzanspruch i.R. eines abgeschlossenen Reisevertrages wegen eines Reisemangels trotz Versäumnis der einmonatigen Ausschlussfrist für die Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen bei Reisemängeln
Bibliographie
- Gericht
- LG Hannover
- Datum
- 12.09.2005
- Aktenzeichen
- 20 O 57/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 39592
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGHANNO:2005:0912.20O57.05.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OLG Celle - 27.07.2006 - AZ: 11 U 263/05
- BGH - 09.06.2009 - AZ: Xa ZR 99/06
Rechtsgrundlagen
- § 116 SGB X
- § 651g Abs. 1 BGB
In dem Rechtsstreit
...
hat die 20. Zivilkammer des Landgerichts Hannover
auf die mündliche Verhandlung vom 17. August 2005
durch
die Richterin am Landgericht ... als Einzelrichterin
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 136.649,67 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz auf 6.164,70 EUR seit dem 27.10.2004 und auf 130.484,97 EUR seit dem 8.4.2005 zu zahlen.
Wegen des weitergehenden Zinsanspruchs wird die Klage abgewiesen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren Zukunftsschäden aus dem Busunfall ihrer Mitglieder ... am 24.3.2004 in ... zu erstatten.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Die Klägerin, eine gesetzliche Krankenkasse, nimmt aus übergegangenem Recht ihrer Versicherten die Beklagte auf Schadensersatz und auf Feststellung in Anspruch.
Die bei der Klägerin versicherten Eheleute ... buchten bei der Beklagten eine Reise nach Mexiko für die Zeit vom 18.3. bis 2.4.2004; in der Zeit vom 19. bis 26.3.2004 sollte eine ... Rundreise stattfinden. Während der Rundreise wurden die Eheleute ... am 24.3.2004 (Datum gemäß Unterlagen der Beklagten) bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt, als der Bus von der Fahrbahn abkam. Sie wurden mittels eines von der Beklagten organisierten Rettungsfluges nach Deutschland ausgeflogen und befanden sich seit dem 28.3.2004 für längere Zeit in stationärer bzw. ambulanter Heilbehandlung.
Die Aufwendungen der Klägerin - die in diesem Rechtsstreit geltend gemacht werden - betragen gemäß Rechnungen vom 8.9.2004 bzw. aus Januar/Februar 2005 für den Zeitraum vom 28.3. bis 30.9.2004 unstreitig 136.649,67 EUR. Mit Schreiben vom 29.3.2004 teilte die Beklagte den Eheleuten ... mit, dass sie den Reisepreis um 100 % mindere und übersandte einen entsprechenden Scheck (Bl. 46 fd.A.). Mit Schreiben vom 7.4.2004 wandte sich die Beklagte erneut an die Eheleute ... und bat um Mitteilung noch nicht ausgeglichener materieller Schäden (Bl. 48 d.A.). In der Folgezeit zahlte die Beklagte an die Eheleute ... Schmerzensgeld und leistete Zahlungen auf den Haushaltsführungsschaden.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass es einer ausdrücklichen Anmeldung der auf sie übergegangenen Ansprüche gegen die Beklagte nicht bedurft hätte, weil der Beklagten allein aufgrund des ihr bekannten Unfallereignisses mit der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen einschließlich Heilbehandlungskosten habe rechnen müssen. Angesichts der Schreiben der Beklagten vom 29.3. und 7.4.2004 sei nicht ersichtlich, welche Erkenntnisse die Beklagte durch eine Anmeldung der übergegangenen Ansprüche durch die Klägerin selbst hätte gewinnen können.
Im Übrigen hafte die Beklagte aus Delikt, und zwar gemäß §831 BGB bzw. wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. Der Fahrer des Busses sei während der Fahrt eingeschlafen. Er sei erst durch lautes Rufen wieder aufgewacht, habe sodann das Lenkrad verrissen, so dass der Bus ins Schleudern geraten und anschließend in eine Schlucht gestürzt sei. Das Einschlafen deute darauf hin, dass ein übermüdeter Fahrer zum Einsatz gekommen sei. Zu den Sorgfaltspflichten eines Reiseveranstalters gehöre auch die Überprüfung, ob ein Busfahrer überhaupt in der Lage sei, den übernommenen Auftrag auszuführen.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
die Beklagte zu verurteilen, an sie 136.649,67 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.10.2004 zu zahlen;
- 2.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet sei, der Klägerin sämtliche weiteren Zukunftsschäden aus dem Busunfall ihrer Mitglieder ... und ... vom 26.3.2004 zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt vor, mit der Durchsetzung reisevertraglicher Ansprüche sei die Klägerin wegen Überschreitung der Ausschlussfrist des §651 g Abs. 1 BGB präkludiert. Sinn und Zweck der Ausschlussfrist sei nicht nur die alsbaldige Prüfung der Berechtigung von Mängelrügen, sondern auch die Durchsetzung von Regressansprüchen gegenüber den eigenen Leistungsträgern, was nach längerem Zeitablauf erfahrungsgemäß schwierig sei.
Sie, die Beklagte, hafte aber auch nicht aus unerlaubter Handlung. Das von ihr beauftragte Busunternehmen in ... und dessen Fahrer seien nicht ihre Verrichtungsgehilfen. Beim Überholen von zwei Lkws sei der erste Lkw plötzlich ausgeschert. Um eine Kollision zu vermeiden, habe der Busfahrer gebremst und den Bus weiter nach links gesteuert. Das Fahrzeug sei dabei auf die linksseitige Fahrbahn - Bankette - geraten. Der Fahrer habe die Herrschaft über das Fahrzeug verloren. Nun habe der Bus beide Fahrstreifen nach rechts gekreuzt, die rechtsseitige Fahrbahn - Bankette - passiert und sich dann überschlagen. Bei dem Fahrzeug habe es sich um einen modernen Reisebus gehandelt. Das Busunternehmen bestehe seit mehr als 25 Jahren. Der Fahrer sei dort seit 18 Jahren beschäftigt und unfallfrei gefahren. Dem Reiseleiter, der den Busfahrer seit Jahren als besonnenen Fahrer kenne, sei an diesem nichts aufgefallen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens und im Übrigen wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist im Wesentlichen begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Zahlungsanspruch in geltend gemachter Höhe sowie einen Anspruch auf Feststellung der künftigen Schadensersatzpflicht der Beklagten gemäß §§651 f i.V.m.§116 SGB X.
Die Klägerin hat zwar die in §651 g Abs. 1 Satz 1 bestimmte einmonatige Ausschlussfrist für die Geltendmachung von Gewährleistungsansprüchen wegen eines Reisemangels versäumt. Da Schadensersatzansprüche wie Heilbehandlungskosten schon im Zeitpunkt des Unfalls auf den Sozialversicherungsträger übergehen, ist der Sozialversicherungsträger Anspruchsinhaber und muss grundsätzlich die Frist des §651 g Abs. 1 BGB wie der Reisende selbst wahren. Vorliegend war jedoch die rechtzeitige Anmeldung des übergegangenen Anspruchs durch die Klägerin ausnahmsweise entbehrlich.
Dabei kann dahinstehen, ob die Versicherten der Klägerin, die Eheleute ... ihre Ansprüche gegen die Beklagte rechtzeitig geltend gemacht haben. Denn die Beklagte hat schon durch ihr Verhalten unmittelbar nach dem Unfall zum Ausdruck gebracht, dass sie jedenfalls materielle Schäden ersetzen will. Auch wenn sie dies nicht der Klägerin mitgeteilt hat, sondern den schwerverletzten Reisenden, ändert dies nichts an der Annahme eines grundsätzlichen Anerkenntnisses derartiger Ansprüche.
So hat die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 29.3.2004 den Reisepreis um 100 % reduziert. Im weiteren Schreiben vom 7.4.2004 hat sie die Reisenden zur Anmeldung noch nicht ausgeglichener materieller Schäden aufgefordert. Dafür bestand jedoch nur dann Veranlassung, wenn die Beklagte davon ausging, dass die Reise erheblich mängelbehaftet war und sie hierfür einzustehen hatte. Diese Einschätzung der Beklagten hat sich weiterhin manifestiert in der späteren Zahlung von Schmerzensgeld und Haushaltsführungsschaden an die Eheleute .... Da die Beklagte den Gesundheitszustand der beiden Reiseteilnehmer kannte, die mit einem von ihr selbst organisierten Rettungsflug nach Deutschland zurückgeflogen worden waren, lag es auf der Hand, dass der Krankenversicherungsträger seinerseits Ansprüche gegen sie geltend machen würde. Ein Ausschluss der von der Klägerin verspätet geltend gemachten Ansprüche ist daher nicht gerechtfertigt.
Die Ausschlussfrist des §651 g Abs. 1 BGB trägt im Übrigen dem Umstand Rechnung, dass der Reiseveranstalter in der Regel nach einem längeren Zeitraum Schwierigkeiten haben wird, die Berechtigung von Mängelrügen festzustellen. Weitere Nachteile können dem Reiseveranstalter dadurch entstehen, dass er Regressansprüche gegen den Leistungsträger nicht mehr durchsetzen kann oder jedenfalls bei der Durchsetzung in Beweisnot gerät. Der Reiseveranstalter soll kurzfristig erfahren, welche Gewährleistungsansprüche auf ihn zukommen, damit er schnell die notwendigen Beweissicherungsmaßnahmen treffen, insbesondere die Erinnerung der Beklagten etc. festhalten kann. Entsprechende Feststellungen hatte die Beklagte hier jedoch nicht mehr zu treffen, ihr war der Sachverhalt bekannt und sie hatte bereits ihre Haftung eingeräumt.
Die Höhe des Schadensersatzanspruches ist unstreitig.
Die Klägerin hat daneben einen Anspruch auf Feststellung der Verpflichtung zur Erstattung künftiger Schäden ihrer Versicherten. Angesichts der unstreitigen Verletzungen beider Versicherter (Herr ... lag wochenlang im Koma) ist offensichtlich, dass mit weiteren schadenbegründenden Folgen zu rechnen ist. Damit ist ein Feststellungsinteresse gegeben.
Der Zinsanspruch beruht auf §§284, 288 BGB. Verzinsung seit dem 27.10.2004 kann die Klägerin jedoch nur bezüglich des mit Rechnung vom 8.9.2004 geltend gemachten Betrages in Höhe von 6.164,70 EUR verlangen. Die übrigen Rechnungen datieren aus Januar bzw. Februar 2005, so dass am 27.10.2004 noch kein Verzug eingetreten war. Mangels weiterer Darlegung der Klägerin ist auf den Zeitpunkt der Rechtshängigkeit abzustellen.
Die Entscheidungen über die Nebenfolgen beruhen auf §§92 Abs. 2, 709 ZPO.
Der Inhalt der den Parteien nicht nachgelassenen Schriftsätze vom 19.08. bzw. 24.08.2005 gibt keinen Anlass zum Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung.