Landgericht Hannover
Urt. v. 02.05.2005, Az.: 20 O 3/05
Bibliographie
- Gericht
- LG Hannover
- Datum
- 02.05.2005
- Aktenzeichen
- 20 O 3/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 42175
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGHANNO:2005:0502.20O3.05.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OLG Celle - 20.12.2005 - AZ: 14 U 147/05
Fundstellen
- AUR 2006, 223 (Volltext mit amtl. LS)
- NuR 2006, 597-598 (Volltext mit amtl. LS)
In dem Rechtsstreit
...
hat die 20. Zivilkammer des Landgerichts Hannover auf die mündliche Verhandlung vom 11.03.2005 durch die Richterin am Landgericht ... als Einzelrichterin
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
- 3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Zahlung von Schmerzensgeldes sowie die Feststellung der Schadensersatzpflicht der beklagten Stadt wegen der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht auf einem Waldwanderweg.
Am 04.01.2004 ging die Klägerin mit ihrem Hund auf einem Waldwanderweg auf dem Benther Berg spazieren. Auf dem Hauptwanderweg, dem so genannten Kammweg, versperrte ein umgestürzter Baum ihr den weiteren Weg.
Die Klägerin versuchte, den Baum über einen abseits des Weges gebildeten Trampelpfad zu umgehen. Dieser wies tief eingesunkene Fußspuren auf, welche durch die Kälte gefroren waren. Auf dem schrägen und glatten Boden verlor die Klägerin das Gleichgewicht und zog sich bei dem Versuch den Sturz abzufangen eine Speichentrümmerfraktur des rechten Handgelenkes mit anschließender Pseudoarthrose zu.
Die Klägerin behauptet, die Beklagte sei ihrer Pflicht zur sorgfältigen Sichtprüfung der Bäume nicht nachgekommen. Denn der umgestürzte Baum habe schon mindestens sechs Wochen quer über dem Waldweg gelegen.
Als Unfallfolge verbliebe der Klägerin aufgrund einer posttraumatischen Arthrose des rechten Radiocarpalgelenkes eine dauerhafte Bewegungseinschränkung der rechten Hand.
Die Klägerin bestreitet mit Nichtwissen, dass der Benther Berg ein Wirtschaftswald ohne Sonderfunktion ist und daher der Haftungsprivilegierung des § 30 Abs. 1 NWaldLG unterfällt.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld - dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch nicht unterhalb von 1 200,00 € liegen soll - nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
- 2.
festzustellen, dass die Beklagte der Klägerin den infolge des Unfalls vom 04.01.2004 entstandenen Schadens oder noch entstehenden Schadens zu ersetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht sei ihr nicht anzulasten. Es handele sich bei dem Weg um einen Waldweg in einem normalen Wirtschaftswald ohne Sonderfunktionen, welcher der Haftungsprivilegierung des § 30 Abs. 1 NWaldLG unterfiele.
Der Trampelpfad sei - was zwischen den Parteien unstreitig ist - für die Klägerin erkennbar abschüssig und aufgrund der Eisglätte schwer passierbar gewesen. Der Unfall sei daher allein auf das unvorsichtige Verhalten der Klägerin zurückzuführen. Im Übrigen sei es der Klägerin zumutbar gewesen, den Wanderweg zurückzugehen und öffentliche Verkehrsmittel für die Rückfahrt in Anspruch zu nehmen oder unter Inkaufnahme eines Umweges die Unfallstelle durch Ausweichen auf andere Wanderwege zu meiden.
Letztlich bestreitet die Beklagte, dass der Baum über einen erheblich langen Zeitraum quer über den Wandweg gelegen habe. Es sei im Herbst 2003 eine Kontrolle des Baumbestandes entlang der Waldwege durchgeführt worden, wobei der umgestürzte Baum nicht entdeckt worden sei.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Schmerzensgeld gegen die Beklagte gem. §§ 823, 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht.
Eine Verkehrssicherungspflichtverletzung ist aufgrund des Haftungsausschlusses i.S.d. § 30 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 2 NWaldLG nicht gegeben.
Entgegen dem Einwand der Klägerin ist § 30 NWaldLG auf den streitgegenständlichen Weg anwendbar.
Bei dem Weg handelt es sich nach dem Vortrag beider Parteien um einen Wanderweg. Ob es sich um einen Wirtschaftswald mit Sonderfunktion handelt, ist für die Anwendbarkeit des § 30 NWaldLG unerheblich. Entscheidend ist allein, dass es sich um einen tatsächlich öffentlichen Weg handelt, der dem Betretensrecht iSd §§ 23 ff. NWaldLG unterliegt. Nur sofern eine Straße oder ein Weg im Sinne des Straßengesetzes oder ein tatsächlich öffentlicher Fahrweg, welcher von Kraftfahrzeugen und Zugtiergespannen genutzt wird, vorliegt, ist die Anwendbarkeit des § 30 NWaldLG nicht gegeben. Eine solche Nutzung hat die Klägerin nicht vorgetragen.
In Bezug auf die Verkehrssicherungspflicht haftet grundsätzlich jeder, der auf seinem Grundstück den Verkehr eröffnet oder zulässt im Rahmen des Zumutbaren. § 14 Abs. 1 S. 3 BWaldG und § 30 Abs. 1 S. 1 NWaldLG konkretisieren die Verkehrssicherungspflichten für einen Waldbesitzer jedoch dahingehend, dass die Benutzung des Waldes "auf eigene Gefahr" geschieht. Hiermit wollte der Gesetzgeber für den Waldbesitzer eine Haftungserweiterung über die "normale" Verkehrssicherungspflicht hinaus für typische Waldgefahren ausschließen (vgl. LG Braunschweig, Urteil v. 25.09.2003, 2 O 2817/01; OLG Köln, Urt.v. 11.5.1987, NJW-RR 1987, S. 988).
An den Begriff "auf eigene Gefahr" anknüpfend, hat der niedersächsische Gesetzgeber durch § 30 Abs. 1 S. 2 NWaldLG die Rahmenvorschrift des § 14 Abs. 1 S. 3 BWaldG haftungseinschränkend ausgefüllt. Der Wald- bzw. Grundbesitzer soll für natur- und waldtypische Gefahren durch Bäume und den Zustand von Wegen nicht haften.
Durch den quer über den Weg liegenden Baum hat sich eine solche natur- bzw. waldtypische Gefahr durch einen Baum bzw. den Zustand eines Weges verwirklicht.
"Natur- bzw. waldtypische" Gefahren sind die durch Naturereignisse wie Überschwemmung, Erdrutsch, Steinschlag oder Geröll verursachten Wegschäden, Bodenunebenheiten, Wurzeln, auf dem Weg liegende Baumteile oder in den Luftraum hineinragende Äste. (Agena, NuR 2003, 654, (660)) Diese Gefahren umfassen nach dem Willen des niedersächsischen Gesetzgebers insbesondere auch Risiken aus Tot- und Altholz (LT-DRS. 14/3220, 23; Möller, Waldrecht und Umweltrecht in Niedersachsen, 2. Auflage, 2003, S. 456).
Nur sog. atypische Gefahren lassen die Haftungsausschlusstatbestände des § 30 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 2 NWaldLG unberührt. Eine atypische Gefahr stellt, in Anlehnung an die bisherige Rechtsprechung zu Verkehrsicherungspflichten der Waldbesitzenden, die vom Wald- bzw. Grundbesitzer selbst geschaffenen - also zusätzlich in die freie Landschaft hineingebrachten - Gefahrenquellen dar, mit denen auch ein vorsichtiger und aufmerksamer Wegenutzer nicht rechnet. (OLG Köln, Urt.v. 11.05.1987, NJW-RR 1987, 988, [OLG Köln 11.05.1987 - 7 U 308/86] Agena, Verkehrssicherungspflichten in der freien Landwirtschaft, NuR 2003, S. 654 (658)).
Eine sog. atypische Gefahr hat sich entgegen der Ansicht der Klägerin nicht verwirklicht.
Soweit sich die Klägerin auf das Urteil des OLG Köln (OLG Köln, Urt.v. 21.01.1988, NuR 1988, 310 f.) beruft, welches einen quer über den Weg liegenden Baumstamm als Hindernis und damit als atypische Gefahr gewertet hat, kann diese Auslegung aufgrund der gesetzlichen Neuregelung des § 30 Abs. 1 S. 2 Nr. 1, 2 NWaldLG aus dem Jahr 2002 nicht auf den vorliegend zu beurteilenden Fall übertragen werden. Im Hinblick auf die ökologischen Bestrebungen naturnahe Wälder zu erhalten, in denen vermehrt Totholz seinem natürlichen Verfall überlassen wird, entspricht es einer natürlichen Entwicklung, dass abgestorbene Bäume umstürzen und dadurch gegebenenfalls einen Wanderweg versperren.
Dieser Entwicklung Rechnung tragend hat der niedersächsische Gesetzgeber die Haftung für Gefahren durch Totholz als waldtypische Gefahr ausgeschlossen. Eine atypische Gefahr im Sinne des § 30 Abs. 1 S. 2 NWaldG läge nur vor, wenn der Baum durch den Waldbesitzer bewusst als sog. "Sperrbaum" eingesetzt wird, um z.B. das Betreten oder Befahren des Weges zu verhindern. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
Im Übrigen war der quer liegende Baumstamm für die Klägerin als Gefahrenquelle klar erkennbar.
Auch hinsichtlich der letztlich zum Sturz führenden vereisten Spurrillen im Waldboden hat sich eine natur- und waldtypische Gefahr verwirklicht. Denn Trampelpfade können infolge von Witterungseinflüssen insbesondere durch Frost abschüssige und glatte Oberflächen aufweisen. Dieser durch natürliche Prozesse herbeigeführte Zustand des Weges führt, unabhängig davon, ob die Bodenunebenheiten auf dem Weg oder abseits des Weges auftreten, zu einem Haftungsausschluss.
Aus den gleichen Gründen bleibt der Feststellungsantrag ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.