Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 06.10.1998, Az.: VI 217/94
Nachträgliche Änderung von Gewinnverteilungsbeschlüssen; Nachträgliche Herabsetzung einer Gewinnausschüttung; Ziel der Zuordnung zu anderen Veranlagungszeiträumen
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 06.10.1998
- Aktenzeichen
- VI 217/94
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 20337
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1998:1006.VI217.94.0A
Rechtsgrundlagen
- § 8 Abs. 5 KStG
- § 43 KStG
- § 10d Abs. 1 EStG
- § 27 KStG
Fundstellen
- GmbHR 1999, 306 (amtl. Leitsatz)
- NWB DokSt 1999, 975
Verfahrensgegenstand
Körperschaftsteuer 1987-1990
ges. Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gem. § 47 Abs. 1 KStG zum 31.12.1987- 31.12.1990
ges. Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.1991
Redaktioneller Leitsatz
Einmal gefasste Gewinnverteilungsbeschlüsse können nicht nachträglich mit dem Ziel der nachträglichen Herabsetzung einer beschlossenen und tatsächlich vollzogenen Gewinnausschüttung mit steuerlicher Wirkung geändert werden, auch wenn es nicht darum geht, die Gewinnausschüttung insgesamt rückgängig zu machen, sondern diese lediglich anderen Veranlagungszeiträumen zuzuordnen.
In dem Rechtsstreit
hat der VI. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
mit Einverständnis der Beteiligten
ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 6. Oktober 1998, an der mitgewirkt haben:
Präsident des Finanzgerichts ... als Vorsitzender ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtliche Richterin ... Dipl.-Kauffrau
ehrenamtliche Richterin ... Beamtin
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird auf Kosten der Klägerin abgewiesen.
Tatbestand
Streitig ist in formeller Hinsicht die Rechtzeitigkeit der Klage. In materieller Hinsicht streiten die Beteiligten darüber, ob Gewinnverteilungsbeschlüsse mit steuerlicher Wirkung nachträglich dahin geändert werden können, daß die Ausschüttung für ein anderes als das ursprünglich bestimmte Wirtschaftsjahr erfolgt.
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die den Handel mit Kraftfahrzeugen und einer Kraftfahrzeugwerkstatt betreibt. Vor Durchführung eines Verlustrücktrages aus dem Jahre 1991 ergaben sich für die Streitjahre 1987 bis 1990 folgende Besteuerungsgrundlagen:
1987 | 1988 | 1989 | 1990 | |
---|---|---|---|---|
DM | DM | DM | DM | |
Einkommen | 270.690 | 86.439 | 339.354 | 860.381 |
Tarifbelastung | 151.586 | 269.405 | 187.038 | 416.665 |
offene Gewinnausschüttungen | 200.000 | 200.000 | 200.000 | 533.332 |
Minderung der Körperschaftsteueraus offenen Gewinnausschüttungen | 62.570 | 62.500 | 62.500 | 136.266. |
Für das Jahr 1991 ergab sich ein Verlust, den der Beklagte (das Finanzamt - FA -) zunächst auf 157.229 DM feststellte und in Höhe von 26.854 DM auf das Einkommen des Jahres 1989 und in Höhe von 27.050 DM auf das Einkommen des Jahres 1990 zurück trug. (geänderte Körperschaftsteuerbescheide 1989 und 1990 sowie Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs auf den 31. Dezember 1991 vom 25. November 1993).
Mit Schreiben vom 2. Dezember 1993 legte die Klägerin gegen diese Bescheide Einspruch ein. Gegen die Körperschaftsteuerfestsetzung 1989 war - ebenso wie gegen die Körperschaftsteuerfestsetzungen 1987 und 1988 - zu diesem Zeitpunkt bereits aus anderen Gründen ein Einspruchsverfahren anhängig (Einspruch der Klägerin vom 27. August 1992). Mit dem Einspruchsschreiben vom 2. Dezember 1993 trug die Klägerin vor, sie habe mit Beschluß der Gesellschafterversammlung vom 26. November 1992 ihre in der Vergangenheit gefaßten Gewinnverwendungsbeschlüsse aufgehoben und die Zuordnung der Gewinnausschüttungen zu den Wirtschaftsjahren 1986 bis 1991 in der Weise geändert, daß der 1991 entstandene Verlust in voller Höhe auf das Einkommen des Jahres 1989 zurückgetragen werden könne. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluß der Gesellschafterversammlung vom 26. November 1992 (Bl. 42 der Gerichtsakte) Bezug genommen.
Durch Einspruchsbescheid vom 2. März 1994 wies das FA diesen Antrag als unbegründet zurück. Es vertrat die Ansicht, daß die Änderung einmal gefaßter Gewinnverteilungsbeschlüsse nur in Ausnahmefällen (rückwirkende Gesetzesänderung, Ausschüttung von Mehrgewinn nach einer Betriebsprüfung) möglich sei. Derartige Gründe lägen im Streitfall nicht vor. Die Änderung der Gewinnverteilungsbeschlüsse diene dem ausschließlichen Zweck, die bereits entstandene Steuer des Jahres 1989 durch einen höheren Verlustrücktrag zu mindern, und sei daher willkürlich.
Der Einspruchsbescheid wurde der Prozeßbevollmächtigten der Klägerin mit eingeschriebenem Brief bekanntgegeben. Die Aufgabe zur Post erfolgte am 2. März 1994.
Am 21. April 1994 ging bei Gericht ein Schriftsatz der Prozeßbevollmächtigten ein, in dem sie mitteilte, bereits mit Schreiben vom 17. März 1994 Klage erhoben zu haben. Eine telefonische Rückfrage bei der Geschäftsstelle habe jedoch ergeben, daß die Klageschrift nicht eingegangen sei. Die Gründe dafür seien nicht bekannt. Es werde um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gebeten. Dem Schriftsatz vom 20. April 1994 war eine Kopie der Aktenausfertigung der Klageschrift vom 17. März 1994 sowie die Kopie der den 17. März 1994 betreffenden Seite des Postausgangsbuches der Prozeßbevollmächtigten beigefügt. Darin befand sich die Eintragung:
"Empfänger | Mandant | Inhalt |
---|---|---|
Nieders. FG | Auto | Rechtsstreit". |
Die Kopie der Aktenausfertigung der Klageschrift enthielt im Anschriftenfeld als Versendungsform die Angabe "Einschreiben/Rückschein".
Nachdem die Prozeßbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben des Berichterstatters vom 25. Februar 1998 gebeten worden war, den Postbeleg über die Einlieferung der Sendung vom 17. März 1994 vorzulegen, teilte sie mit, daß sie hierzu außerstande sei. Wie sich aus dem Inhalt des Postausgangsbuches ergebe, habe die mit dem Postversand betraute Bürokraft die Klageschrift offenbar - weisungswidrig - nicht als Einschreiben, sondern als einfachen Brief aufgegeben.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Verlust des Jahres 1991 in Höhe eines weiteren Teilbetrages von 103.325 DM auf das Einkommen des Jahres 1989 zurückzutragen und das zu versteuernde Einkommen für 1989 mit 209.175 DM festzustellen und die angefochtenen Bescheide imübrigen unter Berücksichtigung des Beschlusses vom 26. November 1992 über die Neufassung des Gewinnverteilungsbeschlusses für die Jahre 1987 bis 1990 zu ändern.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält die Klage für unzulässig, da sie erst nach Ablauf der Klagefrist erhoben worden sei. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht möglich, da die Klägerin erstmals mit Schriftsatz vom 13. Oktober 1994 Wiedereinsetzungsgründe vorgetragen habe.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig. Sie ist zwar erst nach Ablauf der Klagefrist am 5. April 1994 (§ 47 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i.V. mit § 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung) bei Gericht eingegangen. Der Klägerin ist insoweit jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 56 Abs. 1 FGO). Denn sie hat innerhalb der sich aus § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO ergebenden Frist die versäumte Rechtshandlung nachgeholt undeinen Sachverhalt dargelegt und glaubhaft gemacht (Verlust der Klageschrift auf dem Postweg), aus dem sich ergibt, daß sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Klagefrist zu wahren.
Die Klage ist aber nicht begründet. Die Berücksichtigung eines höheren als des von dem FA zugrundegelegten Verlustrücktrags für das Jahr 1989 ist ausgeschlossen.
Nach § 8 Abs. 4 (seit 1990 § 8 Abs. 5) des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) in der für die Streitjahre maßgebenden Fassung ist der Verlustrücktrag nach § 10 d Absatz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bei Kapitalgesellschaften und bei sonstigen Körperschaften im Sinne des § 43 KStG nur vorzunehmen, soweit im Abzugsjahr das Einkommen den ausgeschütteten Gewinn übersteigt, der sich vor Abzug der Körperschaftsteuer ergibt und für den die Ausschüttungsbelastung nach § 27 KStG herzustellen ist. Durch diese Regelung sollte verhindert werden, daß bei den zur Eigenkapitalgliederung verpflichteten Kapitalgesellschaften ein Verlustrücktrag im Fall des Zusammentreffens mit einer Gewinnausschüttung ohne steuerliche Entlastung verbraucht wurde (Wrede in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommen- und Körperschaftsteuergesetz, § 8 KStG, Anm. 66; Streck, Körperschaftsteuergesetz, 5. Auflage, § 8 Anm. 153). Im Streitfall hat die Klägerin aufgrund des Gewinnverteilungsbeschlusses vom 5. August 1990 für das Wirtschaftsjahr 1989 einen Gewinn in Höhe von 200.000 DM ausgeschüttet, für den im Veranlagungszeitraum 1989 die Ausschüttungsbelastung herzustellen war (§ 27 Abs. 3 Satz 1 KStG). Nach § 8 Abs. 4 (Abs. 5) KStG ist der Verlustrücktrag aus 1991 daher auf 26.854 DM begrenzt. Um diesen Betrag überstieg das Einkommen vor Durchführung des Verlustrücktrags (339.354 DM) die Summe aus der offenen Gewinnausschüttung von 200.000 DM und der darauf entfallenden Ausschüttungsbelastung von 112.500 DM (36/64 des ausgeschütteten Betrags - § 27 Abs. 1 KStG in der für das Streitjahr 1989 maßgeblichen Fassung -), also den Betrag von 312.500 DM.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es nicht möglich, die für das Jahr 1989 beschlossene und tatsächlich vorgenommene Gewinnausschüttung nachträglich einem anderen Wirtschaftsjahr zuzuordnen und auf diese Weise für 1989 ein höheres Verlustrücktragspotential zu schaffen. Unter einer Ausschüttung im Sinne des § 27 Abs. 1 und 3 KStG ist der tatsächliche Abfluß der - hier: - den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechend beschlossenen Gewinnverteilung zu verstehen (BFH-Urteil vom 9. Dezember 1987 I R 260/83, BStBl II 1988, 460). Mit dem Abfluß der Gewinnanteile ist die Ausschüttung vollzogen. Der damit verwirklichte Sachverhalt ist der Besteuerung zugrundezulegen. Wird der Sachverhalt später dadurch "rückgängig" gemacht, daß der Gewinnverteilungsbeschluß aufgehoben wird und die Gewinnanteile zurückgefordert werden, so ist die Rückzahlung steuerrechtlichals Einlage zu beurteilen (BFH-Urteile vom 29. April 1987 I R 176/83, BStBl II 1987, 733, und vom 14. März 1989 I R 105/88, BStBl II 1989, 741). Die am 26. November 1992 erfolgte Aufhebung des Gewinnverteilungsbeschlusses für das Jahr 1989 konnte der zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgten Ausschüttung für dieses Wirtschaftsjahr nicht mehr den Charakter einer auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Beschluß beruhenden Gewinnverteilung nehmen. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang allein, daß der Beschluß vom 5. August 1990 im Zeitpunkt seines Vollzuges rechtswirksam bestand.
In seinen Urteilen vom 30. März 1983 I R 178/79 (BStBl II 1983, 512) und vom 5. Juni 1985 I R 183/84 (BStBl II 1986, 84), die beide noch zum früheren Körperschaftsteuerrecht ergangen sind, hat der BFH zwar die Auffassung vertreten, daß einmal gefaßte Gewinnverteilungsbeschlüsse nachträglich mit dem Ziel geändertwerden können, einen (höheren) Gewinn auszuschütten. Im Streitfall begehrt die Klägerin für 1989 aber nicht die nachträgliche Erhöhung, sondern die nachträgliche Herabsetzung einer beschlossenen und tatsächlich vollzogenen Gewinnausschüttung. Diese ist - wie dargelegt - mit steuerlicher Wirkung nicht möglich.
Auch der Umstand, daß die Klägerin die einmal eingetretenen Wirkungen der Gewinnausschüttung nicht insgesamt rückgängig machen, sondern diese lediglich anderen Veranlagungszeiträumen zuordnen will, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Da der ausgeschüttete Betrag insgesamt unverändert geblieben ist, setzt die nachträgliche Erhöhung der Ausschüttungen für die anderen Streitjahre einen entsprechenden Rückfluß für das Streitjahr 1989 voraus. Die in dem Beschluß vom 26. November 1992 vorgesehene Verrechnung der unterschiedlichen Zahlungsströme stellt lediglich eine Abkürzung des Zahlungswegs dar, ändert abernichts an dem rechtlichen Gehalt der zugrundeliegenden Vorgänge.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO abzuweisen.