Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.01.2002, Az.: 12 LA 17/02
Zulässige Bekanntgabe eines Bescheids durch Telefax; Im Interesse des Vollmachtgebers liegende Bekanntgabe an Bevollmächtigten; Auswirkung einer späteren Bekanntgabe gegenüber den Vollmachtgeber auf Lauf der Widerspruchsfrist; Anforderung an hinreichende Darlegung bei zahlreichen Äußerungen in Kommentarliteratur
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 14.01.2002
- Aktenzeichen
- 12 LA 17/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 23084
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2002:0114.12LA17.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 28.03.2001 - AZ: 3 A 4210/00
Rechtsgrundlagen
- § 37 SGB X
- § 70 Abs. 1 VwGO
Fundstellen
- DStR 2002, 1959 (amtl. Leitsatz)
- DStZ 2002, 580
- DVBl 2003, 156 (amtl. Leitsatz)
- FEVS 2003, 178-181
- NJW 2002, 1969-1970 (Volltext mit amtl. LS)
- NVwZ 2002, 1396 (amtl. Leitsatz)
- NordÖR 2002, 433
Amtlicher Leitsatz
(Erst-)Bescheide können von dem Träger der Sozialhilfe auch per Telefax bekannt gegeben werden. Hierbei handelt es sich um eine Bekanntgabe auf andere Weise, auf die die Fiktion des § 37 Abs. 2 SGB X keine Anwendung findet.
Ob eine Zustellung - mittels Empfangsbekenntnis - per Telefax möglich ist (so Hanseatisches OVG, Beschl. v. 20.09.1995 - Bs IV 143/95 - , NJW 1996, 1226 u. v. 15.04.1996 - Bs II 177/96 - , NJW 1997, 2626(2617)), wird offen gelassen.
Aus den Gründen
Nach diesem Maßstab haben die Kläger, die die Auffassung des Verwaltungsgerichts bekämpfen, ihre gegen den Bescheid der Beklagten vom 20. September 1999 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Oktober 2000) erhobene Klage sei wegen Versäumung der Widerspruchsfrist als unzulässig zu behandeln, einen Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht hinreichend dargelegt.
Die Kläger machen hierzu geltend, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 28. März 2001 sei deshalb ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit ausgesetzt, weil das Verwaltungsgericht verkannt habe, dass sich der durch ihren Prozessbevollmächtigten am 22. Oktober 1999 erhobene Widerspruch nicht gegen den ihrem Bevollmächtigten am 20. September 1999 per Telefax übermittelten Bescheid, sondern gegen den (Original-)Bescheid (vom 20. September 1999) gerichtet habe, der ihnen selbst dadurch bekannt gegeben worden sei, dass er am 20. September 1999 zur Post gegeben worden sei. Da aber auf diesen, d. h. per Post versandten Bescheid die 3-Tages-Frist des § 37 Abs. 2 SGB X anzuwenden sei , hätte das Verwaltungsgericht den am Freitag, dem 22. Oktober 1999 - per Telefax - bei der Beklagten erhobenen Widerspruch (gegen den Bescheid vom 20. September 1999) als fristgemäß behandeln und der Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung von Sozialhilfeleistungen auch für Zeiträume vor dem 1. September 1999 stattgegeben müssen. Soweit in dem angefochtenen Urteil die Auffassung vertreten werde, "die verlängerte Fiktionszustellungsfrist von 3 Tagen <entfalle> für einen durch die Post übersandten Verwaltungsakt, wenn eine Behörde diesen Verwaltungsakt vorab per Fax bekannt" gebe, so könne dies der Bestimmung des § 37 SGB X nicht entnommen werden, weshalb das verwaltungsgerichtliche Urteil ernstlichen Zweifeln an seiner Richtigkeit ausgesetzt sei.
Dieses Vorbringen erfüllt indessen nicht die Anforderungen, die an die Darlegung eines Zulassungsgrundes nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu stellen sind (s. o.), was sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt:
Der jetzige Prozessbevollmächtigte der Kläger hatte sich mit (Widerspruchs-)Schreiben vom 16. September 1999 unter Hinweis auf eine ihm von der Klägerin zu 1. erteilte, umfassende Vollmacht am selben Tage bei der Beklagten (Sozialamt) gemeldet - das Widerspruchsschreiben und die Vollmacht wurden der Beklagten per Telefax übermittelt - und sich hierbei (für die Kläger) gegen die Einstellung der den Klägern bisher gewährten Hilfe zum Lebensunterhalt ("ab Juli 1999") gewandt. Nachdem die Beklagte, die die Einstellung der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt gegenüber den Kläger mit fehlender Mitwirkung (Schreiben vom 2. August und 6. September 1999) begründet hatte, in einem mit dem Bevollmächtigten am 17. September 1999 geführten Telefongespräch die Vorlage des (abgeänderten) Mietvertrages der Kläger gefordert hatte, legte der Bevollmächtigte - per Telefax - diesen Mietvertrag (vom 19. September 1999) am 20. September 1999 vor. Daraufhin erließ die Beklagte den hier umstrittenen Bescheid vom 20. September 1999, der am selben Tage um 16.27 Uhr per Telefax, und zwar nur per Telefax an den Bevollmächtigten übermittelt wurde. Diese Übermittlung des Bescheides vom 20. September 1999 ist als (erstmalige) Bekanntgabe des Bescheides nach § 37 Abs. 1 SGB X einzuordnen. Es entspricht heute allgemeiner Ansicht (s. dazu etwa BFH, Beschl. v. 31.03.1998 - I S 8/97 - , NJW 1998, 2383 [BFH 31.03.1998 - I S 8/97]; OLG Frankfurt/Main, Beschl. v. 07.01.2000 - 20 W 591/99 - , NJW 2000, 1653(1654) [OLG Frankfurt am Main 07.01.2000 - 20 W 591/99]; P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, RdNr. 19 zu § 41; Henneke, in: Knack, VwVfG, 7. Aufl. 2000, RdNr. 14 zu § 41; Liebetanz, in: Obermayer, VwVfG, 3. Aufl. 1999, RdNr. 11 zu § 41), dass ein Bescheid durch eine Behörde auch mit Hilfe moderner elektronischer Übermittlungsmethoden wie dem Telefax bekannt gegen werden kann. Hierbei handelt es sich dann um eine Bekanntgabe nach § 37 Abs. 1 SGB X, nicht aber nach § 37 Abs. 2 SGB X; denn die zuletzt genannte Bestimmung bezieht sich, wie ihr Wortlaut ("...Verwaltungsakt, der durch die P o s t im Inland übermittelt wird,...") und auch ihre Entstehungsgeschichte (BT-Drucks. 8/2034, S. 33 - zu § 35 des Entwurfes - i. V. m. BT-Drucks. 7/910, S. 62 - zu § 37 Abs. 2 des Entwurfes) zweifelsfrei ergeben, nur auf die Bekanntgabe eines (schriftlichen) Verwaltungsaktes durch Übermittlung eines einfachen Briefes per Post, nicht aber auf eine elektronische Übermittlung des Bescheides etwa per Telefax (ebenso P. Stelkens/U. Stelkens, aaO, RdNr. 61 und RdNr. 61c zu § 41 u. Henneke, aaO - jeweils zu der insoweit gleichlautenden Vorschrift des § 41 Abs. 2 VwVfG).
Die Beklagte (Sozialamt) wollte mit dieser Übermittlung per Telefax auch den Bevollmächtigten der Kläger nicht etwa nur vorab über den Erlass des Bescheides vom 20. September 1999 informieren (mit der Folge, dass dann eine Bekanntgabe des Bescheides an diesen noch nicht erfolgt wäre); denn einen derartigen Vorbehalt enthält das dem für den Bevollmächtigten beigefügte Anschreiben zu dem Bescheid vom 20. September 1999 nicht. Vielmehr kann nach Würdigung aller Umstände nur davon ausgegangen werden, dass die Beklagte das ihr nach § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB X zuzubilligende Ermessen (BVerwG, Urt. v. 30.10.1997 - BVerwG 3 C 35.96 - , BVerwGE 105, 288 = NVwZ 1998, 1292(1293) [BVerwG 30.10.1997 - 3 C 35/96]; BSG, Urt. v. 21.02.1985 - 11 RA 6/84 - , NVwZ 1986, 421; Engelmann, in: von Wulfen, SGB X, 4. Aufl. 2001, RdNr. 10 zu § 37; Pickel, SGB X, Stand: November 2001, RdNr. 29 zu § 37) dahin ausgeübt hat, dass der die Wiederaufnahme der Gewährung laufender Hilfe zum Lebensunterhalt aussprechende Bescheid vom 20. September 1999 (verbindlich) sogleich dem Bevollmächtigten der Kläger bekannt gegeben werden sollte, mit dem die Beklagte ohnehin hinsichtlich der noch ausstehenden Mitwirkungshandlungen der Kläger (Vorlage des geänderten Mietvertrages, s. o.) in Kontakt (per Telefon und per Telefax) gestanden hatte. Auch ist zu berücksichtigten, dass eine zusätzliche Bekanntgabe an den Bevollmächtigten auf dem Briefwege nicht (mehr) erfolgt ist, eine unmittelbare Bekanntgabe gegenüber dem Bevollmächtigten angesichts des von den Kläger über ihren Bevollmächtigten bereits anhängig gemachten verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens - 3 B 3437/99 - , welches auch auf die Weitergewährung der Hilfe zum Lebensunterhalt gerichtet war, im Interesse der Beklagen, aber auch der Kläger liegen musste, dass sich der Bevollmächtigte der Kläger im Übrigen zuvor selbst bei der Übermittlung von Schreiben im Schriftverkehr mit dem Sozialamt der Beklagten der Übermittlung von Schreiben per Telefax bedient hatte und dass in der der Beklagten (Sozialamt) zuvor übersandten Vollmacht ausdrücklich hervorgehoben worden war, dass (zumindest) Zustellungen nur an den Bevollmächtigten erfolgen sollten.
Entgegen der Ansicht der Kläger unterliegt das angefochtene Urteil, in dem der Widerspruch vom 22. Oktober 1999 als verfristet behandelt worden ist, auch insoweit nicht ernstlichen Zweifeln, als durch die nach dem 20. September erfolgte Übermittlung des Bescheides vom 20. September 1999 auf dem Postwege an die Kläger selbst etwa die Widerspruchsfrist des § 70 Abs. 1 VwGO erneut in Lauf gesetzt worden wäre.
Dies ist nämlich nicht der Fall. Ist der Bescheid vom 20. September 1999 noch am selben Tage (oder auf jeden Fall am darauffolgenden Tage, einem Dienstag, s. u.) dem Bevollmächtigten der Kläger wirksam bekannt gegeben worden, so wurde bereits hierdurch die Widerspruchsfrist in Lauf gesetzt, die spätere Bekanntgabe gegenüber den Klägern selbst veränderte diese Frist nicht mehr (Liebetanz, aaO, RdNr. 27; Engelmann, aaO, RdNr. 10; Pickel, aaO, RdNr. 29).
Soweit in dem angefochtenen Urteil auch erwogen worden ist, die am 20. September 1999 um 16.27 Uhr erfolgte Übermittlung an den Bevollmächtigten könnte zur Unzeit erfolgt sein (vgl. dazu P. Stelkens/U. Stelkens, aaO, RdNr. 21), so dass eine Bekanntgabe erst am Dienstag, dem 21. September 1999 erfolgt sein könnte, kann der Senat offen lassen, ob diesen (erkennbar ergänzenden) Erwägungen - unter Berücksichtigung dessen, dass eine Rechtsanwaltskanzlei üblicherweise an einem Werktag gegen 16.30 Uhr noch besetzt sein wird und der Dienstagnachmittag von den Bürozeiten der Kanzlei des Bevollmächtigten nicht erkennbar ausgenommen war - zu folgen ist; denn auch bei einer Bekanntgabe des Bescheides (erst) am 21. September 1999 wäre die Widerspruchsfrist versäumt, wie das Verwaltungsgericht (auch) zutreffend ausgeführt hat.
Diesen Maßstab verfehlt die Darlegung, die als grundsätzlich klärungsbedürftig die Fragen aufwirft, ob "Verwaltungsakte von Sozialleistungsträgern, den Adressaten vorab per Fax zugestellt, die günstige Zustellungsfiktion im Sinne des § 37 (2) SGB X verkürzen dürfen", und "ob die Bekanntgabe von Verwaltungsakten durch Sozialleistungsträger per Fax rechtlich in § 37 (2) SGB X oder in § 37 (5) SGB X einzuordnen wäre"; denn diese Fragen würden sich entweder in einem zulassenden Berufungsverfahren nicht stellen oder erweisen sich nicht als klärungsbedürftig, weil sie sich bereits aus dem Gesetz selbst beantworten lassen.
Soweit die Frage aufgeworfen wird, ob durch eine Zustellung "vorab per Fax...die günstige Zustellungsfiktion im Sinne des § 37 (2) SGB X" verkürzt werden darf, stellt sich diese Frage im vorliegenden Verfahren schon deshalb nicht, weil der umstrittene Bescheid vom 20. September 1999 von der Beklagten nicht zugestellt worden ist und auch nicht (als Erstbescheid) zugestellt werden musste; im Übrigen handelte es sich auch nicht um eine Zustellung oder Bekanntgabe des Bescheides vorab, wie dies bereits oben (unter Tz. 1.2) dargelegt worden ist.
Soweit die Frage aufgeworfen wird, unter welchen Absatz des § 37 SGB X eine Bekanntgabe per Telefax (durch den Sozialhilfeträger) fällt, fehlt es ebenfalls an einer hinreichenden Darlegung. Abgesehen davon, dass der Zulassungsantrag insoweit jegliche rechtliche Auseinandersetzung vermissen lässt - der Hinweis auf eine erfolglose JURIS-Recherche genügt erkennbar nicht dem Darlegungserfordernis, wenn wie hier zahlreiche Äußerungen aus der Kommentarliteratur vorliegen - , ergibt sich aus dem oben Ausgeführten (unter Tz. 1.2) ohne weiteres, d. h. schon aufgrund der Lektüre des Gesetzestextes des § 37 Abs. 2 SGB X, dass eine Bekanntgabe per Telefax nicht unter die Bestimmung des § 37 Abs. 2 SGB X fallen kann. Sie fällt zweifelsfrei auch nicht unter § 37 Abs. 5 SGB X, wenn mit ihr wie im vorliegenden Fall nicht zugleich eine Zustellung bewirkt werden sollte - nur diesen Fall erfasst § 37 Abs. 5 SGB X - , wobei der hier Senat offen lassen kann, ob ein Bescheid eines Sozialhilfeträgers an einen Rechtsanwalt per Telefax (und mit Hilfe eines Empfangsbekenntnisses) überhaupt zugestellt werden kann (vgl. dazu Hanseatisches OVG, Beschl. v. 20.09.1995 - Bs IV 143/95 - , NJW 1996, 1226 u. v. 15.04.1996 - Bs II 177/96 - , NJW 1997, 2616(2617) [OVG Hamburg 15.04.1997 - Bs II 177/96]; a. A. Henneke, aaO, RdNr. 14).