Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.01.2002, Az.: 1 L 1800/00

Abwasserbeseitigung; Anlage; Aufschüttung; Baugenehmigung; bauliche Anlage; Gebäude; Grenzabstand; Nachbargrenze; Nachbarschutz; Pumpenschacht

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
14.01.2002
Aktenzeichen
1 L 1800/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 43982
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BVerwG - 23.04.2002 - AZ: BVerwG 4 B 23.02

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zur Zulässigkeit eines begehbaren Pumpenschachts mit Schaltschrank zur öffentlichen Abwasserbeseitigung an der Nachbargrenze

Tatbestand:

1

Die Klägerin begehrt die Beseitigung eines durch den Beigeladenen errichteten Pumpenschachts mit Schaltschrank auf dem an ihr Grundstück angrenzenden Straßengrundstück der B. in M..

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Die Klägerin ist Eigentümerin eines Hofgeländes in M., das an die B. angrenzt. Im Jahr 1997 errichtete der Beigeladene in dem an das Grundstück der Klägerin angrenzenden Straßenseitenraum der B. einen Pumpenschacht mit Schaltschrank zur öffentlichen Abwasserbeseitigung. Der Schaltschrank ragt einschließlich Sockel aus dem aufgeschütteten Boden 1,40 m heraus. Er ist 1,10 m breit und hat eine Tiefe von 0,60 m. Der Pumpenschacht hat einen Durchmesser von 2 m und eine Längenausdehnung von insgesamt 4,50 m. Er ist zum größten Teil im Boden versenkt. Bis zu seiner Oberkante ist das Gelände aufgeschüttet worden, um eine Erreichbarkeit des Pumpenschachtes auch bei Überflutung durch Hochwasser zu gewährleisten. Der Pumpenschacht verfügt über eine Einsteigleiter und ist zu Wartungsarbeiten begehbar bis zu seiner Sohle. Die Deckeloberkante des Pumpenschachtes liegt nach der Aufschüttung nach einem von dem bauausführenden Planungsbüro erstellten Nivellement bei 38,34 m über NN. Das ursprüngliche gewachsene Gelände lag danach an diesem Punkt bei 37,80 m über NN. Das Gelände an der Grenze zum Grundstück der Klägerin liegt nach den Angaben der bauausführenden Firma bei 37,78 m über NN. Die um den Pumpenschacht herum vorgenommene Aufschüttung beträgt nach den Angaben der bauausführenden Firma am höchsten Punkt 0,80 m in der Höhe und fällt nach beiden Seiten auf einer Länge von insgesamt 5 m ab auf die Höhe des gewachsenen Geländes. Der Abstand des Schaltschranks zum Grundstück der Klägerin beträgt 1,22 m.

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Im März 1997 wandte sich die Klägerin an den Beklagten und wies darauf hin, dass nach ihrer Ansicht der notwendige Grenzabstand durch das zu errichtende Pumpenbauwerk nicht eingehalten werde. Im April 1997 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass ein Einschreiten nicht für erforderlich gehalten werde; nach den vorgelegten Planungsskizzen liege die Oberkante des Pumpenschachtes ca. 0,80 m über dem gewachsenen Gelände. Der Abstand von der Mitte des Pumpenschachtes zur Grundstücksgrenze betrage 3 m. Mit Schreiben vom Juni 1997 bat die Klägerin um Erteilung eines Widerspruchsbescheides. Mit Schreiben vom 25. Februar 1998 nahm der Beklagte gegenüber der Bezirksregierung L. zu dem Widerspruch der Klägerin gegen sein Schreiben vom April 1997 Stellung und wies darauf hin, dass die Errichtung des Pumpenschachtes nach § 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 NBauO zulässig sei, und die Errichtung nach § 69 Abs. 1 i.V.m. Ziff. 3.8 des Anhangs zur NBauO genehmigungsfrei sei. Der Schaltschrank und der Pumpenschacht seien zusammengehörende Gebäudeteile, die dementsprechend einheitlich bewertet werden müssten. Unter dem Datum vom 3. März 1998, zugestellt am 7. März 1998, wies die Bezirksregierung L. den Widerspruch der Klägerin zurück.

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Ihre daraufhin erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht Lüneburg mit Urteil vom 10. November 1999 zurück, weil ein Anspruch auf Einschreiten nicht bestehe, denn das Pumpenbauwerk stehe im Einklang mit den bauordnungsrechtlichen Abstandsvorschriften. Zwar unterfalle der Schaltschrank der Vorschrift des § 12 a Abs. 1 NBauO. Diese Vorschrift verweise jedoch nicht nur auf die in ihr genannten §§ 7 bis 10 NBauO, sondern auch auf § 12 NBauO, der einen Grenzabstand von 1 m zulasse. Dem genüge der Schaltschrank. Die Ausmaße der vorgenommenen Aufschüttung seien dafür nicht relevant, weil die Aufschüttung gesondert zu betrachten sei und insoweit mit dem öffentlichen Baurecht ebenfalls im Einklang stehe, denn nach § 12 a Abs. 2 Nr. 3 2. Fall NBauO brauchten Aufschüttungen Abstand zum Nachbargrundstück nur dann zu halten, wenn sie höher als 1,50 m seien. Dies sei bei der Aufschüttung mit einer Höhe von maximal 0,80 m nicht notwendig.

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Mit Beschluss vom 11. Mai 2000 hat der Senat auf den Antrag der Klägerin die Berufung zugelassen.

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Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Klägerin vor, das Vorhaben sei bereits in planungsrechtlicher Hinsicht nicht zulässig, weil es, soweit man die B. dem Innenbereich zurechne, sich nicht einfüge, sondern in auffälliger Weise Disharmonie in die Landschaft bringe. Sofern der Standort zum Außenbereich zu rechnen sei, ständen dem Vorhaben öffentliche Belange entgegen. So stände das technische Bauwerk in einem visuellen Kontrast zu den denkmalgeschützten Gebäuden auf dem Grundstück der Klägerin. Das Erscheinungsbild dieser Gebäude und der alten Hofstelle sowie des hohen Altbaumbestandes könne rechtlichen Schutz beanspruchen. Darüber hinaus sei der vom Verwaltungsgericht gezogene Schluss, dass auf § 12 a NBauO auch § 12 NBauO zur Anwendung kommen könne, nicht haltbar, weil § 12 wie § 12 a NBauO Ausnahmen von den Abstandsvorschriften der §§ 7 bis 10 NBauO regele und deshalb einer ausdehnenden Auslegung nicht zugänglich sei. Abgesehen davon dürften die einzelnen Teile der baulichen Anlage nicht isoliert betrachtet werden, weil sie baulich und funktionell zusammenhingen und keines von ihnen eine selbstständige Bedeutung habe. Es müssten deshalb sowohl der Schaltschrank als auch der Pumpenschacht und die Aufschüttung als Einheit betrachtet werden. Die Anlage sei auch nicht genehmigungsfrei, weil die Maximalgröße von 20 m² weit überschritten worden sei.

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Die Klägerin beantragt,

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unter Änderung des angefochtenen Urteils der Klage mit der Maßgabe stattzugeben, dass die begehrte Beseitigungsanordnung das gesamte Bauvorhaben (Pumpenanlage mit Aufschüttung sowie Entlüftungsrohr und Schaltschrank) erfasst, mindestens aber mit den über Flur aufstehenden technischen Teilen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Zur Begründung verweist er darauf, dass die Anlage genehmigungsfrei sei, denn die Grundfläche inklusive der Aufschüttung betrage lediglich 19,60 m². Planungsrechtliche Aspekte seien nicht verletzt, denn auf dem Grundstück der Klägerin befänden sich keine anerkannten Denkmale im Sinne des Denkmalschutzgesetzes. Die Grenzabstandsvorschrift seien nicht verletzt. Soweit die gesamte Anlage nicht als Gebäude zu beurteilen sei regele sich der Abstand nach § 12 a NBauO. Die Bauwerke insbesondere der Schaltschrank riefen keine typischen Gebäudewirkungen hervor, so dass an sie nicht die Abstandsanforderungen wie an Gebäude gestellt werden könnten. Da das Bauvorhaben nicht im Widerspruch zum öffentlichen Baurecht stehe, sei auch kein Anlass zu Ermessenserwägungen hinsichtlich eines bauaufsichtlichen Einschreitens gegeben.

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Der Beigeladene hat sich im Berufungsverfahren nicht geäußert.

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Wegen der Einzelheiten im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung hat keinen Erfolg.

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Ein Nachbar hat grundsätzlich dann Anspruch auf Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde (gemäß § 89 NBauO), wenn ein Bauwerk gegen Rechtsnormen verstößt, die auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt sind, und das der Behörde eingeräumte Ermessen keine andere Entscheidung zulässt. Die Klägerin hat hier jedoch bereits deshalb keinen Anspruch auf Einschreiten der Behörde, weil das von ihr beanstandete Bauwerk dem öffentlichen Baurecht nicht widerspricht.

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Die von der Klägerin beanstandeten Teile des Bauwerks, bestehend aus Schaltschrank und Pumpenschacht, müssen als Einheit betrachtet werden. Nach der vom Beigeladenen vor dem Verwaltungsgericht vorgelegten Stellungnahme des bauausführenden Planungsbüros und den Erläuterungen im Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, handelt es sich um eine technische Einheit, deren Einzelteile nicht gesondert funktionsfähig sind, so dass Pumpenschacht und Schaltschrank zusammengehören. Sie sind genehmigungsfrei nach § 69 NBauO Anhang Nr. 3.8, weil sie der öffentlichen Wasserversorgung dienen und nach Höhe und Ausdehnung die dort angeführten Obergrenzen einhalten. Die um die bauliche Anlage herum vorgenommene Aufschüttung ist nicht Teil der Anlage selbst, da diese auch ohne die Aufschüttung funktionstüchtig ist. Sie ist deshalb der Gesamtgrundfläche nicht zuzurechnen.

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Die Anlage steht auch im Einklang mit dem materiellen Bauordnungsrecht. Es kann im Ergebnis letztlich offen bleiben, ob die Gesamtanlage nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 oder nach § 12 a NBauO zu beurteilen ist. Aus der Wertung des Gesetzgebers hinsichtlich der Anlagen zur öffentlichen Wasserversorgung in § 12 Abs. 1 Nr. 2 NBauO ist zu entnehmen, dass derartige Anlagen im Grenzbereich von den Nachbarn hingenommen werden müssen, wenn sie die in der Vorschrift gezogenen Grenzen nicht überschreiten. Diese Grenzen hält die beanstandete bauliche Anlage ein.

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Die Anlage dient der öffentlichen Abwasserbeseitigung und enthält weder Aufenthaltsräume noch Feuerstätten, so dass insoweit die Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 Nr. 2 NBauO erfüllt sind (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO, 7. Aufl. 2002, § 12 Rdn. 29). Der Pumpenschacht ist auch von Menschen zu betreten. Dies ergibt sich aus der vorgelegten Konstruktionszeichnung. Er ist mit einer Leiter ausgestattet, die zum Betreten durch Menschen eingebaut ist, um innerhalb des Pumpenschachtes Wartungsarbeiten durchführen zu können. Er ist überdeckt und dient auch dem Schutz der Pumpe vor Witterungseinflüssen sowie vor eindringendem Erdreich, so dass die Anforderungen des § 2 Abs. 2 NBauO an ein Gebäude insoweit erfüllt sind (Große-Suchsdorf/Lindorf/ Schmaltz/Wiechert, a.a.O., § 2 Rdn. 31 bis 33). Der Pumpenschacht ist zwar weitgehend in der Erde versenkt, jedoch können auch Gebäude unter der Geländeoberfläche liegen. Dass der Schaltschrank seinerseits nicht betretbar ist, ist insoweit irrelevant, als er nur Teil des Gesamtbauwerkes ist und Pumpenschacht und Schaltschrank technisch eine Einheit darstellen. Für die Beurteilung der Höhe des Gesamtbauwerkes ist nur der aus dem gewachsenen Boden herausragende Teil von Bedeutung, nicht der im Boden versenkte Teil, der insoweit wie eine "Unterkellerung" bei der Feststellung der Höhe außer Betracht zu bleiben hat (Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/ Wiechert, a.a.O., § 12 Rdn. 26). Der höchste Punkt des Bauwerkes über dem gewachsenen Boden beträgt an der Oberkante des Schaltschrankes 1,25 m über dem aufgeschütteten Gelände. Die Aufschüttung selbst beträgt an dieser Stelle nach den vorliegenden Zeichnungen 0,50 m. Damit ist die höchstzulässige Höhe von 3 m (§ 12 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 NBauO) nicht überschritten. Die Grundfläche, die in den Fällen des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 NBauO nicht mehr als 20 m² betragen darf, wird von Schaltschrank und Pumpenschacht nicht überschritten. Damit hält das Bauwerk selbst die Voraussetzungen des § 12 NBauO ein, denn ein Abstand von mindestens 1 m zum Grundstück der Klägerin ist unstreitig durch alle Teile des Bauwerkes, die aus der Erde herausragen, gewahrt.

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Die Aufschüttung im Bereich des Pumpenschachts beginnt direkt an der Grenze zum Grundstück der Klägerin ansteigend bis zum Pumpenschacht und dem Schaltschrank, ohne jedoch eine Höhe von 1,50 m zu erreichen. Aufschüttungen bis zu einer Höhe von 1,50 m brauchen nach § 12 a Abs. 2 Nr. 3 NBauO Abstand nicht zu halten. Diese Vorschrift differenziert auch nicht nach selbständigen oder unselbständigen Aufschüttungen.

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Selbst wenn der Pumpenschacht nicht als Gebäude im Sinne des § 2 Abs. 2 NBauO zu beurteilen wäre und damit nicht unter § 12 NBauO fiele, müsste § 12 a NBauO mit dem angefochtenen Urteil wohl erweiternd ausgelegt werden. Denn es wäre wenig einleuchtend, wenn unmittelbar an der Nachbargrenze ein Gebäude im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 NBauO mit einer Grundfläche von 20 m², einer Höhe von 3 m und einer Länge von 9 m errichtet werden dürfte, eine sehr viel kleinere bauliche Anlage mit der gleichen Funktion dagegen einen Mindestabstand von 3 m einhalten müsste.

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Die von der Klägerin behaupteten Verstöße gegen das Bauplanungsrecht sind - abgesehen von der Frage der nachbarschützenden Wirkung dieser Vorschriften - nicht gegeben. Nach den vorliegenden Karten sowie den Fotos vom Standort ist das Gelände dem Außenbereich zuzuordnen. Eine Beeinträchtigung oder ein Entgegenstehen öffentlicher Belange ist jedoch nicht erkennbar. Die Ausmaße der oberhalb des Geländes zu sehenden Teile des Bauwerks sind so gering, dass schon deshalb eine Beeinträchtigung auszuschließen ist. Auch eine Beeinträchtigung der auf dem Hofgelände der Klägerin vorhandenen denkmalgeschützten beziehungsweise historischen Gebäude ist nach den vorliegenden Fotos schon deshalb auszuschließen, weil sich zwischen dem Straßenseitenraum der B. und den Gebäuden auf dem Grundstück der Klägerin ein dichter Bewuchs von Bäumen und offensichtlich auch Gebüsch befindet, so dass eine Sichtbeeinträchtigung weitgehend unmöglich ist. Abgesehen davon ist aber auch schon insoweit eine Beeinträchtigung wegen der geringen Ausmaße der sichtbaren Teile der baulichen Anlage und ihrer Entfernung zu den Gebäuden auf dem Grundstück der Klägerin ausgeschlossen.

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Nach alledem werden Rechte der Klägerin durch die bauliche Anlage nicht verletzt. Unabhängig davon wäre der Beklagte aber auch nicht verpflichtet, dem Begehren der Klägerin auf Einschreiten gegenüber dem Beigeladenen nachzukommen. Da etwaige nachteilige Wirkungen der baulichen Anlage sehr geringfügig sind, ist das Ermessen des Beklagten nicht im Sinne einer Pflicht zum Einschreiten eingeschränkt.

Sonstiger Langtext

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Beschluss:

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Der Streitwert wird auf 10.225,84 € (= 20.000,-- DM) festgesetzt.