Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 08.01.2002, Az.: 1 MA 3669/01

Ablehnungsantrag; Ausschluss; Befangenheit; Beschwerde; Beschwerdeausschluss; Rechtsmittel; Rechtsmittelausschluss; Richter

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
08.01.2002
Aktenzeichen
1 MA 3669/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 43877
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 18.10.2001 - AZ: 2 B 51/01

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Rüge, das Verwaltungsgericht habe einen Befangenheitsantrag zu Unrecht abgelehnt, unterliegt als Verfahrensmangel im Zulassungsverfahren nicht der Prüfung durch das OVG. Ob dies auch in Fällen "handgreiflicher Gesetzwidrigkeit" gilt, bleibt offen.

Gründe

1

Die Antragstellerin, die Mieterin der Wohnung 5 im Block D im Anwesen O. 2 in B. ist, sucht um vorläufigen Rechtsschutz gegen ein Nutzungsverbot und seine Durchsetzung nach.

2

Der Antragsgegner hat mit Verfügung vom 12. Februar 2001 der Antragstellerin -- ebenso wie anderen Mietern -- die Nutzung ihrer Wohnung in dem Anwesen O. 2 in B. zum 31. Mai 2001 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung untersagt und gleichzeitig ein Zwangsgeld von 2.000,-- DM für den Fall der Missachtung des Nutzungsverbotes angedroht, weil die in den Gebäuden eingerichteten Wohnungen baurechtlich nicht genehmigt seien. Über den Widerspruch der Antragstellerin ist noch nicht entschieden.

3

Da die Antragstellerin die Nutzung der von ihr bewohnten Wohnung nicht aufgegeben hat, hat der Antragsgegner mit Verfügung vom 10. Juli 2001 das angedrohte Zwangsgeld festgesetzt und für den Fall, dass die Wohnnutzung über den 1. August 2001 hinaus fortgesetzt wird, unmittelbaren Zwang der Gestalt angedroht, dass die Antragstellerin von Polizeikräften aus der Wohnung getragen würde, wenn sie die Wohnung nicht freiwillig verlasse. Die Verfügung enthält weiter den Hinweis, das am 1. August 2001 die Wohnungstüren verschlossen und versiegelt würden. Die Antragstellerin legte am 16. Juli 2001 Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden ist. Der Aussetzungsantrag blieb beim Verwaltungsgericht erfolglos.

4

Mit Verfügung vom 6. September 2001 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin auf, den Zutritt zur Wohnung zu ermöglichen und drohte die Öffnung der Türen im Wege der Ersatzvornahme an. Außerdem forderte der Antragsgegner die Antragstellerin auf, die Wohnung zu verlassen und drohte insoweit die Anwendung unmittelbaren Zwangs in Form einfacher körperlicher Gewalt (Heraustragen aus der Wohnung) an. Schließlich kündigte der Antragsgegner die Versiegelung der Wohnung an. Über den Widerspruch der Antragstellerin vom 14. September 2001 ist noch nicht entschieden.

5

Den Antrag der Antragstellerin auf vorläufigen Rechtsschutz gegen die Verfügungen vom 14. Februar 2001 und 6. September 2001 hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. Oktober 2001, auf den Bezug genommen wird, abgelehnt.

6

Der Zulassungsantrag der Antragstellerin hat keinen Erfolg.

7

Die Verfahrensrüge der Antragstellerin, der abgelehnte Richter, Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht M., habe an dem angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht mitwirken dürfen, weil das Verwaltungsgericht ihren Ablehnungsantrag mit Beschluss vom 16. Oktober 2001 zu Unrecht abgelehnt habe, greift nicht durch. Nach § 146 Abs. 4 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO ist die Beschwerde nur zuzulassen, wenn ein der Beurteilung des Beschwerdegerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Die Beschwerde darf daher nicht zugelassen werden, wenn Vorentscheidungen angegriffen werden, die selbständig anfechtbar sind oder deren Anfechtbarkeit ausdrücklich ausgeschlossen ist (vgl. Meyer-Ladewig in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Januar 2001, § 124 RdNr. 59; Seibert in: Sodan/Ziekow, VwGO, Stand: Juli 2000, § 124 RdNr. 243 ff; Happ in: Eyermann, VwGO, 11. Aufl. 2000, § 124 RdNr. 88, § 128 RdNr. 28; Bader, VwGO, 1999, § 124 RdNr. 65). Nach § 146 Abs. 2 VwGO i. d. F. des 6. VwGOÄndG vom 1.11.1996 (BGBl I, S. 1626) können Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen nicht mehr mit der Beschwerde angefochten werden. Damit entzieht § 146 Abs. 2 VwGO dem Oberverwaltungsgericht die Befugnis zur Überprüfung der Ablehnungsentscheidung auch im Rechtsmittelverfahren gegen die abschließende Sachentscheidung (vgl. Meyer-Ladewig, a.a. O.; Seibert a. a. O., RdNr. 251; a. A. Kopp/Schenke, VwGO; 12. Aufl:, 2000, § 54 RdNr. 22, der aber auf den Rechtsmittelausschluss des § 146 Abs. 2 VwGO nicht eingeht; Sächs.OVG, Beschl. vom 1.8.2000 -- 1 B 58/99 -- SächsVBl.01, 10). Der Ausschluss der Überprüfung der Ablehnungsentscheidung ergibt sich auch aus § 173 VwGO i. V. m. § 512 ZPO, wonach die Entscheidungen, die dem Endurteil vorausgegangen sind, der Beurteilung des Berufungsgerichts nicht unterliegen, wenn sie ihrerseits aufgrund gesetzlichen Rechtsmittelausschlusses unanfechtbar sind oder selbständig anfechtbar sind. An derartige Vorentscheidungen ist das OVG gebunden. Entgegen der Ansicht des SächsOVG (a.a.O.) kann es dabei nicht darauf ankommen, ob allein die ZPO einen Rechtsmittelausschluss vorsieht. Die entsprechende Anwendung des § 512 ZPO nach § 173 VwGO schließt ein, dass auch ein Rechtsmittelausschluss der VwGO zu beachten ist (vgl. Meyer-Ladewig, a. a. O., § 128 RdNr. 6).

8

Die mit § 146 Abs. 2 VwGO verbundene Einschränkung des Zulassungsgrundes des Verfahrensmangels kann auch nicht mit dem Argument überspielt werden, der Wortlaut des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO sei wenig klar (so SächsOVG). Die besondere Betonung, dass der Verfahrensfehler der Beurteilung des OVG unterliegen müsse, ergibt sich bereits aus der entsprechenden Anwendung des § 512 ZPO und erscheint insoweit allenfalls überflüssig, macht die Regelung des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO deswegen aber nicht unklar (vgl. Seibert a. a. O., RdNr. 243). Die allgemeinen Grundsätze der Überprüfung im Rechtsmittelverfahren, die sich aus §§ 512, 548 ZPO und ihrer entsprechenden Anwendung im Verwaltungsprozess ergeben, schließen es aus, aufgrund der Gesetzesmaterialien in Frage zu stellen, ob sich der Gesetzgeber des 6. VwGOÄndG mit der Formulierung des § 146 Abs. 2 VwGO der weitreichenden Bedeutung des Rechtsmittelausschlusses gegen Entscheidungen über die Ablehnung von Gerichtspersonen bewusst war (so aber SächsOVG a.a.O.). Eine derartige Unkenntnis allgemeiner Grundsätze des Rechtsmittelverfahrens kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden.

9

Allerdings bleibt die Frage, ob der Ausschluss der Überprüfung von Entscheidungen über die Ablehnung von Gerichtspersonen mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Der Ausschluss von Rechtsmitteln gegen Entscheidungen über die Ablehnung von Richtern im Verwaltungsprozess weicht vom Zivilprozessrecht und anderen Prozessordnungen ab und erscheint daher rechtspolitisch beklagenswert (vgl. Czybulka in Sodan/Ziekow a.a.O., § 54 RdNr. 125), verfassungsrechtlich ist ein Rechtsmittel jedoch nicht geboten, denn weder Art. 19 Abs. 4 GG noch das allgemeine Rechtsstaatsgebot gewährleisten einen Instanzenzug (vgl. BVerfG, Beschl. vom 12.7.1983 -- 1 BvR 1470/82 -- BVerfGE 65, 76/90). Ob in besonderen Fällen "handgreiflicher Gesetzwidrigkeit" ein Rechtsmittel zuzulassen ist, um der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde wegen des Verstoßes gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters Rechnung zu tragen (vgl. Meyer-Ladewig, a. a. O. § 128 RdNr. 6; Czybulka, a. a. O., § 54 RdNr. 126; Seibert, a. a. O., § 124 RdNr. 255), bedarf aus Anlass dieses Falles keiner Entscheidung, weil ein solcher Fall hier nicht vorliegt. Die Ablehnung des Befangenheitsantrages gegen VRiVG M. wegen der freundschaftlichen Beziehungen zu dem Kreisverwaltungsdirektor Dr. L. stellt keine handgreifliche Gesetzwidrigkeit dar. Zwar können persönliche Beziehungen eines Richters zu einer Prozesspartei die Besorgnis der Befangenheit begründen, entscheidend ist aber der Grad der Nähe. Bei persönlichen Beziehungen zum Prozessbevollmächtigten gelten diese Grundsätze nur abgeschwächt. Der Kreisverwaltungsdirektor ist als Bediensteter des Antragsgegners nicht selbst Partei, sondern steht von seinem Interesse am Ausgang des Verfahrens dem Prozessbevollmächtigten näher. Unter diesen Umständen kann die Ablehnung des Befangenheitsantrages jedenfalls nicht als handgreifliche Gesetzwidrigkeit gewertet werden.

10

Der Zulassungsantrag legt keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses dar. Warum die Rechtsprechung des Senats, die ein Nutzungsverbot schon bei formeller Baurechtswidrigkeit zulässt, verfassungsrechtlich fragwürdig sein soll, wird nicht dargelegt. Die Einreichung eines Bauantrags räumt die formelle Baurechtswidrigkeit nicht aus. Dass der Bauantrag für das Anwesen O. 2 offensichtlich genehmigungsfähig sei und daher von Maßnahmen wegen der formellen Baurechtswidrigkeit abgesehen werden könne, legt der Zulassungsantrag nicht dar. Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung resultieren auch nicht daraus, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht angibt, welche Wohnung von wem zu räumen ist. Dass die Antragstellerin nur die Nutzung der von ihr genutzten Wohnung einstellen soll, liegt auf der Hand, weil sie als Mieterin nur die von ihr gemietete Wohnung besitzt.

11

Die Ausführungen des Zulassungsantrages zur Frage der Rangfolge der Zwangsmittel werfen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses auf. Das Verwaltungsgericht hat auch in dem in Bezug genommenen Beschluss die verfassungsrechtlichen Grenzen bei der Auswahl der Zwangsmittel nicht vernachlässigt, sondern ausdrücklich betont.

12

Dass die Durchsetzung des Verbotes der Nutzung einer Wohnung zu einer Trennung des Adressaten von seinem Besitz führen kann, begründet keine ernstlichen Zweifel. Abgesehen davon, dass rechtliche Bedenken insoweit nicht dargelegt werden, hat es die Antragstellerin als Adressatin des Nutzungsverbotes selbst in der Hand, durch die Räumung der Wohnung ihren Besitz verfügbar zu halten. Auch nach Ablauf der Frist, die im Nutzungsverbot enthalten war, blieb der Antragstellerin noch ausreichend Zeit, ihr Hab und Gut aus der Wohnung mitzunehmen. Auch Grundrechte stehen dem Nutzungsverbot und der Versiegelung einer baurechtlich nicht genehmigten Wohnung nicht entgegen.

13

Mit dem Hinweis, dass das Gesetz eine Kombination der Androhung von unmittelbarem Zwang und Versiegelung nicht vorsehe, werden keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses dargelegt. Die Androhung von unmittelbarem Zwang bezieht sich auf das Verlassen der Wohnung, die Versiegelung der verlassenen Wohnung soll das Nutzungsverbot für die Zukunft sichern. Inwiefern sich aus § 89 NBauO und den § 64 ff. NGefAG Bedenken gegen diese Verfahrensweise ergeben könnten, legt der Zulassungsantrag nicht dar. Darüber hinaus erlaubt aber § 70 Abs. 3 NGefAG auch die Androhung mehrerer Zwangsmittel.

14

Der von der Antragstellerin postulierte Vorrang des Zwangsgeldes vor dem unmittelbaren Zwang berücksichtigt nicht den Grundsatz der Effektivität der Verwaltungsvollstreckung, der auch in § 69 Abs. 6 NGefAG zum Ausdruck kommt. Dabei kann offen bleiben, ob § 69 Abs. 6 NGefAG überhaupt für die in § 89 Abs. 4 Satz 2 NBauO geregelte Versiegelung gilt, denn zur Durchsetzung eines Nutzungsverbotes ist die Versiegelung ungleich geeigneter als die Androhung eines Zwangsgeldes. Jedenfalls dann, wenn der Adressat einem Nutzungsverbot, das mit der Androhung eines Zwangsgeldes verbunden ist, nicht Folge geleistet hat, kommt ein anderes Zwangsmittel als die Versiegelung zur wirksamen Durchsetzung des Nutzungsverbotes nicht in Betracht. Die Behörde ist nicht gehalten, den Zwangsgeldrahmen auszuschöpfen, bevor sie ein anderes Zwangsmittel einsetzt. Die Versiegelung ist gleichzeitig das mildeste Mittel zur Durchsetzung eines Nutzungsverbotes, weil dem Adressaten die Wahl bleibt, ob er die Wohnung mit seinem Hab und Gut verlässt oder sein Hab und Gut in der Wohnung belässt. Die Anordnung der Räumung würde -- jedenfalls bei nur formeller Baurechtswidrigkeit -- dem Adressaten mehr abverlangen als notwendig.

15

Mit dem Hinweis auf die fehlende Räumungsfrist werden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Beschlusses dargelegt. Der Antragstellerin ist nicht die Räumung der Wohnung aufgegeben worden, sondern nur die Nutzung verboten worden. Außerdem hat die Antragstellerin seit dem Erlass des Nutzungsverbotes im Februar 2001 sich darauf einstellen können, dass sie die Wohnung verlassen muss.

16

Auch die Grundsatzrüge bleibt erfolglos. In Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kann die grundsätzliche Bedeutsamkeit einer Rechtsfrage gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 i. V. m. § 146 Abs. 4 VwGO nur sehr eingeschränkt geltend gemacht werden. Eilverfahren sind grundsätzlich nicht dazu bestimmt, bestimmte Rechtsfragen abschließend und damit in einer der grundsätzlichen Klärung zugänglichen Weise zu beantworten (Beschl. des Senats vom 14.4.1999 -- 1 M 1382/99 --). Der Zulassungsantrag enthält keine Darlegungen dazu, dass hier ausnahmsweise Anlass besteht, von dem dargestellten Grundsatz abzuweichen.

17

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG i. V. m. § 20 Abs. 3 GKG.

18

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).