Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 15.01.2002, Az.: 7 OA 3824/01

Beteiligter; Erstattungsfähigkeit; Kostenerstattung; Kostenfestsetzung; Notwendigkeit; Privatgutachten; Sachverständiger; Verfahrensförderung; Verwaltungsrechtsstreit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
15.01.2002
Aktenzeichen
7 OA 3824/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 43932
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 27.11.2000 - AZ: 12 A 3980/98

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Die Einholung eines Privatgutachtens durch einen Beteiligten ist auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren als notwendig und damit erstattungsfähig anzuerkennen, wenn der Beteiligte mangels genügender eigener Sachkunde tragende Behauptungen nur mit sachverständiger Hilfe darlegen kann, die Prozesssituation das Gutachten herausfordert und dessen Inhalt auf die Verfahrensförderung zugeschnitten ist (in Anlehnung an BVerwG, Beschl. v. 11.4.2001 - 9 KSt 2.01-). Werden die Aussagen des Gutachtens vom Gegner substantiiert in Frage gestellt, kann es ebenfalls als notwendig anerkannt werden, den Gutachter ergänzend zu befragen und die daraus entstehenden Kosten der unterlegenen Partei aufzuerlegen.

Gründe

I.

1

Die Beschwerdeführer wenden sich dagegen, an die Beigeladene 21.796,88 DM (jetzt 11.144,57 ¤) zu zahlen, die diese in Rechtsstreitigkeiten für TÜV-Gutachten aufgewendet hat.

2

Sie sind Rechtsnachfolger ihres am 5. November 2000 verstorbenen Vaters, der sich mit gerichtlichen Aussetzungs- und Klageverfahren gegen die der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 26. März 1990 gewandt hatte. Mit dieser war der Beigeladenen gestattet worden, ihre Fabrikationsanlagen in H. um ein Zen-trallager  zu erweitern, das Bürogebäude umzubauen und ein Löschwasservorratsbecken zu errichten. Im Zentrallager werden u.a. entzündliche Flüssigkeiten und brennbare Reststoffe aufbewahrt.

3

Mit Beschluss vom 17.Oktober 1994 - 7 M 5931/92 - wies der Senat die Beschwerde des damaligen Antragstellers gegen den die sofortige Vollziehung bestätigenden Beschluss des Verwaltungsgerichts mit der Maßgabe zurück, dass Einlagerungen nur erfolgen dürften, wenn die Beigeladene ein Sachverständigengutachten vorlege, aus dem sich ergebe, dass die zur Verhütung von Bränden und Explosionen sowie zur Brandbekämpfung getroffenen Vorkehrungen dem nach dem Stand der Sicherheitstechnik Gebotenen entsprächen. Der Senat sah sich ohne ein derartiges Gutachten "nicht in der Lage, die in der Sicherheitsanalyse beschriebenen Vorkehrungen zu bewerten".

4

Ein solches Gutachten erstattete der TÜV Hannover/Sachsen-Anhalt e.V. im Januar 1995. Die Beigeladene machte es zum Gegenstand des noch anhängigen Klageverfahrens und reichte nach detaillierter Kritik an dem Gutachten durch den damaligen Kläger eine diese berücksichtigende ergänzende Stellungnahme des TÜV vom Mai 1996 zur Akte.

5

Durch Urteil vom 15. Juli 1998 - 12 A 3980/98 - wies das Verwaltungsgericht die Anfechtungsklage ab. In seiner Begründung führte es u.a. aus, es folge den "überzeugenden Ausführungen" der Gutachter in ihren beiden Stellungnahmen, nach welchen die von der Beklagten angeordneten Sicherheitsvorkehrungen dem Stand der Technik entsprächen. Auch in dem die Berufung dagegen zurückweisenden Urteil vom 17. Juni 1999 - 7 L 4525/98 - zog der Senat die Aussagen beider Gutachten ausdrücklich zur Stützung seiner Bewertung heran, dass die genehmigten Lagerungen nicht zu unbeherrschbaren Störfällen führen könnten (UA Bl. 17, 18). Die Urteile sind rechtskräftig.

6

Mit Beschluss vom 14. Juli 2000 setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die vom damaligen Kläger für das verlorene Klageverfahren an die Beigeladene zu erstattenden (weiteren) Kosten antragsgemäß auf 39.024,44 DM fest. Diese errechneten sich aus den angegebenen Gutachtens- und damit verbundenen Reisekosten.

7

Den dagegen gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 27. November 2000 beschieden und den Erstattungsbetrag auf 21.796,88 DM herabgesetzt. Entgegen der Auffassung des Klägers seien beide von der Beigeladenen eingeholten Gutachten des TÜV als notwendige Aufwendungen zur Rechtsverteidigung anzusehen. Zu ändern seien allerdings die zu hoch bemessenen Stundensätze sowie nicht nachgewiesene bzw. nachvollziehbare Reisekosten. Dies ergebe den korrigierten Betrag.

8

Der dagegen eingelegten Beschwerde der Rechtsnachfolger des Klägers, mit welcher vorliegend die Erstattungsfähigkeit jeglicher Gutachterkosten in Frage gestellt wird, hat das Verwaltungsgericht nach zwischenzeitlicher Aussetzung des Verfahrens nicht abgeholfen.

II.

9

Die nach § 146 Abs. 1 VwGO zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Die Beschwerdeführer bezweifeln zu Unrecht die vom Verwaltungsgericht bejahte - einzig noch streitige - grundsätzliche Erstattungsfähigkeit der TÜV-Gutachtenskosten.

10

Nach dem rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts vom 15. Juli 1998 sind die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen in jenem Verfahren erstattungsfähig. Gemäß

11

§ 162 Abs. 1 VwGO sind dies die "zur zweckentsprechenden ... Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen". Notwendigkeit in diesem Sinne bedeutet, dass ein verständiger Beteiligter die Aufwendungen im Hinblick auf seine Lage und die Bedeutung der Sache sowie wegen der rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten vernünftigerweise für erforderlich halten durfte (Kopp/Schenke, VwGO12, RN 3 zu § 162 m.w.N.). Was die hier streitige Einholung von Privatgutachten durch eine Partei anbelangt, so ist diese dann als notwendig anzuerkennen, wenn die Partei mangels genügender eigener Sachkunde ihr Begehren tragende Behauptungen nur mit Hilfe des Gutachtens darlegen oder unter Beweis stellen kann. Die fehlende eigene Sachkunde wird durch das Erfordernis ergänzt, dass die Prozesssituation das Gutachten herausfordern und dessen Inhalt auf die Verfahrensförderung zugeschnitten sein muss (BVerwG, Besch. v. 11.4.2001 - 9 KSt 2.01 -, DVBl. 2001, S. 1763). Angesichts der das verwaltungsgerichtliche Verfahren gem. § 86 VwGO beherrschenden Untersuchungsmaxime sind der Anerkennung engere Grenzen als im Zivilprozess gesetzt.

12

Unter Beachtung dieser durchaus strengen Maßstäbe war zunächst die Einholung des TÜV-Gutachtens vom Januar 1995 durch die Beigeladene zweifelsfrei notwendig. Sie hatte nach dem dies gebietenden Beschwerdebeschluss des Senats vom 17. Oktober 1994 keine andere Möglichkeit, von der mit der Genehmigung eingeräumten Berechtigung Gebrauch zu machen. Auch wenn das Gutachten zunächst deshalb beigebracht worden ist, um den Sofortvollzug zu erreichen, war es sodann auch und erst recht im laufenden Klageverfahren erforderlich, um dem Gericht die notwendige Bewertung der Rechtmäßigkeit der Genehmigung zu ermöglichen (VGH Mannheim, Beschl. v. 26.2.1997 - 5 S 1743/95 -, Juris). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer ging es nicht darum, gleichsam auf Kosten des damaligen Klägers unvollständige Genehmigungsunterlagen zu ergänzen oder nachzubessern. Das Gutachten ist vom Verwaltungsgericht  nachweislich (vgl. UA Bl. 9) vielmehr als Hilfe für sich herangezogen worden, die Einhaltung von § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG i.V.m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG - nämlich das Fehlen "sonstiger Gefahren" - zu prüfen (und zu verneinen). Nicht anders ist der erkennende Senat in seinem Berufungsurteil vom 17. Juni 1999 verfahren (UA Bl. 17). Das Verwaltungsgericht hat in seinem Beschluss deshalb auch zutreffend darauf hingewiesen, dass es andernfalls selbst einen Sachverständigen mit einer entsprechenden Begutachtung hätte beauftragen müssen. Die Kosten dafür hätte die Klägerseite ebenso zu tragen gehabt. Ihr Einwand, nach einer gerichtlich angeordneten Beweiserhebung bestehe für die Beteiligten die Möglichkeit, die Fortsetzung der Prozessführung zu überprüfen, gilt in gleicher Weise nach Vorlage eines Parteigutachtens: Erklärt der Gegner dann für erledigt, weil er den Bewertungen des Gutachtens, anders als bis dahin, nichts mehr entgegensetzen kann, wird es regelmäßig billigem Ermessen im Sinne von § 161 Abs. 2 VwGO entsprechen, ihn von Kosten freizustellen. Meint er, gleichwohl den Streit mit Aussicht auf Erfolg fortsetzen zu sollen, muss er auch das (Kosten)Risiko eines negativen Ausgangs tragen. Es ist dem Senat unerfindlich, weshalb dies, wie die Beschwerde meint, die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG gefährdet.

13

Die gleichen Überlegungen gelten für die vom TÜV im Mai 1996 abgegebene und berechnete ergänzende Stellungnahme. Diese ist von der Beigeladenen eingeholt worden, nachdem der damalige Kläger mit Schriftsatz vom 28. Dezember 1995 im Klageverfahren aus seiner Sicht substantiiert Lücken des Gutachtens geltend gemacht und Bewertungen angezweifelt hatte. In dieser Prozesssituation (vgl. BVerwG, a.a.O., S. 1763) war es nicht "leichtfertig", sondern vielmehr notwendig und richtig, den Gutachter ergänzend zu befragen. Nur er konnte seine Ausführungen authentisch interpretieren und ggf. ergänzen. Auch das Gericht hätte in dieser Situation sonst eine ergänzende Befragung durchführen müssen. Sowohl das verwaltungsgerichtliche Urteil (UA Bl. 9) wie das Berufungsurteil (UA Bl. 17) haben dieses Ergänzungsgutachten deshalb als Hilfsmittel für ihre Bewertungen herangezogen. Auch hier kann der Beschwerde nicht zugestimmt werden, wenn sie gegen die Erforderlichkeit  der gutachtlichen Stellungnahme eine "Unüberschaubarkeit" des Kostenrisikos ins Feld führt. Denn es war der Kläger, der sich zur Fortsetzung des Verfahrens sowohl nach Erstattung des ersten wie auch des ergänzenden Gutachtens entschlossen und das damit verbundene Kostenrisiko bewusst in Kauf genommen hat.