Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.01.2002, Az.: 13 LB 1023/01

Spätaussiedlerstatusgesetz

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
10.01.2002
Aktenzeichen
13 LB 1023/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 41850
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Auf Spätaussiedler, die vor dem 7. September 2001 ausgesiedelt sind, ist das BVFG in der Fassung vor diesem Zeitpunkt anzuwenden.

Tenor:

Dem Kläger ist Prozesskostenhilfe zu bewilligen, weil er die persönlichen Voraussetzungen dafür erfüllt, und seine Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO iVm §§ 114, 115 ZPO). Gemäß § 166 VwGO i.V:m. § 121 Abs. 1 ZPO ist ihm sein Prozessbevollmächtigter beizuordnen.

Gründe

1

Streitig im Berufungsverfahren ist nach wie vor, ob der Kläger Anspruch auf eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BVFG hat, weil er Spätaussiedler i. S. von § 4 (Abs. 1) BVFG ist, oder ob dies nicht der Fall ist. Dabei geht es ausschließlich um die Frage seiner deutschen Volkszugehörigkeit, die ihrerseits lediglich im Hinblick auf die Bestätigungsmerkmale i.S. von § 6 Abs. 2 BVFG i.d.F. vom 2. Juni 1993 (BGBl. I S. 829) fraglich ist, zu deren Feststellung das Bundesverwaltungsgericht die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen hat (Urt. v. 7.12.00 - 5 C 38/99 -).

2

Insoweit ist wegen des am 7. September 2001 in Kraft getretenen sog. "Gesetzes zur Klarstellung des Spätaussiedlerstatus" vom 30. August 2001 (BGBl. I S. 2266) allerdings nunmehr die Frage aufgeworfen, welche Fassung des § 6 Abs. 2 BVFG auf den Fall des Klägers anzuwenden ist. Denn § 100 a BVFG i.d.F. 2001 bestimmt unter der Überschrift "Übergangsregelung", dass "auch Anträge nach § 15 Abs. 1 .. nach dem Recht zu bescheiden sind, das nach dem 7. September 2001 gilt". Indessen geht der Senat davon aus, dass diese Bestimmung lediglich solche Ausweisanträge betrifft, die nach dem 7. September 2001 zu "bescheiden" sind, nicht aber solche, die lange vorher gestellt worden und längst beschieden sind, wobei unerheblich ist, dass der betreffende Bescheid am 7. September 2001 noch nicht bestandskräftig, weil rechtshängig, ist. Eine derartige Auslegung des § 100 a BVFG 2001 vermeidet eine rückwirkende Schlechterstellung von Spätaussiedlern. Wie § 4 Abs. 1 BVFG zu entnehmen ist, richtet sich deren Eigenschaft als Spätaussiedler nach dem Zeitpunkt des Verlassens des Aussiedlungsgebietes und der (spätestens sechs Monate darauf erfolgenden) "Aufenthaltnahme" im Bundesgebiet. Wenn demgegenüber für die Feststellung der Eigenschaft als Spätaussiedler nicht mehr auf diesen Zeitpunkt abgestellt würde, sondern auf einen (sehr viel) späteren, zu dem dazu noch schärfere Anforderungen gestellt werden, so wäre das wegen des rechtsstaatswidrigen Verbotes der rückwirkenden Schlechterstellung bedenklich (vgl. Silagi, ZAR 2001, 261). Letztere Voraussetzungen lägen hier aber zweifelsfrei vor. Denn der im September 1993 in das Bundesgebiet gekommene Kläger kämpft um seine Anerkennung als Spätaussiedler zu diesem Zeitpunkt, also auf der Grundlage von § 6 BVFG 1993 (der gleichzeitig Grundlage des ihm am 18.5.1993 erteilten Aufnahmebescheides war). Dass demgegenüber die Fassung des Gesetzes 2001 eine Schlechterstellung bedeutet, kann nicht zweifelhaft sein. Denn das ist ihr alleiniger Zweck, da die Gesetzesänderung eine Reaktion auf die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Oktober 2000 (u.a. BVerwGE 112, 112) darstellt (s. BT-Drucks. 14/6573). In der Sache wird die Schlechterstellung dadurch erreicht, dass statt auf die bisherigen (mindestens drei) Bestätigungsmerkmale "Sprache, Erziehung, Kultur" nunmehr allein auf das der "Sprache" abgestellt werden soll, wobei anstelle der vorher nicht geregelten Frage, wann eine "Bestätigung" vorliegt, jetzt vorgeschrieben ist, dass im Zeitpunkt der Aussiedlung bestimmte Sprachkenntnisse vorliegen müssen ("zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen").

3

Danach kommt es für die Berufung darauf an, ob der Kläger nach den Kriterien, die nach dem Zurückverweisungsurteil vom 7. Dezember 2000 gemäß § 144 Abs. 6 VwGO zugrunde zu legen sind, deutscher Volkszugehöriger ist, d.h. seine deutsche Volkszugehörigkeit gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG 1993 durch die dort genannten Merkmale bestätigt wird. Nach der insoweit zu berücksichtigenden neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE 112, 112) ist dafür - anders als bisher angenommen - nicht entscheidend, welche Kenntnisse der deutschen Sprache der Kläger bei der Aussiedlung hatte, sondern, ob ihm solche als Kind vermittelt worden sind ("als ein in der Vergangenheit liegendender Vorgang", BVerwG aaO, S. 118). Davon ist indessen auszugehen, so dass der Kläger auch die Anforderungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BVFG erfüllen dürfte, ohne dass es dabei noch auf die Frage ankäme, ob eine Vermittlung bestätigender Merkmale möglich oder zumutbar war (§ 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG), worauf der Senat im Urteil vom 18. Oktober 1999 - 13 L 4455/96 - noch abgestellt hatte.

4

Auszugehen ist davon, dass die 1920 und 1922 in der Ukraine geborenen Eltern des Klägers, die 1944 und 1943 von dort durch das Deutsche Reich umgesiedelt worden sind, deutsche Volkszugehörige sind (waren), die Deutsch als Muttersprache gelernt hatten und diese Sprache auch nach der Verschleppung 1945 weiterhin gebraucht haben. Sie haben ihre Kinder deutsch erzogen und mit ihnen deutsch gesprochen, zumal "Eltern und Großeltern kaum russisch sprechen konnten"; erst mit Schulbeginn hätten ihre Kinder (zusätzlich) russisch sprechen müssen (Erklärungen vom 4.2. und 27.4.99). Die Schwester des Klägers, R. H., geboren 1951, hat das als Kind bestätigt und ferner angegeben,  auch die Kinder untereinander hätten deutsch gesprochen (Erklärung v. 4.2.99). Danach dürfte nicht zweifelhaft sein, dass auch dem Kläger von seinen Eltern die deutsche Sprache vermittelt worden ist. Das ergibt sich auch aus der Aussage des Klägers selbst, auf die der Landkreis Hannover (als Rechtsvorgänger der Beklagten) sich wiederholt berufen hat: Wenn er nämlich von seinen Eltern "gedrängt" worden ist, deutsch zu sprechen, so belegt das eindeutig die entsprechende Vermittlungstätigkeit der Eltern. Tatsächlich war diese auch nicht ganz erfolglos; denn immerhin verstand der Kläger zum Zeitpunkt selbst seiner Einreise noch einiges in Deutsch, wenn er auch nur noch wenig Deutsch sprechen konnte (Angabe lt. Vermerk der Stadt Münster v. 27.9.1993). Als Indiz für seinerzeitige Vermittlungsbemühungen reicht das aus. Immerhin lag zu diesem Zeitpunkt der sog. "Prägungszeitraum" (Geburt bis Volljährigkeit) des Klägers (1961 bis 1979) bereits etwa 14 Jahre zurück, so dass das, was in der Kindheit erlernt worden war, durchaus wieder in Vergessenheit geraten konnte. Das zeigen auch die bei seinen Geschwistern, die sämtlichst vertriebenenrechtlich anerkannt worden sind, festgestellten (späteren) Deutschkenntnisse, soweit Feststellungen dazu überhaupt vorliegen (s. S. 10 des Urt. d. Sen. v. 18.10.99). Insgesamt dürfte daher auch hinsichtlich des Klägers davon auszugehen sein, dass "sein späteres Bekenntnis zum deutschen Volkstum eine objektive, durch die Vermittlung der deutschen Sprache bis zur Selbständigkeit bestätigte Grundlage" (BVerwG, aaO, S. 121) findet.