Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 16.01.2002, Az.: 4 L 4201/00
Aufenthaltsort; Berechtigter; Gesetzmäßigkeit der Verwaltung; Gewährung; Grundsatz; Hilfe zur Arbeit; Hilfeempfänger; Hilfesuchender; Interesse; Interessenwahrung; Interessenwahrungsgrundsatz; Kostenerstattung; Sozialhilfe; Sozialhilfeträger; Teilzeitbeschäftigung; Träger; Umfang; Umzug; Verstoß; Vollzeitbeschäftigung; Vollzeitstelle
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 16.01.2002
- Aktenzeichen
- 4 L 4201/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 43831
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 19.10.2000 - AZ: 4 A 150/98
Rechtsgrundlagen
- § 19 Abs 1 BSHG
- § 111 Abs 1 S 1 BSHG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Es verstößt nicht gegen den Grundsatz der Wahrung der Interessen des erstattungspflichtigen Sozialhilfeträgers, wenn der erstattungsberechtigte Träger einem in seinen Bereich umgezogenen Hilfesuchenden Hilfe zur Arbeit durch Schaffung einer Vollzeitstelle (statt nur einer Teilzeitbeschäftigung) gewährt
Gründe
Der Antrag, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, ist zulässig, aber nicht begründet. Die Zulässigkeit der Berufung richtet sich gemäß § 194 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in der Fassung des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess (RmBereinVpG) vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3987, 3990) nach dem bis zum 31. Dezember 2001 gültig gewesenen Recht, da das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück am 19. Oktober 2000 ohne mündliche Verhandlung gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ergangen und vor dem 01. Januar 2002 von der Geschäftsstelle zum Zwecke der Zustellung an die Parteien herausgegeben worden ist.
Nach § 124 Abs. 2 VwGO (i. d. F. des 6. VwGO-Änderungsgesetzes vom 01. November 1996, BGBl. I S. 1626) ist die Berufung nur zuzulassen,
1. wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Im vorliegenden Verfahren liegt ein Zulassungsgrund nicht vor.
Insbesondere bestehen nicht "ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils". Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Recht verurteilt, an die Klägerin weiteren Kostenersatz in Höhe von 8.824,14 DM nebst 4 % Zinsen ab dem 17. November 1998 zu zahlen. Der Senat macht sich die zutreffenden Erwägungen des angefochtenen Urteils zu eigen und verweist deshalb auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Das Antragsvorbringen recht-fertigt eine andere Entscheidung nicht.
Der Beklagte bestreitet die Richtigkeit der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Klägerin durch die Schaffung einer Arbeitsgelegenheit gemäß § 19 Abs. 1 BSHG mit einer Arbeitszeit von 38,5 Wochenstunden (Vollzeitstelle) nicht gegen den Interessenwahrungsgrundsatz verstoßen habe. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts begegnet jedoch rechtlichen Bedenken nicht. Zwar ergibt sich aus der Regelung des § 111 Abs. 1 Satz 1 BSHG, wonach die aufgewendeten Kosten nur zu erstatten sind, soweit die Hilfe dem BSHG entspricht, in Übereinstimmung mit dem Grundsatz des Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, dass die Interessen des kostenersatzpflichtigen Trägers der Sozialhilfe zu wahren sind. Der sogenannte Interessenwahrungsgrundsatz besagt, dass der Hilfe gewährende Träger die Pflicht hat, alle nach Lage des Einzelfalles zumutbaren und mögli-chen Maßnahmen und Vorkehrungen zu treffen, die erforderlich sind, um die erstattungsfähigen Kosten möglichst niedrig zu halten. Bei Verletzung des Interessenwahrungsgrundsatzes durch den kostenerstattungsberechtigten Träger mindert sich dessen Anspruch oder entfällt sogar ganz (Schellhorn, Jirasek, Seipp, BSHG, 15. Aufl. 1997, § 111 RdNr. 4, 8; Mergler, Zink, BSHG, Komm., Teil II, Stand: März 2001, § 111 BSHG RdNr. 11 a.1). An den Interessenwahrungsgrundsatz im Sinne des § 111 Abs. 1 BSHG dürfen jedoch keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. So ist geklärt, dass der die Kostenerstattung begehrende Sozialhilfeträger bei der Hilfeleistung bzw. der Durchsetzung von Ansprüchen (lediglich) die Sorgfalt aufzuwenden hat, die er in eigenen Angelegenheiten aufwendet (Mergler, Zink, a. a. O., § 111 BSHG RdNr. 11 c; LPK, BSHG, Komm., 5. Aufl. 1998, § 111 RdNr. 11). Der kostenerstattungsberechtigte Träger handelt in eigener Zuständigkeit; er hat daher die Hilfe nach den maßgeblichen Grundsätzen der Sozialhilfe, also insbesondere Art, Form und Maß der Sozialhilfe nach der Besonderheit des Einzelfalles (§ 3 Abs. 1 BSHG) unter Beachtung der Ziele der Sozialhilfe (§ 1 Abs. 2 BSHG) zu gestalten und damit eine optimale Hilfe zu erbringen (Mergler, Zink, a. a. O.). Der kostenerstattungsberechtigte Sozialhilfeträger entscheidet über die Form der Hilfegewährung nach pflichtgemäßem Ermessen, und zwar unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und der besonderen Situation des Hilfeempfängers (Thüring. OVG, Beschl. v. 12.09.2000 - 2 KO 38/96 -, DVBl. 2001, 588 (Leitsatz) - Gründe zitiert nach JURIS -). Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 14. April 2000 entschieden, dass bei der Überprüfung des Ermessens bei Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialhilfeträgern maßgeblich auf die Verhältnisse am Aufenthaltsort des Hilfeempfängers, und damit auf die Verwaltungspraxis des Hilfe gewährenden Trägers abzustellen sei (BVerwG, Beschl. v. 14.04.2000 - 5 B 39/00 -, FEVS 52, 539 ff.).
Nach diesen Grundsätzen hat die Klägerin durch die Schaffung des Arbeitsverhältnisses nach § 19 Abs. 1 BSHG mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden nicht gegen den Interessenwahrungsgrundsatz verstoßen. Mit der Gewährung von "Hilfe zur Arbeit" an Frau R. hat die Klägerin ihr Ermessen im Rahmen des § 19 BSHG in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ausgeübt. Frau R. hatte nach ihren Angaben in dem Sozialhilfeantrag vom 02. September 1996 keinen Berufsausbildungsabschluss und war seit Oktober 1992 arbeitslos. Die Klägerin hat sich kurz nach Zuzug von Frau R. in ihren Zuständigkeitsbereich darum bemüht, Frau R. eine Arbeitsgelegenheit anzubieten, um ihre späteren Vermittlungschancen zu erhöhen und ihrer sozialen Absicherung zu dienen. Frau R. hat das Arbeitsverhältnis als Hauswirtschafterin in einer städtischen Tageseinrichtung für Kinder - nach erfolgreicher Absolvierung einer Orientierungsmaßnahme vom 30. September 1996 bis zum 8. November 1996 - am 02. Januar 1997 aufgenommen; nach Abschluss dieser Maßnahme ist sie beim Sozialamt der Klägerin nicht mehr vorstellig geworden. Dies alles spricht dafür, dass die Maßnahme offensichtlich erfolgreich war. Entgegen der Auffassung des Beklagten war die Klägerin auch nicht verpflichtet, Frau R. ein Arbeitsverhältnis mit einer geringeren Wochenstundenzahl anzubieten. Zum einen hat die Klägerin mehrfach vorgetragen, dass seinerzeit kein Arbeitsvertrag mit weniger als 38,5 Wochenstunden habe abgeschlossen werden können, weil ihr Programm "Hilfe zur Arbeit" eine geringfügigere Beschäftigung nicht vorgesehen habe. Da es - wie dargelegt - auf die Verwaltungspraxis des Hilfe gewährenden Trägers ankommt, war die Klägerin auch nicht verpflichtet, eine Teilzeitmaßnahme neu zu schaffen. Zum anderen entspricht die konkrete Maßnahme der gesetzlichen Wertung der §§ 18 ff BSHG, dem Hilfesuchenden Gelegenheit zum Einsatz seiner Arbeitskraft zu geben, um so dessen Chancen zu erhöhen, ein Leben unabhängig von der Sozialhilfe führen zu können. Demgegenüber haben rein fiskalische Betrachtungen - wie hier die Frage, in welcher Höhe nach Beendigung der Maßnahme ein Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht, und ob dieser ausreicht, den Bedarf zu decken - nur nachrangige Bedeutung. Entgegen der Auffassung des Beklagten war die Klägerin jedenfalls - unabhängig davon, dass eine solche Maßnahme hier nicht zur Verfügung stand - im Rahmen ihres Ermessens nicht verpflichtet, Frau R. nur eine Teilzeitmaßnahme mit einem Umfang von 25 Wochenstunden anzubieten. Die durchgeführte Maßnahme stand offensichtlich mit den tatsächlichen Verhältnissen, insbe-sondere den Bedürfnissen von Frau R. im Einklang; sie hat die angebotene Hilfe zur Arbeit angenommen und offensichtlich mit Erfolg an dieser Maßnahme teilgenommen.
Eine Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) kommt ebenfalls nicht in Betracht. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nur dann zu, wenn sie in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich ist sowie im Interesse der Rechtseinheit geklärt werden muss. Diese Voraussetzungen sind dann nicht gegeben, wenn sich die Frage so, wie sie mit dem Antrag aufgeworfen worden ist, im Rechtsmittelverfahren nicht stellt, ferner dann nicht, wenn sich die Frage nach dem Gesetzeswortlaut ohne weiteres eindeutig beantworten lässt (BVerwG, Beschl. v. 08.12.1985 - BVerwG 1 B 136.85 -, Buchholz 130, § 22, RuStAG, S. 2) oder sie in der Rechtsprechung - namentlich des Bundesverwaltungsgerichts oder des erkennenden Senats - geklärt ist. Diesen Maßstab erfüllt der Zulassungsantrag nicht. Das Vorbringen des Beklagten, dass durch die Rechtsprechung und Literatur nicht hinreichend geklärt sei, ob im Rahmen des § 111 Abs. 1 BSHG ein Sozialhilfeträger den Interessenwahrungsgrundsatz verletze, wenn er, wie es die Klägerin getan habe, der Hilfeempfängerin ausschließlich einen Vollzeitarbeitsplatz anbiete, zeigt, dass der Zulassungsantrag nicht auf die Klärung einer allgemeinen Frage gerichtet ist. Die Frage lässt sich vielmehr - wie dargelegt - nach dem Gesetzeswortlaut und der Rechtsprechung nach Maßgabe der Besonderheiten des Einzelfalles beantworten; allgemein ist die in dem Zulassungsantrag vorgebrachte Frage nicht klärungsfähig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO (in der bis zum 31. Dezember 2001 gültig gewesenen Fassung) gerichtskostenfrei. Nach der Übergangsregelung in § 194 Abs. 5 VwGO in der Fassung des Gesetzes zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Ver-waltungsprozess (RmBereinVpG) vom 20. Dezember 2001, BGBl. I S. 3987, 3990) ist die Neuregelung des § 188 Satz 2 VwGO erst für die ab 01. Januar 2002 bei Gericht anhängig werdenden Verfahren anzuwenden.
Dieser Beschluss ist gemäß §§ 124 a Abs. 2 Satz 3, 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.