Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 12.02.2019, Az.: 12 LA 214/18
Verfahren über erfolglose Anhörungsrügen in Prozesskostenhilfesachen ist nicht gerichtskostenfrei; Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs; Frist für die Erhebung der Anhörungsrüge
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 12.02.2019
- Aktenzeichen
- 12 LA 214/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 41448
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlage
- § 152a Abs. 2 S. 1 VwGO
Fundstellen
- AGS 2019, 473
- DVBl 2019, 651-652
- DÖV 2019, 456
- FA 2019, 131
- JurBüro 2019, 198-199
- NVwZ-RR 2019, 535-536
- RVGreport 2019, 236
Amtlicher Leitsatz
Das Verfahren über erfolglose Anhörungsrügen in Prozesskostenhilfesachen ist nicht gerichtskostenfrei.
Tenor:
Die Anhörungsrüge des Klägers gegen die Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts - 12. Senat - vom 23. Januar 2019 wird verworfen, die Gegenvorstellung des Klägers wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens. Im Übrigen ergeht die Entscheidung gerichtskostenfrei und werden außergerichtliche Kosten der Beteiligten nicht erstattet.
Gründe
Die Anhörungsrüge des Klägers, die sich gegen die ihm Prozesskostenhilfe versagende Entscheidung des Senats vom 23. Januar 2019 richtet, ist zwar gemäß § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 VwGO statthaft (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 26.2.2013 - 10 LA 12/13 -, juris, Rnrn. 2 und 5; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 8.1.2019 - 2 S 2804/18 -, juris, Rn. 2). Sie bleibt aber dennoch als unzulässig erfolglos, weil davon ausgegangen werden muss, dass sie nicht binnen der Frist des § 152a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO erhoben worden ist.
Denn der Kläger, dessen Prozessbevollmächtigten die angefochtene Entscheidung am 24. Januar 2019 elektronisch bekanntgegeben wurde, hat den Rechtsbehelf erst am 11. Februar 2019 erhoben, ohne nach § 152a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO den Zeitpunkt glaubhaft zu machen, zu dem seine Prozessbevollmächtigten Kenntnis von der geltend gemachten Verletzung des rechtlichen Gehörs erlangt haben. Es kann daher nicht beurteilt werden, ob die Zwei-Wochen-Frist des § 152a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO eingehalten wurde. Dieser Umstand geht zu Lasten des Klägers. Er ist deshalb so zu behandeln, als habe er die Frist versäumt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.1.2013 - BVerwG 4 B 4.13 -, NVwZ-RR 2013, 340 [BVerwG 11.12.2012 - BVerwG 1 C 15.11] [Rn. 3]).
Die "Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs" im Sinne des § 152a Abs. 2 Satz 1 VwGO meint die Kenntnis der maßgeblichen Fakten, nicht aber deren rechtlicher Bewertung als Gehörsverstoß. Entscheidend für den Fristbeginn ist zudem nicht die Kenntnis des Klägers persönlich, sondern entsprechend § 85 Abs. 2 ZPO (i. V. m. § 173 Satz 1 VwGO) die Kenntnis seiner bevollmächtigten Rechtsanwälte (vgl. Sächs. OVG, Beschl. v. 4.6.2009 - 5 B 319/08 -, juris, Rn. 5; Bay. VGH, Beschl. v. 17.4.2012 - 22 ZB 11.1925 -, juris, Rn. 4). Sie konnte bei einem Beschluss, der - wie hier - im schriftlichen Verfahren ergangen ist, frühestens mit dem Zugang der angefochtenen Entscheidung bei den Anwälten erlangt werden, weil erst die übersandte gerichtliche Entscheidung den (vermeintlichen) Verstoß dokumentierte. Der Zeitpunkt der Kenntnis konnte, musste aber nicht mit dem Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beschlusses übereinstimmen. Beide Zeitpunkte fielen insbesondere dann auseinander, wenn die Lektüre der angefochtenen Entscheidung erst an einem späteren Tag als ihre Bekanntgabe erfolgt sein sollte.
Wird die Anhörungsrüge innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung erhoben, ist die Frist des § 152a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO gewahrt. Auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Kenntnisnahme kommt es dann nicht an. Er braucht deshalb auch nicht glaubhaft gemacht zu werden, weil nicht entscheidungserhebliche Tatsachen nicht glaubhaft gemacht werden müssen. Liegt die Bekanntgabe dagegen - wie hier - länger als zwei Wochen zurück, muss vorgetragen und glaubhaft gemacht werden, wann die Prozessbevollmächtigten von der Entscheidung und damit von den Tatsachen Kenntnis genommen haben, aus denen der Gehörsverstoß abgeleitet wird (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.1.2013 - BVerwG 4 B 4.13 -, a. a. O., Rn. 5). Für diesen Fall beansprucht die Bestimmung des § 152a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO Geltung. Eines richterlichen Hinweises auf sie bedurfte es nicht. Denn die rechtskundigen Bevollmächtigten des Klägers sind gehalten gewesen, sich über formelle Voraussetzungen für ein Rechtsschutzbegehren, die von Gesetzes wegen zu beachten sind, zu informieren (vgl. Sächs. LSG, Beschl. v. 15.12.2014 - L 3 AS 176/14 NZB RG -, juris, Rn. 10 - zu § 178a Abs. 2 SGG).
Vorliegend ist die zweiwöchige Frist zwischen der Bekanntgabe der Entscheidung und der Erhebung der Anhörungsrüge überschritten. Der Beschluss des Senats vom 23. Januar 2019 wurde den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 24. Januar 2019 elektronisch übermittelt und war bereits mit seinem elektronischen Zugang bekannt gegeben. Die Vorschrift des § 152a Abs. 2 Satz 3 VwGO, wonach formlos mitgeteilte Entscheidungen (erst) mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben gelten, ist dagegen aus zwei Gründen nicht einschlägig. Zum einen gilt diese Regelung nur für den Beginn des Laufs der Jahresfrist nach § 152a Abs. 2 Satz 2 VwGO und nicht der Zwei-Wochen-Frist des § 152a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO (Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 152a Rn. 15; Guckelberger, in: Sodan/Ziekow [Hrsg.], VwGO, 5. Aufl. 2018, § 152a Rn. 32; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 4.4.2007 - 1 BvR 66/07 -, NJW 2007, 2242 ff. [2244] [BVerfG 04.04.2007 - 1 BvR 66/07] zu § 78a Abs. 2 ArbGG; a. A.: BVerwG, Beschl. v. 22.1.2013 - BVerwG 4 B 4.13 -, a. a. O., Rn. 6, und Sächs. LSG, Beschl. v. 15.12.2014 - L 3 AS 176/14 NZB RG - juris, Rn. 8 f. - zu § 178a Abs. 2 SGG). Zum anderen erfasst die Norm nur postalisch versandte Entscheidungen; an einer § 41 Abs. 2 Satz 2 VwVfG entsprechenden Regelung zu ihrer Ergänzung fehlt es aber (vgl. zu einem entsprechenden Problem auch: Nds. OVG, Beschl. v. 14.1.2002 - 12 LA 17/02 -, NJW 2002, 1969 f., hier zitiert nach juris, Rn. 4, und SG Wiesbaden, Gerichtsbescheid v. 14.6.2018 - S 34 AS 95/18, juris, Rn. 24 - jeweils zu § 37 Abs. 2 SGB X a. F. bzw. n. F.).
Eine Berechnung der Zwei-Wochen-Frist anhand der §§ 57 VwGO, 222 ZPO, 187, 188 BGB ergibt, dass sie bereits am 7. Februar 2019 ablief. Die Anhörungsrügeschrift vom 10. Februar 2019 ist jedoch erst am 11. Februar 2019 dem Oberverwaltungsgericht per Telefax übermittelt worden.
Die Gegenvorstellung des Antragstellers ist unzulässig, soweit der Kläger mit ihr eine Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend macht, die im Übrigen nicht ersichtlich ist. Denn da diesbezüglich die Anhörungsrüge statthaft ist, stellt diese den spezielleren Rechtsbehelf dar, dessen Fristgebundenheit (§ 152a Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO) nicht durch die Zulassung einer Gegenvorstellung umgangen werden darf. Sofern der Kläger mit seiner Gegenvorstellung - unabhängig von einer Gehörsversagung - die Abänderung der ergangenen Entscheidung unter Hinweis auf deren (vermeintliche) Unrichtigkeit erstrebt, fehlt es ihm jedenfalls an gewichtigen neuen Argumenten, sodass der Senat aus diesem Grunde keine Veranlassung sieht, seine richtige Entscheidung vom 23. Januar 2019 abzuändern oder ergänzend zu begründen.
Die Kostenentscheidung folgt betreffend das Anhörungsrügeverfahren aus § 154 Abs. 1 VwGO (vgl. Kuhlmann, in: Wysk, VwGO, 2. Aufl. 2016, § 152a Rn. 12). Der Senat folgt nicht der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschl. v. 8.1.2019 - 2 S 2804/18 -, juris, Rn. 9; a. A. auch Nds. OVG, Beschl. v. 26.2.2013 - 10 LA 12/13 -, insoweit nicht bei juris), wonach keine solche Kostenentscheidung zu treffen wäre, weil Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) keine Anwendung finde. Denn das dafür angeführte Argument, da das Gerichtskostengesetz für das Prozesskostenhilfeverfahren keinen Gebührentatbestand vorsehe, gelte dies auch für ein "zugehöriges Anhörungsrügeverfahren", welches darauf abziele, das Gericht im Wege der Selbstkorrektur zur Fortführung des Prozesskostenhilfeverfahrens zu veranlassen, vermag nicht zu überzeugen. Der Gesetzgeber hat nämlich das Anhörungsrügeverfahren - ebenso wie das Verfahren über sonstige Beschwerden (vgl. Nr. 5502 KV), - kostenrechtlich verselbständigt, ohne hiervon Prozesskostenhilfeangelegenheiten auszunehmen. Es besteht auch kein Anlass, erfolglose Rechtsbehelfe in Prozesskostenhilfesachen ebenso wie das originäre Prozesskostenhilfeverfahren kostenfrei zu stellen. Denn der Rechtsbehelfsführer verursacht - wie auch im vorliegenden Falle - einen vermeidbaren zusätzlichen Aufwand. Demgegenüber erreicht die Festgebühr der Nr. 5400 KV keine Höhe, die von der Erhebung einer berechtigten Anhörungsrüge abschrecken könnte. Gänzlich kostenfreie Rechtsbehelfe können dagegen dazu verleiten, sie ohne Rücksicht auf ihre Funktion (die Anhörungsrüge etwa ist kein Rechtsbehelf zur Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit einer Gerichtsentscheidung - vgl. BVerwG, Beschl. v. 24.11.2011 - BVerwG 8 C 13.11 [u. a.] -, ZfWG 2012, 36 ff., hier zitiert nach juris, Rn. 2) und eine ernstliche Erwägung ihrer Erfolgsaussichten zu ergreifen, wenn nur das Ergebnis der angefochtenen gerichtlichen Entscheidung nicht den Vorstellungen des Rechtsbehelfsführers entspricht. Der Teil des Kostenausspruchs, der die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens über die Gegenvorstellung betrifft, beruht auf § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152a Abs. 4 Satz 3, 152 Abs. 1 VwGO).