Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.01.2002, Az.: 1 LA 2656/01

Aufstockung; Außerkrafttreten; Baugenehmigung; Baugestaltung; Baugestaltungssatzung; Bauweise; Bebauungsplan; Einschränkung; Fernsicht; Festsetzung; Flachdach; Flachdachaufstockung; Flachdachfestsetzung; Gebot der Rücksichtnahme; Gestaltungssatzung; Gestaltungssatzungsaußerkrafttreten; Rücksichtnahme; Rücksichtnahmegebot; Satteldach; Sicht; Sichteinschränkung; Sichtfreiheit

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.01.2002
Aktenzeichen
1 LA 2656/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 43829
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 07.06.2001 - AZ: 4 A 4418/00

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Tritt eine Baugestaltungssatzung, in der Flachdächer zwingend vorgeschrieben waren, wegen § 101 Abs. 3 Satz 1 NBauO 1973 mit Ablauf des 31.12.1978 außer Kraft und wird diese Satzung nicht durch eine andere Baugestaltungssatzung ersetzt, ist es - auch über § 15 Abs. 1 BauNVO - nicht möglich, diese außer Kraft getretene Festsetzung mit der Folge zum Inhalt eines zeitgleich beschlossenen Bebauungsplanes zu machen, dass sich ein Nachbar nach Ablauf des 31.12.1978 noch auf die Flachdachfestsetzung berufen könnte.

Gründe

1

Die Kläger wenden sich als Oberlieger gegen die dem Beigeladenen (erneut) durch Vorbescheid genehmigte Aufstockung seines südlich und bergab davon gelegenen Flachdachgebäudes mit einem 30 Grad geneigten Satteldach und meinen, damit werde ihnen in einer dem Bebauungsplan der ehemals selbständigen Gemeinde V. Nr. 13 "Am W." zuwiderlaufenden Weise der Blick auf das südlich davon gelegene Tal und den O.wald bzw. den K. D. verstellt. Diesen Bebauungsplan hatte die Gemeinde V. am 28. Februar 1969 zusammen mit der Satzung über die besonderen Anforderungen an die Baugestaltung im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 13 beschlossen. Deren § 3 Satz 2 bestimmt für den hier interessierenden Bereich der Flächen östlich der Straße Im S., dass alle Dachflächen einschließlich der Garagendächer als bekieste Flachdächer ohne Neigung herzustellen sind.

2

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen.

3

Dagegen richtet sich der rechtzeitig gestellte, im Wesentlichen auf § 124 Abs. 2 Nrn. 1, 3, 4 und 5 VwGO gestützte Zulassungsantrag. Dieser hat keinen Erfolg.

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Die angegriffene Entscheidung begegnet namentlich nicht ernstlichen Zweifeln. Solche liegen nach ständiger Senatsrechtsprechung (vgl. z.B. Beschl. v. 31.7.1998 - 1 L 2696/98 -, NVwZ 1999, 431) erst dann vor, wenn für das vom Zulassungsantragsteller favorisierte Entscheidungsergebnis  - auf dieses und nicht auf  einzelne Begründungselemente kommt es dabei an - "die besseren Gründe sprechen", d.h. wenn ein Obsiegen in der Hauptsache wahrscheinlicher ist als ein Unterliegen.

5

Das ist nicht der Fall. Die die Klagabweisung tragende Grundannahme des Verwaltungsgerichts, jedenfalls seit Außerkrafttreten der Baugestaltungssatzung vom 28. Februar 1969 sei der Beigeladene nicht mehr an der Aufstockung seines Flachdaches gehindert gewesen, begegnet ernstlichen Zweifeln in diesem Sinne nicht.

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Es spricht zwar einiges für die von den Klägern verfochtene Annahme, die seinerzeit selbständige Gemeinde V. habe durch die am gleichen Tage beschlossenen Satzungen vom 28. Februar 1969 zumindest auch erreichen wollen, dass dem jeweiligen Oberlieger ein möglichst ungehinderter Blick auf die südlich davon gelegenen Landschaftsteile erhalten bleibe. Das sollte bauplanungsrechtlich durch das Gebot (§ 4 der Satzung zum Bebauungsplan Nr. 13 "Am W.") geschehen, ein zweites Geschoss dürften die Häuser nur bei einer Betrachtung von der Talseite her aufweisen,  wobei die Topografie zu beachten sei; vom Berg zum Tal hin beobachtet dürften die Häuser nur eingeschossig erscheinen. Des Weiteren sollte dies insoweit durch die Festsetzung der Höhenlagen der baulichen Anlagen geschehen (§ 5 der Satzung zum Bebauungsplan). Gestaltungsrechtlich wurde dies ergänzt durch den oben zitierten § 3 Satz 2 der Baugestaltungssatzung gleichen Tages. Alles zusammen genommen hätte sich bei fortdauernder Geltung beider Satzungen voraussichtlich ein Abwehrrecht der Kläger ergeben.

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Dieses Gefüge hat sich indes in einer den Klägern nachteiligen Weise dadurch geändert/gelöst, dass die Baugestaltungssatzung vom 28. Februar 1969 wegen § 101 Abs. 3 Satz 1 NBauO 1973 mit dem 31. Dezember 1978 außer Kraft getreten ist. Entgegen der Annahme der Kläger ist diese baugestalterische Festsetzung nicht (so) Teil des allein noch fortgeltenden Bebauungsplans der Antragsgegnerin Nr. 13 geworden, dass sich die Kläger auf deren Schutzwirkung über den Ablauf des 31. Dezember 1978 hinaus würden berufen können.  Die Gestaltungssatzung ist insbesondere nicht durch  § 1 Satz 2 der Satzung zum Bebauungsplan Nr. 13 "Am W." zum Inhalt der allein noch fortgeltenden bauplanungsrechtlichen Festsetzungen geworden. Wenn es dort heißt "Für die Baugestaltung ist die Satzung über die besonderen Anforderungen an die Baugestaltung im Geltungsbereich des Bebauungsplanes Nr. 13 der Gemeinde V. unter Bezugnahme auf die Verordnung über die Baugestaltung vom 10.11.1936, Reichsgesetzblatt, Jahrgang 1936, Teil I, rechtsverbindlich.", so stellt dies schon nach seinem Wortlaut lediglich einen Hinweis auf andere Rechtsvorschriften, nicht aber eine rechtliche Verklammerung dergestalt dar, dass die Vorschriften der Baugestaltungssatzung ihre Geltungsdauer kraft Bauplanungsrecht selbst dann überdauern sollen können, wenn diese einmal außer Kraft treten sollte.

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Beide Regelungen durften im Übrigen auch aus Rechtsgründen nicht in der von den Klägern favorisierten Weise verschränkt werden. Denn Vorschriften über die äußere Gestaltung baulicher Anlagen konnten schon seinerzeit nicht auf Ermächtigungsgrundlagen des Bauplanungsrechts gestützt werden, sondern nur Gegenstand gestaltungsrechtlicher Vorschriften sein, welche auf Landesrecht fußen (vgl. z.B. Hess. VGH, Urt. v. 19.7.1988 - 4 UE 2766/86 -, BauR 1989, 178 = BRS 48 Nr. 112; ebenso trotz missverständlichen Leitsatzes 2 Bad.-Württ. VGH, Beschl. v. 30.7.1987 - 5 S 2906/86 -, NVwZ-RR 1988, 63 = BRS 47 Nr. 11: Ermächtigungsgrundlage war § 73 Nr. 1 der Landesbauordnung). Die damit allein auf Landesbauordnungsrecht fußenden Gestaltungsvorschriften konnten bei Erlass der beiden zitierten Satzungen in Niedersachsen noch nicht einmal äußerlich mit einem Bebauungsplan verbunden werden, wie dies nach dem derzeitigen Gesetzesstand (§ 9 Abs. 4 BauGB, § 98 NBauO) allein (nur) möglich ist. Seinerzeit galt noch § 9 Abs. 2 BBauG 1960. Diese Vorschrift ermächtigte die Landesregierungen dazu, durch Rechtsverordnungen zu bestimmen, dass auch Festsetzungen über die äußere Gestaltung baulicher Anlagen (sowie über den Schutz und die Erhaltung von Bau- und Naturdenkmälern) in den Bebauungsplan aufgenommen werden können. Eine derartige Verordnung wurde in Niedersachsen erst nach Erlass der beiden Satzungen vom 28. Februar 1969, nämlich durch die Verordnung über die Gestaltungsvorschriften und Kennzeichnung von Denkmalen in Bebauungsplänen vom 14. Juni 1974 (GVBl. I S. 333) geschaffen. Deren § 3 schließt bereits erlassene Baugestaltungssatzungen nicht in den Geltungsbereich der Verordnung ein. Im Übrigen hätte dies nichts daran geändert, dass die Verbindung von Bebauungsplan und Baugestaltungsvorschriften nur äußerlicher Natur ist (st. Rspr. der Bausenate des Nds. OVG; vgl. Große-Suchsdorf/Lindorf/Schmaltz/Wiechert, NBauO 7. Aufl. 2002, § 98 Rdnr. 7). Selbst eine derartige "äußerliche" Verbindung wäre durch § 101 Abs.  3 Satz 1 NBauO 1973 zum 1. Januar 1979 gelöst worden, wenn schon im Jahre 1969 planungs- und gestaltungsrechtliche Vorschriften in einen Bebauungsplan hätten zusammengefasst werden können.

9

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Kläger den bis zum 31. Dezember 1978 gewährleisteten, relativ umfassenden Schutz gegen eine sichteinschränkende Bebauung bergabwärts gelegener Grundstücke nur dann ungeschmälert hätten weiter genießen können, wenn die Gemeinde (V. oder S.) die Übergangsfrist von immerhin fünf Jahren, welche § 101 Abs. 3 Satz 1 NBauO den Gemeinden bot, zum Erlass einer Gestaltungssatzung gleichen oder ähnlichen Inhalts genutzt hätte. Das ist indes nicht geschehen. Es ist auch nicht möglich, mit dem Inhalt der außer Kraft getretenen Gestaltungssatzung vom 28. Februar 1969 den Inhalt des Bebauungsplanes Nr. 13 gleichsam aufzuladen und anzunehmen, die Verwirklichung eines Satteldaches verstoße wegen einer dadurch verursachten Einschränkung der Fernsicht gegen § 15 Abs. 1 BauNVO. Denn diese Vorschrift betrifft schon nach ihrer systematischen Stellung nur die Art der baulichen Nutzung. Vorschriften über deren Maß werden von ihr (dann evtl. zum Vorteil des Nachbarn) nur dann erfasst, wenn das Maß der baulichen Nutzung von ausschlaggebender Bedeutung für die Art einer baulichen Nutzung ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.3.1995 - 4 C 3.94 -, NVwZ 1995, 899 = BRS 57 Nr. 175 = DVBl. 1995, 754 = BauR 1995, 508). Das ist hier nicht der Fall.

10

Im Übrigen ist es bei Abwägung der konkurrierenden Interessen nicht rücksichtslos, wenn der Beigeladene zum Schutze seines Flachdaches, dessen Dichtigkeit stets bauliche Schwierigkeiten aufwirft, nunmehr ein Dach dieser vergleichsweise geringen Neigung aufzubringen versucht. Denn das konkurrierende Interesse der Kläger an ungeschmälerter Aussicht auf das Tal und den K. D. ist durch den Wegfall der Baugestaltungssatzung in erheblicher Weise geschmälert worden. Das hat zur Folge, dass bei der Abwägung der konkurrierenden Interessen ihres zurückzutreten hat.

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Insgesamt verblieb damit nach Außerkrafttreten der Baugestaltungssatzung vom 28. Februar 1969 eine Regelung, die die Kläger nur zur Abwehr einer Bebauung berechtigte, deren Anzahl der Vollgeschosse oder Bemessung der Höhenlage den §§ 4 und 5 der Satzung zum Bebauungsplan Nr. 13 "Am W." widerspräche. Das ist hier nicht der Fall und mag für die Kläger unbefriedigend sein. Eine "Rücksichtslosigkeit", die sie zur Abwehr der Flachdachaufstockung berechtigte, liegt darin nicht. Das ist soeben dargelegt worden. Ihr Interesse hat an Gewicht ganz maßgeblich dadurch eingebüßt, dass der Niedersächsische Gesetzgeber durch § 101 Abs. 3 Satz 1 NBauO das Recht bereinigen und den Gemeinden lediglich, aber immerhin eine fünfjährige Übergangsfrist hatte einräumen wollen, zuvor in Kraft gesetzte Satzungen in unveränderter oder modifizierter Form zu erneuern. Es geht nicht an, diese allein in die Hand der planenden Gemeinde gegebene, hier indes nicht genutzte Gestaltungsmöglichkeit der Gemeinden gleichsam in die Hand der Planunterworfenen zu geben und so der baugestalterischen Festsetzung einen "Ewigkeitswert" beizumessen, den sie nach den Regelungen des Gesetzes (§ 101 Abs. 1 Satz 1 NBauO) gerade nicht haben sollte.

12

Die weiteren Zulassungsangriffe rechtfertigen die Zulassung der Berufung ebenfalls nicht.