Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 20.11.2002, Az.: 11 ME 379/02
ARB; Arbeitgeber; assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht; Aufenthaltserlaubnis; Beschäftigungsdauer; besondere Härte; Ehe; Mindestbestandszeit; Verlängerung; Wechsel
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 20.11.2002
- Aktenzeichen
- 11 ME 379/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 41888
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 27.09.2002 - AZ: 1 B 3736/02
Rechtsgrundlagen
- § 19 Abs 1 Nr 1 AuslG
- § 19 Abs 1 Nr 2 AuslG
- Art 6 Abs 1 S 1 EWGAssRBes 1/80
- Art 6 Abs 1 S 2 EWGAssRBes 1/80
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zur Auslegung von § 19 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 sowie Satz 2 1. und 2. Alt. AuslG
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin bleibt ohne Erfolg. Die mit ihr vorgebrachten Einwände, die im Beschwerdeverfahren allein zu prüfen sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), zeigen nichts auf, was die Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses, mit dem das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 02. August 2002 (Ablehnung des Antrags auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis und Ausreiseaufforderung unter Abschiebungsandrohung in die Türkei) abgelehnt hat, in Frage stellen könnte.
Das Verwaltungsgericht hat offen gelassen, ob sich die Antragstellerin auf die am 01. Juni 2000 in Kraft getretene Neufassung des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG (BGBl. I S. 742) berufen kann, wonach die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft als eigenständiges, von dem in § 17 Abs. 1 bezeichneten Aufenthaltszweck unabhängiges Aufenthaltsrecht verlängert wird, wenn die eheliche Lebensgemeinschaft seit mindestens zwei Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet bestanden hat, während zuvor eine Mindestbestandszeit von vier Jahren galt. Hierzu sei – ohne dass es für die Entscheidung über die Beschwerde letztlich darauf ankommt – darauf hingewiesen, dass der beschließende Senat an seiner in ständiger Rechtsprechung vertretenen Auffassung festhält, die Neufassung des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG sei auf diejenigen Fälle nicht anwendbar, in denen - wie hier - die eheliche Lebensgemeinschaft vor dem 01. Juni 2000 beendet war (vgl. dazu im einzelnen Beschl. v. 06.03.2001, InfAuslR 2001, 281 = NVwZ-Beilage 2001, 85; Beschl. v. 22.03.2002 – 11 ME 106/02 -; so auch Hess. VGH, Beschl. v. 14.01.2002, InfAuflR 2002, 426, 428; OVG Berlin, Beschl. v. 06.07.2001, AuAS 2001, 204; Renner, AuslR, Nachtrag z. 7. Aufl., 2000, § 19 AuslG RdNr. 45; aA: etwa OVG Rhl.-Pf., Urt. v. 21.06.2002, InfAuslR 2002, 424; Hamburg. OVG, Beschl. v. 19.03.2002, NVwZ-RR 2002, 665; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 27.11.2001, InfAuslR 2002, 183; OVG NRW, Beschl. v. 04.05.2001, NVwZ-Beilage 2001, 83). Aber selbst wenn man hier § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AuslG n.F. für anwendbar halten wollte, würde das der Antragstellerin nicht weiter helfen. Denn sie hat auch im Beschwerdeverfahren nicht glaubhaft machen können, dass die Lebensgemeinschaft mit ihrem Ehemann, von dem sie am 21. April 2000 rechtskräftig geschieden wurde, mindestens zwei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet bestanden hat.
Das Verwaltungsgericht hat aus einer Reihe von Indizien und Umständen die Schlussfolgerung gezogen, dass die seit dem 06. Dezember 1996 bestehende eheliche Lebensgemeinschaft der Antragstellerin in der Zeit vom 01. Mai 1997 bis zum 11. Mai 1998 aufgehoben war und erst anschließend bis zum 25. Oktober 1999 fortgeführt worden ist. Da die Zeit bis zum 11. Mai 1998 für die Berechnung der erforderlichen Mindestdauer nicht zu berücksichtigen sei, habe die eheliche Lebensgemeinschaft lediglich ca. 1 1/2 Jahre gedauert. Diese Bewertung ist nicht zu beanstanden. Die von der Antragstellerin vorgelegte eidesstattliche Versicherung vom 23. Oktober 2002, dass sie und ihr Ehemann sich auch während der Zeit von Mai 1997 bis Mai 1998 als Eheleute angesehen hätten und sie selbst ihren Ehemann mindestens ein bis zweimal im Monat in B. besucht habe, ist nicht geeignet, die Zweifel am Bestehen der ehelichen Lebensgemeinschaft während dieses Zeitraums zu zerstreuen. Es ist unstrittig, dass sie am 01. Mai 1997 ohne ihren Ehemann nach C. gezogen ist, sich dort mit alleinigem Wohnsitz angemeldet und in D., wo sie zuvor gemeinsam mit ihrem Ehemann gewohnt hatte, abgemeldet hat. Sie hat sich erst nach der erstmaligen Ablehnung der Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis durch Bescheid vom 23. April 1998 am 11. Mai 1998 wieder bei ihrem Ehemann in dessen Wohnung in D. angemeldet, und am nächsten Tag, dem 12. Mai 1998, Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid eingelegt. Hinzu kommt, dass sie während des gesamten Zeitraums vom 01. Mai 1997 bis zum 11. Mai 1998 durchgängig in C. gearbeitet hat. Auch nach dem 11. Mai 1998 bis zu der erneuten Ummeldung nach C. am 25. Oktober 1999 war sie - von kurzen Unterbrechungen abgesehen - in einem Lebensmittelgeschäft in C. beschäftigt. Ferner hat die Antragstellerin gegenüber der Antragsgegnerin am 12. Mai 1998 erklärt, dass sie sich vorübergehend mit ihrem Ehemann „nicht so gut verstanden“ habe. Die Antragstellerin und ihr Ehemann haben eine gemeinsame Wohnung in C. auch später nicht bezogen. Ebensowenig ist es zu einer längerwährenden Versöhnung gekommen.Die Antragstellerin hat in ihrer eidesstattlichen Versicherung vom 23. Oktober 2002 selbst angegeben, dass sie sich etwa Anfang 1999 von ihrem Mann getrennt habe. Die Antragsgegnerin und das Verwaltungsgericht sind bisher davon ausgegangen, dass eine endgültige Trennung zum 25. Oktober 1999 erfolgt sei, als sich die Antragstellerin erneut nach C. umgemeldet und in dem entsprechenden Formular als Familienstand „getrennt lebend“ angegeben hat. Zwar kann die Tatsache, das Eheleute aus beruflichen oder anderen plausiblen Gründen vorübergehend getrennt leben, aufenthaltsrechtlich unschädlich sein. Voraussetzung ist aber, dass sie während dieser Zeit engen persönlichen Kontakt zueinander halten (vgl. etwa Hess. VGH, Beschl. v. 24.07.2000, InfAuslR 2000, 494 = AuS 2000, 244). Dies hat die Antragstellerin, der insoweit die Beweislast obliegt (vgl. Senats-Beschl . v. 18.09.2000, AuS 2000, 242 = InfAuslR 2001, 75; Hess. VGH, Beschl. v. 14.01.2002, InfAuslR 2002, 426, 430), nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere reicht ihre eidesstattliche Versicherung vom 23. Oktober 2002 angesichts der sich aus den Akten ergebenden gegenteiligen Indizien nicht aus, zumal eine damit übereinstimmende eidesstattliche Versicherung ihres geschiedenen Ehemannes nicht vorliegt. Das gleiche gilt für ihre Behauptung, dass sie mehrere Male in Begleitung von namentlich genannten Ehepaaren und eines Cousins ihren Ehemann besucht habe. Allerdings bestünden auch Zweifel, ob derartige Besuche der Antragstellerin, selbst wenn sie durch entsprechende eidesstattliche Versicherungen bestätigt würden, die aus anderen Umständen gewonnene Annahme erschüttern könnten, dass tatsächlich eine eheliche Lebensgemeinschaft während des streitigen Zeitraums nicht bestanden hat.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin steht ihr bei summarischer Prüfung auch kein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AuslG zu. Danach wird die Aufenthaltserlaubnis des Ehegatten im Falle der Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft – unabhängig von einer Mindestbestandsdauer – unter anderem verlängert, wenn es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, ihm den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen. Nach § 19 Abs. 1 Satz 2 AuslG liegt eine besondere Härte insbesondere dann vor, wenn dem Ehegatten wegen der aus der Auflösung der ehelichen Lebensgemeinschaft erwachsenden Rückkehrverpflichtung eine erhebliche Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange droht, oder wenn dem Ehegatten wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Belange das weitere Festhalten an der ehelichen Lebensgemeinschaft unzumutbar ist. Die erste Alternative ist etwa erfüllt, wenn dem Ehegatten im Herkunftsland aufgrund gesellschaftlicher Diskriminierung die Führung eines eigenständigen Lebens nicht möglich wäre. Bei der zweiten Alternative sollen insbesondere Umstände während der Ehe in Deutschland berücksichtigt werden, wie z. B., dass der nachgezogene Ehegatte wegen physischer oder psychischer Misshandlungen durch den anderen Ehegatten die Lebensgemeinschaft aufgelöst hat (vgl. zum Vorstehenden näher: Hailbronner, AuslR, Stand: Juli 2000, § 19 AuslG RdNr. 10 ff). Maßgebend für die Auslegung des Begriffs der „besonderen Härte“ in § 19 Abs. 1 AuslG ist letztlich, ob der betroffene Ausländer durch die Rückkehr in sein Herkunftsland ungleich härter getroffen würde als andere Ausländer, die nach kurzen Aufenthaltszeiten Deutschland verlassen müssen (vgl. Hailbronner, a. a. O.). Dass hier ein derartiger Fall vorliegt, kann jedoch nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit angenommen werden.
Die 1978 geborene Antragstellerin beruft sich zum einen darauf, dass sie seit dem 06. Dezember 1996 im Bundesgebiet lebe und in der Türkei überhaupt keinen Bezugsrahmen mehr habe. Eine Rückkehr würde sie persönlich gravierend belasten, zumal sie dort keine konkrete Lebensperspektive habe. Demgegenüber stehe sie in Deutschland wirtschaftlich auf eigenen Beinen. Diese Gründe reichen aber für die Annahme einer besonderen Härte im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i. V. m. Satz 2 1. Alternative AuslG nicht aus. Zwar sind gewachsene Bindungen und Integrationsleistungen im Bundesgebiet zu berücksichtigen (vgl. Hailbronner, a. a. O., § 19 AuslG RdNr. 16 ff m. Nachw. aus der Rechtsprechung), doch ist nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin durch die Ausreisepflicht ungleich härter getroffen würde als andere Türkinnen in ähnlicher Situation. Insbesondere kann auch angesichts der relativ kurzen ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragstellerin eine erhebliche Beeinträchtigung ihrer schutzwürdigen Belange bei Rückkehr in die Türkei droht. Dass sie sich in die dortigen Verhältnisse erst wieder eingewöhnen muss, stellt keinen besonderen Umstand dar, der eine Aufenthaltsbeendigung unverhältnismäßig erscheinen lassen könnte.
Zum anderen macht die Antragstellerin geltend, die problematische Drogensucht ihres Ehemannes und dessen Unfähigkeit, zum Familienunterhalt beizutragen, hätten zur Beendigung der Ehe geführt. Für den Wahrheitsgehalt dieser Behauptung hat sie aber keinerlei Nachweise vorgelegt, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Fortführung der Ehe im Sinne der 2. Alternative des § 19 Abs. 1 Satz 2 AuslG ihr unzumutbar war. Darauf hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend hingewiesen.
Schließlich gehen auch die Angriffe der Antragstellerin gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Interpretation des Art. 6 ARB 1/80 fehl. Das Verwaltungsgericht hat rechtsfehlerfrei ausgeführt, dass die Antragstellerin weder im Zeitpunkt ihres Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 26. März 2001 noch im Zeitpunkt seiner Entscheidung die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 erfülle, da es an der erforderlichen einjährigen Beschäftigungsdauer fehle; ein vorzeitiger Wechsel des Arbeitgebers führe dazu, dass die Jahresfrist jedes Mal neu zu laufen beginne. Ebenso wenig steht der Antragstellerin aus Art. 6 Abs. 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 ein Anspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu, da die Antragstellerin nicht drei Jahre bei dem selben Arbeitgeber auf einem Arbeitsplatz im bisherigen Beruf ordnungsgemäß beschäftigt war. Die Antragstellerin wendet zu Unrecht ein, dass eine dreijährige Beschäftigung bei dem selben Arbeitgeber nicht verlangt werden könne. Zwar wird in Art. 6 Abs. 1 2. Spiegelstrich ARB 1/80 nicht ausdrücklich erwähnt, dass es sich um eine Beschäftigung bei dem selben Arbeitgeber handeln muss, doch ergibt sich dies zweifelsfrei aus dem Regelungsgehalt und der Systematik der in Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 enthaltenen, zeitlich gestaffelten Zugangs- und Aufenthaltsrechte (vgl. Dienelt, Aktuelle Fragen zum Aufenthaltsrecht türkischer Staatsangehöriger, Juli 2001, RdNr. 39 f; 2.1.2 und 2.5.2 AAH-ARB 1/80). Danach hat der türkische Arbeitnehmer erst nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung bei dem selben Arbeitgeber die Möglichkeit, den Arbeitsplatz zu wechseln, sofern der neue Arbeitgeber der selben Berufsgruppe angehört. Jeder frühere Wechsel lässt bereits erworbene Rechte aus Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80, d. h. Beschäftigungszeiten beim ersten Arbeitgeber, wieder erlöschen. So verhält es sich auch hier.