Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.11.2002, Az.: 4 ME 465/02

Bedarf; Begutachtungsleitfaden; Diät; Gewichtsreduzierung; kostenaufwendige Ernährung; Krankenkostzulage; Mehrbedarf; Mehrbedarfszuschlag; Sozialhilfe; Übergewicht

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
14.11.2002
Aktenzeichen
4 ME 465/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 43799
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 18.09.2002 - AZ: 7 B 3808/02

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Der "Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwendiger Ernährung (Krankenkostzulage) gemäß § 23 Abs. 4 BSHG" des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (Stand: Januar 2000) ist nicht als Grundlage für die Feststellung des (Nicht-)Vorliegens eines Mehrbedarfs geeignet.


2. Wird vom Arzt im Hinblick auf eine Krankheit des Hilfeempfängers eine entsprechende Kost (Diät) verordnet, kann hierfür entsprechend den Empfehlungen des Deutschen Vereins für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (2. Aufl. 1997) die Gewährung eines Mehrbedarfszuschlags ausnahmsweise auch dann in Betracht kommen, wenn zwar auch ein erhebliches Übergewicht vorliegt, die Gewichtsreduzierung aber nicht vorrangiges Ziel der Diät ist.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller begehrt, die Antragsgegnerin zur vorläufigen Gewährung einer Krankenkostzulage in Höhe von 35,79 Euro (70,00 DM) monatlich zu verpflichten.

2

Der Antragsteller erhält von der namens und im Auftrag des Antragsgegners handelnden Stadt C. laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Am 10.06.2002 beantragte er bei der Stadt C. die Gewährung einer Krankenkostzulage. Zur Begründung legte er ein Attest des Facharztes für innere Medizin Dr. D. vom 10.06.2002 vor, in welchem folgende Erkrankungen des Antragstellers diagnostiziert wurden: Fehlstatik der Wirbelsäule, Hypercholesterinämie, arterielle Hypertonie, Neurodermitis, Adipositas, allergisches Asthma, Pollinose. Aus dem ergibt sich ferner, dass dem Antragsteller eine purin- und kochsalzarme Kost sowie eine cholesterinarme Diät verordnet worden ist. Der Antragsteller machte geltend, wegen seiner Erkrankungen einer kostenaufwendigen Ernährung zu bedürfen und bezog sich insoweit auf die Empfehlungen des Deutschen Vereins.

3

Am 09.08.2002 fand eine amtsärztliche Untersuchung des Antragstellers statt. Der Antragsteller untersagte dem Amtsarzt die Weitergabe aller persönlichen Daten. Ausweislich einer amtsärztlichen Stellungnahme vom 12.08.2002 besteht nach dem Ergebnis der Blutuntersuchung ein Mehrbedarf für die Ernährung nicht. Mehrkosten durch die vom Arzt verordnete Ernährungsweise entstünden ebenfalls nicht. Mit weiterer Stellungnahme vom 28.08.2002 ergänzte der Amtsarzt, dass seine Einschätzung auf dem Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwendiger Ernährung (Krankenkostzulage) gemäß § 23 Abs. 4 BSHG des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, der von einer Arbeitsgruppe aus Ärztinnen und Ärzten aus Gesundheitsämtern in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hessen an der Akademie für öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf erstellt worden sei und als derzeit aktuellste Empfehlung zur Krankenkostzulage gelte, beruhe. Hinsichtlich weiterer Ausführungen zum Untersuchungsergebnis bedürfte es einer Entbindung von der Schweigepflicht.

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Am 27.08.2002 hat der Antragsteller bei dem Verwaltungsgericht um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht und beantragt,

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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig eine monatliche Krankenkostzulage in Höhe von 35,79 Euro zu bewilligen.

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Der Antragsgegner hat beantragt,

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den Antrag abzulehnen.

8

Er hat vorgetragen: Da sich aus der fachärztlichen Stellungnahme nicht ergebe, dass mit der verordneten Ernährung ein kostenintensiverer Ernährungsaufwand verbunden sei, habe es der amtsärztlichen Stellungnahme bedurft, durch welche - orientiert an dem Begutachtungsleitfaden des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe - bestätigt worden sei, dass die dem Antragsteller verordnete Ernährungsweise nicht mit Mehrkosten verbunden sei.

9

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 18. September 2002 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt:

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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei nicht begründet.

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Nach § 23 Abs. 4 BSHG sei für kranke, genesende, behinderte Menschen oder von einer Krankheit oder von einer Behinderung bedrohte Menschen, die einer kostenaufwendigen Ernährung bedürften, ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anzuerkennen.

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Unstreitig leide der Antragsteller an den vom Facharzt für innere Medizin Dr. D. unter dem 10.06.2002 diagnostizierten Erkrankungen und bedürfe deswegen einer besonderen Ernährung, nämlich purin- und kochsalzarmer Kost sowie einer cholesterinarmen Diät.

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Einen hieraus folgenden Mehrbedarf habe der Antragsteller allerdings nicht glaubhaft gemacht. Aus den vorgelegten Attesten ergäben sich hierfür keine Anhaltspunkte. Allerdings enthielten die Empfehlungen des Deutschen Vereins für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (Auflage 1997, Anlage 1, S. 32) einen Regelwert von 70,00 DM = 35,79 Euro für eine lipidsenkende Kost (bei Störungen des Fettstoffwechsels), einen Regelwert von 60,00 DM = 30,68 Euro für eine purinreduzierte Kost und einen Regelwert von 50,00 DM = 25,56 Euro für eine natriumdefinierte Kost. Diese Empfehlungen beruhten auf einem ernährungswissenschaftlichen Gutachten der Deutschen Gesellschaft für Ernährung zum Kostenaufwand für Langzeitdiäten vom 29.11.1994, in welchem der Aufwand für einzelne Kostformen modellhaft ermittelt worden sei (Anlage 4 in der vorgenannten Schrift des Deutschen Vereins).

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Der Antragsgegner hingegen stütze seine Auffassung, dass der Antragsteller einer kostenaufwendigeren, nicht aus dem Regelsatz zu bestreitenden Ernährung nicht bedürfe, auf den vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe herausgegebenen Begutachtungsleitfaden (Stand: Januar 2002). Darin sei ausgeführt, dass eine lipidsenkende, eine purinreduzierte und auch eine natriumdefinierte Kost, die dem Antragsteller verordnet worden seien, mit Mehrkosten nicht verbunden seien. Die von einer aus Medizinern bestehenden Arbeitsgruppe erarbeitete Schrift solle eine Orientierungshilfe für die Begutachtung in den Gesundheitsämtern darstellen, wolle allerdings die Beurteilung im Einzelfall nicht ersetzen. Bei der Erstellung des Leitfadens hätten die Gutachten in den Empfehlungen des Deutschen Vereins Berücksichtigung gefunden. Allerdings bemängelten die Verfasser, dass manche Erkenntnisse der in der Schrift des Deutschen Vereins enthaltenen medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Gutachten nicht folgerichtig umgesetzt seien (z.B. bezüglich lipidsenkender, purinreduzierter und natriumdefinierter Kost, S. 3 des Leitfadens).

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So komme es auch nach den Ausführungen in der Schrift des Deutschen Vereins bei erhöhten Blutfetten im Serum und häufig - auch beim Kläger - zugleich vorliegender Adipositas, primär an auf eine Gewichtsnormalisierung, auf verminderten Fettverzehr und auf verminderten Alkoholkonsum (Anlage 2, S. 55 und S. 142). Die erforderliche Kostform sei eine Reduktionskost in Form einer kalorienreduzierten ausgewogenen Mischkost und der Erhöhung der Anteile an Kohlehydraten und Ballaststoffen. Nach Beseitigung des Übergewichts und bei fettarmer Ernährung normalisierten sich oftmals die Blutfette im Serum. Weder bei einer Reduktionskost noch bei einer fettreduzierten bzw. fettarmen Kost bestehe ein erhöhter Kostenaufwand. Ein Ausweichen auf industriell hergestellte kalorien- bzw. fettreduzierte (in der Regel teure) Lebensmittel sei nicht notwendig (Schrift des Deutschen Vereins, S. 104). Dem gemäß komme auch der Begutachtungsleitfaden zu der Einschätzung, dass bei einer Erhöhung der Blutfette eine lipidsenkende Kost erforderlich sei, d.h. eine deutliche Verminderung des Verzehrs von Fetten, vor allem von tierischen wie in Wurst und Fleisch, im Austausch von pflanzlichen Fetten bei vergleichsweise hohem Ballaststoff- und Kohlenhydratanteil. Bei Übergewicht sei eine Gewichtsnormalisierung erforderlich mit einer nicht kostenaufwendigeren Reduktionskost. Insgesamt entstünden durch die Diät Mehrkosten nicht (S. 8, Anlage 1 S. 5).

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Nach der Schrift des Deutschen Vereins (Anlage 8, S. 139 f.) werde bei Hypertonie eine streng natriumarme Kost nicht mehr eingesetzt. Als gültiger Ernährungsgrundsatz werde eine mäßig kochsalzreduzierte Kostform betrachtet. Hierbei müsse auf eine Reihe von Fertigprodukten und Konserven verzichtet werden. Bei der Zubereitung der Speisen dürften kein Salz und keine salzhaltigen Würzmischungen verwendet werden. Zu den kalten Mahlzeiten könnten aber normal gesalzenes Brot, Käse und Wurstwaren verzehrt werden mit Ausnahme von stark gesalzenen und geräucherten Produkten. Auch sei ein Verzicht auf eingelegtes Gemüse, Salzstangen, Kräcker, Chips u.ä. notwendig. Bei den Getränken sollte Mineralwasser mit weniger als 20 mg Natrium pro Liter ausgewählt werden. Die Schrift des Deutschen Vereins komme zu dem Schluss, dass die Durchführung einer mäßig kochsalzarmen Kost mit üblichen Lebensmitteln möglich sei (S. 140). Mithin entstünden hieraus Mehrkosten nicht. Bei übergewichtigen Patienten sei eine Gewichtsnormalisierung anzustreben, die ebenfalls nicht mit einem erhöhten Kostenaufwand verbunden sei. Auf diese Erkenntnisse stütze sich auch der Begutachtungsleitfaden (S. 8, Anlage I S. 1 /2).

17

Eine purinarme Diät, die zur Senkung der Harnsäurekonzentration im Serum führen solle, bestehe im Wesentlichen in reichlicher Flüssigkeitszufuhr unter Verzicht auf Alkohol, der Normalisierung des Körpergewichts und der Vermeidung purinreicher, also harnsäuresteigernder Lebensmittel (Innereien, Haut von Fisch, Geflügel, Schwein). Ein nur mäßiger Fleischkonsum sei geboten. Die beste Vorbeugung von Komplikationen von Hyperurikämie und Gicht, bei denen eine purinarme Kost angezeigt sei, sei das Vermeiden von Exzessen (Völlerei und komplettes Fasten) (vgl. Schrift des Deutschen Verein S. 43/44, S. 56). Hieran orientiere sich auch die Einschätzung im Begutachtungsleitfaden, der zufolge auch diese Diät bei Vermeidung harnsäuresteigernder Lebensmittel nicht zu Mehrkosten führe (S. 8, Anlage I S. 5/6).

18

Auf Grundlage der Ausführungen im Begutachtungsleitfaden des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe sei das Gericht davon überzeugt, dass die dem Antragsteller verordneten Kostformen nicht mit Mehrkosten verbunden seien. Die im Begutachtungsleitfaden zum Ausdruck gebrachte Einschätzung hätten die Verfasser durch sorgfältige Auseinandersetzung mit den Gutachten gewonnen, die den Empfehlungen des Deutschen Vereins zugrunde lägen. Die Ausführungen in dem Begutachtungsleitfaden seien nachvollziehbar und würden auch durch die vom Antragsteller vorgelegte Vergleichsliste für Lebensmittel, die im Übrigen nicht erkennen lasse, auf welchen Erkenntnissen sie beruhe, nicht in Frage gestellt. Diätetischer Lebensmittel bedürfe es entgegen der Auffassung des Antragstellers bei den in seinem Fall verordneten Kostformen grundsätzlich nicht. Wie ausgeführt widerspreche der Beurteilungsleitfaden auch keineswegs den ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen in den Gutachten, die in der Schrift des Deutschen Vereins enthalten seien. Zutreffend werde vielmehr in dem Leitfaden gerügt, dass medizinische und ernährungswissenschaftliche Gutachten in den Empfehlungen des Deutschen Vereins nicht folgerichtig umgesetzt worden seien.

19

Auch die Untersuchung des Antragstellers, die aufgrund des Fehlens von Ausführungen des Facharztes für innere Medizin Dr. D. zu etwaigen mit der verordneten Kost verbundenen Mehrkosten und der allgemeinen Einschätzung gemäß dem Begutachtungsleitfaden, dass Mehrkosten bei den verordneten Kostformen nicht entstünden, erforderlich gewesen sei, habe im Einzelfall nicht zu einer anderen Einschätzung hinsichtlich eines Mehrbedarfs geführt. Detaillierte Erkenntnisse insoweit lägen zwar nicht vor. Allerdings ergebe sich aus dem Vorbringen der Beteiligten, dass nach dem Ergebnis der Untersuchung ein Mehrbedarf nicht festgestellt worden sei.

20

Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller sein Begehren weiter.

21

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges Bezug genommen.

II.

22

Soweit der Antragsteller sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren erster Instanz wendet, bleibt die Beschwerde ohne Erfolg. Da das gerichtskostenfreie Verfahren vor dem Verwaltungsgericht abgeschlossen ist und der Antragsteller dort nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten war, sind Kosten, für die eine Bewilligung von Prozesskostenhilfe Bedeutung haben könnte (§§ 166 VwGO, 122 ZPO) nicht entstanden, bedarf es also einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht.

23

Soweit die Beschwerde des Antragstellers die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes betrifft, ist sie begründet. Der Antragsteller hat einen sozialhilferechtlichen Mehrbedarf wegen kostenaufwendiger Ernährung (§ 23 Abs. 4 VwGO) – entgegen der Meinung des Verwaltungsgerichts – glaubhaft gemacht.

24

Bei der Entscheidung darüber, ob ein Hilfeempfänger einen gegenüber dem mit den Regelsätzen gedeckten allgemeinen Bedarf erhöhten Bedarf wegen der Notwendigkeit einer krankheitsbedingten kostenaufwendigen Ernährung hat (§ 23 Abs. 4 BSHG), hält der Senat regelmäßig die „Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe“, Kleinere Schriften des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (2. Aufl. 1997 mit acht Anlagen, darunter fünf Gutachten, - künftig: „Empfehlungen“) für eine geeignete Entscheidungsgrundlage (ebenso 12. Senat, z. B. Beschl. v. 07.10.2002

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- 12 ME 622/02 -). Die Erarbeitung dieser Empfehlungen ist geprägt von einem Zusammenwirken von Wissenschaftlern aus den Fachgebieten der Medizin und der Ernährungswissenschaften. So sind nicht nur die medizinisch notwendigen Ernährungsformen bei verschiedenen Krankheiten festgestellt, sondern auch die Kostenunterschiede wissenschaftsmethodisch ermittelt worden, die sich bei den den verschiedenen Krankheitsbildern entsprechenden Ernährungsformen bzw. Diäten im Vergleich zu einer den ernährungswissenschaftlichen Anforderungen entsprechenden "Normalernährung" ergeben (vgl. dazu insbes. Anlage 4 der Empfehlungen). Zu beachten ist, dass dann, wenn ein Hilfeempfänger an mehreren die Einhaltung besonderer Kostformen erfordernden Krankheiten leidet, regelmäßig nicht eine Addition der Mehraufwendungen für jede einzelne Kostform erfolgen soll, sondern die Gewährung der höchsten der in Betracht kommenden Krankenkostzulagen als sachgerecht anzusehen ist (Empfehlungen, Anm. zu RdNr. 6, S. 28; vgl. zum Ausnahmefall der Addition der Mehrbedarfszuschläge bei HIV- und Krebserkrankung: Urt. d. Sen. v. 13.12.2000 - 4 L 3142/00 -).

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Hinsichtlich der bei dem Antragsteller vorliegenden verschiedenen Erkrankungen, die durch die Einhaltung einer bestimmten Ernährungsform günstig beeinflusst werden können, stimmen die Empfehlungen bzw. die diesen zugrundeliegenden Gutachten einerseits und der von dem Antragsgegner herangezogene "Begutachtungsleitfaden für den Mehrbedarf bei krankheitsbedingter kostenaufwendiger Ernährung (Krankenkostzulage) gemäß § 23 Abs. 4 BSHG" des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (Stand: Januar 2000) (im Folgenden: Leitfaden) andererseits im Wesentlichen darin überein, welche Form der Ernährung im Fall des Antragstellers sachgerecht ist. Dies hat das Verwaltungsgericht im Einzelnen dargelegt. Der Senat macht sich insoweit die zutreffenden Erwägungen des angefochtenen Beschlusses zu eigen und verweist deshalb auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

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Unterschiede ergeben sich aber in der Bewertung, welche Kosten mit einer konsequent sachgerechten Ernährung im Fall des Antragstellers verbunden sind.

28

Die Empfehlungen nehmen für lipidsenkende Kost bei Fettstoffwechselstörungen (im Fall des Antragstellers: Hypercholesterinämie) einen Kostenmehraufwand von 70,00 DM (umgerechnet 35,79 Euro) an – die Besonderheiten der Ernährung wegen der übrigen Erkrankungen des Antragstellers verursachen nach den Empfehlungen einen geringeren Aufwand und können deshalb hier vernachlässigt werden –.

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In dem Leitfaden (S. 8 Nr. 5) heißt es dazu: "Eine lipidsenkende Kost ist erforderlich, d. h. eine deutliche Verminderung des Verzehrs von Fetten, vor allem von tierischen wie in Wurst und Fleisch, im Austausch mit pflanzlichen Fetten bei vergleichsweise hohem Ballaststoff- und Kohlenhydratanteil. Bei Übergewicht ist eine Gewichtsnormalisierung erforderlich mit einer nicht kostenaufwendigen Reduktionskost. – Mehrkosten durch diese Diät entstehen nicht."

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Bei dem Antragsteller ist zwar auch eine Adipositas diagnostiziert worden. In dem fachärztlichen Attest des Dr. Reiche wird aber nicht die Verordnung einer Reduktionsdiät im Hinblick auf die Adipositas bescheinigt, sondern die Notwendigkeit einer speziellen cholesterinarmen, d. h. der Fettstoffwechselstörung entsprechenden lipidsenkenden Kost. Das dürfte der Feststellung in den Empfehlungen (Anlage 5, S. 78 ff.) entsprechen, derzufolge (von hier nicht interessierenden Ausnahmefällen abgesehen) die Gewichtsreduzierung nicht als solche angestrebt werden soll, sondern die gesundheitlich gebotene Umstellung des Ernährungsverhaltens im Vordergrund der Behandlung stehen und daneben eine nur allmähliche Gewichtsabnahme zugelassen werden soll.

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Bei einer Reduktionskost ist es naheliegend, dass hierdurch Mehrkosten nicht entstehen. Bei einer Ernährungsumstellung im Sinne einer lipidsenkenden Kost drängt sich die Annahme, ein Auswechseln der Nahrungsmittel führe nicht zu Mehrkosten, dagegen nicht auf. Die Empfehlungen, die einen Mehraufwand bejahen, beruhen insoweit auf nach ernährungswissenschaftlichen Grundsätzen durchgeführten Untersuchungen. In dem Leitfaden wird zwar ausdrücklich kritisiert, dass die Empfehlungen die zugrundeliegenden medizinischen und ernährungswissenschaftlichen Gutachten nicht folgerichtig umsetzten. Auf welcher Grundlage die Aussagen zu den Kosten medizinisch notwendig umgestellter Ernährungsformen in dem Leitfaden beruhen, ist dagegen nicht ersichtlich. An der Erstellung des Leitfadens waren ausschließlich Mediziner beteiligt. Es sind zwar "praktische Erfahrungen" von Gesundheitsämtern und Sozialämtern eingeflossen (Leitfaden S. 4), ohne dass aber deutlich gemacht ist, was das bedeuten soll. Auch aus dem beigefügten Literaturverzeichnis erschließt sich nicht, dass Vergleiche der Kosten einer gesundheitsbewussten "Normalernährung" und einer die konkrete Erkrankung berücksichtigenden Ernährung vorgenommen worden wären. Für eine Begründung der Aussage "Mehrkosten entstehen nicht" ist das aber eine unabdingbare Voraussetzung.

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Der Senat hält deshalb weiterhin – nur – die Empfehlungen des Deutschen Vereins für eine geeignete allgemeine Grundlage zur Bestimmung eines Mehrbedarfs bei einer wegen einer Krankheit notwendigen besonderen Ernährungsform. Im Fall des Antragstellers ergibt sich danach, wie oben ausgeführt, ein monatlicher Mehrbedarf von 35,79 Euro.

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Es entspricht ständiger Praxis des Senats, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes einen Sozialhilfeträger zur (vorläufigen) Gewährung von Leistungen der laufenden Hilfe zum Lebensunterhalt – dazu gehört auch die Entscheidung über einen Mehrbedarf – ab frühestens dem Ersten des Monats zu verpflichten, in dem der Senat in der Sache entscheidet. Denn das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes dient nur der Abwehr gegenwärtiger oder künftig zu erwartender Notlagen. Es ist dem Hilfesuchenden regelmäßig zuzumuten, die Entscheidung über behauptete Ansprüche auf Leistungen für bereits vergangene Zeiträume im Hauptverfahren (Widerspruchs- und ggf. Klageverfahren) abzuwarten. Ein Abweichen von dieser Regel kommt nur dann in Betracht, wenn durch eine unrechtmäßige Vorenthaltung von Leistungen für die Vergangenheit dem Hilfesuchenden auch gegenwärtig noch schwerwiegende Nachteile drohen (Senat, Beschl .v. 19.12.1994 - 4 M 7588/94 -; Beschl. v. 2.10.1996 - 4 M 5371/96 -). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.