Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 01.09.2011, Az.: 7 ME 136/11

Sperrwirkung einer sich auf berufliche Tätigkeiten beziehenden führungsaufsichtlichen Weisung gem. § 68b Abs. 1 Nr. 4 StGB für eine (erweiterte) Gewerbeuntersagung und dessen Verurteilungen

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
01.09.2011
Aktenzeichen
7 ME 136/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 25555
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2011:0901.7ME136.11.0A

Fundstellen

  • DVBl 2011, 1315
  • GewArch 2011, 440-441
  • NVwZ-RR 2011, 895-896

Amtlicher Leitsatz

Eine sich auf berufliche Tätigkeiten beziehende führungsaufsichtliche Weisung gemäß § 68 b Abs. 1 Nr. 4 StGB sperrt weder eine (erweiterte) Gewerbeuntersagung noch sind damit die zugrunde liegenden Verurteilungen im Gewerbeuntersagungsverfahren unbeachtlich.

Gründe

1

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen die von der Antragsgegnerin angeordnete sofortige Vollziehung einer erweiterten Gewerbeuntersagung. Der Bescheid vom 08. Februar 2011 begründet dies mit vollstreckbaren Steuerrückständen i.H.v. 55.339,84 EUR beim Finanzamt Hildesheim, Beitragsrückständen bei der Industrie- und Handelskammer i.H.v. 227,20 EUR und Zahlungsrückständen (Gewerbesteuer und Nebenforderungen) bei der Stadtkasse der Antragsgegnerin i.H.v. 42.681,00 EUR. Mit der Besserung der wirtschaftlichen Lage sei künftig nicht zu rechnen, zudem habe die Antragstellerin keinerlei Versuche unternommen, sich mit den Abgabengläubigern in Verbindung zu setzen und konkrete Vorschläge zum Abbau der Rückstände zu unterbreiten. Hinzu komme die Unzuverlässigkeit des Geschäftsführers der Antragstellerin, der durch zwei Urteile des Landgerichts Hildesheim wegen Betruges in insgesamt 10 Fällen und Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren verurteilt worden sei.

2

Das Verwaltungsgericht hat die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wegen der strafgerichtlichen Verurteilungen des Geschäftsführers der Antragstellerin abgelehnt und die Frage, in welcher Höhe Steuerrückstände der Antragstellerin bestehen und ob diese durch eine etwaige Entschädigung des Sohnes ihres Geschäftsführers auszugleichen wären, dahinstehen lassen.

3

II.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover vom 21. Juli 2011 bleibt ohne Erfolg.

4

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin ist die Antragsgegnerin nicht daran gehindert gewesen, die Verurteilungen ihres Geschäftsführers für eine Prognoseentscheidung gemäß § 35 Abs. 1 GewO heranzuziehen, weil die ihnen zugrunde liegenden Taten mittlerweile mehr als 10 Jahre zurückliegen. Je gewichtiger die abgeurteilten Taten sind, desto größere Zeiträume sind für die Gewerbeuntersagung zu betrachten. Hinzu kommt, dass der Geschäftsführer der Antragstellerin wegen der verbüßten Freiheitsstrafe das Gewerbe nicht ausgeübt hat und während dieser Zeit nach Auskunft der IHK auch das Geschäft der Antragstellerin ruhte, sodass dieser Zeitraum bei der Beurteilung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit nicht zugunsten der Antragstellerin gewertet werden kann.

5

Ebenfalls nicht durchgreifend ist, dass zwischen der Haftentlassung des Geschäftsführers und der Gewerbeuntersagung mehr als 9 Monate lagen, weil die Antragsgegnerin zunächst aktuelle Auskünfte hinsichtlich bestehender Abgabenrückstände eingeholt und die Antragstellerin angehört hatte.

6

Soweit die Antragstellerin rügt, das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit von ihr in der Beschwerdebegründung angeführten gerichtlichen Entscheidungen betreffend die gegenüber ihrem Geschäftsführer angeordnete Führungsaufsicht auseinandergesetzt, hat die Antragstellerin diese Entscheidungen erstmals mit der Beschwerdebegründung vorgelegt. Auch der Antragsgegnerin lagen die Beschlüsse zum Zeitpunkt der Gewerbeuntersagung nicht vor.

7

Die in den Beschlüssen des Landgerichts Göttingen - Strafvollstreckungskammer - vom 28. April 2010 und Oberlandesgerichts Braunschweig vom 01. Juli 2010 enthaltenen Ausführungen zur Begründung der Weisung gemäß § 68 b Abs. 1 Nr. 4 StGB, eine Vermittlung von Krediten und Kapitalanlagen zu unterlassen, sind im Gewerbeuntersagungsverfahren nicht erheblich. Eine führungsaufsichtliche Weisung sperrt weder eine (erweiterte) Gewerbeuntersagung, noch sind damit die zugrunde liegenden Verurteilungen im Gewerbeuntersagungsverfahren "verbraucht". Während die Zielsetzung einer solchen Weisung die Verhinderung weiterer Straftaten gleicher Art ist, kann eine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit auch auf nicht strafbarem Verhalten beruhen, zudem kommt es auf ein Verschulden des Gewerbetreibenden - anders bei Begehung vorsätzlicher Straftaten - nicht an. Dass beide Reglungen nicht deckungsgleich sind, zeigt auch, dass eine Untersagung gemäß § 68 b Abs. 1 Nr. 4 StGB - anders als eine Gewerbeuntersagung gemäß § 35 Abs. 1 - sich auch auf eine Tätigkeit als abhängig Beschäftigter bezieht, also teilweise weitergehend ist. Dementsprechend "synchronisiert" § 35 Abs. 3 GewO das Gewerbeuntersagungsverfahren nur mit abschließend aufgeführten Aspekten einiger strafgerichtlicher Entscheidungen; Beschlüsse in Strafvollstreckungs- oder Führungsaufsichtssachen gehören nicht zu den in dieser Vorschrift erwähnten Entscheidungen. Dementsprechend führt eine günstige Sozialprognose im Rahmen einer Strafaussetzung zur Bewährung oder vorzeitigen Haftentlassung nicht zwingend zur gewerberechtlichen Zuverlässigkeit, späteres Wohlverhalten nur dann, wenn man darin einen Reifeprozess des Gewerbetreibenden erkennen kann (vgl. Tettinger, GewO, 7. Aufl., § 35 Rn. 32, 44 m.w.N.).

8

Entgegen der Ansicht der Antragstellerin hat das Verwaltungsgericht den Wunsch ihres Geschäftsführers nach Rehabilitierung nicht als Grund für eine negative Prognose herangezogen. Tragend für den angefochtenen Beschluss ist, dass sich aus den Verurteilungen ein Hang des Geschäftsführers zur Nichtbeachtung geltender Vorschriften erkennen lässt. Sein Vorbringen im Verwaltungsprozess ist nicht geeignet, diese negative Prognose der Antragsgegnerin zu falsifizieren. Es ist vielmehr zu besorgen, dass er seine Rechtsauffassungen gerade auch im Umgang mit Geschäftspartnern für vorzugswürdig gegenüber anderslautenden rechtskräftigen Feststellungen hält. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass die Verurteilung wegen Nötigung darauf beruhte, dass er einen Geschäftspartner, der keine weiteren Zahlungen an ihn hatte leisten wollen, massiv und anhaltend bedroht hatte.

9

Eine (weitere) Auskunft der IHK Hannover im Sinne eines Leumundszeugnisses brauchten weder das Verwaltungsgericht noch die Antragsgegnerin einzuholen. Die IHK ist am Verwaltungsverfahren beteiligt gewesen und hat sich darauf beschränkt, den - geringen - Beitragsrückstand mitzuteilen. Angesichts der rechtskräftigen Verurteilungen und der dem Bescheid zugrunde gelegten Abgabenrückstände kommt es auf eine Meinungsäußerung der IHK zum Ruf des Geschäftsführers der Antragstellerin nicht entscheidungserheblich an.

10

Da die Begründung des Verwaltungsgerichts die Versagung einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO trägt, ist die Beschwerde abweisungsreif und braucht der Senat dem (erstinstanzlichen) Vorbringen der Antragstellerin im Zusammenhang mit den Steuerrückständen nicht weiter nachzugehen. Ein Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 12. August 2011 ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht eingegangen.

11

Im Hinblick auf das noch anhängige Hauptsacheverfahren sei darauf hingewiesen, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Gewerbeuntersagung nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich der der letzten Verwaltungsentscheidung ist (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 24.08.2007 - 7 ME 193/06 -, NVwZ-RR 2008, 28). Ob zwischenzeitlich der Steuermessbetrag und damit die Körperschaftssteuer gesenkt wurde, ist mithin unerheblich, da der Termin vor dem Finanzgericht Hannover nach Angaben der Antragstellerin am 02. März 2011 und damit nach dem Erlass des angefochtenen Bescheids durch die Antragsgegnerin stattfand. Insofern kommt es auch nicht darauf an, dass weder das Aktenzeichen des finanzgerichtlichen Verfahrens benannt noch ein gerichtliches Protokoll über den Termin und dessen Inhalt vorgelegt wurde, und dass nicht erkennbar ist, welche Tatsachengrundlage die "Probeberechnung" des Finanzamts Hildesheim vom 07. März 2011 hatte. Entgegen der Ansicht der Antragstellerin sind Steuerrückstände, die zur Annahme der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit führen können, solche nicht gezahlten Steuern, die der Steuerschuldner von Rechts wegen bereits hätte zahlen müssen. Die Steuern bedürfen, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, der Festsetzung durch Steuerbescheid (§ 155 AO). Wann die Steuerschuld fällig ist, ergibt sich aus den einzelnen Steuergesetzen und im Übrigen aus§ 220 AO. Ein Steuerbescheid ist bis zu seiner Abänderung nach §§ 162 Abs. 1, 361 Abs. 1 AO grundsätzlich vollziehbar. Die Gewerbeaufsichtsbehörden und die Verwaltungsgerichte sind nicht verpflichtet, die Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzungen zu prüfen und in diesem Zusammenhang ggf. weitere Ermittlungen vorzunehmen (BVerwG, B. v. 12.03.1997 - 1 B 72.97 -, [...]Rn. 4 m.w.N.). Auf die Rechtskraft des Steuerbescheides kommt es mithin nicht an. Nach Erlass der letzten Behördenentscheidung im Gewerbeuntersagungsverfahren können sich ergebende Veränderungen zugunsten des Gewerbetreibenden nur in einem Wiedergestattungsverfahren nach§ 35 Abs. 6 GewO berücksichtigt werden. Gleiches gilt für von der Antragstellerin mitgeteilte, aber unverbindliche Absichtserklärungen dahingehend, wie die Steuerschuld getilgt werden könnte.