Landgericht Osnabrück
Urt. v. 08.02.2007, Az.: 5 O 3363/05

Anspruch auf Zahlung einer Geldentschädigung aufgrund menschenunwürdiger Bedingungen in der Untersuchungshaft; Rechtmäßigkeit der Unterbringung in einer Gemeinschaftszelle während der Untersuchungshaft; Schuldhafte Verletzung einer Amtspflichtverletzung

Bibliographie

Gericht
LG Osnabrück
Datum
08.02.2007
Aktenzeichen
5 O 3363/05
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 15948
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOSNAB:2007:0208.5O3363.05.0A

Amtlicher Leitsatz

Land muss bei menschenunwürdigen U-Haftbedingungen Geldentschädigung zahlen

Tenor:

  1. 1.

    Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 1.200 EUR nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 09.06.2006 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  2. 2.

    Das beklagte Land trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  3. 3.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das beklagte Land kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger verlangt von dem beklagten Land Niedersachsen Geldentschädigung wegen menschenunwürdiger Unterbringung in der Untersuchungshaft.

2

Der Kläger befand sich ab dem 15.02.2002 wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung bis zum Antritt der Strafhaft am 02.07.2004 fortlaufend in Untersuchungshaft, unter anderem in der Justizvollzugsanstalt Lingen, Abteilung Osnabrück (im folgenden: JVA Osnabrück). Während der Inhaftierung in der JVA Osnabrück erfolgte die Unterbringung an 41 Tagen, die Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens sind, gemeinschaftlich mit anderen Gefangenen. Im Einzelnen handelt es sich um die folgenden Zeiträume:

UnterbringungszeitraumHaftraumGesamtbelegungszahl
18.03.02 - 26.03.0219bis zu 5
26.03.02 - 08.04.028bis zu 5
08.04.02 - 11.04.0272
11.04.02 - 12.04.028bis zu 5
12.07.02 - 15.07.022172
16.07.02 - 22.07.022072
05.08.02 - 06.08.022072
23.08.02 - 26.08.022072
08.09.02 - 09.09.022072
18.11.02 - 19.11.022152
26.01.03 - 27.01.032152
3

In allen Hafträumen war die Toilette nur durch einen sogenannten "Schamsichtschutz", bei dem ein Bretterverschlag etwa auf Brusthöhe endet, abgetrennt. Über eine Entlüftung verfügten die Toiletten nicht. Während der Inhaftierung des Klägers fanden in der JVA Osnabrück umfangreiche bauliche Maßnahmen statt.

4

Der Kläger behauptet, die Unterbringung habe ihn in seiner Menschenwürde verletzt. Die Hafträume 8 und 19, in denen er mit bis zu vier weiteren Gefangenen untergebracht gewesen sei, hätten eine Größe von nur 16 qm. Die Einzelhafträume hätten jeweils eine Größe von unter 8 qm. Zu zusätzlichen Beeinträchtigungen der Inhaftierten sei es durch die zeitgleich durchgeführten Umbaumaßnahmen der JVA Osnabrück gekommen.

5

Der Kläger beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, an den Kläger 1.230 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz seit dem 09.06.2006 zu zahlen.

6

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Es behauptet, die Hafträume 8 und 19 hätten eine Bodenfläche von 23,76 qm und die kleineren Hafträume hätten eine Bodenfläche von 9,68 qm. Täglich habe in der JVA Osnabrück die Freistunde von 8.00 h bis 9.00 h stattgefunden. Aufschlusszeiten seien von 10.00 h bis 12.00 h sowie von 13.00 h bis 15.00 h gewesen. Von 16.00 h bis 20.00 h habe Umschluss stattgefunden. Hierdurch seien die Folgen der gemeinschaftlichen Unterbringung abgemildert worden. Es verweist im übrigen auf seine erheblichen finanziellen Anstrengungen zur Verbesserung der Lage im Strafvollzug durch die Neubauten der Justizvollzugsanstalten Sehnde und Rosdorf.

8

Die Gefangenenpersonalakte des Klägers und die Strafakte der StA Oldenburg .... haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

9

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Inaugenscheinnahme von Fotografien der zwischenzeitlich renovierten Hafträume, durch persönliche Anhörung des Klägers sowie durch Vernehmung des Zeugen ..... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18.01.2007.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist im Wesentlichen begründet. Der Kläger kann den aus dem Tenor ersichtlichen Betrag als Ausgleich für eine Verletzung der Menschenwürde (Artikel 1 Abs. 1 Satz 1 GG) und seines aus Artikel 1 und Artikel 2 Abs. 1 GG hergeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts verlangen. Dabei handelt es sich nicht im eigentlichen Sinne um ein Schmerzensgeld gemäß § 253 Abs. 2 BGB, sondern um einen Rechtsbehelf, der auf den Schutzauftrag aus Artikel 1 und Artikel 2 Abs. 1 GG zurückgeht (BGH, BGHZ 161, 33; BGHZ 122, 268; OLG Karlsruhe, NJW RR 2005, 1267). Einen Anspruch des Klägers auf Geldentschädigung stützt die Kammer auf folgende Erwägungen:

11

1.

Die Unterbringung des Klägers in einer Gemeinschaftszelle war rechtswidrig, weil er sich in Untersuchungshaft befand und die Unterbringung in einer Gemeinschaftszelle nicht ausdrücklich beantragt hatte, § 119 StPO, § 23 Abs. 1 UhvollzO. Dass er trotzdem in einer Gemeinschaftszelle untergebracht wurde, erfüllt den objektiven Tatbestand einer Amtspflichtverletzung gem. § 839 Abs. 1 BGB. Es liegt auch keine rechtfertigende Einwilligung des Klägers vor. Im Gegenteil hat der Kläger ausweislich der Gefangenenpersonalakte in zahlreichen schriftlichen Stellungnahmen immer wieder auf die Rechtswidrigkeit seiner Unterbringung hingewiesen und die Inhaftierung in einer Einzelzelle beantragt. Der Umstand, dass der Kläger an anderen Tagen ausdrücklich die Zusammenlegung mit einem weiteren Gefangenen beantragt hat, lässt ebenso wenig den Schluss auf eine rechtfertigende Einwilligung für die streitgegenständlichen 41 Tage zu. Im Umkehrschluss war für das beklagte Land damit nämlich deutlich, dass er in anderen Fällen mit der Zusammenlegung gerade nicht einverstanden war. Der Kläger hat diese Anträge auch nachvollziehbar damit begründet, dass sie für ihn ein Notbehelf gewesen seien, um die Verlegung aus der 5-Mann-Zelle auf eine Doppelzelle zu erreichen. Ihm sei klar gewesen, dass er nur auf diese Weise eine bessere Unterbringung hätte erwirken können.

12

2.

Die Amtspflicht wurde auch schuldhaft verletzt. Insoweit ist anerkannt, dass für das Verschulden nicht auf die an Ort und Stelle zuständigen Justizbediensteten abzustellen ist, sondern darauf, ob das Land geeignete Vorkehrungen hätte treffen können und müssen (vgl. BGH, BGHZ 161, 58 [BGH 04.11.2004 - IX ZR 22/03]; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2005, 613). Hier hat der Zeuge ..... glaubhaft angegeben, in Spitzenzeiten sei die JVA Osnabrück im Jahr 2002 mit bis zu 101 Gefangenen belegt gewesen, die Normalbelegung habe auch mehr als 70 Gefangene betragen. Nach der Renovierung und dem Neubau der Justizvollzugsanstalten Sehnde und Rosdorf sei die Kapazität der JVA Osnabrück auf 52 Häftlinge reduziert worden. Da gleichzeitig die Hafträume als solche gleich geblieben sind, zeigen schon diese Angaben, dass die Mehrfachunterbringung von Untersuchungsgefangenen von dem beklagten Land sehenden Auges in Kauf genommen worden ist.

13

3.

Der Entschädigungsanspruch scheitert nicht an § 839 Abs. 3 BGB. Der Kläger hat nämlich ausweislich der Gefangenenpersonalakte laufend Beschwerden und Eingaben gegenüber der Gefängnisverwaltung und der Strafkammer vorgebracht. Es ist angesichts der Überbelegung auch nicht ersichtlich, dass ein Rechtsmittel Abhilfe verschafft hätte (zur fehlenden Kausalität bei chronischer Überbelegung vgl. OLG Celle, NJW-RR 2004, 41 ff.). Vielmehr teilte die JVA Osnabrück der zuständigen Strafkammer mit Schreiben vom 30.7.2002 mit, eine Einzelunterbringung sei wegen der baulichen Situation auf absehbare Zeit nicht möglich (Bl. 95 d.A.).

14

4.

Die räumlichen Verhältnisse, unter denen der Kläger untergebracht war, entsprachen nicht den Anforderungen, die nach ständiger Rechtsprechung an eine menschenwürdige Inhaftierung gestellt werden (vgl. BVerfG, NJW 2002, 2699, 2700 [BVerfG 27.02.2002 - 2 BvR 553/01]; BGH, BGHZ 161, 33; OLG Celle, NJW 2003, 2463 [OLG Celle 16.09.2002 - 16 W 47/02]; NJW-RR 2004, 380; OLG Frankfurt, NJW 2003, 2843; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2005, 1267 [OLG Karlsruhe 19.07.2005 - 12 U 300/04]). Die an sich schon rechtswidrige Unterbringung in einer Gemeinschaftszelle griff insbesondere in den Zeiträumen, in denen der Kläger mit bis zu vier weiteren Gefangenen unterschiedlicher Herkunft untergebracht war, in ganz erheblichem Maße in die Rechte des Klägers ein. Dabei fällt gravierend ins Gewicht, dass der Kläger innerhalb der Gemeinschaftszellen nicht einmal ein Mindestmaß an Intimsphäre wahren konnte, weil die in den Hafträumen befindlichen Toiletten nur über eine notdürftige Abtrennung verfügten und nicht gesondert entlüftbar waren. Nach den Angaben des Landes verfügten die Hafträume über eine Größe von 23,76 qm. Danach war für jeden Gefangenen ein Raum von weniger als 5 qm vorgesehen. Nichts anderes gilt für die späteren Zeiten der Doppelbelegung von Zellen. Auch diese Zellen verfügten den Angaben des Landes zufolge über eine Fläche von weniger als 5 qm pro Gefangenem. In der Zeit ab Juli 2002 wurden die Haftbedingungen über die rechtswidrige Unterbringung des Klägers in doppelt belegten Zellen hinaus zusätzlich durch den Umbau der JVA Osnabrück erschwert. Faktisch dauerte die Gemeinschaftsunterbringung in dieser Zeit mit Ausnahme des einstündigen Hofgangs über den gesamten Tag an und wurde nicht durch Aufschlusszeiten abgemildert. Der Zeuge .... hat nämlich erklärt, dass die üblichen Aufschlusszeiten während des Umbaus aus Sicherheitsgründen nicht eingehalten werden konnten und sich permanente Beeinträchtigungen der Gefangenen ergaben.

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5.

In einer Gesamtschau der aufgeführten Umstände erfordert die Schwere der Verletzung der Menschenwürde aus Sicht der Kammer eine Geldentschädigung. Soweit gefordert wird, dass objektive Anhaltspunkte vorliegen müssten dahingehend, dass sich der Geschädigte auch tatsächlich in der Menschenwürde verletzt fühlte (so OLG Karlsruhe, NJW - RR 2005, 1267 [OLG Karlsruhe 19.07.2005 - 12 U 300/04]), liegen derartige Anhaltspunkte hier schon deshalb vor, weil der Kläger fortlaufend schriftliche Beschwerden an die Gefängnisverwaltung und auch an die zuständige Strafkammer gerichtet hat. Die Kammer verkennt auch nicht, dass zwischen der Feststellung des Verstoßes gegen Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG und der Zubilligung einer Geldentschädigung kein zwingendes Junktim besteht (BGH, BGHZ 161, 33 ff.). Das in dieser Entscheidung geforderte "Mindestmaß an Schwere" liegt hier aber schon deshalb vor, weil die Mehrfachbelegung über einen Zeitraum von 41 Tagen andauerte.

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Die Bemessung der Geldentschädigung muss nach Auffassung der Kammer nicht tageweise, sondern, ebenso wie bei der Schmerzensgeldbemessung, in einer Gesamtschau erfolgen. Dabei sieht die Kammer insbesondere die objektiven Umstände der Unterbringung in der Zeit der Belegung mit bis zu 5 Personen als stark belastend an. Dabei sind die Zellengröße, die fehlende Entlüftung der Toilette, die ungenügende Wahrung der Intimsphäre durch die lediglich mit einem Brett abgetrennte Toilette und wechselnde Mitgefangene unterschiedlicher ethnischer Herkunft für einen nicht unerheblichen Zeitraum aufzuführen. Einzubeziehen sind auch die Beeinträchtigungen durch den Umbau der JVA Osnabrück in der Zeit der Doppelbelegung. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der Umbau gerade dazu dienen sollte, die Situation zu verbessern. Für die dadurch betroffenen Häftlinge wurden die Haftbedingungen aber noch unerträglicher, zumal der Aussage des Zeugen ..... zufolge keine Reduzierung der Belegungsfähigkeit erfolgte.

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Andererseits hat die Kammer berücksichtigt, dass das beklagte Land in den letzten Jahren ganz erhebliche finanzielle Anstrengungen unternommen hat, um die Situation im Strafvollzug zu verbessern. Der Kläger konnte die Art der Unterbringung auch nicht als gezielten Angriff auf seine Menschenwürde werten, da die angespannte Lage in der JVA sämtliche Gefangenen betraf. Zu berücksichtigen ist ferner, dass sich die Gefängnisverwaltung ausweislich der Gefangenenpersonalakte gerade wegen der ständigen Eingaben des Klägers ersichtlich bemüht hat, den Kläger in Einzelzellen unterzubringen. Wegen der angespannten Überbelegungssituation wurde der Kläger durch die Bediensteten nur aus der Not heraus teilweise in Doppelzellen untergebracht. Schließlich soll die Geldentschädigung nur die zusätzlichen, über die normalen Haftbedingungen hinausgehenden Beschwernisse ausgleichen, denn der Kläger wäre bei rechtmäßigem Verhalten des beklagten Landes ebenfalls in Untersuchungshaft gewesen.

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Insgesamt hält die Kammer aufgrund der dargelegten Umstände eine Entschädigung von 1.200 EUR für angemessen, aber auch ausreichend, um dem Kläger eine Entschädigung zu verschaffen.

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6.

Aus Art. 5 Abs. 5 EMRK ergeben sich keine weitergehenden Ansprüche.

20

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf die §§ 708 Ziffer 11, 711 ZPO.