Landgericht Osnabrück
Urt. v. 25.06.2007, Az.: 5 O 791/07

Streupflicht; Mitverschulden

Bibliographie

Gericht
LG Osnabrück
Datum
25.06.2007
Aktenzeichen
5 O 791/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 71978
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Keine Streupflicht trotz objektiver Gefährlichkeit eines Straßenabschnitts bei Erkennbarkeit der Gefahr.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des zu vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Tatbestand:

Der Kläger nimmt das beklagte Land auf Schadensersatz wegen angeblicher Verletzung der Streupflicht in Anspruch.

Der Kläger befuhr am 18. 12. 2006 um 5.40 Uhr die B 51 aus Richtung Bohmte kommend in Richtung Leckermühle. Außerhalb der geschlossenen Ortschaft im Bereich der Stadt Bohmte kam der Kläger mit seinem Fahrzeug kurz hinter der Mittellandkanalbrücke, auf deren Rampe, aufgrund von Glatteisbildung nach rechts von der Fahrbahn ab und stieß an die Leitplanke, so dass die rechte Fahrzeugseite beschädigt wurde.

Um 4.45 Uhr hatte sich an derselben Stelle bereits ein Unfall ereignet. Auch um 6.15 Uhr ereignete sich ein weiterer Verkehrsunfall auf der Brücke. Um 5.15 Uhr wurde durch die Straßenmeisterei Bohmte der Streudienst ausgelöst. Mit dem Streuen auf der B 51 wurde um 6.05 Uhr begonnen.

Der Kläger behauptet, das beklagte Land sei von dem Unfall, der sich um 4.45 Uhr ereignet hatte, und von der Glatteisgefahr auf der Mittellandkanalbrücke informiert worden. Weiter behauptet er, aufgrund seines Unfalls sei ihm ein Schaden in Höhe von 4.353,07 € entstanden. Er ist der Ansicht, dass die Beklagte unmittelbar nach dem ersten Unfall den Bereich der Mittellandkanalbrücke hätte abstreuen müssen. Er meint, nicht verpflichtet gewesen zu sein, erheblich langsamer als die vorgeschriebenen 50 km/h zu fahren.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 4.353,07 € zuzüglich 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszins der EZB seit dem 3. 2. 2007 zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es bestreitet, von den Unfällen, die sich am frühen Morgen des 18. 12. 2006 auf der Mittellandkanalbrücke ereignet hätten, unmittelbar Kenntnis erlangt zu haben. Im übrigen ist es der Ansicht, dass eine Streupflicht nicht bestanden hätte, ohnedies aber der Kläger für den Schaden allein verantwortlich sei, weil er sich ein überwiegendes Mitverschulden anzurechnen lassen habe. Im übrigen trägt es vor, dass der Wachhabende der Straßenmeisterei Bohmte in der fraglichen Nacht sowohl von 3 Uhr bis 4 Uhr die wichtigsten Verkehrspunkte einschließlich Mittellandkanalbrücke auf Glatteisbildung hin kontrolliert habe sowie auch in der Zeit von 5 Uhr bis 6 Uhr. Nachdem die Straßen um 3 Uhr noch frei gewesen seien, sei um 5.15 Uhr dann Glatteis festgestellt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Schadensersatz gegen das beklagte Land zu.

Ein Anspruch aus § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG besteht nicht, da keine Verletzung der Streupflicht des Beklagten vorliegt.

Die Pflicht zur Bestreuung von Straßen bei Winterglätte folgt aus der allgemeinen privatrechtlichen Verkehrssicherungspflicht. Inhalt und Umfang der Verkehrssicherungspflicht richten sich nach dem Zweck der Verkehrseinrichtung. Doch ist es unmöglich, die Straßen völlig fehlerfrei und gefahrlos zu gestalten oder zu erhalten. Eine Pflicht, alle Fahrbahnen rund um die Uhr bei Winterglätte zu bestreuen, besteht grundsätzlich nicht, weil das bei der Länge des gesamten Deutschen Straßennetzes zu kostspielig und undurchführbar ist. Alle Verkehrsteilnehmer müssen daher gewisse Einwirkungen der Naturgewalten als unabänderlich hinnehmen und insbesondere bei winterlicher Straßenglätte entsprechende eigene Vorsicht walten lassen. Insbesondere außerhalb der geschlossenen Ortslage ist die Streupflicht weitestgehend eingeschränkt. Hier braucht bei Glätte nur an besonders gefährlichen Stellen gestreut zu werden (BGHZ 31, 73; BGHZ 45, 143 ff.). Gefährlich sind solche Straßenstellen, die wegen ihrer besonderen Anlage oder bestimmter Zustände, die nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind, die Möglichkeit eines Unfalls auch für den Fall nahelegen, dass der Verkehrsteilnehmer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt walten läßt. Deshalb besteht auf öffentlichen Straßen außerhalb der geschlossenen Ortslage bei Glatteis dann keine Streupflicht, wenn ein sorgfältiger Kraftfahrer die Glatteisbildung und die daraus drohende Gefahr so rechtzeitig erkennen kann, dass er sich darauf einstellen und durch sachgemäßes langsames und gleichmäßiges Fahren einen Unfall in aller Regel vermeiden kann (BGHZ 39, 73; OLG Düsseldorf, VersR 1997, 57).

Bei der Unfallstelle, der Mittellandkanalbrücke sowie dem unmittelbaren Bereich hinter der Brücke, handelt es sich zwar bei Temperaturen um den Gefrierpunkt um einen objektiv gefährlichen Straßenabschnitt, weil die Fahrbahnoberfläche hier schneller vereist als die feste Fahrbahn, zumal die Brücke über ein Gewässer führt. Diese die besondere Gefährlichkeit begründenden Umstände sind aber auch Autofahrern hinlänglich bekannt. Sie können und müssen daher ihre Fahrweise bei Temperaturen um den Nullpunkt einer möglichen Glättebildung im Bereich einer Gewässerbrücke anpassen. Die Mittellandkanalbrücke war als solche auch – selbst zur Nachtzeit - ausreichend erkennbar. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 50 km/h reduziert war und daher bei Einhaltung dieser Geschwindigkeit die besondere Gefahrenlage rechtzeitig wahrnehmbar war. Aus diesem Grund liegt eine besonders gefährliche Straßenstelle, die als solche von den Verkehrsteilnehmern bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht hätte erkannt und ohne Unfall hätte passiert werden können, nicht vor. Die zuständige Straßenmeisterei war daher nicht verpflichtet, bei Kenntniserlangung von der Glatteisbildung um 5.15 Uhr zunächst den Bereich der Brücke abzustreuen, zumal zur Nachtzeit, in der sich auch der Unfall des Klägers ereignete, mit einem erhöhten Verkehrsaufkommen nicht gerechnet werden musste. Grundsätzlich hat im Übrigen der Verkehrssicherungspflichtige auch für Schnellstraßen einen nächtlichen Streudienst nicht einzurichten (BGH MDR 1972, 587). Diese Pflicht besteht nur gegenüber dem normalen Tagesverkehr (OLG Hamm, Urteil vom 20.01.2006, Az. 9 U 169/04 - juris).

Für die Entscheidung unerheblich war aufgrund der vorherigen Ausführungen auch der Umstand, dass sich um 4:45 h der erste Glätteunfall auf der Brücke ereignet hatte sowie die Frage, ob das beklagte Land hiervon unterrichtet worden war. Der diesbezügliche Vortrag des Klägers kann unterstellt werden. Gleichwohl hätte sich hieraus keine Verpflichtung des beklagten Landes ergeben, die Unfallstelle unverzüglich abzustreuen.

Darüber hinaus hat sich der Kläger gemäß § 254 BGB ein ganz erhebliches Mitverschulden anrechnen zu lassen, hinter dem eine mögliche Haftung des beklagten Landes ohnehin zurücktreten würde. Obwohl der Kläger wußte, dass Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt herrschten und ihm die Strecke hinlänglich bekannt war, hat er seine Fahrweise nicht hinreichend den Witterungsverhältnissen angepasst und die Brücke – nach eigenen Angaben - ohne deutlich reduzierte Geschwindigkeit, offenbar vertrauend auf die Streupflicht der öffentlichen Hand, befahren. Entgegen seiner Ansicht war er allerdings aufgrund der winterlichen Temperaturen gehalten, seine Geschwindigkeit im Bereich der Brücke erheblich zu verlangsamen und durfte sich an dieser Stelle, außerhalb der geschlossenen Ortschaft und zur Nachtzeit nicht darauf verlassen, dass hier sämtliche Bereiche vollständig abgestreut waren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 11, 711 ZPO.