Amtsgericht Hannover
Beschl. v. 02.12.2003, Az.: 71 II 196/03
Beschluss der Änderung des Verteilerschlüssels; Grundsätze der ordnungsgemäßen Verwaltung
Bibliographie
- Gericht
- AG Hannover
- Datum
- 02.12.2003
- Aktenzeichen
- 71 II 196/03
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 32007
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGHANNO:2003:1202.71II196.03.0A
Rechtsgrundlagen
- § 43 Abs. 1 Ziff. 4 WEG
- § 25 Abs. 1 WEG
- § 10 WEG
- § 134 BGB
- § 21 Abs. 3-5 WEG
Fundstelle
- ZMR 2005, 154-155 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Beschlussanfechtung in der Wohnungseigentumssache
Das Amtsgericht Hannover - Abteilung für Wohnungseigentumssachen - hat
auf die mündliche Verhandlung vom 02.12.2003
im schriftlichen Verfahren
durch
den Richter am Amtsgericht Dr. Löffler
beschlossen:
Tenor:
Der Beschluss zu TOP 21 (Änderung-Verteilungsschlüssel) der Eigentümerversammlung vom 29.04.2003 wird für ungültig erklärt.
Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten haben je zur Hälfte der Antragsteller und gesamtschuldnerisch die Antragsgegner zu tragen. Im Übrigen sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Der Geschäftswert wird auf 6000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Beteiligten zu 1. und 2. bilden die eingangs erwähnte Wohnungseigentümergemeinschaft, die von der Beteiligten zu 3. verwaltet wird.
In der Eigentümerversammlung vom 09.04.2003 wurden u.a. folgende Beschlüsse gefasst (Bl. 5 f d.A.)
Tagesordnungspunkt 21 - Änderung - Verteilerschlüssel
Herr Benninghoff verweist auf die schriftlichen Erläuterungen von Herrn Wilcke vom 16.04.2003 hierzu und teilt mit, dass seitens der Verwaltung gegen einen etwaigen Mehrheitsbeschluss nach wie vor rechtliche Bedenken bestehen. Es folgt eine kontroverse Diskussion über die erneute Aufnahme dieses Themas in die Eigentümerversammlung. Herr Müller regt an, in Abänderung der Tagesordnung lediglich 25 % der qm-Nutzfläche in den Verteilerschlüssel einfließen zu lassen, da dieses eher eine gerechte Beteiligung an der Instandhaltungsrücklage für die Garagen wiedergeben wurde.
Nach weiterer Diskussion bestätigen die Verwaltungsbeiräte mehrheitlich, dass über den Antrag mit der vorgeschlagenen Änderung von Herrn Müller abgestimmt werden soll.
Die VOW äußert nochmals rechtliche Bedenken und teilt mit, dass wohl eine Anfechtung notwendig ist, um schlussendliche Rechtssicherheit über diese Veränderung des Verteilerschlüssels zu bekommen.
Dann wird folgender Antrag gestellt:
Änderung des Verteilerschlüssels - Konto 91 - Rücklage - von qm Wohnfläche auf qm Wohnfläche (16.732,88 qm) plus 25 % qm-Nutzflache - Garagen (423,34 qm) ab dem 01.01.2004, dann also Gesamt-qm - 17.156,22 als neue Verteilergröße.
Abstimmungsergebnis:
30.582 Ja-Stimmen
23.768 Nein-Stimmen
7.297 Stimmenthaltungen
(einschließlich Stimmvollmachten der VOW)
Der Versammlungsleiter verkündet, dass der Antrag unter der Voraussetzung, dass der § 10, Absatz 3 der Teilungserklärung gültig bzw. anzuwenden ist, angenommen ist.
Tagesordnungspunkt 21 b - Vorsorgliche Klagevollmacht für die Verwaltung
Herr Benninghoff teilt mit, dass im Falle einer Beschlussanfechtung zum Tagesordnungspunkt 21 a eine Klagevollmacht für die Verwaltung erforderlich ist. wenn eine Rechtssicherheit erreicht werden soll. Nach weiterführender Diskussion kommt folgender Antrag zur Abstimmung:
Vorsorgliche Klagevollmacht für die Verwaltung, auch unter Zuhilfenahme eines Rechtsanwaltes in Abstimmung mit den Verwaltungsbeiräten bei einer Beschlussanfechtung zum Tagesordnungspunkt 21 a, den Rechtsweg gegebenenfafls bis zum OLG Celle zu bestreiten. Die Kosten des Rechtsstreits tragt zunächst die Eigentümergemeinschaft vorbehaltlich der gerichtlichen Kostenentscheidung.
Abstimmungsergebnis:
55.087 Ja-Stimmen
4.535 Nein-Stimmen
2.025 Stimmenthaltungen, damit ist der Antrag angenommen
Der Antragsteller wendet sich gegen die Beschlüsse mit der Auffassung, die Änderung des Verteilerschlüssels hätte der Einstimmigkeit bedurft. Die Teilungserklärung (Bl. 7 ff d.A.) differenziere nicht zwischen der Kostentragungspflicht für das Gemeinschaftseigentum an den Wohngebäuden sowie für das Gemeinschaftseigentum an den Garagen. Die Miteigentumsanteile seien ohne die Garagenflächen angesetzt, so dass die Garageneigentümer keinen erhöhten Kostenanteil zu tragen hätten. § 10 Abs. 3 der Teilungserklärung berechtige die Mitglieder der Eigentümergemeinschaft nicht, eine Änderung des Verteilerschlüssels mit Mehrheit zu beschließen. Denn sonst würde der Beschluss des OLG Celle vom 10.07.2002 in dem Ausgangsverfahren Carle gegen WEG Hohenrode 11-31 in Laatzen (4 W 297/03 bzw. Amtsgericht Hannover 70 II 72/96) unterlaufen, da in diesem Verfahren der dortigen Antragstellerin kein Anspruch auf Zustimmung aller übrigen Wohnungseigentümer zur Änderung des Verteilungsschlüssels hinsichtlich der Garageninstandsetzung zuerkannt worden sei, weil die Regelung der Teilungserklärung zwar ungerecht sei, dies sich jedoch noch unterhalb der Schwelle der groben Unbilligkeit bewege. Im Übrigen sei die Regelung des § 10 Abs. 3 der Teilungserklärung unwirksam. Jedenfalls ermächtige diese Bestimmung nur den Verwalter und nicht die Mitglieder der Eigentümergemeinschaft zur Änderung der Teilungserklärung mittels Mehrheitsbeschlusses.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss der Wohnungseigentümerversammlung vom 29.04.2003 zu TOP 21 einschließlich zu TOP 21 b) für ungültig zu erklären.
Die Antragsgegner beantragen,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie sind der Auffassung, auf Grund § 10 Abs. 3 der Teilungserklärung zur Änderung des Verteilerschlüssels ermächtigt gewesen zu sein. Der vom Antragsgegner zitierte Beschluss des OLG habe einen anders gelagerten Streitgegenstand betroffen. Vielmehr habe das Landgericht Hannover im Hinblick auf § 10 Abs. 3 der Teilungserklärung in seinem Beschluss vom 12.08.2002 ausgeführt, es könne dahinstehen, ob diese "Öffnungsklausel" unwirksam sei, jedenfalls sei die Regelung dahin auszulegen, dass der Verwaltung eine Abänderung der Verteilerschlüssel nur gestattet sei, soweit die Teilungserklärung nicht ausdrücklich etwas anderes vorsehe (Bl. 54 d.A.). Die Instandhaltungskosten für die Garagen seien in der Teilungserklärung aber gerade nicht anders geregelt. Es entspreche dem Rechtsempfinden der Eigentümergemeinschaft, dass, wenn der Verwalter den Verteilerschlüssel ändern könne, dies erst recht mit einfacher Mehrheit durch die Wohnungseigentümer selbst geschehen könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die weiteren schriftsätzlichen Ausführungen des Antragstellers und der Antragsgegner sowie der Antragsgegner Prof. Liesecke und Rexhausen verwiesen.
Die Akten Amtsgericht Hannover 70 II 72/96 sowie 71 II 195/01 inkl. der weiteren Entscheidungen des Landgerichts Hannover sowie des Oberlandesgerichts Celle haben vorgelegen.
II.
Der gemäß § 43 Abs. 1 Ziff. 4 WEG zulässige Antrag ist teilweise begründet.
Der Beschluss der Wohnungseigentümerversammlung vom 29.04.2003 zu TOP 21 (Änderung-Verteilungsschlüssel) war für ungültig zu erklären, weil er den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung gem. § 21 Abs. 3-5 WEG widerspricht, nicht dagegen der Beschluss zu TOP 21 b) (vorsorgliche Klagevollmacht für die Verwaltung), weil insoweit ein berechtigtes Interesse der Mitglieder der Eigentümergemeinschaft auch in diesem Verfahren besteht, Klarheit über die Kostenverteilung zu erhalten, ggf. erst in den höheren gerichtlichen Instanzen.
1.
Die Änderung des Verteilerschlüssels gemäß Beschluss zu TOP 21 widerspricht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung, weil dieser Beschluss nicht als Mehrheitsbeschluss gemäß § 25 Abs. 1 WEG hätte gefasst werden dürfen. Da der Beschluss eine Änderung des Verteilerschlüssels enthält, war eine allstimmige Beschlussfassung erforderlich. Die Antragsgegner können sich nicht auf § 10 Abs. 3 der Teilungserklärung berufen.
Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 20.09.2000 (in: NJW 2000, S. 3500 ff) darauf erkannt, dass Mehrheitsbeschlüsse bei absoluter Beschlussunzuständigkeit als nichtig anzusehen sind; dies gelte auch bei Änderung des gesetzlichen bzw. vereinbarten Kostenverteilungsschlüssels durch Mehrheitsbeschluss. Hierbei hat der Bundesgerichtshof das Interesse der Erwerber von Wohnungseigentum über die Interessen der gegenwärtigen Mitglieder der Eigentümergemeinschaft auf Grund des Grundsatzes der Rechtssicherheit gestellt im Hinblick auf das in § 10 WEG kodifizierte Vertragsprinzip im Wohnungseigentumsrecht. Der Bundesgerichtshof hat bereits in dieser Entscheidung die praktischen Konsequenzen derselben bzw. der sich daraus ergebenden Probleme erkannt und ein Korrektiv in solchen Fällen gesehen, die zur Abwendung unzumutbarer Härten erforderlich seien. Insoweit hat bereits aber bereits das OLG Celle in dem von dem Antragssteller zitierten Beschluss vom 10.07.2002 überzeugend ausgeführt, dass eine somit erforderliche grobe Unbilligkeit noch nicht vorliege; auch in dem dort zu entscheidenden Fall ging es um die Kostenverteilung hinsichtlich der Garagen, so dass die Ausführungen des Oberlandesgerichts auf den hiesigen Rechtsstreit zwanglos übertragbar sind. Somit hätte es also auch für die Änderung der Kostenverteilung, wie zu TOP 21 beabsichtigt, einer Vereinbarung gemäß § 10 Abs. 1 WEG bzw. eines allstimmigen Beschlusses bedurft.
Nichts anderes ergibt sich aus § 10 Abs. 3 der Teilungserklärung, den die Antragsgegner als so genannte Öffnungsklausel verstanden haben wollen. Zwar hat das Landgericht Hannover in dem von den Antragsgegnern zitierten Beschluss vom 12.08.2002 es dahinstehen lassen können, ob § 10 Abs. 3 der Teilungserklärung wirksam oder unwirksam sei, da in den dortigen Verfahren jedenfalls § 21 c) der Teilungserklärung hinsichtlich der Kostenverteilung vorrangig war, jedoch hatte zuvor in diesem Verfahren das AG Hannover mit erstinstanzlichem Beschluss vom 21.08.2001 (71 II 195/01) ausgeführt, dass § 10 Abs. 3 der Teilungserklärung unwirksam bzw. nichtig sei, weil es damit im freien Ermessen des Verwalters stehe, welche Kostenverteilungsart zu wählen sei. Dieser Regelungsinhalt widerspricht jedoch der dargestellten und vom Bundesgerichtshof "wieder entdeckten" Rechtslage im Wohnungseigentumsrecht, wonach eine Beschlusskompetenz nur für bestimmte Regelungsinhalte besteht, jedoch die zentralen Belange der Wohnungseigentümer auf Grund des Grundsatzes der Rechtssicherheit und des Vertragsprinzips durch Vereinbarungen zu regeln sind. § 10 Abs. 3 der Teilungserklärung widerspricht damit den Grundsätzen des § 134 BGB. Der Antragsteller weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass bei Wirksamkeit dieser Regelung es beinahe dem Gutdünken der Verwaltung obliegt, die Kosten zu verteilen, so dass sich ein Erwerber von Wohnungseigentum nicht auf die Kostenverteilung einstellen kann, die zum Zeitpunkt des Erwerbes galt und durch das Grundbuch entsprechend verbrieft ist. Ein solcher Zustand von Unsicherheit erscheint als unbillig und dürfte auch so nicht dem wirklichen Willen der Beteiligten bei Zustandekommen der Teilungserklärung als sachgerechte Lösung entsprochen haben.
Aber selbst wenn man § 10 Abs. 3 der Teilungserklärung als nicht nichtig ansähe, stellt diese Regelung keine Ermächtigung für den angefochtenen Beschluss zu TOP 21 dar, da ausweislich des unmissverständlichen Wortlauts sich lediglich eine Ermächtigung der Verwaltung, jedoch nicht eine Beschlusskompetenz der Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft ergibt. Eine solche ist auch nicht aus dem von den Antragsgegnern vorgebrachten "Rechtsempfinden" herzuleiten, da es nicht auf ein Rechtsempfinden der Beteiligten, sondern auf die objektive Rechtslage ankommt, die im vorliegenden Fall eindeutig ist angesichts des klaren Wortlauts der Regelung.
2.
Dagegen war der Beschluss zu TOP 21 b) nicht für ungültig zu erklären, weil er nicht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Verwaltung widerspricht. Vielmehr dient die vorsorgliche Klagevollmacht für die Verwaltung einer ordnungsgemäßen Verwaltung, da, wie die genannten Vorverfahren zeigen, auch in diesem Verfahren davon auszugehen ist, dass die Gerichte über mehrere Instanzen bemüht werden, um auch in diesem Fall Klarheit über die Kostenverteilung zu erlangen. Eine Ungültigerklärung des Beschlusses zu TOP 21 b) würde den berechtigten Rechtsschutz der Antragsgegner ungerechtfertigt verkürzen. Im Übrigen hat der Antragsteller keine Kostennachteile zu erwarten angesichts der gerichtlichen Kostenentscheidungen, soweit er auch weiterhin mit seinem Antragsbegehren durchdringen wird.
3.
Die Kostenentscheidung folgt gemäß § 47 WEG. Danach haben gemäß der Billigkeit sowohl der Antragsteller als auch gesamtschuldnerisch die Antragsgegner jeweils die Hälfte der Gerichtskosten zu tragen. Ira Übrigen bleibt es bei dem allgemeinen Grundsatz der freiwilligen Gerichtsbarkeit, dass außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind.
4.
[s. Streitwertbeschluss]
Streitwertbeschluss:
Der Geschäftswert wird auf 6000,00 EUR festgesetzt.
[D]ie Festsetzung des Geschäftswerts folgt gemäß § 48 Abs. 3 WEG wobei die beiden angefochtenen Beschlüsse jeweils mit dem Regelgeschäftswert des § 30 Abs. 2 KostO zu bemessen waren.