Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.11.2018, Az.: 11 LB 34/18

Auswahlermessen; Ermessensdefizit; Haltungseinrichtung; Nichtverhalten; Schimpanse; schwerwiegende Verhaltensstörung; verhaltensgerechte Unterbringung; Verhaltensstörung; Zirkus

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
08.11.2018
Aktenzeichen
11 LB 34/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74256
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 27.04.2017 - AZ: 6 A 461/15

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Rechtsgrundlage für die Anordnung der Abgabe eines Tieres ist § 16 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 2 TierSchG.
2. Die Einzelhaltung eines Schimpansen ohne sozialen Kontakt zu Artgenossen ist nicht verhaltensgerecht i.S.d. § 2 Nr. 1 TierSchG.
3. Eine schwerwiegende Verhaltensstörung kann auch bei einem erzwungenen Nichtverhalten vorliegen, wenn die Haltungsbedingungen zum Ausfall oder zu starker Reduktion arttypischer Verhaltensweisen führen.
4. Die Auswahl der konkreten tierschutzrechtlichen Maßnahme steht im Ermessen der Behörde (hier: Ermessensdefizit wegen unzureichender Berücksichtigung und Gewichtung wesentlicher Belange im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes).

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit hinsichtlich Ziffer I.1. des Bescheides des Beklagten vom 30. September 2015 übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Insoweit ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 6. Kammer - vom 27. April 2017 wirkungslos.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 6. Kammer - vom 27. April 2017 geändert.

Der Bescheid des Beklagten vom 30. September 2015 wird hinsichtlich der Anordnung in Ziffer I.2. aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die tierschutzrechtliche Anordnung, den von ihm gehaltenen Schimpansen in eine auf die Resozialisierung von Schimpansen spezialisierte Haltungseinrichtung abzugeben.

Der Kläger ist Eigentümer und Halter eines etwa 43-jährigen männlichen Schimpansen namens „Robby“. Wie sich aus der in den Verwaltungsvorgängen des Beklagten enthaltenen CITES-Bescheinigung der Stadt Hamburg vom 22. Mai 1990 und einer eidesstattlichen Versicherung des Klägers ergibt, wurde „Robby“ 1975 in einem deutschen Zoo geboren und per Hand aufgezogen. Mit ca. zwei Jahren wurde er an einen Zirkus veräußert, von welchem der Kläger ihn spätestens 1980 (nach CITES-Bescheinigung und eidesstattlicher Versicherung 1978) erwarb. In dem Zirkus des Klägers werden verschiedene Tiere, darunter auch „Robby“, zur Schau gestellt. „Robby“ ist in einem Zirkuswagen mit Außengehege untergebracht, in dem ihm eine Fläche von etwa 25 m² zur Verfügung steht. Hinzu kommt eine Fläche von weiteren etwa 25 m² in einem an den Zirkuswagen angrenzenden Außengehege. Mit Ausnahme von einzelnen Zirkustourneen des Voreigentümers sowie eines Zeitraums von wenigen Monaten kurz nach seinem Erwerb durch den Kläger wurde „Robby“ allein gehalten und hatte keinen Kontakt zu Artgenossen.

Im Auftrag des Beklagten suchte die Primatologin Dr. E. „Robby“ im Januar 2012 bei dem Kläger auf und nahm „Robby“ und dessen Haltung durch den Kläger in Augenschein. In der Folge ordnete der Beklagte gegenüber dem Kläger mit Bescheid vom 3. April 2012 verschiedene Maßnahmen an, die „Robby“ komplexere und vielfältigere Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnen sollten. Im März 2013 nahm die erwähnte Primatologin „Robby“ im Auftrag des Beklagten erneut in Augenschein und stellte Folgendes fest: „Das Verhalten von „Robby“ sowie das Verhalten zwischen ihm und Herrn A. deutet darauf hin, dass „Robby“ den Frieden seiner Existenzweise mit einem Nicht-Ausleben, Nicht-entwickelt-Haben seiner erwachsenen Schimpansenpersönlichkeit erkauft hat und täglich weiter erkauft. Es liegt also eine Entwicklungsstörung vor. […] Das spricht dafür, dass bei „Robby“ vermutlich massive Verhaltensdefizite vorliegen. Verhaltensdefizite repräsentieren Mangel an, in diesem Fall, sozialer Kompetenz. […] An der vollkommen art-ungerechten Existenz von „Robby“ besteht keinerlei Zweifel. Man kann jedoch auch nicht akutes massives Leiden feststellen, dazu ist die Situation zu chronifiziert.“ Abschließend empfiehlt die Primatologin eine mittelfristige Unterbringung von „Robby“ in einer Aufnahmestation, in der er unter fachgerechter Betreuung resozialisiert werden könne. Eine weitere Inaugenscheinnahme durch die Primatologin erfolgte nicht.

Mit Bescheid vom 29. Oktober 2013 ordnete der Beklagte gegenüber dem Kläger an, dass dieser innerhalb einer bestimmten Frist einen schriftlichen Nachweis über die Platzreservierung in einer Einrichtung mit der Spezialisierung zur Haltung von Schimpansen vorzulegen habe, die „Robby“ zum 1. Januar 2015 dauerhaft und bis dahin im Falle eines etwaigen über vier Wochen fortdauernden Ausfalls des Klägers vorübergehend in Betreuung nehme. Dieser vom Kläger angefochtene Bescheid wurde durch Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 10. Juli 2014 (6 A 250/13) aufgehoben.

Mit Bescheid vom 16. Juni 2015 erteilte der Beklagte dem Kläger eine Erlaubnis für das gewerbsmäßige Zurschaustellen unter anderem von „Robby“. Insoweit war die Erlaubnis befristet bis zum 31. Juli 2015. Der Kläger erhob unter anderem gegen diese Befristung am 15. Juli 2015 vor dem Verwaltungsgericht Klage (6 A 268/15). Mit Bescheid vom 31. Juli 2015 änderte der Beklagte die Befristung auf den 30. September 2015. Der gegen die Befristung anhängige Rechtsstreit wurde durch gerichtlichen Vergleich vom 27. April 2017 beendet. In Umsetzung des Vergleichs erteilte der Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 16. Januar 2018 eine neue unbefristete Erlaubnis, im „Circus F.“ gewerbsmäßig Tiere zur Schau zu stellen. Diese Erlaubnis wurde nach Ziffer 1 der Nebenbestimmungen in Bezug auf die Zurschaustellung des Schimpansen „Robby“ mit der Maßgabe erteilt, dass diese entfällt, falls die mit Verfügung vom 30. September 2015 getroffene Anordnung zur Abgabe des Tieres rechtskräftig wird.

Im Jahr 2015 trat der Beklagte mit der genannten Primatologin per E-Mail in Kontakt. Im Zuge der sich entwickelnden Korrespondenz, in deren Verlauf der Primatologin unter anderem auch Filmmaterial von „Robby“ zugesandt wurde, gab diese an, sie könne „auch keine Verschlechterung in den Haltungsbedingungen erkennen“. Anhand des ihr zur Verfügung gestellten Materials könne sie „auch nur - weiterhin - eine chronifizierte Leidenssituation, keine akute Verschlechterung erkennen“. Sie „vermute, dass sich in den entsprechenden Situationen auch Anomalien, Funktions- oder Verhaltensstörungen zeigen werden, die unter den Deprivationsbedingungen der gegenwärtigen Haltung nicht mit Sicherheit nachzuweisen sind“. „Robby“ sei vor allem dreier lebenswichtiger artspezifischer Verhaltensbereiche vollkommen beraubt, nämlich „(1) freies Umherstreifen in einer Fission-Fusion-Gesellschaft, (2) Bündnisse und Konkurrenz mit anderen Männern auszuleben, (3) Sexualverhalten und Sozio-Sexuelles Verhalten zu zeigen“. Dieses Nicht-Ausleben artgerechter Verhaltensweisen sei „sicherlich als Verhaltensstörung anzusehen“. Ihre Einschätzung sei, „dass bei „Robby“ in der Tat von erheblichem Leiden und vor allem auch erheblichem Schaden gesprochen werden muss“. Der Amtstierarzt des Beklagten fasste in einem Vermerk vom 13. August 2015 die im Zuge der Korrespondenz mit der Primatologin von dieser abgegebenen Einschätzungen zusammen und machte sie sich unter der Überschrift „Amtstierärztliche Bewertung und Gutachten“ überwiegend wortgleich zu Eigen.

Mit Bescheid vom 30. September 2015 lehnte der Beklagte einen zuvor gestellten Antrag des Klägers auf Verlängerung der Erlaubnis hinsichtlich des Zurschaustellens von „Robby“ ab (Ziffer I.1.) und ordnete an, dass der Kläger „Robby“ bis spätestens zum 31. Dezember 2015 auf Dauer an eine für die Resozialisierung von Schimpansen spezialisierte Haltungseinrichtung (G., H. o.ä.) abzugeben und die Abgabe anzuzeigen und nachzuweisen habe (Ziffer I.2.). Insoweit ordnete er die sofortige Vollziehung an. Zur Begründung führte er im Wesentlichen an, die Gesamtsituation der Haltung sei im Hinblick auf die aktuellen Erkenntnisse des Sachverständigengutachtens neu bewertet worden. Das Verhältnis zwischen dem Kläger und „Robby“ stelle ein soziales „Verhältnis der besonderen Art“ dar, das im Laufe der Jahrzehnte eine eigene Stabilität bewiesen habe. „Robby“ werde entgegen seinen Bedürfnissen außerhalb arteigener Sozialverbände gehalten, der Kläger stelle nur bedingt einen Ersatzpartner dar. Frieden werde von „Robby“ mit dem Nichtausleben seiner Schimpansenpersönlichkeit erkauft, es seien eine Entwicklungsstörung und massive Verhaltensdefizite gegeben. Die Haltungsbedingungen liefen der Wesensart eines Schimpansen zuwider und stellten instinktwidrige Einwirkungen dar, Sexualität und Dominanzstreben könnten beispielsweise nicht ausgelebt werden. Das völlige Fehlen alters- und geschlechtsgerechten Sozialverhaltens stelle im Hinblick auf Modalität, Intensität und Frequenz erhebliche und nach 35 Jahren auch andauernde Abweichungen vom Normalverhalten dar. Die Entwicklungsstörung führe nur zu einer Konfliktvermeidung, ermögliche „Robby“ jedoch keine Kompensation für die ihm verwehrten lebenswichtigen Bedürfnisse wie freies Umherstreifen in einer Fission-Fusion-Gesellschaft, das Ausleben von Bündnissen und Konkurrenz mit anderen Männern sowie das Zeigen von Sexualverhalten und sozio-sexuellem Verhalten. Aus diesem Grunde müsse bei „Robby“ von erheblichem Leiden und vor allem auch erheblichem Schaden gesprochen werden. Damit werde gegen §§ 1 und 2 Nr. 1 TierSchG verstoßen.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 22. Oktober 2015 Klage erhoben und zuvor - am 13. Oktober 2015 - einstweiligen Rechtschutz gegen die Anordnung der Abgabe von „Robby“ beantragt.

Zur Begründung der Klage hat der Kläger ausgeführt, dass die vom Beklagten im angefochtenen Bescheid genannten Gründe teils nicht nachvollziehbar, teils nicht hinreichend substantiiert seien und teils nicht auf den konkreten Fall eingingen, weshalb sie die getroffenen Anordnungen insgesamt nicht zu tragen geeignet seien. „Robby“ befinde sich, dies sei auch sowohl von dem Beklagten als auch von anderen Veterinärämtern, die den Schimpansen auf den Zirkustourneen in Augenschein genommen hätten, bestätigt worden, in einem guten Ernährungs- und Pflegezustand. Er sei nicht verhaltensgestört und weise keine psychischen Leiden auf, vielmehr sei er ausgeglichen und leide unter keinerlei Krankheiten. Außerdem sei „Robby“ in jungen Jahren kastriert worden und verfüge daher über keinen Sexualtrieb und keinerlei sexuelle Bedürfnisse. Es sei daher auch auszuschließen, dass „Robby“ ein Leiden oder Schaden zugefügt werde. Seine Haltung möge zwar nicht artgerecht sein, sie sei aber in jedem Falle tiergerecht. Ein Herausreißen des Schimpansen aus dem seit Jahrzehnten vertrauten Umfeld werde für diesen schwerwiegende, möglicherweise tödliche Folgen haben. „Robby“ sei irreversibel auf menschliche Gesellschaft und insbesondere die mit ihm und seiner Ehefrau geprägt. Zu Artgenossen habe er seit Jahrzehnten keinerlei Kontakt gehabt, nicht einmal Sicht- oder Hörkontakt. Insbesondere aufgrund seines hohen Alters sei „Robby“ nicht in der Lage, den Stress, der mit einer zwangsweisen Unterbringung in einer Resozialisierungseinrichtung einhergehe, zu bewältigen. Erhebliche Risiken im Rahmen eines Resozialisierungsversuches ergäben sich auch aus dem Umstand, dass „Robby“ kastriert sei. Er lege kein typisch männliches Verhalten an den Tag, was die Gefahr aggressiven Verhaltens anderer Artgenossen ihm gegenüber mit sich bringe. Insgesamt stünden die zu erwartenden Nachteile eines Resozialisierungsversuches in keinem Verhältnis zu der „Robby“ noch verbleibenden Lebenserwartung.

Der Kläger hat ursprünglich neben der Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 30. September 2015 beantragt, den Beklagten zu verpflichten, ihm, dem Kläger, für den Schimpansen eine Erlaubnis nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 lit. d) TierSchG zu erteilen. Diesen Antrag hat er in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 30. September 2015 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat ausgeführt, die von ihm getroffenen amtstierärztlichen Feststellungen stünden der Annahme des Klägers, „Robby“ würde in nicht zu beanstandender Weise gehalten, sei nicht verhaltensgestört, leide nicht und habe keine erheblichen Schäden erlitten, entgegen. Die Begutachtung durch die von ihm beauftragte Primatologin habe ergeben, dass der Schimpanse sich an die artungerechte Situation seiner Haltung angepasst und diese akzeptiert habe. „Robby“ zeige kein art-, alters- und geschlechtsgerechtes Verhalten. Aufgrund der Art und Weise seiner Haltung könne er eine Vielzahl von Bedürfnissen nicht ausleben. Dies laufe der Wesensart eines Schimpansen zuwider und führe zu einem chronischen Leiden. Aufgrund des angepassten Verhaltens weiche der Zustand von „Robby“ nachteilig vom artgemäßen Zustand eines Schimpansen ab, weshalb auch ein Schaden im Sinne des Tierschutzgesetzes vorliege. Die Chancen auf eine Resozialisierung von „Robby“ in einer hierauf spezialisierten Einrichtung seien kaum zu überschätzen. Dem stehe weder das hohe Alter des Schimpansen noch der Umstand entgegen, dass dieser bisher fast ausschließlich allein gehalten worden sei. Soweit der Kläger annehme, „Robby“ habe eine verbleibende Lebenserwartung von nicht mehr als fünf Jahren, entbehre dies jeder Grundlage. In der Fachliteratur werde die Lebenserwartung von Schimpansen in Gefangenschaft teils mit 50 Jahren, teils sogar mit 65 Jahren angegeben. Die bisherige fast ausschließliche Einzelhaltung stehe einer Resozialisierung deshalb nicht im Wege, weil eine auf die Resozialisierung spezialisierte Einrichtung die Möglichkeit habe, als Sozialpartner ein Tier mit ähnlicher Vergangenheit bereitzustellen. Selbst wenn „Robby“ auch im Rahmen der Resozialisierung zeitweilig einzeln gehalten werden müsste, wären die Haltungsbedingungen gleichwohl deutlich artgerechter als gegenwärtig. Auch die mögliche Kastration von „Robby“ verschlechtere die Aussichten auf eine Resozialisierung nicht. Vielmehr sei es durchaus denkbar, dass der Schimpanse sich Artgenossen gegenüber friedlicher und fügsamer zeigen und die Resozialisierung sich insoweit einfacher gestalten werde.

Mit Beschluss vom 3. Dezember 2015 (6 B 146/15) hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage des Klägers gegen die Ziffer I.2. des Bescheides vom 30. September 2015 wiederhergestellt.

Im Nachgang zum Beschluss vom 3. Dezember 2015 hat der Beklagte eine weitere Stellungnahme der von ihm beauftragten Primatologin zu der Frage der Auswirkungen einer Kastration oder eines Hodenfehlstandes bei „Robby“ eingeholt und vorgelegt. Die Primatologin stellt hierin fest, dass der Testosteronspiegel von „Robby“ möglicherweise abnormal abgesenkt sein könnte. Die Auswirkungen eines derart abgesenkten Testosteronspiegels auf einen Resozialisierungsversuch seien nicht sicher prognostizierbar. Bestenfalls führe er zu einer Verbesserung der Resozialisierungschancen, da „Robby“ Artgenossen ausgeglichener und fügsamer gegenübertreten könnte. Im schlechtesten Fall werde „Robby“ sich trotz eines abgesenkten Testosteronspiegels auf der Grundlage von Lernerfahrungen eines sozio-sexuellen Verhaltens bedienen, das für hormonell intakte Schimpansenmänner mit vergleichbarer Biografie normal sei. Insgesamt halte sie an ihrer Einschätzung fest, dass „Robby“ schwerwiegende Verhaltensstörungen aufweise, die haltungsbedingt seien und unabhängig von seinem Testosteronspiegel bestünden.

Das Verwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 16. November 2016 die Erstellung eines Sachverständigengutachtens durch den Fachtierarzt für Zoo-, Gehege- und Wildtiere Dr. I. J. in Auftrag gegeben. Dieser hat unter dem 12. Februar 2017 ein schriftliches Sachverständigengutachten verfasst.

Mit Urteil vom 27. April 2017 hat das Verwaltungsgericht das Verfahren eingestellt, soweit der Kläger seine Klage zurückgenommen hat und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass die Anordnung des Beklagten, „Robby“ dauerhaft an eine Resozialisierungseinrichtung für Schimpansen abzugeben, auf der Grundlage von § 16 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TierSchG zu Recht ergangen sei. „Robby“ leide aufgrund der fehlenden Interaktion mit anderen Schimpansen an einer Verhaltensstörung, die auch schwerwiegend sei. Mit Blick auf das Wesen von Primaten, das gerade durch soziale Fähigkeiten geprägt sei, die aus einem ständigen und vielschichtigen Sozialkontakt zu Artgenossen herrührten, sei die Verhaltensstörung von erheblicher Intensität. „Robby“ habe zwar täglich zwei bis drei Stunden Aufmerksamkeit in Form direkter Interaktion und unmittelbaren Körperkontaktes zum Kläger, die verbleibende Tageszeit von mehr als 20 Stunden müsse er aber ohne adäquaten Sozialpartner verbringen. Der Beklagte habe das ihm eröffnete Ermessen fehlerfrei ausgeübt und dabei die von dem Kläger dargestellten Risiken gewichtend in seine Entscheidung einbezogen. Der Sachverständige sei ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt, dass die bestehenden Risiken ausreichend niedrig seien, um einen Resozialisierungsversuch als vertretbar einzustufen. Soweit der Kläger hinsichtlich der Ziffer I.1. des angefochtenen Bescheides nur Anfechtungsklage erhoben habe, sei die Klage zwar ausnahmsweise als isolierte Anfechtungsklage zulässig. Die Klage sei aber unbegründet, weil die Einzelhaltung von „Robby“ nicht tierschutzgerecht sei.

Der Kläger hat am 8. Mai 2017 beantragt, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen. Mit Beschluss vom 23. Januar 2018 hat der Senat die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zugelassen.

Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger vor, dass der Sachverständige Dr.  J. weder Ethologe noch Primatologe und daher für die Erstellung des Gutachtens nicht geeignet gewesen sei. Er habe nicht einmal feststellen können, ob „Robby“ eine Kastrationsnarbe habe, obwohl für einen Tierarzt erkennbar sein müsse, dass wucherndes Narbengewebe fehle. Zudem habe er die Ausführungen von Frau Dr. E. kritiklos übernommen. Dies sei bedenklich, weil Frau Dr. E. die Vorsitzende der Tierorganisation „K.“ sei, die ebenso wie L. kommerzielle Interessen verfolge. Demgegenüber habe der Sachverständige die Ausführungen von Prof. Dr. M., der Mitglied des Primatenzentrums in N. sei, nicht einmal erwähnt. Der Sachverständige habe auch unkritisch die ihm von der Einrichtung G. genannten Informationen übernommen. Dass es nach Mitteilung von G. in O. zu keinen Todesfällen gekommen sei, dürfte nur bedingt richtig sein. Denn im Oktober 2014 seien auf Druck von L. zwei Schimpansen („Mimmi“ und „Dolley“) von der Region Hannover nach 47-jähriger Haltung dem Halter weggenommen und nach O. gebracht worden. Der Schimpanse „Dolley“ sei dann euthanasiert worden. Der Sachverständige hätte außerdem die Ausführungen von Frau Dr. P. berücksichtigen müssen, die eine Abhandlung über das Narkose- und Herzinfarktrisiko bei Primaten unter Stress geschrieben habe. Weiter habe er sich nicht mit den in den Akten enthaltenen Standpunkten von Prof. Dr. M. und Dr.  Q. auseinandergesetzt. Auch der anerkannte Primatologe Prof. Dr. R. habe sich auf seiner Facebook-Seite ablehnend gegen eine Umsetzung von „Robby“ geäußert. Der Sachverständige habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Möglichkeit, dass der Schimpanse bei dem Resozialisierungsversuch versterbe, relativ hoch sei. Seine Schlussfolgerung, dass das Risiko, der Schimpanse könne mit der Umstellung an sich überfordert sein, als praktisch unwahrscheinlich einzustufen sei, habe er nicht belegt. Zwischenartliches Sozialverhalten sei keineswegs ein Zeichen von Leiden. „Robby“ und er - der Kläger - lebten in einer Beziehung miteinander. Der Affe habe ein hohes Alter erreicht und sei in einem ausgesprochen guten Ernährungs- und Pflegezustand. Er sei ausgeglichen und ruhig und zeige keinerlei Auffälligkeiten. Hier liege eine Fehlprägung, aber kein Leiden vor. Im Übrigen seien die Angaben des Sachverständigen, 10 % der in Zoos lebenden Schimpansen seien zwischen 40 und 60 Jahre alt, unzutreffend. Nach derzeitigem Stand seien 62 von 1.059 Schimpansen und damit nur 5,8 % der in der Zootierdatenbank registrierten Tiere 40 Jahre und älter. Der Großteil der Tiere sei zudem weiblichen Geschlechts. Schon anhand der Alterspyramide hätte der Sachverständige von einer Umsiedelung des Schimpansen Abstand nehmen müssen. Soweit der Beklagte behaupte, dass „Robby“ in frühen Jahren Kontakt zu Artgenossen gehabt habe, sei dies eine Vermutung. Mit Ausnahme eines kurzen Versuchs, „Robby“ mit einer Schimpansendame zusammenzuführen, habe es keinerlei Sozialkontakte mit Schimpansen gegeben. Dieser Versuch sei gescheitert, so dass er die Schimpansin wieder habe abgeben müssen. Sozialkontakte in seinen jüngeren Jahren werde „Robby“ aufgrund seines Alters nicht mehr abrufen können.

Zur weiteren Begründung verweist der Kläger u.a. auf seinen Schriftsatz vom 3. Juli 2017 im Zulassungsverfahren, mit dem er eine Stellungnahme von Dr. S., Direktor Zoologischer Garten T., vom 20. Juni 2017 zum Sachverständigengutachten vorgelegt hat.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts - 6. Kammer - vom 27. April 2017 den Bescheid des Beklagten vom 30. September 2015 hinsichtlich Ziffer I.2. aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erwidert, dass Frau Dr. E. nicht die Vorsitzende des Vereins „K.“ sei, sondern u.a. für das durch den Verein organisierte Orang-Utan-Hilfsprojekt in Indonesien arbeite. Sie sei Diplom-Psychologin, promovierte Zoologin und international anerkannte Primatologin, die an diversen Resozialisierungsprojekten maßgeblich mitgearbeitet habe. Warum der Kläger insbesondere Herrn Prof. Dr. M. und Dr. R. vom Deutschen Primatenzentrum in N. einzig die ausreichende Fachkompetenz zur Einschätzung der Resozialisierungschancen zuspreche, erschließe sich nicht. Prof. Dr. M. sei Tierarzt und anerkannter Infektionspathologe und verfüge über Erfahrungen in der Versuchstierhaltung. Prof. Dr. R. sei wie der Sachverständige Dr. J. Facharzt für Zoo-, Gehege- und Wildtiere und verfüge über langjährige Berufserfahrung als Tierarzt einer zoologischen Einrichtung, er habe u.a. wissenschaftliche Arbeiten über Großkatzen und Rinder verfasst, sei aber auch kein ausgewiesener Primatologe. Die Frage der Kastration sei für die Resozialisierung nicht von durchgreifender Relevanz, so dass von einer weitergehenden Untersuchung habe abgesehen werden können. Der Sachverständige habe alle Risikofaktoren hinreichend berücksichtigt. Eine Herzerkrankung könne auch auftreten, wenn „Robby“ bei dem Kläger verbleibe. Zudem erfolge bei der Aufnahme eine gründliche und umfassende Untersuchung des Schimpansen, in der seine individuelle Belastbarkeit ermittelt werde. Auch sei die medizinische Versorgung dort besser sichergestellt als in einem reisenden Zirkusbetrieb. Zweifel an der Richtigkeit der Informationen von G. seien nicht begründet. Die Schimpansen „Mimmi“ und „Dolley“ seien 2014 freiwillig von ihrem Halter abgegeben und neben der erheblichen Verbesserung der Haltungsbedingungen mit anderen Schimpansen zusammengeführt worden. Der Gesundheitszustand von „Dolley“ habe sich erst 2016 - somit nach erfolgreicher Aufnahme und Eingliederung - derart verändert, dass sie aus krankheitsbedingten Gründen euthanasiert worden sei. „Mimmi“ lebe unverändert mit Artgenossen in der Einrichtung. Sie sei 1962 geboren und damit zum Zeitpunkt der Aufnahme bereits 52 Jahre alt gewesen. Der Schimpanse „Robby“ habe zumindest in jungen Jahren Kontakt zu Artgenossen gehabt. Auf diese frühen Erfahrungen könne er auch nach Jahren artfremder Isolation zurückgreifen. Zudem zeige er mit dem „Groomen“ arttypische Verhaltensweisen, so dass er offensichtlich Grundzüge der Kommunikation beherrsche. Neben den Schimpansen „Linda“, „Freddy“ und „Mojo“, die ähnlich aufgewachsen seien wie „Robby“, sei auch die Schimpansin „Marria“, die isoliert von Artgenossen von Menschen aufgezogen worden sei, erfolgreich in der Einrichtung G. resozialisiert worden. Soweit der Kläger bezweifele, dass durch die artwidrige Haltung Leiden entstehe, verkenne er die elementaren Bedürfnisse des Schimpansen. Sehr wahrscheinlich entstünden infolge der Trennung von den jahrelangen Kontaktpersonen und der zunächst isolierten Haltung temporär Stress und Leiden. Aber bereits das gesteigerte Maß an Sozialkontakt, wenn auch zunächst nur zu den Pflegern, stelle eine erhebliche Verbesserung der Lebensbedingungen dar.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Beteiligten den Rechtsstreit hinsichtlich Ziffer I.1. des Bescheides des Beklagten vom 30. September 2015 übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Der Sachverständige Dr. J. ist zur Erläuterung seines im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht unter dem 12. Februar 2017 erstellten schriftlichen Gutachtens in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angehört worden. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf das Sitzungsprotokoll vom 8. November 2018 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

I. Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit hinsichtlich Ziffer I.1. des Bescheides des Beklagten vom 30. September 2015 (Erlaubnis zur Zurschaustellung des Schimpansen „Robby“) in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog festzustellen, dass die erstinstanzliche Entscheidung in diesem Umfang wirkungslos ist.

II. Im Übrigen ist die Berufung des Klägers zulässig und begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 30. September 2015 ist hinsichtlich der Anordnungen zu Ziffer I.2. (Abgabe des Schimpansen „Robby“ an eine auf die Resozialisierung von Schimpansen spezialisierte Haltungseinrichtung) rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anordnung der Abgabe des Schimpansen liegen zwar vor (1.). Die Ermessensentscheidung des Beklagten berücksichtigt aber nicht alle mit der Abgabe verbundenen Risiken richtig oder umfassend und verletzt deshalb den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (2.).

1. Rechtsgrundlage für die in dem Bescheid des Beklagten unter Ziffer I.2. angeordnete dauerhafte Abgabe des Schimpansen „Robby“ an eine auf die Resozialisierung von Schimpansen spezialisierte Haltungseinrichtung ist § 16 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 1 bzw. Satz 2 Nr. 2 TierSchG. Nach § 16 a Abs. 1 Satz 1 TierSchG trifft die zuständige Behörde die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Insbesondere kann sie im Einzelfall die zur Erfüllung der Anforderungen des § 2 TierSchG erforderlichen Maßnahmen anordnen (§ 16 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG) oder ein Tier, das nach dem Gutachten des beamteten Tierarztes mangels Erfüllung der Anforderungen des § 2 TierSchG erheblich vernachlässigt ist oder schwerwiegende Verhaltensstörungen aufzeigt, dem Halter fortnehmen und so lange auf dessen Kosten anderweitig pfleglich unterbringen, bis eine den Anforderungen des § 2 TierSchG entsprechende Unterbringung des Tieres durch den Halter sichergestellt ist (§ 16 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TierSchG).

Der Beklagte hat Ziffer I.2. seines Bescheides auf § 16 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 1 TierSchG gestützt. Demgegenüber hat das Verwaltungsgericht § 16 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 2 TierSchG als Rechtsgrundlage für die streitige Anordnung angesehen. Dabei hat das Verwaltungsgericht berücksichtigt, dass der Beklagte nach dem Wortlaut seiner Anordnung nicht die Fortnahme, sondern die Abgabe des Schimpansen durch den Kläger an eine auf die Resozialisierung von Schimpansen spezialisierte Haltungseinrichtung verfügt hat. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, steht die angeordnete dauerhafte Abgabe des Schimpansen an eine Haltungseinrichtung ihrem Regelungsinhalt nach einer Fortnahme gleich, so dass die höheren Anforderungen des § 16 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 2 TierSchG hier ebenfalls erfüllt sein müssen. Denn sonst könnte die zuständige Behörde eine Maßnahme, die wie die Fortnahme darauf abzielt, den Gewahrsam des Halters an dem Tier zwangsweise aufzuheben, unter leichteren Voraussetzungen anordnen als vom Gesetzgeber für eine Fortnahme vorgesehen worden ist. Insofern kann dahingestellt bleiben, ob im vorliegenden Fall § 16 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TierSchG unmittelbar als Rechtsgrundlage heranzuziehen ist oder ob die Rechtsgrundlage des § 16 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TierSchG dahingehend ergänzend auszulegen ist, dass es zusätzlich der Erfüllung der qualifizierten Tatbestandsmerkmale des § 16 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TierSchG bedarf.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 16 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TierSchG liegen vor. Denn der von dem Kläger gehaltene Schimpanse zeigt mangels Erfüllung der Anforderungen des § 2 TierSchG (a.) schwerwiegende Verhaltensstörungen auf (b.).

a. Nach § 2 TierSchG muss, wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, dieses seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen (Nr. 1), darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden (Nr. 2) und muss über die für eine angemessene Ernährung, Pflege und verhaltensgerechte Unterbringung des Tieres erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen (Nr. 3).

Der Beklagte ist davon ausgegangen, dass die Mindestanforderungen des § 2 Nr. 1 TierSchG in Bezug auf die verhaltensgerechte Unterbringung eines Schimpansen durch die derzeitigen Haltungsbedingungen im „Circus F.“ nicht erfüllt werden und dem Schimpansen „Robby“ insbesondere durch die solitäre Haltung ohne Artgenossen entgegen § 1 Satz 1 TierSchG ohne vernünftigen Grund erhebliche Leiden und Schäden zugefügt wurden bzw. fortlaufend zugefügt werden. Dabei hat er sich auf das Gutachten seines Amtstierarztes sowie die Stellungnahmen der von ihm als Sachverständige herangezogenen Primatologin Dr. E. gestützt.

Die Vorschrift des § 2 Nr. 1 TierSchG will als Grundnorm der Tierhaltung im Sinne eines Bedarfsdeckungs- und Schadenvermeidungskonzepts sicherstellen, dass die Haltungsform artgemäß ist und die entsprechenden Bedürfnisse der Tiere nicht unangemessen zurückgedrängt werden. Bei der Erfüllung dieses Tatbestandes kommt es im Unterschied zu § 2 Nr. 2 TierSchG nicht darauf an, ob den Tieren Schmerzen, Leiden oder Schäden zugefügt worden sind (vgl. Senatsbeschl. v. 3.8.2009 - 11 ME 187/09 -, juris, Rn. 26, m.w.N.).

Die Einzelhaltung eines Schimpansen unterfällt einem der in § 2 Nr. 1 TierSchG genannten Oberbegriffe, wobei dahinstehen kann, ob das Vorhandensein weiterer Artgenossen dem Begriff des „Pflegens“ (Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, § 2, Rn. 15, 24, 32; Lorz/Metzger, TierSchG, 6. Aufl. 2008, § 2, Rn. 32) oder der „verhaltensgerechten Unterbringung“ (so VG Trier, Urt. v. 16.06.2014 - 6 K 1531/13.TR - juris, Rn. 18 bezüglich der Vergesellschaftung eines einzeln gehaltenen Eselhengstes) oder beiden Begriffen zuzurechnen ist. Jedenfalls ist anerkannt, dass diejenigen Grundbedürfnisse eines Tieres, die sich einem der in der Fachwissenschaft entwickelten sechs Funktionskreise zuordnen lassen, von den in § 2 Nr. 1 TierSchG genannten Oberbegriffen umfasst sind. Zu diesen Funktionskreisen zählt u.a. das Sozialverhalten des Tieres (vgl. Hirt/Maisack/Moritz, a.a.O.) und damit ein etwaiges Bedürfnis nach sozialem Kontakt zu Artgenossen. Was im Einzelnen zum artgerechten Sozialverhalten eines Schimpansen gehört, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Insoweit kann aber das von dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft herausgegebene Gutachten über Mindestanforderungen an die Haltung von Säugetieren vom 7. Mai 2014 herangezogen werden. Bei dem auf Veranlassung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft erstellten Gutachten handelt es sich um Ausarbeitungen eines Expertengremiums aus u.a. von den Zooverbänden und den Tier- und Naturschutzverbänden benannten Experten sowie unabhängigen Sachverständigen, die sich unter Einbeziehung aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse und Praxiserfahrungen mit den spezifischen Verhaltensbedürfnissen bestimmter Tierarten unter bestimmten Haltungsbedingungen und den sich daraus ergebenden Anforderungen befassen. Die darin ausgesprochenen Empfehlungen und Bewertungen stellen eine sachverständige Zusammenfassung dessen dar, was als verlässlicher und gesicherter wissenschaftlicher Kenntnisstand gelten kann, so dass ihnen der Charakter einer sachverständigen Äußerung zukommt (vgl. Senatsurt. v. 18.6.2013 - 11 LC 206/12 -, juris, Rn. 30 m.w.N.).

Maßstab für die im Einzelfall zu bestimmenden Verhaltensbedürfnisse eines Tieres ist dabei nicht das Verhalten des Tieres in seinem derzeitigen - ggf. maßgeblich vom Menschen geprägten - Umfeld, sondern das Verhalten, das von Wildtieren der gleichen Art und Rasse unter natürlichen Bedingungen, d.h. bei einem Leben in Freiheit, üblicherweise gezeigt wird (vgl. Hirt/Maisack/Moritz, a.a.O., § 2, Rn. 9 m.w.N.). Eine Unterbringung ist daher nicht schon dann verhaltensgerecht, wenn das Tier zwar überleben kann und keine Leiden, Schmerzen oder andere Schäden davonträgt, es aber seine angeborenen Verhaltensmuster soweit ändern und an seine Haltungsbedingungen anpassen muss, dass es praktisch mit seinen wildlebenden Artgenossen nicht mehr viel gemeinsam hat (Schleswig-Holsteinisches OVG, Urt. v. 28.06.1994 - 4 L 152/92 -, juris, Rn. 27). Besonders an die Haltung wildlebender Arten sind insoweit hohe Anforderungen zu stellen (vgl. Senatsbeschl. v. 12.7.2011 - 11 LA 540/09 -, juris, Rn. 18).

Nach Ziffer II.14.23 des Säugetiergutachtens gehören Schimpansen zur Gruppe der Menschenaffen und leben in kleinen umherstreifenden „fission-and-fusion“- Gruppen aus mehreren erwachsenen Weibchen und/oder Männchen. Das heißt so viel wie Trennen und Zusammengehen. Bei der Haltung von Schimpansen in Menschenhand muss daher die Strukturierung der Gehege die Bildung flexibler Gruppierungen ermöglichen (Modell: „fission-and-fusion“). Die Tiere müssen die Möglichkeit haben zu wählen, zu welchem Sozialpartner sie Nähe suchen und zu welchem sie auf Distanz gehen wollen (Ziffer II.14.23.1). Eine Einzelhaltung von Schimpansen ist grundsätzlich abzulehnen (Ziffer II.14.23.3).

Dass die Haltung des Schimpansen „Robby“ ohne sozialen Kontakt zu anderen Schimpansen diesen Maßgaben nicht entspricht und daher die Anforderungen des § 2 TierSchG nicht erfüllt werden, ist offensichtlich.

b. Der Schimpanse weist mangels Erfüllung der Anforderungen des § 2 TierSchG auch schwerwiegende Verhaltensstörungen auf.

Eine Verhaltensstörung ist eine im Hinblick auf Modalität, Intensität oder Frequenz erhebliche und andauernde Abweichung vom Normalverhalten. Maßstab für das Normalverhalten sind diejenigen Verhaltensabläufe, die von Tieren der betreffenden Art, Rasse und Altersgruppe unter natürlichen oder naturnahen Haltungsbedingungen gezeigt werden. Abweichungen vom Normalverhalten können sich in verschiedener Hinsicht ergeben. Neben nach außen deutlich erkennbaren abnormen Verhaltensweisen wie Stereotypien, Handlungen am nicht-adäquaten Objekt, veränderten abnormen Bewegungsabläufen oder Apathien kann eine Verhaltensstörung auch dann zu bejahen sein kann, wenn ein erzwungenes Nichtverhalten besteht (vgl. Hirt/Maisack/Moritz, a.a.O., § 17, Rn. 97-100). Eine Verhaltensstörung durch erzwungenes Nichtverhalten liegt dann vor, wenn die Haltungsbedingungen zum Ausfall oder zu starker Reduktion arttypischer Verhaltensweisen führen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob dem Tier das Verhalten physisch unmöglich gemacht wird oder ob das Tier das Verhalten infolge fehlender Umweltreize einstellt oder stark reduziert (Hirt/Maisack/Moritz, a.a.O., § 17, Rn. 100). Nach diesen Maßstäben ist bei dem Schimpansen „Robby“ von einer Verhaltensstörung auszugehen.

Der Senat folgt der Einschätzung des Sachverständigen Dr. J., dass „Robby“ über ein im Vergleich zu einem normalen erwachsenen Schimpansen deutlich reduziertes Verhaltensspektrum verfügt und nicht das ausleben kann, was Schimpansen in freier Wildbahn auszeichnet, nämlich die Teilhabe an gruppendynamischen Prozessen, in denen sich die Hierarchien fortlaufend ändern. „Robby“ ist eingebunden in eine strikte Hierarchie, in der der Kläger der Chef ist. Außerdem ist der Kontakt zu dem Kläger zeitlich beschränkt, so dass er deutlich weniger Aufmerksamkeit erhält als bei einem Aufenthalt unter Artgenossen.

Der Sachverständige Dr. J. hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 12. Februar 2017, welches er in den mündlichen Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht und dem Senat ergänzend erläutert hat, dargelegt, dass das Sozialleben von Schimpansen durch einen ständigen Wechsel von Bündnissen, Unterstützung und Gegnerschaft geprägt sei. Bindungen würden beständig aufrechterhalten und gepflegt oder neu geformt. Dies zeige sich auch daran, dass in der Fachliteratur beschrieben werde, dass nie beobachtet worden sei, dass eine Schimpansengruppe für mehr als zehn Jahre den gleichen Anführer gehabt habe. Die Möglichkeit zu einem solchen Interagieren, insbesondere die Möglichkeit zu einem Einwirken auf eine Veränderung bestehender Hierarchien, fehle „Robby“ vollkommen. „Robby“ bewege sich innerhalb einer Hierarchie, die ausschließlich und unangefochten von dem Kläger angeführt werde. Viele Verhaltensweisen, die zwischen dem Kläger und „Robby“ abliefen, seien ritualisiert. Dieses ritualisierte Verhalten stelle anders als in der freien Wildbahn den Schwerpunkt des Verhaltens von „Robby“ dar. Zudem habe „Robby“ nur einige Stunden täglich Kontakt zum Kläger und könne auch nicht von sich aus mit dem Kläger in Kontakt treten, so dass ein sozialer Kontakt ausschließlich vom Willen des Klägers abhänge.

Diese Ausführungen des Sachverständigen, die u.a. auf eigenen Beobachtungen des Schimpansen durch den Sachverständigen sowie einer Auswertung der sich aus den Verwaltungsvorgängen ergebenden Erkenntnisse über „Robby“ beruhen, begründen schlüssig und nachvollziehbar den Ausfall bzw. die starke Reduktion arttypischer Verhaltensweisen und damit das Vorliegen einer Verhaltensstörung. Die dagegen von dem Kläger erhobenen Einwände greifen nicht durch.

Soweit der Kläger auf das von ihm im Berufungsverfahren eingereichte Gutachten von Dr. S. vom 20. Juni 2017 verweist, ist eine abweichende Beurteilung nicht geboten. Dr. S. führt u.a. aus, der Kausalkette, dass ein erzwungenes Nichtverhalten zwangsläufig einer Verhaltensstörung gleichkomme und deshalb das Tier leide, könne nicht gefolgt werden. Dr. S. legt nicht dar, dass bei „Robby“ keine Verhaltensstörung besteht, sondern stellt darauf ab, dass eindeutige Indizien dafür fehlen, dass „Robby“ in seiner jetzigen unnatürlichen Haltung leidet. Verhaltensstörungen und Leiden sind nicht zwingend gleichzusetzen; vielmehr sind Verhaltensstörungen Indikatoren für Leiden eines Tieres.

Der Umstand, dass bei „Robby“ auch nach Einschätzung des Sachverständigen Dr. J. eine Fehlprägung auf den Menschen vorliegt, steht entgegen der Auffassung des Klägers dem Vorliegen einer Verhaltensstörung ebenfalls nicht entgegen. Eine Fehlprägung und eine Verhaltensstörung schließen sich nicht gegenseitig aus. Wie der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung überzeugend ausgeführt hat, kann sich aus einer Fehlprägung eine Verhaltensstörung entwickeln.

Weiter hat das Verwaltungsgericht zutreffend dargelegt, dass der Einwand des Klägers, auch seine Frau, seine Kinder und Enkelkinder hätten Kontakt zu „Robby“, eine Verhaltensstörung nicht ausschließt. Denn das vom Sachverständigen beschriebene dauerhafte soziale Agieren und Taktieren in einer Schimpansengruppe kann durch den - zudem unregelmäßigen - Kontakt mit Menschen nicht ersetzt werden. Ebenso überzeugend hat das Verwaltungsgericht den Einwand des Klägers, „Robby“ verfüge nicht über den Körperbau, um in einem Hierarchiekampf eine körperliche Auseinandersetzung mit dem Anführer einer Schimpansengruppe aufzunehmen, mit der Begründung zurückgewiesen, dass nach den Ausführungen des Sachverständigen zum einen die Führung einer Schimpansengruppe keinesfalls stets das körperlich stärkste Tier innehabe, sondern dass eine wichtige Rolle auch die Fähigkeit spiele, Bindungen zu Einzeltieren zu knüpfen und aufrecht zu erhalten, die dem Aufbau einer die eigene Führungsposition stützenden Mehrheit dienten, und zum anderen das permanente soziale Interagieren innerhalb einer Schimpansengruppe gerade nicht auf die Leittiere beschränkt sei, sondern sämtliche Gruppenmitglieder betreffe. Wie der Sachverständige nachvollziehbar dargelegt hat, besteht die Verhaltensstörung auch unabhängig davon, ob „Robby“ kastriert ist oder unter einem Hodenfehlstand leidet. Dass diese Frage nicht abschließend geklärt werden konnte, ist daher nicht entscheidungserheblich.

Die danach vorliegende Verhaltensstörung ist auch als schwerwiegend einzustufen.

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist eine Verhaltensstörung dann als schwerwiegend anzusehen, wenn ihr vor dem Hintergrund des gesamten durchschnittlichen Verhaltensspektrums eines Tieres der betroffenen Rasse nach Art oder Dauer erhebliches Gewicht zukommt (vgl. Hirt/Maisack/Moritz, a.a.O., § 16 a, Rn. 22). Demnach kann die Fortnahme eines Tieres einerseits bereits bei einer nur geringfügigen Verhaltensstörung gerechtfertigt sein, die der Halter oder Betreuer allerdings über erhebliche Zeiträume hinnimmt und nicht durch die Schaffung von den Anforderungen des § 2 TierSchG entsprechenden Haltungsbedingungen abzustellen bereit oder in der Lage ist. Andererseits kann sich eine Fortnahme auch im Falle einer erheblichen Verhaltensstörung verbieten, wenn diese im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung zwar vorliegt, aber erst kürzlich aufgetreten ist und prognostisch festgestellt werden kann, dass sie nach einer kurzfristig und mit hinreichender Sicherheit zu erwartenden Anpassung der Haltungsbedingungen an die Anforderungen des § 2 TierSchG wieder vergeht.

Dass bei der Beurteilung, ob eine Verhaltensstörung schwerwiegend ist, auch deren Dauer zu berücksichtigen ist, hat das Verwaltungsgericht zu Recht aus der Gesetzessystematik hergeleitet. Der Wortlaut steht einer solchen Auslegung jedenfalls nicht entgegen. In den Gesetzgebungsmaterialien werden Gründe für die Ergänzung des Tatbestandes des § 16 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 TierSchG um das alternative Tatbestandsmerkmal der schwerwiegenden Verhaltensstörung durch Gesetz vom 25. Mai 1998 (BGBl. I, S. 1094) zwar nicht genannt (vgl. BR-Drs. 763/96, S. 47 f.; BT-Drs. 13/7017, S. 24). Allerdings spricht eine systematische Auslegung dagegen, dass der Gesetzgeber mit Blick auf das Tatbestandsmerkmal der Verhaltensstörung das Zeitmoment ausblenden wollte. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf verwiesen, dass der Gesetzgeber ebenfalls durch Gesetz vom 25. Mai 1998 in § 16 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TierSchG das Tatbestandsmerkmal der „erheblichen Schmerzen“ dahingehend ergänzt hat, dass auch „erhebliche oder länger anhaltende Schmerzen“ ein Haltungsverbot rechtfertigen. Dadurch wird deutlich, dass durch den Begriff „erheblich“ nur eine bestimmte Intensität, nicht aber ein zeitlicher Aspekt umfasst ist. Eine entsprechende Differenzierung weist das Tierschutzgesetz im Hinblick auf Verhaltensstörungen nicht auf. Hätte der Gesetzgeber die Befugnis zur Fortnahme eines Tieres allein von einem bestimmten Intensitätsgrad einer Verhaltensstörung abhängig machen wollen, hätte er nicht eine schwerwiegende, sondern eine erhebliche Verhaltensstörung als Tatbestandsvoraussetzung formuliert.

Der Senat schließt sich der Einschätzung des Verwaltungsgerichts an, dass unter Berücksichtigung der aufgezeigten Maßstäbe die bei „Robby“ in Gestalt der Verarmung seines Verhaltensspektrums gegebene Verhaltensstörung als schwerwiegend einzustufen ist. Dies ergibt sich sowohl aus der Art als auch aus der Dauer der Verhaltensstörung. Mit Blick auf das Wesen von Primaten, das gerade durch soziale Fähigkeiten geprägt ist, die aus einem ständigen und vielschichtigen Sozialkontakt zu Artgenossen herrühren, ist die Verhaltensstörung von erheblicher Intensität. Der Sachverständige Dr. J. hat schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass „Robby“ zwar täglich zwei bis drei Stunden Aufmerksamkeit in Form direkter Interaktion und unmittelbaren Körperkontaktes insbesondere zum Kläger habe, dass er aber (mindestens) die verbleibende Tageszeit von mehr als 20 Stunden ohne adäquaten Sozialpartner verbringen müsse. Der zeitweise im Käfig von „Robby“ untergebrachte Hund stellt zwar eine Bereicherung der Haltungsbedingungen dar, ist aber kein Ersatz für den fehlenden Kontakt zu Artgenossen. Auch dem Zeitmoment kommt erhebliches Gewicht zu. Denn die zu der dargestellten Verhaltensstörung führenden Haltungsbedingungen bestehen bereits seit Jahrzehnten und werden sich im Rahmen der Zirkushaltung auch künftig nicht bessern.

2. Dem Beklagten sind bei der Auswahl der Maßnahme Ermessensfehler unterlaufen, die zur Rechtswidrigkeit der streitigen Anordnung führen.

Nach § 16 a Abs. 1 Satz 1 TierSchG trifft die Behörde die zur Beseitigung festgestellter und zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen. Der Wortlaut dieser Norm spricht dafür, dass der Behörde kein Entschließungsermessen zusteht, sondern dass sie bei festgestellten oder drohenden Verstößen gegen das Tierschutzgesetz nicht untätig bleiben darf, sondern einschreiten muss. Das „Wie“ des Einschreitens, d.h. die Wahl der konkreten Maßnahmen, steht dabei im Ermessen der Behörde. Ihr Auswahlermessen wird durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geleitet und beschränkt (vgl. Hirt/Maisack/Moritz, a.a.O., § 16 a, Rn. 5 f. m.w.N.).

Hier liegt ein Ermessensdefizit vor, weil der Beklagte hinsichtlich der Frage, ob die von ihm ausgewählte Maßnahme, d.h. die angeordnete Abgabe des Schimpansen an eine auf die Resozialisierung von Schimpansen spezialisierte Haltungseinrichtung, dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt und insbesondere angemessen ist, nicht alle betroffenen Belange berücksichtigt und wesentliche Gesichtspunkte falsch gewichtet hat.

a. Ein wesentlicher Aspekt, den der Beklagte nicht berücksichtigt hat, ist der Umstand, dass der Schimpanse „Robby“ auch nach einer erfolgreichen Resozialisierung in einer spezialisierten Haltungseinrichtung nicht in einer artgerechten Schimpansengruppe, wie sie das Säugetiergutachten vorsieht, sondern sehr wahrscheinlich nur zu zweit 
oder zu dritt mit ebenfalls ursprünglich verhaltensgestörten Schimpansen gehalten werden würde.

Der Sachverständige Dr. J. hält es für nahezu unmöglich, dass „Robby“ erfolgreich in eine Schimpansengruppe in einem Zoo integriert werden kann. Eine Haltung des Schimpansen in einem nach den Vorgaben des Säugetiergutachtens artgemäßen Tierverband, der die Bildung flexibler Gruppierungen mit der Möglichkeit zu ständiger sozialer Interaktion zulässt („fission-and-fusion“- Gruppen), kommt daher für „Robby“ nicht in Betracht. Dementsprechend hat der Beklagte auch die dauerhafte Abgabe an eine auf die Resozialisierung von Schimpansen spezialisierte Haltungseinrichtung wie G. und nicht die Abgabe an einen Zoo angeordnet. Wie sich den von dem Sachverständigen Dr. J. herangezogenen Beschreibungen der Haltungseinrichtung G. über die Resozialisierung einzelner Schimpansen entnehmen lässt, werden dort nach einer erfolgreichen Resozialisierung die Schimpansen teilweise (nur) zu zweit oder zu dritt gehalten. D.h. auch in einer solchen Haltungseinrichtung würde „Robby“ - nach unterstellt erfolgreicher Eingewöhnung - mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht in einem artgemäßen Tierverband leben, sondern möglicherweise (nur) zusammen mit einem oder zwei ebenfalls (ursprünglich) verhaltensgestörten Schimpansen als Partner. Der Sachverständige Dr. J. hat ausgeführt, dass das Sozialleben von Schimpansen durch einen ständigen Wechsel von Bündnissen, Unterstützung und Gegnerschaft geprägt sei und dass die Möglichkeit zu einem solchen Interagieren, insbesondere die Möglichkeit zu einem Einwirken auf eine Veränderung bestehender Hierarchien, „Robby“ vollkommen fehle. Dass dies bei einer paarweisen Haltung von Schimpansen grundlegend anders wäre, erschließt sich dem Senat nicht. Auch eine Gruppe von drei Schimpansen stellt noch keine „fission-and-fusion“- Gruppe im Sinne des Säugetiergutachtens dar, die flexible Gruppierungen zulässt. Dass es bei G., wie der Sachverständige bei seinem Besuch der Einrichtung feststellen konnte, auch größere Gruppen mit maximal sechs Schimpansen gibt, schließt jedenfalls nicht aus, dass „Robby“ nur paarweise gehalten werden könnte. Der Sachverständige hat von G. als Beispiele für eine erfolgreiche Resozialisierung von Schimpansen mit einer ähnlichen Vorgeschichte wie „Robby“ eine Zusammenstellung von fünf Fallbeispielen erhalten. Dazu gehört der männliche kastrierte Schimpanse „Mojo“, der bei seiner Aufnahme in der Einrichtung im Jahre 2011 zwischen 30 bis 40 Jahre alt war und mindestens 30 Jahre ohne Artgenossen gelebt hatte. Für „Mojo“ konnte erst nach über dreieinhalb Jahren und mehreren erfolglosen Resozialisierungsversuchen der Schimpanse „Freddy“ als Partner gefunden werden. Da „Mojo“ vom Alter und der Vorgeschichte her mit „Robby“ vergleichbar ist, muss auch bei „Robby“ ernsthaft in Betracht gezogen werden, dass er ggf. dauerhaft nur mit einem artgemäßen Sozialpartner gehalten werden kann. Bei einer solchen Haltung könnte er aber nicht alle jetzt erzwungenermaßen nicht möglichen Verhaltensweisen ausleben.

Der von dem Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat herausgestellte Vorteil, dass „Robby“ nach einer erfolgreichen Eingewöhnung in der Resozialisierungseinrichtung zumindest einen ständigen Sozialpartner hätte, zu dem er jederzeit Kontakt aufnehmen könnte, würde sicherlich eine Verbesserung der Haltungsbedingungen darstellen. Dieser Vorteil reicht für sich genommen aber nicht aus, um die Abgabe des Schimpansen an eine Resozialisierungseinrichtung angesichts der damit verbundenen und bisher nicht hinreichend bewerteten Risiken (dazu b.) als angemessen anzusehen.

b. Der Beklagte hat bei seiner Entscheidung die mit der Abgabe des Schimpansen „Robby“ an eine Resozialisierungseinrichtung für Schimpansen verbundenen Risiken nicht richtig und umfassend eingeschätzt.

aa. Der Sachverständige Dr. J. hat in seinem Gutachten vom 12. Februar 2017 ausführlich geschildert, wie eine Resozialisierung von Schimpansen in der Haltungseinrichtung G. abläuft, und dabei auch die ihm anlässlich seines Besuchs in der Einrichtung am 5. und 6. Januar 2017 zur Verfügung gestellten Berichte über fünf der dort gehaltenen Tiere berücksichtigt. Zum damaligen Zeitpunkt wurden von G. 52 Schimpansen gehalten, davon 43 in dem Komplex in O., Holland, den der Gutachter besichtigt hat, und neun in einem neueren Komplex in Südspanien. In O. befanden sich zwei Schimpansen in der Quarantäneeinrichtung, 26 ehemalige mit SIV, STLV oder Hepatitis infizierte Laborschimpansen unter Biosicherheitsbedingungen, die weitgehend normal geprägt waren und in sozialen Gruppen gelebt hatten, sowie 15 infektionsfreie Schimpansen, von denen etliche starken bis sehr starken menschlichen Bezug hatten und teilweise lange von Artgenossen getrennt gehalten wurden. Zu der letzteren Gruppe gehören die fünf Tiere, zu denen der Sachverständige nähere Informationen erhalten hat. Nach den Ausführungen des Sachverständigen bleiben die Tiere bei einer Ankunft in der Einrichtung zunächst für drei Monate in Quarantäne. In dieser Zeit, in der die Tiere regelmäßig allein leben, erfolgen drei Narkosen mit Untersuchungen und Blutentnahmen zur Abklärung des Gesundheitszustandes und des Infektionsstatus. Anschließend wird aufgrund der Beobachtung des Verhaltens des neu angekommenen Schimpansen entschieden, mit welchem oder welchen in der Einrichtung lebenden Schimpansen eine Zusammenführung versucht werden soll. Die Zusammenführung erfolgt in der Weise, dass zunächst nur ein Kontakt durchs Gitter zugelassen, bei positiven Reaktionen dann ein Zwischenschieber einen Spalt breit aufgezogen wird, so dass ein Arm hindurchpasst, und bei weiterhin friedlicher Kontaktaufnahme der Schieber ein Stück weiter und zum Schluss ganz geöffnet wird. Der Sachverständige hat darauf hingewiesen, dass derartige Zusammenführungen lediglich 30 Minuten dauern können, sich aber auch über Monate hinziehen können. Hinzu kommt, dass ein solcher Versuch auch scheitern kann und sich ggf. weitere erfolglose Versuche anschließen können, bevor eine Zusammenführung gelingt. So war bei dem bereits erwähnten Schimpansen „Mojo“ erst der vierte Versuch im November 2014 erfolgreich, so dass die Resozialisierung über dreieinhalb Jahre dauerte. Zwar soll es sich bei „Mojo“ um von über 50 aufgenommenen Schimpansen einen der beiden schwierigsten Fälle gehandelt haben, da er nicht groomte (andere nicht „lauste“) und auch eine größere Futterumstellung durchmachen musste. Sozialisationsversuche scheiterten an seiner sozialen Inkompetenz und regelmäßigen Futterverweigerungen, weshalb er zeitweise mit Antidepressiva behandelt werden musste. Wie sich bei „Robby“ eine Zusammenführung mit anderen Schimpansen gestalten würde, kann nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden. Der Sachverständige hält eine Resozialisierung für möglich und erwartet einen Erfolg mit hoher Wahrscheinlichkeit, weil „Robby“ in seiner Jugend zumindest schon auf juvenile Schimpansen getroffen ist und mit diesen interagierte, zudem Körperkontakt zu Menschen und Hunden kennt und seine Kraft diesen gegenüber einschätzen kann sowie zu sozialen Handlungen wie dem Grooming im Stande ist.

Das nach Auffassung des Sachverständigen am höchsten einzustufende Risiko ist, dass sich eine Resozialisierung (ähnlich wie bei „Mojo“) über einen sehr langen Zeitraum hinziehen könnte. In dieser Phase würde der Schimpanse aufgrund verschiedener Faktoren wie dem komplett neuen Umfeld, den geänderten Tagesabläufen und dem Trennungsschmerz nach Aussage des Sachverständigen leiden. Eine solche Leidensphase könnte auch stärker empfunden werden als die jetzige und verhältnismäßig länger dauern als eine sich daran anschließende Erfolgsperiode. Möglicherweise wäre der vorübergehende Einsatz von Psychopharmaka notwendig.

Der Senat folgt dem Sachverständigen nicht, soweit dieser eine sehr lange Resozialisierungsphase ähnlich wie bei „Mojo“ für mäßig bis praktisch unwahrscheinlich hält. Denn „Mojo“ ist eines von nur fünf Tieren, zu denen nähere Angaben vorliegen, und vom Alter und der Vorgeschichte, insbesondere aufgrund der in beiden Fällen 30 bis 40 Jahre dauernden Haltung ohne Kontakt zu anderen Schimpansen, durchaus mit „Robby“ vergleichbar. Dass „Robby“ nach Auffassung des Sachverständigen anders als „Mojo“ über eine gewisse soziale Kompetenz verfügt, weil er Kontakt zu einem Hund hat, hält der Senat nicht für ausreichend, um das Risiko für „Robby“ als mäßig bis praktisch unwahrscheinlich einzustufen. Insofern muss auch bei „Robby“ die Möglichkeit, dass eine Eingewöhnung und Sozialisierung mit einem anderen Schimpansen mehrere Jahre dauern könnte und „Robby“ während dieser Phase leiden würde, ernsthaft in Betracht gezogen und dieses Risiko entsprechend stärker gewichtet werden.

bb. Im Zusammenhang mit dem - zu niedrig bewerteten - Risiko einer ggf. über drei Jahre dauernden Resozialisierungsphase, in der der Schimpanse leiden würde, ist auch das Lebensalter von „Robby“ nicht hinreichend berücksichtigt worden.

Nach Angaben des Sachverständigen liegt die Lebenserwartung von Schimpansen im Zoo bei bis zu 60 Jahren. Allerdings waren nach dem internationalen Zooregister zum Zeitpunkt der Erstellung des Sachverständigengutachtens nur 10 % der weltweit in Zoos lebenden Schimpansen zwischen 40 und 60 Jahre alt und davon nur wenige über 55 Jahre alt. Nach dem Stand des internationalen Zooregisters am 27. März 2018 waren nur 10 männliche und 21 weibliche Tiere von insgesamt 1.077 Schimpansen über 44 Jahre alt. Damit steht fest, dass nur wenige der weltweit in Zoos gehaltenen männlichen Schimpansen älter sind als „Robby“. Mit seinem Alter von 43 Jahren befindet sich „Robby“ damit in seinem letzten Lebensabschnitt und gehört zu den „Schimpansenopas“. Der nur noch geringen Lebenserwartung kommt im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ein ganz erhebliches Gewicht zu, welches insbesondere angesichts des Risikos einer langen Resozialisierungsphase gegen eine Abgabe des Schimpansen spricht.

cc. Weiterhin ist nicht berücksichtigt worden, dass „Robby“ möglicherweise an einer bisher unerkannten, bei großen Menschenaffen im Alter verstärkt auftretenden Herzerkrankung leidet.

In dem vom Kläger vorgelegten Gutachten vom 20. Juni 2017 hält Dr. S. es für erforderlich, Tiere mit organischem Leiden wie einem Herzleiden von einer Resozialisierung ganz auszuschließen, da sie dem zusätzlichen Stress nicht ausgesetzt werden dürften. Er verweist darauf, dass eine u.a. vom Europäischen Zooverband großangelegte Studie zu Herzkrankheiten bei großen Menschenaffen initiiert worden sei, nachdem verstärkt Herzerkrankungen auch bei Schimpansen aufgetreten und tödlich verlaufen seien. Der Sachverständige Dr. J. hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat angegeben, dass er in seinem Gutachten das Risiko einer Herzerkrankung wie auch andere altersbedingte Erkrankungen nicht ausdrücklich genannt habe. Eine solche Herzerkrankung sei aber durchaus denkbar. Sollte „Robby“ an einer Herzerkrankung leiden, sei das Risiko für ihn im Falle einer Narkose oder durch Stress erhöht. Aus diesen sachverständigen Äußerungen folgt für den Senat, dass die Möglichkeit einer unerkannten Herzerkrankung als maßgeblicher Gesichtspunkt ebenfalls mit hinreichendem Gewicht in die Ermessensentscheidung einzustellen ist. Denn bei einer Aufnahme des Schimpansen in der Einrichtung G. würde dieser in den ersten drei Monaten insgesamt dreimal für notwendige Untersuchungen zur Abklärung seines Gesundheitszustandes narkotisiert und somit im Falle einer Herzerkrankung einem erhöhten Risiko ausgesetzt werden, während der Narkose zu sterben. Hinzu käme der aufgrund der veränderten Lebensumstände eintretende Stress, der bei einer bestehenden Herzerkrankung das Risiko ebenfalls erhöht. Ob bei „Robby“ eine Herzerkrankung vorliegt, könnte auch nicht festgestellt werden, ohne das Narkoserisiko in Kauf zu nehmen. Denn eine Untersuchung zur Abklärung einer Herzerkrankung könnte, wie der Sachverständige nachvollziehbar dargelegt hat, nur unter Narkose durchgeführt werden.

dd. Darüber hinaus ist auch das Risiko, dass eine Resozialisierung scheitern könnte, nicht mit hinreichendem Gewicht in die Abwägung einbezogen worden.

Bei einem endgültigen Scheitern der Resozialisierungsversuche ist weder eine Einzelhaltung in der Einrichtung G. noch eine Rückkehr zum Kläger vorgesehen. Vielmehr würde „Robby“, wenn auch nach mehreren Jahren kein Sozialpartner gefunden werden könnte, getötet werden. Das Risiko einer Tötung schätzt der Sachverständige aufgrund der bisherigen Erfahrungsberichte von G., nach deren Angaben die Resozialisierung bei allen aufgenommenen Schimpansen gelungen und nur bei zwei von über 50 aufgenommenen Schimpansen eine Tötung überhaupt in Erwägung gezogen, aber nicht durchgeführt worden ist, zwar als sehr unwahrscheinlich ein. Diese Risikoeinschätzung begegnet aber Bedenken, weil als Vergleichsgruppe offensichtlich alle aufgenommenen Schimpansen und nicht nur die mit „Robby“ vergleichbaren Fälle aus langjähriger Haltung ohne Artgenossen herangezogen worden sind. Ausgehend von den von G. zur Verfügung gestellten Berichte über die fünf mit „Robby“ vergleichbaren Schimpansen ist immerhin in einem Fall („Mojo“) eine Tötung in Betracht gezogen worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Soweit die Beteiligten hinsichtlich der Erlaubnis zur Zurschaustellung des Schimpansen den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, entspricht es billigem Ermessen, dem Beklagten auch insofern die Kosten aufzuerlegen, weil er dem Begehren des Klägers durch Erteilung der Erlaubnis mit Bescheid vom 16. Januar 2018 nachgekommen ist.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.