Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.11.2018, Az.: 10 LA 366/18

Belehrung; betreutes Wohnen; Jugendhilfe; Kostenbeitrag; Kostenbeitragspflicht; Leistungsart; Mitteilung; Pflegefamilie; Vollzeitpflege; Wechsel

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
30.11.2018
Aktenzeichen
10 LA 366/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 74283
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 15.08.2018 - AZ: 13 A 1879/18

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Bei einem Wechsel der Jugendhilfeleistungsart ist der Kostenbeitragspflichtige erneut gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII zu belehren.
2. Der Wechsel von der Hilfe in Vollzeitpflege bei einer Pflegefamilie (§ 33 SGB VIII) zur Hilfe in Form betreuten Wohnens (§ 34 SGB VIII) stellt einen Wechsel der Leistungsart dar.
3. Wird eine der in § 91 Abs. 1 Nr. 5 und 6 SGB VIII genannten Leistungen in unveränderter Form über den Eintritt der Volljährigkeit des Jugendlichen hinaus fortgesetzt, erfordert allein dieser Umstand keine erneute Belehrung.

Tenor:

Der Antrag der Beklagten, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichterin der 13. Kammer - vom 15. August 2018 zuzulassen, wird abgelehnt, soweit das Verwaltungsgericht den Kostenbeitragsbescheid der Beklagten vom 29. März 2018 betreffend den Festsetzungszeitraum vom 20. August 2017 bis zum 31. Dezember 2017 aufgehoben hat.

Im Übrigen, soweit das Verwaltungsgericht den Kostenbeitragsbescheid der Beklagten vom 29. März 2018 auch betreffend den Festsetzungszeitraum vom 1. August 2017 bis zum 19. August 2017 aufgehoben hat, wird die Berufung gegen das genannte Urteil des Verwaltungsgerichts auf den Antrag der Beklagten zugelassen.

Das Antragsverfahren wird insoweit als Berufungsverfahren unter dem Aktenzeichen 10 LB 401/18 fortgesetzt.

Die Beklagte trägt im Umfang der Ablehnung des Zulassungsantrags die außergerichtlichen Kosten des gerichtkostenfreien Zulassungsverfahrens zu vier Fünfteln. Im Übrigen, soweit die Berufung zugelassen worden ist, bleibt die Kostenentscheidung der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

Der Antrag der Beklagten, die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen, hat überwiegend keinen Erfolg (1.). Im Übrigen ist jedoch auf ihren Antrag die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts zuzulassen (2.).

1. Der Antrag hat keinen Erfolg, soweit das Verwaltungsgericht den Kostenbeitragsbescheid der Beklagten vom 29. März 2018 betreffend den Festsetzungszeitraum vom 20. August 2017 bis zum 31. Dezember 2017 aufgehoben hat, da die von der Beklagten geltend gemachten Zulassungsgründe ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) insoweit nicht vorliegen.

Hinsichtlich dieses Zeitraums hat das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid zu Recht mit der Begründung aufgehoben, dass bei einem Wechsel der Hilfeart eine neue Belehrung gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII erfolgen muss, die hier jedoch unterblieben ist. Insoweit bestehen daher keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils.

Nach § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII kann ein Kostenbeitrag bei Eltern, Ehegatten und Lebenspartnern ab dem Zeitpunkt erhoben werden, ab welchem dem Pflichtigen die Gewährung der Leistung mitgeteilt und er über die Folgen für seine Unterhaltspflicht gegenüber dem jungen Menschen aufgeklärt wurde. Über den Wortlaut der Vorschrift hinaus ist auch ein deutlicher Hinweis auf die mögliche Kostenbeitragspflicht erforderlich (BVerwG, Urteil vom 11.10.2012 - 5 C 22.11 -, juris Rn. 12; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 08.12.2014 - 4 LA 46/14 -, juris Rn. 8). Die Mitteilung über die Gewährung der Leistung ist im Gesetz deshalb vorgesehen, weil an die jugendhilferechtliche Leistungserbringung unterhaltsrechtliche und kostenbeitragsrechtliche Folgen anknüpfen, über die zu belehren ist. Insbesondere die kostenbeitragsrechtlichen Folgen erfordern es, dass in dem Hinweis auf die Gewährung der Leistung die konkrete Art der im Einzelfall erbrachten Jugendhilfeleistung genannt wird. Denn nur bei einer konkreten Bezeichnung der Leistung wird der Empfänger der Mitteilung in die Lage versetzt, aus ihrem Inhalt nachzuvollziehen, dass die Leistungsgewährung gemäß § 91 Abs. 1 und 2 SGB VIII eine Kostenbeitragspflicht auszulösen vermag und dass er zu dem nach § 92 Abs. 1 SGB VIII gerade für diese Einzelleistung festgelegten Kreis der beitragspflichtigen Personen gehört. Außerdem soll die Belehrung nach § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII es den unterhaltspflichtigen Personen ermöglichen, im Hinblick auf die drohende Kostenbeitragspflicht vermögensrechtliche Dispositionen zu treffen, insbesondere Rücklagen für die Beitragszahlung zu bilden (BVerwG, Urteil vom 11.10.2012 - 5 C 22.11 -, juris Rn. 12; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 08.12.2014 - 4 LA 46/14 -, juris Rn. 8; Senatsbeschluss vom 27.08.2018 - 10 LA 7/18 -, juris Rn. 18).

Aus diesen Zwecken der Belehrung folgt zugleich, dass bei einem Wechsel der gewährten Jugendhilfeleistungsart eine erneute Belehrung nach § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII zu erfolgen hat, in der die neue Leistungsart benannt wird, und dass eine Kostenbeitragserhebung ab dem Wechsel der Leistungsart bis zu dem Zeitpunkt der erneuten Belehrung ausscheidet. Denn nur bei einer konkreten Bezeichnung der neuen Leistung wird der Empfänger der Mitteilung in die Lage versetzt, aus ihrem Inhalt nachzuvollziehen, dass die auch die geänderte Leistungsgewährung eine Kostenbeitragspflicht auszulösen vermag und er - nach wie vor - zu dem Kreis der beitragspflichtigen Personen gehört (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 08.12.2014 - 4 LA 46/14 -, juris Rn. 8; Senatsbeschluss vom 27.08.2018 - 10 LA 7/18 -, juris Rn. 18).

Hier erfolgte ein Wechsel der Leistungsart am 20. August 2017. Denn bis zum 19. August 2017 war die am 9. Dezember 1997 geborene Tochter des Klägers bei einer Pflegefamilie untergebracht. Die Beklagte gewährte ihr dementsprechend Hilfe für junge Volljährige in Form der Vollzeitpflege gemäß § 41 Abs. 1 und 2 Satz 1 i.V.m. § 33 SGB VIII. Ab dem 20. August 2017 gewährte die Beklagte der Tochter des Klägers jedoch Hilfe für junge Volljährige in Form des betreuten Wohnens gemäß § 41 Abs. 1 und 2 Satz 1 i.V.m. § 34 SGB VIII. Entgegen der Auffassung der Beklagten liegt es auf der Hand, dass es sich hierbei um unterschiedliche Hilfearten handelt. Denn auch wenn es sich in beiden Fällen um “vollstationäre Leistungen“ im Sinne des § 91 Abs. 1 Nr. 5 a) und b) SGB VIII handelt, worauf die Beklagte hinweist, unterscheiden sich die Vollzeitpflege in einer Pflegefamilie und die Hilfe in einer betreuten Wohnform grundlegend hinsichtlich Ausgestaltung und Zielsetzung der Hilfe (vgl. diesbezüglich im Einzelnen § 33 Satz 1 SGB VIII einerseits und § 34 SGB VIII, insbesondere § 34 Satz 2 SGB VIII, andererseits). Nur aufgrund einer erneuten Belehrung mit einer konkreten Bezeichnung der ab dem 20. August 2017 gewährten neuen Leistung hätte der Kläger nachvollziehen können, dass auch die neue Hilfeform gemäß § 91 Abs. 1 und 2 SGB VIII eine Kostenbeitragspflicht auslöst und er zu dem nach § 92 Abs. 1 SGB VIII gerade für diese Einzelleistung festgelegten Kreis der beitragspflichtigen Personen gehört. Der Kläger hätte deshalb für die Zeit ab dem 20. August 2017 erneut gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII belehrt werden müssen. Da diese Belehrung unterblieben ist, ist der Bescheid vom 29. März 2018 im bezeichneten Umfang rechtswidrig und vom Verwaltungsgericht insoweit zu Recht aufgehoben worden.

Entgegen der Auffassung der Beklagten besteht insoweit auch keine Divergenz im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO zu dem Beschluss des Senats vom 27. August 2018 (a.a.O.). Zwar hat das Verwaltungsgericht eine Belehrungspflicht auch aus dem Eintritt der Volljährigkeit der Tochter des Klägers am 9. Dezember 2015 hergeleitet, doch beruht sein Urteil im bezeichneten Umfang nicht hierauf, da es selbstständig tragend auf den Wechsel der Hilfeart abgestellt hat.

Die Rechtssache hat insoweit auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, da es in der oben wiedergegebenen Rechtsprechung bereits geklärt ist, dass bei einem Wechsel der Hilfeart eine neue Belehrung gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII zu erfolgen hat. Dass bei einem Wechsel von Vollzeitpflege in einer Pflegefamilie zur Hilfe in Form des betreuten Wohnens ein Wechsel der Hilfeart vorliegt, ergibt sich - wie oben ausgeführt - ohne weiteres bereits aus dem Gesetz. Entgegen der Auffassung der Beklagten verleiht die von ihr zur Begründung dieses Zulassungsgrunds aufgeworfene Frage, „wann eine neue Leistungsart gegeben ist, insbesondere ob diese bei einem Wechsel von einer stationären in eine andere stationäre Hilfe vorliegt“, der Rechtssache daher keine grundsätzliche Bedeutung.

2. Auf den Antrag der Beklagten ist die Berufung hingegen wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen, soweit das Verwaltungsgericht den Kostenbeitragsbescheid der Beklagten vom 29. März 2018 auch betreffend den Festsetzungszeitraum vom 1. August 2017 bis zum 19. August 2017 aufgehoben hat.

Insoweit hat das Verwaltungsgericht übersehen, dass der Wechsel der Hilfeart erst zum 20. August 2017 erfolgt ist. Zwar gewährte die Beklagte der Tochter des Klägers zunächst mit Bescheid vom 8. August 2017 Hilfe für junge Volljährige in Form von betreutem Wohnen ab dem 1. August 2017. Da die Tochter des Klägers tatsächlich jedoch erst am 20. August 2017 in das betreute Wohnen wechseln konnte, änderte die Beklagte diesen Bescheid mit weiterem Hilfebescheid vom 12. Oktober 2017 dahingehend, dass die Hilfe für junge Volljährige in Form von betreutem Wohnen für die Zeit ab dem 20. August 2017 gewährt wird. Erst ab diesem Zeitpunkt liegt daher ein Wechsel der Hilfeart vor, der eine erneute Belehrung gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII erforderte.

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ergibt sich eine Belehrungspflicht für die Zeit vor dem 20. August 2017 auch nicht aus dem Eintritt der Volljährigkeit der Tochter des Klägers am 9. Dezember 2015.

Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 27. August 2018 (a.a.O., juris Rn. 19) entschieden, dass wenn die Jugendhilfeleistung in völlig unveränderter Form über den Eintritt der Volljährigkeit des Jugendlichen weiter gewährt wird, eine erneute Belehrung gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII nicht erforderlich ist. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts hat auch der zuvor für die Jugendhilfe zuständig gewesene 4. Senat diesbezüglich keine andere Auffassung vertreten. In dem vom Verwaltungsgericht zitierten Beschluss vom 8. Januar 2014 (4 PA 324/13) hatte der 4. Senat entschieden, dass die Heranziehung des dortigen Klägers zu einem Kostenbeitrag für die seiner Tochter gewährte Jugendhilfe für die Zeit vom 8. Juni 2010 bis zum 18. November 2011 bereits deshalb ausscheide, weil die nach § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII erforderliche Unterrichtung des Klägers erst mit Schreiben vom 15. November 2011 (erstmals) erfolgt und dieses dem Kläger erst am 18. November 2011 bekannt gegeben worden sei. Auch im Übrigen findet sich in diesem Beschluss kein Hinweis darauf, dass allein der Eintritt der Volljährigkeit des Jugendlichen zu einer erneuten Belehrungspflicht gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII führt.

Auch hier hat die Jugendhilfeleistung in der Pflegefamilie in völlig unveränderter Form über den Eintritt der Volljährigkeit der offenbar nicht über eigene Einkünfte oder Vermögen verfügenden Tochter des Klägers hinaus stattgefunden. Zwar unterscheiden sich die Anspruchsvoraussetzungen für die Hilfe zur Erziehung gemäß § 27 SGB VIII und für die Hilfe für junge Volljährige gemäß § 41 SGB VIII. Doch ändert sich die Verpflichtung zur Leistung von Kostenbeiträgen in keiner Weise, wenn die in § 91 Abs. 1 Nr. 5 und 6 SGB VIII genannten Leistungen, zu denen die in § 91 Abs. 1 Nr. 5 a) SGB VIII aufgeführte Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII gehört, in unveränderter Form über den Eintritt der Volljährigkeit hinaus fortgesetzt werden. Denn gemäß § 91 Abs. 1 Nr. 8 SGB VIII werden Kostenbeiträge auch zu der Hilfe für junge Volljährige erhoben, soweit sie den in den Nummern 5 und 6 genannten Leistungen entspricht; nach § 92 Abs. 1 Nr. 5 SGB VIII werden Elternteile zu den Kosten der in § 91 Abs. 1 SGB VIII genannten Leistungen herangezogen. Da die Hilfe in unveränderter Form fortgesetzt wurde, bestand für den Kläger auch kein Anlass, (erneut) zu prüfen, ob die gewährte Leistung zu den in § 91 Abs. 1 SGB VIII aufgeführten Leistungen zählt. Für den Kläger hat sich demnach weder die unterhaltsrechtliche noch die kostenbeitragsrechtliche Situation verändert. Die genannten Zwecke der Belehrung erforderten hier daher nach der mit Schreiben vom 2. Juli 2015 erfolgten und den Anforderungen nach § 92 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII genügenden ersten Belehrung des Klägers keine erneute Belehrung.

Die Kostenentscheidung für das Zulassungsverfahren beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Sie berücksichtigt, dass die Beklagte im Zulassungsverfahren zu etwa vier Fünfteln unterlegen ist. Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung in einer Instanz steht dem nicht entgegen, weil der nicht zugelassene Teil des Streitgegenstands die Berufungsinstanz nicht erreicht (vgl. Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 124a Rn. 90; Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124a Rn. 294).

Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 188 VwGO.

Mit der teilweisen Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil in diesem Umfang rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO). Soweit die Berufung zugelassen worden ist, wird das Zulassungsverfahren als Berufungsverfahren fortgeführt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (§ 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO). Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht, Uelzener Straße 40, 21335 Lüneburg, oder Postfach 2371, 21313 Lüneburg, einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig (§ 124a Abs. 3 Sätze 3 bis 5 und Abs. 6 VwGO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).