Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 30.10.2018, Az.: 7 LA 53/18

Einzelrichter; gesetzlicher Richter; Übertragungsbeschluss; fehlende Unterschrift; Verfahrensmangel

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
30.10.2018
Aktenzeichen
7 LA 53/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 74240
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 14.06.2018 - AZ: 11 A 3178/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Fehlt es an einem wirksamen Übertragungsbeschluss gemäß § 6 Abs. 1 VwGO, stellt sich eine gleichwohl ergehende Einzelrichterentscheidung als objektiv willkürlicher Verstoß gegen die Garantie des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar.

Tenor:

Auf den Antrag des Klägers wird die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 11. Kammer (Einzelrichterin) - vom 14. Juni 2018 zugelassen.

Das Berufungsverfahren wird unter dem Aktenzeichen 7 LB 85/18 geführt.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover vom 14. Juni 2018 hat Erfolg, da ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO).

Der Kläger rügt, dass das Gericht in erster Instanz nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen sei, da die Übertragung des Verfahrens von der Kammer des Verwaltungsgerichts auf die Einzelrichterin nicht ordnungsgemäß erfolgt sei. Das Urteil sei durch diesen Verfahrensfehler nicht vom gesetzlichen Richter erlassen worden, so dass es bereits aus diesem Grund aufzuheben sei.

Dieser vom Kläger dargelegte Verfahrensmangel der nicht vorschriftsgemäßen Besetzung des erkennenden Gerichts führt zum Erfolg seines Berufungszulassungsantrags.

Der Rechtsstreit ist durch die Einzelrichterin entschieden worden, ohne dass ein den gesetzlichen Anforderungen genügender Übertragungsbeschluss gemäß § 6 Abs. 1 VwGO vorlag. Ausweislich des Inhalts der Akten (vgl. Blatt 80 GA) trägt der Einzelrichterübertragungsbeschluss vom 27. April 2018 nur zwei Unterschriften, nämlich die des Vorsitzenden der Kammer und derjenigen Richterin, die die mündliche Verhandlung durchgeführt hat. Die Unterschrift des dritten Kammermitglieds fehlt. Die Übertragung des Rechtsstreits auf die Einzelrichterin bzw. den Einzelrichter nach § 6 VwGO muss jedoch ausdrücklich (vgl. Funke-Kaiser in: Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, 7. Auflage 2018, § 6 Rn. 11) und durch (förmlichen) Beschluss der Kammer in der berufsrichterlichen Besetzung gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 VwGO erfolgen (vgl. Kronisch in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 6 Rn. 79; Geiger in: Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 6 Rn. 10). Ein Beschluss, mit dem der Rechtsstreit auf die Einzelrichterin bzw. den Einzelrichter übertragen wird, ist fehlerhaft zustande gekommen, wenn er nur zwei Unterschriften trägt und die Kammer nicht in der vollen Besetzung über die Übertragung des Rechtsstreits auf die Einzelrichterin bzw. den Einzelrichter beraten und abgestimmt hat (vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 03.09.1998 - 13 U 1/98 -, juris). Dass eine solche Beratung und Abstimmung der Kammer in der vollen Besetzung stattgefunden hätte, lässt sich dem Akteninhalt nicht entnehmen. Ohne das Vorliegen eines wirksamen Übertragungsbeschlusses hätte das Gericht aber in der Besetzung von drei Richtern und zwei ehrenamtlichen Richtern entscheiden müssen, vgl. § 5 Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz VwGO.

Fehlt es - wie hier - an einem wirksamen Übertragungsbeschluss, stellt sich eine gleichwohl ergehende Einzelrichterentscheidung als objektiv willkürlicher Verstoß gegen die Garantie des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG dar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15.10.2001 - 8 B 104.01 -, NVwZ-RR 2002, 150; Kronisch in: Sodan/Ziekow, a. a. O., § 6 Rn. 80). Dies gilt auch dann, wenn der entscheidende Richter irrig vom Vorliegen des Übertragungsbeschlusses ausging (vgl. OVG Frankfurt (Oder), Beschluss vom 18.08.2000 - 2 A 132/00.A -, NVwZ-RR 2001, 202 [OVG Brandenburg 18.08.2000 - 2 A 132/00.A]; Kronisch in: Sodan/Ziekow, a. a. O., § 6 Rn. 80). Bei der nicht vorschriftsgemäßen Besetzung des Gerichts handelt es sich um einen schweren Verfahrensmangel (vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 03.09.1998, a. a. O.; Geiger in: Eyermann, a. a. O., § 6 Rn. 10).

Die Entscheidung - d. h. das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 14. Juni 2018 - kann auch auf diesem Verfahrensmangel beruhen. Es genügt insoweit die Möglichkeit, dass der Mangel das Urteil beeinflusst hat. Wenn danach die Möglichkeit besteht, dass das Verwaltungsgericht ohne den Verfahrensmangel zu einem Ergebnis gekommen wäre, das den Beteiligten sachlich günstiger gewesen wäre, ist die Berufung zuzulassen. Bei den absoluten Revisionsgründen des § 138 VwGO wird unwiderlegbar vermutet, dass die Entscheidung auf der Gesetzesverletzung beruht. Das ist auch bei § 124 VwGO zu beachten (vgl. Rudisile in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 33. EL Juni 2017, § 124 Rn. 62, m. w. N.). Bei dem - hier vorliegenden - Verfahrensmangel der nicht vorschriftsgemäßen Besetzung des erkennenden Gerichts handelt sich um einen absoluten Revisionsgrund nach § 138 Nr. 1 VwGO. Es gilt damit die unwiderlegbare Vermutung, dass die Entscheidung auf der Gesetzesverletzung beruht. Ein weiterer Vortrag des Klägers hierzu war nicht erforderlich.

Da die Berufung des Klägers bereits auf der Grundlage des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen ist, erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit den weiteren Zulassungsgründen, welche der Kläger zur Begründung der begehrten Zulassung seines Rechtsmittels geltend macht.

Das Zulassungsverfahren wird als Berufungsverfahren fortgeführt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht (§ 124a Abs. 5 Satz 5 VwGO). Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist schriftlich bei dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht, Uelzener Straße 40, 21335 Lüneburg, oder Postfach 2371, 21313 Lüneburg, oder in elektronischer Form nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (ERVV) einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig (§ 124a Abs. 3 Sätze 3 bis 5 und Abs. 6 VwGO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).