Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.11.2018, Az.: 2 LB 50/17

50 %-Anker; Antwort-Wahl-Verfahren; absolute Bestehensgrenze; Bestehensgrenze; relative Bestehensgrenze; Bestehensregelung; Erfolgskontrolle; Exmatrikulation; Form; Form-Begriff; Formenverstoß; Gestaltungsspielraum; Hochschulautonomie; Humanmedizin; IMPP; Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen; leistungsnachweispflichtige Lehrveranstaltung; Mischcharakter; Multiple choice; Neubewertung; offene Fragen; Prüfungsbescheid; Prüfungsfragen; Prüfungsrecht; Prüfungsrichtlinie; weiterer Prüfungsversuch; Satzungsautonomie; Studienordnung; formale Voraussetzungen; Wiederholungsklausur; Wiederholungsversuch

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
14.11.2018
Aktenzeichen
2 LB 50/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74281
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 08.11.2016 - AZ: 4 A 171/15

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Zur Frage, ob sich die Regelung in einer universitären Studienordnung, wonach eine relative Bestehensgrenze mit einer absoluten Untergrenze kombiniert wird, im Rahmen der der Hochschule nach Art. 5 Abs. 3 GG zustehenden Hochschulautonomie bewegt (hier bejaht für die Festsetzung eines 50 %-Ankers).
2. Eine relative Bestehensregel, die nach Erstprüfung und Wiederholungsprüfung differenziert, ist rechtmäßig
3. Ein Anspruch auf bloßen Erlass eines Verwaltungsaktes und eines Widerspruchsbescheides besteht auch im Prüfungsrecht in der Regel nicht.

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Göttingen - Einzelrichterin der 4. Kammer - vom 8. November 2016 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen das endgültige Nichtbestehen der Erfolgskontrolle einer leistungsnachweispflichtigen Lehrveranstaltung.

Die Klägerin war seit dem Sommersemester 2013 Studentin der Humanmedizin an der Beklagten; sie hatte aufgrund eines Gerichtsbeschlusses (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 16.4.2014 - 2 NB 179/13 -) einen Teilstudienplatz inne. Am 23. Juli 2013 nahm sie erstmals erfolglos an der Erfolgskontrolle der leistungsnachweispflichtigen Lehrveranstaltung „Praktikum der Chemie für Mediziner“ teil. Die erste Wiederholungsklausur vom 9. September 2013 bestand sie ebenfalls nicht. Am 22. September 2014 bestand sie die im zweiten Wiederholungsversuch geschriebene Nachklausur wiederum nicht, weil sie lediglich 17 Punkte erlangte und die Bestehensgrenze bei 36 Punkten lag. Während die erste Klausur vom 23. Juli 2013 sowie die erste Wiederholungsklausur vom 9. September 2013 in üblicher (Papier-)Form durchgeführt wurden, fand die zweite Wiederholungsklausur vom 22. September 2014 als sogenannte „elektronische Klausur“ statt.

Mit Bescheid vom 23. Oktober 2014 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie auch die zweite Wiederholung für eine Erfolgskontrolle in der genannten Lehrveranstaltung nicht bestanden habe und der Erwerb einer Bescheinigung für die regelmäßige und erfolgreiche Absolvierung der genannten Lehrveranstaltung daher ausgeschlossen sei. Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein. Zur Begründung erklärte sie unter Vorlage einer Bescheinigung einer Fachärztin für Allgemeinmedizin vom 22. September 2014, sie sei am 22. September 2014 krankheitsbedingt nicht prüfungsfähig gewesen. In der genannten Bescheinigung ist ausgeführt, die Klägerin habe sich wegen einer depressiven Episode nicht auf die Chemieprüfung vorbereiten können und habe eigentlich erst in der Prüfungssituation gemerkt, dass sie nicht prüfungsfähig sei. Sie leide seit sechs Wochen unter schwersten Schlaf- und Anpassungsstörungen. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. März 2015 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin unter Auseinandersetzung mit den Anforderungen an den Nachweis einer Prüfungsunfähigkeit als unbegründet zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 22. April 2015 Klage erhoben. Zur Begründung hat sie eine Vielzahl von Einwendungen gegen die drei Prüfungsversuche erhoben. Mit Schreiben vom 28. Juli 2015 hat die Klägerin zudem Widerspruch gegen die Prüfungsergebnisse vom 23. Juli 2013 sowie vom 9. September 2013 eingelegt.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, sie zu drei weiteren Wiederholungsversuchen, hilfsweise zu zwei weiteren Wiederholungsversuchen, weiter hilfsweise zu einem weiteren Wiederholungsversuch in der leistungsnachweispflichtigen Lehrveranstaltung „Praktikum der Chemie für Mediziner“ zuzulassen und den entgegenstehenden Bescheid der Beklagten vom 23. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2015 sowie die Bescheide über das Nichtbestehen der Prüfungen vom 23. Juli 2013, vom 9. September 2013 sowie vom 22. September 2014 aufzuheben,

hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, über den Widerspruch der Klägerin vom 28. Juli 2015 zu entscheiden.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

und ist den Ausführungen der Klägerin im Einzelnen entgegengetreten.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 8. November 2016 als zum Teil unzulässig und im Übrigen als unbegründet abgewiesen. Ein Verfahren der Klägerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist in beiden Instanzen erfolglos geblieben (vgl. VG Göttingen, Beschl. v. 30.3.2016 - 4 B 379/15 - und Senatsbeschl. v. 20.7.2016 - 2 ME 90/16 -, juris). Zur Begründung der Klageabweisung hat das Verwaltungsgericht im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Die Klage sei unzulässig, soweit mit ihr die Aufhebung der Bescheide über das Nichtbestehen der Prüfungen vom 23. Juli 2013 sowie vom 9. September 2013 beantragt worden sei. Insoweit fehle es an der erforderlichen Durchführung eines ordnungsgemäßen Vorverfahrens. Die insoweit erzielten Prüfungsergebnisse seien bereits bestandskräftig geworden. Schon die Bekanntgabe des Misserfolgs des einzelnen Prüfungsversuchs stelle jeweils einen Verwaltungsakt dar. Die Klägerin habe erst im Sommer 2015 und damit zweifelsfrei nach Ablauf auch der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO Widerspruch gegen ihre Prüfungsergebnisse vom 23. Juli 2013 sowie 9. September 2013 eingelegt. Entgegen der Ansicht der Klägerin habe die Beklagte den Widerspruch der Klägerin vom 17. November 2014 in dem Widerspruchsbescheid vom 20. März 2015 nicht auch bezogen auf die früheren Prüfungsversuche sachlich beschieden.

Die Klage mit ihrem Antrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Zulassung zu einem Prüfungsversuch bzw. mehreren weiteren Prüfungsversuchen in der genannten Lehrveranstaltung sowie mit den Anträgen auf Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 23. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2015 und auf Aufhebung des Bescheides über das Nichtbestehen der Prüfung vom 22. September 2014 sei zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, sie zu einem Wiederholungsversuch bzw. mehreren weiteren Wiederholungsversuchen in der genannten leistungsnachweispflichtigen Lehrveranstaltung zuzulassen.

Bei dem von der Klägerin zu absolvierenden „Praktikum der Chemie für Mediziner“ handele es sich um eine leistungsnachweispflichtige Lehrveranstaltung. Diese habe die Klägerin nach den Bestimmungen der Studienordnung der Beklagten für den Studiengang Humanmedizin aus dem September 2013 endgültig nicht bestanden. Bedenken gegen die Rechtswirksamkeit dieser Studienordnung als Ganzes bestünden nicht. Ungeachtet dessen entspreche diese Studienordnung im Hinblick auf die streitgegenständlichen Regelungen derjenigen aus März 2013. Auf die Frage, ob die Beklagte die sogenannte Prüfungsrichtlinie vom 9. Februar 2015 angewendet habe, komme es nicht an.

Der dritte Prüfungsversuch vom 22. September 2014 sei weder mit formellen noch materiellen Fehlern behaftet. Die Klägerin rüge zu Unrecht einen Verstoß gegen § 8 Abs. 2 der Anlage 1 zur Studienordnung. Hiernach müsse eine Erfolgskontrolle im Rahmen einer leistungsnachweispflichtigen Lehrveranstaltung, die als Multiple-Choice-Prüfung durchgeführt werde, den formalen Voraussetzungen für Multiple-Choice-Prüfungsfragen des Instituts für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) entsprechen. Hieraus schließe die Klägerin zu Unrecht, die Beklagte dürfe ausschließlich die vom IMPP erstellten Prüfungsfragen verwenden, und die Antwortbögen müssten vom IMPP technisch ausgewertet werden. Die Klägerin rüge ohne Erfolg, dass bei diversen Aufgaben die Antworten nicht vorgegeben worden seien, sondern erst hätten ermittelt werden müssen. Nach der Studienordnung der Beklagten dürften Erfolgskontrollen auch nur teilweise im Multiple-Choice-Verfahren durchgeführt werden, könnten also Mischcharakter haben. Weiter moniere die Klägerin zu Unrecht, bei einigen Fragen seien die Aufgabenstellung und die Antwortmöglichkeiten nicht textlicher Art, sondern eine Darstellung chemischer Zeichnungen. Schließlich rüge die Klägerin im Ergebnis ohne Erfolg die Fragen Nr. 1 (Esterbildung), 19 (Aminosäuren) und 28 (Redoxverhalten von Alkoholen) als fehlerhaft. Denn selbst wenn sich diese Fragen als fehlerhaft erweisen würden, wäre der Prüfungsversuch vom 22. September 2014 nicht insgesamt als rechtswidrig anzusehen. Es würden sich nämlich nachträglich lediglich drei von 44 Fragen als unzulässig erweisen. Der sich ergebende Anteil unzulässiger Fragen sei nicht so groß, dass deswegen die Klausur keine taugliche Grundlage für die Einschätzung des Leistungsstandes der Prüflinge darstelle. Es liege auch kein belastbarer Anhaltspunkt dafür vor, dass aufgrund der Dauer der Prüfung vom 22. September 2014 die angefochtene Prüfungsentscheidung rechtsfehlerhaft sei. Dass die auf dem Server der Beklagten als Prüfungsleistung der Klägerin abgespeicherten Daten tatsächlich die von der dieser gewählten Prüfungsantworten wiedergeben würden, sei bereits deshalb anzunehmen, weil die Klägerin nicht behaupte, sie habe eine oder mehrere Prüfungsaufgaben tatsächlich anders beantwortet, als dies nunmehr von der Beklagten durch Vorlage des Prüfungsausdrucks dokumentiert werde. Die Klägerin rüge weiter zu Unrecht, dass die Wiederholungsprüfung vom 22. September 2014 als computergestützte Prüfung und damit in einer anderen Form durchgeführt worden sei, als die vorherigen beiden papierbasierten Prüfungen.

Weiter erhebe die Klägerin zu Unrecht Bedenken im Hinblick auf die Bestehensregelung in § 10 der Anlage 1 zur Studienordnung. Insbesondere griffen die Einwände der Klägerin gegen den sog. 50 %-Anker nicht durch. Dieser Anker finde seine sachliche Berechtigung in dem schützenswerten Interesse der Beklagten, im Bereich des ärztlichen „Basiswissens“ einen bestimmten Mindeststand zu gewährleisten. Der weitere Vortrag der Klägerin zu der Bestehensregelung beschränke sich im Wesentlichen darauf, Fragen zu stellen und zu erklären, der Gestaltungsspielraum bei der Satzungsgestaltung könne an dieser Stelle „möglicherweise überschritten“ sein, weil die statistische Bezugsgruppe von Zufällen abhängig gemacht werde. Im Weiteren könne die von der Klägerin aufgeworfene Frage offen bleiben, ob es sich bei der streitgegenständlichen Prüfung vom 22. September 2014 um eine Erfolgskontrolle im Multiple-Choice-Verfahren im Sinne von § 10 Satz 1 der Anlage 1 zur Studienordnung gehandelt habe. Die Klägerin weise zwar zu Recht darauf hin, dass die Prüfung nicht durchgängig Multiple-Choice-Fragen enthalte. Allerdings ergebe sich aus § 10 Satz 5 der Anlage 1 zur Studienordnung zweifelsfrei, dass der Ordnungsgeber das Erreichen von mindestens 50 % der möglichen Gesamtpunktzahl als absolute Untergrenze für das Bestehen einer jeden Erfolgskontrolle für erforderlich gehalten habe. Diese Grenze unterschreite die Klägerin mit den erzielten 17 Punkten von möglichen 60 Punkten deutlich. Dies gelte auch im Falle einer möglichen Eliminierung der Fragen 1, 19 und 28. Hierdurch würde sich die maximal erreichbare Punktzahl auf 54 reduzieren. Zum Erreichen der 50 %-Hürde wären folglich 27 Punkte erforderlich. Im Übrigen führe eine getrennte Betrachtung der beiden Aufgabentypen (Multiple-Choice-Fragen einerseits, „offene“ Fragen andererseits) nicht zu einem Überschreiten der in § 10 der Anlage 1 zur Studienordnung normierten Bestehensgrenzen. Denn die Klägerin habe bei den Multiple-Choice-Prüfungsfragen lediglich 14 von möglichen 43 Punkten erzielt; bei den offenen Fragen habe sie sogar nur 3 von möglichen 17 Punkten erreicht. Im Falle der Eliminierung der Fragen 1, 19 und 28 wären im Multiple-Choice-Teil maximal 37 Punkte zu erzielen gewesen; die offenen Fragen seien von der Eliminierung nicht betroffen, so dass dort unverändert 17 Punkte hätten erreicht werden können. Die von der Klägerin erreichten Punkte seien jeweils geringer als 50 % dieser Maximalpunktzahlen (18,5 im Multiple-Choice-Teil und 8,5 bei den offenen Fragen).

Der hilfsweise gestellte Antrag der Klägerin auf Verpflichtung der Beklagten, über den Widerspruch vom 28. Juli 2015 zu entscheiden, sei mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.

Hiergegen führt die Klägerin die von dem Senat zugelassene Berufung mit dem nunmehrigen Ziel der Zulassung zu einem weiteren Wiederholungsversuch in der streitgegenständlichen Lehrveranstaltung, hilfsweise der erneuten Bewertung der Prüfung vom 22. September 2014, sowie dem Ziel der Verpflichtung der Beklagten, ihren Widerspruch vom 28. Juli 2015 zu bescheiden. Sie stellt klar, dass sie nicht mehr an ihrer bisherigen Auffassung festhalte, dass der Widerspruchsbescheid vom 20. März 2014 eine Sachentscheidung auch im Hinblick auf die ersten beiden Prüfungsversuche darstelle. Zur Begründung ihrer Berufung hebt die Klägerin Folgendes hervor: Die Prüfung vom 22. September 2014 weiche entgegen Anlage 1 § 8 Abs. 2 der Studienordnung von den Vorgaben des IMPP ab. Die Frage, ob die Mehrfachauswahl-Aufgaben gegen allgemeine prüfungsrechtliche Grundsätze verstießen, könne dahinstehen. Denn jedenfalls entsprächen derartige Aufgaben nicht den verbindlich in Bezug genommenen IMPP-Hinweisen. Die Wiederholungsprüfung vom 22. September 2014 habe entgegen Anlage 1 § 12 Abs. 2 Satz 3 in einer von der Vorgängerprüfung abweichenden Prüfungsform stattgefunden. Die Bestehensregelung in § 10 der Anlage 1 sei fehlerhaft angewandt worden. Eine fehlerfreie Anwendung dieser Bestehensregelung sei auch gar nicht möglich gewesen. Die Regelung sei zugeschnitten auf Prüfungen, die ausschließlich im Antwort-Wahl-Verfahren durchgeführt würden; dies sei hier nicht der Fall gewesen. Die sogenannte Ankerklausel verstoße gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die unterschiedlichen Bestehensgrenzen in den einzelnen Prüfungsversuchen verstießen gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Sie habe entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts einen Anspruch auf Bescheidung ihres Widerspruchs vom 28. Juli 2015.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zu verpflichten, sie zu einem weiteren Wiederholungsversuch in der leistungsnachweispflichtigen Lehrveranstaltung „Praktikum der Chemie für Mediziner“ zuzulassen, und den Bescheid der Beklagten vom 23. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. März 2015 aufzuheben,

hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, die Prüfung vom 22. September 2014 nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bewerten,

2. die Beklagte zu verpflichten, über ihren Widerspruch vom 28. Juli 2015 zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und hebt ihrerseits hervor: Ein Verstoß gegen § 8 Abs. 2 der Anlage 1 der Studienordnung liege nicht vor. Sie sei lediglich verpflichtet, Prüfungsfragen entsprechend dem Standard der durch das IMPP erstellten Prüfungsfragen zu verwenden. Das IMPP-Abkommen enthalte keine Regelung über die formellen Voraussetzungen von Prüfungsfragen, sondern behandele lediglich die formale Korrektheit und die formale Qualität. Ebenso sei ein Verstoß gegen § 8 Abs. 1 und § 12 Abs. 2 Satz 3 der Anlage 1 der Studienordnung nicht gegeben. Nach § 8 Satz 1 könnten Erfolgskontrollen und Teilerfolgskontrollen mündlich, schriftlich oder praktisch in näher bestimmter Form, auch in Kombination dieser Formen sowie online an elektronischen Eingabegeräten durchgeführt werden. Als voneinander zu unterscheidende Formen seien auch nach Ansicht des Senats nur bestimmte Kontrollvarianten definiert. Ein Formwechsel liege hier nicht vor. Die Unterschiede zwischen einer elektronischen und einer schriftlichen Antwort-Wahl-Prüfung seien unwesentlich. Die Bestehensregelung in § 10 sei zutreffend angewandt worden. Das Verwaltungsgericht habe eine getrennte Betrachtung der beiden Aufgabentypen vorgenommen und sei zu dem Ergebnis gelangt, dass die von der Klägerin erreichten Punkte auch bei getrennter Betrachtung jeweils geringer als 50 % der Maximalpunkte seien. Eine absolute Bestehensgrenze („Ankergrenze“) von 50 % sei sachlich gerechtfertigt. Sie diene dazu, im Bereich des ärztlichen Basiswissens einen bestimmten Mindeststandard zu gewährleisten. Dieser sei erforderlich, da die Gesundheit der Bevölkerung ein besonders wichtiges Gemeinschaftsgut darstelle, dessen Schutz bei Ärzten strenge fachliche Maßstäbe und sogar einen gewissen Überschuss an Ausbildungs- und Prüfungsanforderungen rechtfertige. Eine lediglich am Durchschnittswissen von Prüflingen orientierte relative Bestehensgrenze berge demgegenüber die Gefahr, dass die Anforderungen an das Leistungsniveau von Medizinern nicht gewahrt würden. Die Gleitklausel für Wiederholungsklausuren und damit die unterschiedlichen Bestehensgrenzen lägen im Gestaltungsspielraum des Normgebers, der hier eingehalten sei. Trennscharfe Abgrenzungskriterien seien nicht nötig und möglich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht insgesamt abgewiesen.

Der Klage steht nicht entgegen, dass die Klägerin – soweit ersichtlich – zurzeit nicht mehr bei der Beklagten im Studiengang Humanmedizin immatrikuliert ist. Dieser Umstand hat nicht zur Folge, dass für das vorliegende Verfahren mangels aktueller Immatrikulation ein weiterer Prüfungsanspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten von vornherein nicht besteht. Die Exmatrikulation bei - wie hier - dreimaligem Nichtbestehen des Leistungsnachweises setzt zwar nicht die Rechtmäßigkeit und Bestandskraft des Prüfungsbescheides über das endgültige Nichtbestehen einer Prüfung voraus. Die Exmatrikulation stellt lediglich eine Folgeentscheidung des Prüfungsbescheides dar, deren Rechtmäßigkeit allein an dessen Existenz, nicht dagegen an dessen Bestandskraft oder Rechtmäßigkeit anknüpft. Aber jedenfalls hätte die Klägerin einen Anspruch auf erneute Immatrikulation, wenn sich die Prüfungsentscheidung als fehlerhaft erweisen und aufgehoben werden sollte (vgl. hierzu Senatsurt. v. 23.1.2018 - 2 LB 60/17 - sowie Bay. VGH Beschl. v. 3.2.2014 - 7 C 14.17 -, juris Rn. 4 und Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 649 m.w.N.).

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zulassung zu einem – wie mit dem Berufungsantrag nunmehr im Gegensatz zum erstinstanzlichen Antrag ausdrücklich nur noch beantragt – weiteren Wiederholungsversuch in der leistungsnachweispflichtigen Lehrveranstaltung „Praktikum der Chemie für Mediziner“ (dazu 1.). Ein Anspruch auf eine Neubewertung der Klausur vom 22. September 2014 besteht ebenfalls nicht (dazu 2.). Ebenso bleibt der Antrag auf Verpflichtung der Beklagten, den Widerspruch der Klägerin vom 28. Juli 2015 zu bescheiden, ohne Erfolg (dazu 3.).

1. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Zulassung zu einem weiteren Wiederholungsversuch in der genannten Lehrveranstaltung nicht zu.

Rechtsgrundlage des angegriffenen Bescheides ist § 12 Abs. 4 Satz 1 der Anlage 1 zur vom Fakultätsrat der Medizinischen Fakultät der Beklagten am 29. Juli 2013 beschlossenen Studienordnung für den Studiengang Humanmedizin an der Georg-August-Universität Göttingen (Amtliche Mitteilungen Nr. 44 v. 27.9.2013, S. 1738) - im Folgenden: StO -. Danach gilt die betreffende Lehrveranstaltung als endgültig nicht bestanden, wenn auch in der zweiten Wiederholungsprüfung die Erfolgskontrolle nicht bestanden wurde. Diese Voraussetzung ist hier gegeben. Die Klägerin hat den Leistungsnachweis in der Lehrveranstaltung „Praktikum der Chemie“ dreimal nicht bestanden. Unerheblich ist, dass diese Studienordnung nach ihrem § 15 die bisherige Studienordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. März 2013 (Amtliche Mitteilungen 15/2013, S. 399) ersetzt und daher auch für Studierende wie die Klägerin gilt, die ihr Studium bereits zuvor aufgenommen hatten. Denn die Lage dieser Studierenden hat sich durch die Neufassung in rechtlicher Hinsicht nicht verschlechtert. Einer Übergangsregelung bedurfte es insoweit schon deshalb nicht. Ungeachtet dessen haben Studierende keinen Anspruch darauf, ihr Studium nach der zum Zeitpunkt der Aufnahme des Studiums geltenden Studienordnung auch fortzusetzen und abzuschließen (Hess. VGH, Urt. v. 20.12.2016 - 10 C 1620/15.N -, juris Rn. 36).

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist Prüfungsmaßstab nicht die vom Fakultätsrat am 9. Februar 2015 verabschiedete sogenannte Prüfungsrichtlinie. Der Senat folgt der Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass diese Prüfungsrichtlinie für den im Jahr 2014 abgelegten zweiten Wiederholungsversuch – und auch für die vorherigen Prüfungsversuche in dem Jahr 2013 – nichts hergibt, und verweist ergänzend auf die Ausführungen in seinem Beschluss vom 20. Juli 2016 (- 2 ME 90/15 -, juris Rn. 8 f.), an denen er festhält. Auf die von der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren angeführten Fragen im Zusammenhang mit den in dieser Prüfungsrichtlinie festgelegten Grundsätzen kommt es daher – wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat – nicht entscheidungserheblich an.

a) Die erste Erfolgskontrolle vom 23. Juli 2013 sowie die erste Wiederholungsklausur vom 9. September 2013 sind nicht Prüfungsgegenstand des vorliegenden Verfahrens. Die Bescheide der Beklagten über das Nichtbestehen dieser Erfolgskontrollen sind bestandskräftig und diese Erfolgskontrollen sind insbesondere auch nicht Regelungsgegenstand des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 20. März 2015 (Senatsbeschl. v. 20.7.2016 - 2 ME 90/16 -, juris Rn. 5). Letzterer Erwägung hat sich im Berufungsverfahren ausdrücklich auch die Klägerin angeschlossen und ihre bisherige gegenteilige Rechtsauffassung aufgegeben.

b) Die zweite Wiederholungsklausur vom 22. September 2014, die den dritten und damit letzten Prüfungsversuch der Klägerin darstellt und die diese nicht bestanden hat, leidet nicht an durchgreifenden formellen und materiellen Rechtsfehlern. Daher steht der Klägerin die Teilnahme an einem weiteren Wiederholungsversuch nicht zu.

(1) Die Klägerin kann sich im Ergebnis nicht mit Erfolg auf einen Verstoß gegen Anlage 1 § 8 Abs. 2 StO berufen. Nach dieser Vorschrift müssen die als Multiple-Choice durchgeführten Erfolgs- und Teilerfolgskontrollen im Rahmen einer leistungsnachweispflichtigen Lehrveranstaltung den formalen Voraussetzungen für Multiple-Choice-Prüfungsfragen des IMPP entsprechen.

Entgegen der Ansicht der Klägerin folgt hieraus nicht, dass die Beklagte bei ihren Erfolgskontrollen ausschließlich die vom IMPP erstellten Prüfungsfragen verwenden darf, die Antwortbögen vom IMPP technisch ausgewertet werden müssen und die Beklagte ihren Prüfungsentscheidungen das Auswertungsergebnis des IMPP zugrunde legen muss. Diese Anforderungen gelten nach Art. 3 IMPP-Abkommen (Nds. MBl. 2003, 209) nur für staatliche Prüfungen nach der Approbationsordnung, nicht aber für universitäre Erfolgskontrollen im Rahmen von leistungsnachweispflichtigen Lehrveranstaltungen.

Auf die weitere Frage, ob die Beklagte mit Blick auf die genannte Vorgabe in ihrer Studienordnung gehalten ist, die Prüfungsfragen in einer studienbegleitenden Leistungskontrolle wie von der Klägerin gefordert in der Weise abzufassen, dass den Praktischen Hinweisen des IMPP zur Durchführung der schriftlichen Prüfungen nach der Approbationsordnung für Ärzte Genüge getan ist, kommt es im Ergebnis nicht an. Nach diesen Praktischen Hinweisen sind immer fünf Antwortmöglichkeiten vorgegeben, und es ist nur eine Antwort richtig. Diesen Anforderungen genügen die Aufgaben Nr. 1, 19 und 28 der Klausur vom 22. September 2014 nicht, da mehr als eine Antwortmöglichkeit als richtig angesehen wird. Für die Maßgeblichkeit der Praktischen Hinweise könnte sprechen, dass die Studierenden bereits im Laufe ihres Studiums mit der Struktur und den Bedingungen der Abschlussprüfung vertraut gemacht werden sollen. Im Gegensatz hierzu hat der Senat in seinem im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Beschluss vom 20. Juli 2016 (- 2 ME 90/16 -, juris Rn. 14) angeführt, mit der Vorgabe in der Studienordnung habe die Beklagte lediglich die formale Korrektheit, nämlich den Aufgabentyp und die formale Qualität angesprochen, ohne dass den Praktischen Hinweisen normative Bedeutung zukomme. Im Ergebnis kann die Klägerin aber insoweit nichts für sich herleiten. Für den Fall, dass die genannten drei Fragen nicht wie gefordert den formalen Voraussetzungen der Praktischen Hinweise genügen sollten, müssten diese drei Fragen nach den Vorgaben der Praktischen Hinweise eliminiert und dürften bei der Bewertung nicht berücksichtigt werden. Mit dem Verwaltungsgericht ist der Senat zum einen der Auffassung, dass sich in diesem Fall lediglich drei von insgesamt 44 Fragen als unzulässig erweisen würden und der sich hieraus ergebende Anteil unzulässiger Fragen nicht so groß ist, dass deswegen die Klausur keine taugliche Grundlage für die Einschätzung des Leistungsstandes der Klägerin mehr darstellen würde. Zum anderen hätte die Klägerin von dann maximal möglichen 54 Punkten lediglich 17 Punkte erreicht und mithin die Klausur ebenfalls nicht bestanden.

(2) Entgegen der Ansicht der Klägerin liegt ein Verstoß gegen Anlage 1 § 12 Abs. 2 Satz 3 StO nicht vor. Hiernach müssen die Wiederholungs- und Wiederholungsteilerfolgskontrollen aus Gründen der Herstellung einer Vergleichbarkeit und Prüfungsgerechtigkeit in der „Form“ durchgeführt werden, in der der Erstversuch der Erfolgs- und Teilerfolgskontrolle stattgefunden hat. Nach Anlage 1 § 8 Abs. 1 Satz 1 StO können derartige Kontrollen mündlich, schriftlich oder praktisch in folgender Form:

„schriftliche Erfolgskontrollen …, veranstaltungsbegleitende Kolloquien, Referate, mündliche Prüfungen, praktische Leistungen und Testate, …“

durchgeführt werden, wobei neben einer Kombination dieser Formen auch die Durchführung einer Eingabe an elektronischen Eingabegeräten zulässig ist und insbesondere die schriftliche Erfolgskontrolle nach Anlage 1 § 8 Satz 2 Halbsatz 2 StO auch rechnergestützt durchgeführt werden kann. Die Klägerin sieht in der Art der Durchführung der zweiten Wiederholungsklausur vom 22. September 2014 als „elektronische Klausur“ daher zu Unrecht einen Formenverstoß im Vergleich zu dem Erstversuch vom 23. Juli 2013, der in klassischer Papierform stattgefunden hat.

Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 20. Juli 2016 (- 2 ME 90/16 -, juris Rn. 16 ff.) ausgeführt, dass ein Wechsel der Form nicht vorliegt. Denn auch die Beantwortung von Prüfungsfragen am Computerbildschirm stellt nach den maßgeblichen Prüfungsbestimmungen eine „schriftliche“ Prüfung dar (allgemein anderer Ansicht: Jeremias, Elektronische Prüfungen, Antwort-Wahl-Verfahren und der Gesetzesvorbehalt, JM 2018, 25; Jeremias, in: Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 28 und 436; einschränkend auch VG Hannover, Beschl. v. 10.12.2008 - 6 B 5583/08 -, juris Rn. 32; wie hier OVG RP, Beschl. v. 19.1.2009 - 10 B 11244/08 -, juris Rn. 9). Als voneinander zu unterscheidende „Formen“ sind nach den maßgeblichen Vorschriften der Studienordnung grundsätzlich lediglich die in der eingerückten Passage der Anlage 1 § 8 Abs. 1 Satz 1 StO aufgeführten Prüfungsarten anzusehen.

Demgegenüber hat der Senat (den „Form“-Begriff erweiternd) mit Urteil vom 23. Januar 2018 - 2 LB 60/17 - (in einem Fall, in dem es um das endgültige Nichtbestehen im Kurs Makroskopische Anatomie ging) entschieden, dass es eine andere „Form“ und damit einen Verstoß gegen Anlage 1 § 12 Abs. 2 Satz 3 StO darstellt, wenn eine Wiederholungsprüfung ausschließlich mit 40 Multiple-Choice-Fragen zu absolvieren ist, während die Erstprüfung aus einem mündlich-praktischen Teil (Erlangung von vier Testaten im Zusammenhang mit Präparations-Objekten) und 20 Multiple-Choice-Fragen bestanden hat. Hieraus kann die Klägerin des vorliegenden Berufungsverfahrens aber nichts für sich herleiten. Denn sowohl die Erstprüfung vom 23. Juli 2013 als auch die zweite Wiederholungsprüfung vom 22. September 2014 bestanden aus jeweils insgesamt 44 Fragen, wobei es im ersten Fall acht offene Fragen und 36 Multiple-Choice-Fragen und im zweiten Fall zehn (teil-)offene Fragen und 34 Multiple-Choice-Fragen waren. Der etwaige Unterschied in der Frageform von zwei oder zweieinhalb Fragen ist nicht so gravierend, dass sich hieraus ein Verfahrensfehler ergibt.

Die erforderliche normative Rechtsgrundlage liegt mit der Prüfungsordnung aber auch dann vor, wenn man allgemein elektronische Prüfungen gegenüber den klassischen schriftlichen Prüfungen in Papierform als ein „neuartiges Aliud“ ansieht (so Jeremias, JM 2018, 25, 28 und derselbe, in: Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 28).

(3) Die Klägerin bemängelt zu Unrecht, dass die Bestehensregelung der Anlage 1 § 10 StO deshalb fehlerhaft angewandt worden sei und eine fehlerfreie Anwendung dieser Bestehensregelung im Übrigen deshalb gar nicht möglich sei, weil diese Regelung ausschließlich auf Prüfungen im Antwort-Wahl-Verfahren zugeschnitten sei, die Prüfung vom 22. September 2014 mit Multiple-Choice-Fragen und offenen Fragen aber einen Mischcharakter habe. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts verbietet sich aus logischen Gründen zwar eine getrennte Betrachtung der beiden Aufgabentypen, weil diese in einer einheitlichen und daher auch einheitlich zu bewertenden Klausur enthalten sind. Entgegen der Auffassung der Klägerin weist die Bestehensregelung der Anlage 1 § 10 StO hinsichtlich Wiederholungsprüfungen aber kein Regelungsdefizit auf. Satz 2 dieser Vorschrift stellt die Regel auf, dass eine Wiederholungsprüfung bestanden ist, wenn mindestens 60 % der zu erreichenden Punktzahl erlangt wurden oder die Zahl der von der oder dem Studierenden zutreffend beantworteten Fragen um nicht mehr als 12 % der durchschnittlichen Prüfungsleistung aller an der Wiederholungsklausur Teilnehmenden unterschreitet. Von diesem Grundsatz machen Satz 3 und Satz 4 dieser Norm jeweils eine Ausnahme. Während nach Satz 3 für das Bestehen abweichend von Satz 2 die Bestehensregelung des Satzes 1 für Erstversuche (zutreffende Beantwortung von mindestens 60 % der gestellten Prüfungsfragen oder Unterschreitung von nicht mehr als 22 % der durchschnittlichen Prüfungsleistungen) gilt, wenn an der Wiederholungsklausur mehr als 15 % Erstteilnehmerinnen und Erstteilnehmer teilnehmen, ist gemäß Satz 4 die Bestehensgrenze auf 60 % der gestellten Prüfungsfragen festgelegt, wenn die schriftlichen Erfolgskontrollen nicht im Multiple-Choice-Verfahren abgelegt werden. Nach dem Sinn und Zweck sowie dem Regelungszusammenhang dieser Bestimmungen gilt Satz 4 für schriftliche Erfolgskontrollen, die insgesamt nicht im Multiple-Choice-Verfahren abgelegt werden. In allen übrigen Fällen, insbesondere auch in dem Fall des Mischcharakters der Erfolgskontrolle im Wiederholungsfall, gelten die Sätze 2 und 3 sowie 5 dieser Vorschrift.

 (4) Auf die Frage, ob die Bestehensregelung in Anlage 1 § 10 Satz 5 StO (absolute Bestehensregelung: „50 %-Ankerklausel“) rechtlichen Bedenken begegnet, kommt es nicht entscheidungserheblich an. Hiernach darf auch bei Anwendung der Gleitklauseln der Anlage 1 § 10 Sätze 2 und 3 PrO (relative Bestehensgrenze) die Bestehensgrenze nicht unter 50 % (absolute Bestehensgrenze) liegen.

Die Klägerin ist bereits an der relativen Bestehensgrenze des Satzes 3 der Anlage 1 § 10 StO gescheitert. An der Wiederholungsklausur vom 22. September 2014 haben ausweislich der von der Beklagten in erster Instanz vorgelegten Zahlen insgesamt 24 Studierende teilgenommen; hierunter befanden sich 20 reguläre Teilnehmerinnen und Teilnehmer und vier Wiederholerinnen und Wiederholer. Die Durchschnittspunktzahlen dieser Klausur verteilten sich hiernach wie folgt:

Reguläre Teilnehmer ohne Bonuspunkte der Vorlesungsklausur:

35,7   

Reguläre Teilnehmer mit Bonuspunkten der Vorlesungsklausur:

36,2   

Wiederholer ohne Bonuspunkte der Vorlesungsklausur:

27,5   

Wiederholer mit Bonuspunkten der Vorlesungsklausur:

27,8   

Da mithin an der streitgegenständlichen Wiederholungsklausur mehr als 15 % Erstteilnehmerinnen und –teilnehmer teilgenommen haben, musste die Klägerin zum Bestehend abweichend von der Grundregel des Satzes 2 gemäß Satz 3 in Verbindung mit Satz 1 der Anlage 1 § 10 StO entweder mindestens 60 % der gestellten Prüfungsfragen zutreffend beantwortet haben oder es durfte die Zahl der von ihr zutreffend beantworteten Fragen um nicht mehr als 22 % die durchschnittlichen Prüfungsleistungen der Erstteilnehmerinnen und -teilnehmer unterschreiten. Beides ist nicht der Fall. Die Klägerin hat mit 17 erreichten Punkten sowohl 60 % (32 Punkte) von insgesamt 54 erreichbaren Punkten – bei Außerachtlassung der drei oben aufgeführten Fragen – als auch die durchschnittliche Prüfungsleistung der Erstteilnehmerinnen und -teilnehmer um mehr als 22 % bei weitem unterschritten.

Ungeachtet dessen bewegt sich die von der Beklagten getroffene Regelung der relativen Bestehensgrenze verbunden mit einer absoluten Untergrenze im Rahmen der ihr nach Art. 5 Abs. 3 GG zustehenden Hochschulautonomie bei der Bestimmung von Bestehensgrenzen für eine universitäre Prüfung, welche zum einen der Feststellung der im Praktikum der Chemie erworbenen Kenntnisse und zum anderen der Vorbereitung der schriftlichen Prüfung im Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung dient (vgl. neben Senatsbeschl. v. 20.7.2016 - 2 ME 90/16 -, juris Rn. 23 insbesondere BVerwG, Beschl. v. 27.8.1987 - 7 B 31.87 -, juris Rn. 6 ff. m.w.N.; OVG LSA, Beschl. v. 30.3.2015 - 3 M 7/15 - juris Rn. 12). Der Senat folgt nicht der Gegenansicht, wonach auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 14. März 1989 (- 1 BvR 1033/82 u.a. -, NVwZ 1989, 850, juris) bei universitären Erfolgskontrollen die Festlegung einer absoluten Bestehensgrenze generell nicht zulässig sein soll (so etwa OVG RP, Beschl. v. 19.1.2009 - 10 B 11244/08 -, juris Rn. 10 f. unter Hinweis auf Sächs. OVG, Beschl. v. 27.4.2007 - 4 Bs 29/07 - und Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 3. Aufl. 2007, Rn. 82 und 1164 ff.). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Satzungsregelung, die dem Fall des OVG Rheinland-Pfalz zugrunde lag, ersichtlich ausschließlich eine absolute Bestehensgrenze bei 60 % festgelegt hat und nach Ansicht dieses Obergerichts gegen die Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts verstieß (s. die Erwägungen des OVG RP, Beschl. v. 19.1.2009 - 10 B 11244/08 -, juris Rn. 12). Die Satzungsregelung der Beklagten kombiniert demgegenüber eine absolute mit einer relativen Bestehensregelung und beruht auf sachgerechten Gründen. Sie ist daher nicht willkürlich im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG und auch nicht unverhältnismäßig im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG. Die Regelung hat zwar zur Folge, dass schwächere Prüflinge, die unter genereller Anwendung einer relativen Bestehensregelung die Prüfung noch bestanden hätten, an der 50 %-Grenze scheitern können. Hintergrund hierfür ist indes, einer möglichen Gefahr des Leistungsschwundes bzw. dem Umstand entgegen zu wirken, dass andernfalls ein Prüfungsergebnis im Bereich der Ratewahrscheinlichkeit ausreichen könnte, um einem schwachen Prüfling eine zum Erhalt des Leistungsnachweises ausreichende Leistung bescheinigen zu können. Die ohne untere absolute Begrenzung angewandte relative Bestehensregelung birgt die Gefahr, dass einem allgemeinen Absinken des Leistungsniveaus nicht begegnet werden kann. Wenn die Durchschnittsleistung in einer Prüfung zum Maßstab erhoben wird, kann bei sehr schlechtem durchschnittlichem Leistungsniveau auch derjenige Prüfling noch bestehen, der den geforderten Leistungsstand, den die Prüfung gerade nachweisen soll, nicht erreicht hat. Dies wäre mit dem mit der Abnahme der Prüfung verfolgten Ziel, nämlich der Kontrolle, ob zumindest ein Mindestwissensstand beim Prüfling erreicht ist, nicht zu vereinbaren (so zutreffend Hess. VGH, Urt. v. 20.12.2016 - 10 C 1620/15.N -, juris Rn. 48 f.; OVG LSA, Beschl. v. 30.3.2015 - 3 M 7/15 -, juris, Rn. 10). Dies gilt umso mehr, als Gegenstand der Prüfung gerade das Wissen zukünftiger Mediziner ist und aus Gründen der Volksgesundheit ein bestimmtes Qualitätsmaß gewährleistet werden soll und muss. Gegen den Ansatz eines absoluten Wertes von gerade 50 % bestehen ebenfalls keine Bedenken (vgl. hierzu OVG LSA Beschl. v. 30.3.2015 - 3 M /175 -, juris Rn. 12).

Entgegen der Ansicht der Klägerin steht diesen Erwägungen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seiner Entscheidung vom 14. März 1989 (- 1 BvR 1033/82 u.a. -, NVwZ 1989, 850, juris) die (ausschließlich ohne eine relative Bestehensregelung normierte) absolute Bestehensregelung des § 14 AppOÄ 1978 zwar als unverhältnismäßig und daher nichtig angesehen, aber zugleich ausgeführt, dass die mit Wirkung vom 1. August 1981 eingeführte begrenzte Relativierung der Bestehensgrenze, wodurch sich die erforderliche Mindestzahl der richtigen Antworten je nach den Durchschnittsergebnissen des Examenstermins in einer Brandbreite zwischen 50 % und 60 % der gestellten Aufgaben bewege, hinreichend beweglich erscheine, um überraschende Schwankungen des Schwierigkeitsgrades aufzufangen, sodass insoweit zunächst eine „ausreichende Nachbesserung“ eingetreten sei. Aber auch diese habe sich als zu starr erwiesen, sodass der Verordnungsgeber im Jahre 1986 zu seiner ursprünglichen Regelungsform zurückgekehrt sei, eine absolute und eine relative Bestehensregel nebeneinander anzuwenden, also in jedem Fall durchschnittliche Prüfungsleistungen in die Bewertung einzubeziehen (BVerfG, Beschl. v. 14.3.1989 - 1 BvR 1033/82 u.a. -, NVwZ 1989, 850, juris Rn. 87).

(5) Die Gleitklausel für Wiederholungsklausuren in Anlage 1 § 10 Sätze 2, 3 und 4 StO ist ebenfalls frei von Rechtsfehlern.

Nach Satz 2 dieser Vorschrift ist eine Wiederholungsprüfung bestanden, wenn mindestens 60 % der zu erreichenden Punktzahl erlangt wurden oder die Zahl der von der oder dem Studierenden zutreffend beantworteten Fragen um nicht mehr als 12 % der durchschnittlichen Prüfungsleistung aller an der Wiederholungsklausur Teilnehmenden unterschreitet. Wenn indes an der Wiederholungsklausur mehr als 15 % Erstteilnehmerinnen und Erstteilnehmer teilnehmen, gilt nach Satz 3 für das Bestehen abweichend Satz 1 dieser Norm, d.h. die Grenze liegt statt bei 12 % bei 22 %. Für schriftliche Erfolgskontrollen, die nicht im Multiple-Choice-Verfahren abgelegt werden, gilt schließlich die Regelung in Satz 1 nicht; hier liegt die Bestehensgrenze bei 60 %. Diese Bestimmungen verstoßen weder gegen Gesetzes- noch Verfassungsrecht.

Dies gilt zunächst für die unterschiedliche Bestimmung der relativen Bestehensgrenze (22 %) bei Erstklausuren gemäß Satz 1 und bei Wiederholungsklausuren (grundsätzlich 12 %) nach Satz 2 StO. Hintergrund dessen ist offensichtlich, dass bei den Wiederholungsklausuren die erfahrungsgemäß leistungsstärkere Referenzgruppe der Erstteilnehmer fehlt und ein Absinken des Leistungsniveaus verhindert werden soll. Dies ist aber bei einer Anwendung der relativen Grenze von 22 % des arithmetischen Mittels aller Prüflinge zu befürchten (so überzeugend Hess. VGH, Urt. v. 20.12.2016 - 10 C 1620/15.N -, juris Rn. 43 ff.). Dass die Beklagte sich mit dieser Regelung außerhalb der ihr nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zustehenden Satzungsautonomie bewegt und diese Bestimmung so restriktiv gefasst ist, dass sie zu einem unzumutbaren und mithin mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbaren Hindernis für die Studierenden verbunden ist, ist weder dargelegt noch ersichtlich (s. zu einer vergleichbaren Regelung Hess. VGH, Urt. v. 20.12.2016 - 10 C 1620/15.N -, juris Rn. 47).

Das gilt auch und gerade für die von der Beklagten gezogene Grenze von 22 % in Satz 3 in Verbindung mit Satz 1 der genannten Bestimmung in dem hier gegebenen Fall, dass an der Wiederholungsklausur mehr als 15 % Erstteilnehmerinnen und -teilnehmer teilnehmen. Hintergrund für diese Grenzziehung ist, dass in diesem Fall die Referenzgruppe der Erstteilnehmenden in einem nicht zu vernachlässigenden Umfang vorhanden ist, sodass die Grundregelung wieder gelten soll. Es ist nicht erkennbar, dass sich der Grenzwert von 15 % außerhalb des Gestaltungsspielraums der Beklagten bewegt. Der Senat hat bereits in seinem Beschluss vom 20.7.2016 (- 2 ME 90/16 -, juris Rn. 23) darauf hingewiesen, dass dem Satzungsgeber bei der Festlegung von Schwellenwerten eine Orientierung an trennscharfen Abgrenzungskriterien nicht möglich ist. Wenn er sich dabei – wie hier – innerhalb der Bandbreite des sachlich Vertretbaren bewegt, entfällt der Vorwurf der Willkürlichkeit.

Die von der Klägerin angeforderten konkreten Daten der streitgegenständlichen Prüfung geben für die Frage, ob die abstrakte Regelung rechtmäßig ist, nichts her. Dass die Satzungsregelung vor dem Hintergrund der umfassenden Prüfungserfahrungen der Beklagten und anderer Hochschulen vor Erlass der Regelung getroffen worden ist, stellt die Klägerin nicht substantiiert in Frage. Ihr bloßer Einwand, der Wert von 15 % sei „einfach“ von einer anderen Prüfungsordnung abgeschrieben worden, reicht nicht hin, um der Beklagten erfolgreich eine Überschreitung ihres Gestaltungsspielraums entgegenhalten zu können. Die Klägerin verkennt, dass – worauf der Senat in seinem genannten Beschluss ebenfalls hingewiesen hat – der Normgeber bei untergesetzlichen Normen im Normsetzungsverfahren keinem besonderen Begründungszwang unterliegt.

2. Die Klägerin hat keinen – hilfsweise geltend gemachten – Anspruch auf Neubewertung der Prüfung vom 22. September 2014.

Die Klägerin hat inhaltliche Fehler der Bewertung ihrer Klausur nicht geltend gemacht (vgl. zu dem Anspruch des Prüflings auf ein Überdenken der Bewertung seiner Leistungen und dem hieraus folgenden Prozedere Fischer, in: Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 786 ff.). Dem Vortrag der Klägerin, die Bestehensregelung der Prüfungsordnung sei mit Blick auf den Mischcharakter der Klausur fehlerhaft angewendet worden und unvollständig, ist nach dem oben Gesagten nicht zu folgen.

3. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, ihren Widerspruch vom 28. Juli 2015 zu bescheiden.

Nach dem oben Gesagten und der nunmehrigen übereinstimmenden Auffassung der Beteiligten sind die Prüfungsergebnisse der ersten beiden Prüfungsversuche der Klägerin zwar nicht Gegenstand des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 20. März 2015. Hieraus kann die Klägerin im Ergebnis aber nichts für sich herleiten. Im Gegensatz zu § 88 SGG ist nach der Konzeption der Verwaltungsgerichtsordnung eine Klage auf bloßen Erlass eines Verwaltungsaktes oder – wie hier – Widerspruchsbescheides im Grundsatz nicht vorgesehen. Vielmehr ist der Kläger gehalten, direkt eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage zu erheben. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz macht auch § 75 VwGO nicht. Die Klage bei einer Untätigkeit der Behörde ist auch in diesen Fällen grundsätzlich auf die Entscheidung in der Sache gerichtet, lediglich die Vorgaben der §§ 68 und 74 VwGO sind entbehrlich (vgl. hierzu zuletzt etwa BVerwG, Urt. v. 11.7.2018 - 1 C 18.17 -, juris Rn. 21 ff., und Brenner, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 75 Rn. 2 ff., 19 ff., jeweils m.w.N.). Im vorliegenden Fall ist eine Ausnahme von diesem Grundsatz nicht gerechtfertigt. Auch im Prüfungsrecht besteht für eine isolierte Klage auf Erlass eines Widerspruchsbescheides in der Regel kein Rechtsschutzbedürfnis (vgl. hierzu Bay. VGH, Beschl. v. 1.7.2013 - 7 ZB 13.305 -, BayVBl. 2013, 734, juris Rn. 10 ff.; Fischer, in: Niehues/Fischer/Jeremias, Prüfungsrecht, 7. Aufl. 2018, Rn. 836).

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.