Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.11.2018, Az.: 10 PA 356/18
Prozesskostenhilfeantrag; Entscheidungsreife; Rechtsschutzbegehren; Erfolgsaussichten; Beurteilung
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 21.11.2018
- Aktenzeichen
- 10 PA 356/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 74269
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 27.08.2018 - AZ: 5 A 3976/16
Rechtsgrundlagen
- § 114 Abs 1 S 1 ZPO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung ist der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags maßgeblich.
2. Ein späterer Kenntnisstand kann der Prüfung der Erfolgsaussichten daher grundsätzlich nicht zu Grunde gelegt werden.
3. Hiervon ist jedoch dann eine Ausnahme zugunsten des Rechtsschutzsuchenden zu machen, wenn er die nachträgliche Änderung des Sachverhalts nicht zu verantworten hat.
Tenor:
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichter der 5. Kammer - vom 27. August 2018 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe
Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.
Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Klage der Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 7. Juli 2016, mit dem sie zu den Kosten der Bestattung ihres Vaters herangezogen worden ist, (u.a.) mit der Begründung abgelehnt, dass eine unbillige Härte für die Klägerin nicht bestehe. Sie habe nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass ihr verstorbener Vater ihr gegenüber schwere Straftaten begangen habe. Ihre Behauptung, er habe ihre Mutter auch während der Schwangerschaft häufig geschlagen und getreten und damit mittelbar auch gegen sie im Stadium des ungeborenen Kindes eine bedeutsame Straftat begangen, sei vage, unsubstantiiert und nicht belegt. Eine eidesstattliche Versicherung ihrer Mutter habe sie nicht vorgelegt.
Die dagegen erhobene Beschwerde hat die Klägerin mit einer detaillierten Beschreibung des Geschehens auf dem Parkplatz eines Supermarkts im Winter 1992, im Rahmen dessen ihr Vater ihrer Mutter während der Schwangerschaft in den Bauch getreten habe, und mit der damit übereinstimmenden eidesstattlichen Versicherung ihrer Mutter vom 12. November 2018 begründet.
Es kann dahinstehen, ob auf dieser Grundlage ihre Klage nunmehr die gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht hat, da dieses Vorbringen der Beschwerde jedenfalls deshalb nicht zum Erfolg verhilft, weil es erst im Beschwerdeverfahren durch eine substantiierte Beschreibung der maßgeblichen Sachverhaltsumstände und durch die Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung (möglicherweise) glaubhaft gemacht worden ist.
Für die Beurteilung der Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung ist der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags maßgeblich (BVerfG, Beschlüsse vom 14.06.2006 - 2 BvR 626/06 und 2 BvR 656/06 -, juris, und vom 04.10.2017 - 2 BvR 496/17 -, juris). Das hat zur Folge, dass ein späterer Kenntnisstand der Prüfung der Erfolgsaussichten nicht zu Grunde gelegt werden darf (Niedersächsisches OVG, Beschlüsse vom 19.01.2015 - 4 PA 10/15 -, vom 26.05.2014 - 4 PA 125/14 - und vom 27.04.2010 - 4 PA 117/10 -, juris Leitsatz und Rn. 3; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17.12.2009 - L 5 AS 338/09 B -, juris Leitsatz und Rn. 2; Bayerischer VGH, Beschluss vom 26.06.2007 - 19 C 06.3163 -, juris Rn. 18). Von diesem Grundsatz ist jedoch eine Ausnahme zu machen, wenn sich nach Antragstellung und Entscheidungsreife die Sach- und Rechtslage zu Gunsten des Rechtsschutzsuchenden ändert und seine Rechtsverfolgung erst infolge dieser Änderung Erfolg verspricht (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 16.04.2018 - 13 PA 101/18 -, juris Rn. 4; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11.09.2007 - OVG 2 M 44.07 -, juris Rn. 4), da es mit dem Sinn der Vorschriften über die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht vereinbar wäre, würde man den Rechtsschutzsuchenden in diesem Fall darauf verweisen, einen erneuten Antrag auf Prozesskostenhilfe zu stellen (Bayerischer VGH, Beschluss vom 05.10.2018 - 10 C 17.322 -, juris Rn. 6). Dies gilt allerdings nur für den Fall, dass der Rechtsschutzsuchende es nicht zu verantworten hat, dass der Sachverhalt sich erst nach der Entscheidungsreife seines Prozesskostenhilfeantrags zu seinen Gunsten geändert hat. Hat der Rechtsschutzsuchende jedoch - wie hier (möglicherweise) die Klägerin - erst nach Antragstellung und Entscheidungsreife seines Prozesskostenhilfeantrags die hinreichende Erfolgsaussicht seines Rechtsschutzbegehrens durch substantiierten Vortrag der maßgeblichen Sachverhaltsumstände und durch die Vorlage von Unterlagen, die er bereits bei Antragstellung (und auch schon bei der Behörde) ohne weiteres hätte einreichen können, glaubhaft gemacht, würde es dem Sinn der Vorschriften über die Gewährung von Prozesskostenhilfe, den Rechtsschutzsuchenden in die Lage zu versetzen, eine hinreichend erfolgversprechende Rechtsverfolgung wahrzunehmen, widersprechen, ihm Prozesskostenhilfe aufgrund eines Antrages zu bewilligen, der zu dem Zeitpunkt seiner Entscheidungsreife auf der Grundlage der bis zu diesem Zeitpunkt gemachten Angaben und eingereichten Unterlagen keine hinreichende Erfolgsaussicht geboten hat. In diesem Falle ist es dem Rechtsschutzsuchenden vielmehr durchaus zuzumuten, einen neuen Prozesskostenhilfeantrag zu stellen (vgl. Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17.12.2009 - L 5 AS 338/09 B -, juris Rn. 2), und bleibt es bei dem oben genannten Grundsatz, dass es hinsichtlich der Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsschutzbegehrens auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags ankommt, der im Beschwerdeverfahren seine Rechtfertigung auch darin findet, dass das Beschwerdegericht lediglich die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung zu überprüfen hat (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 26.06.2007 - 19 C 06.3163 -, juris Rn. 18).
Dass das Verwaltungsgericht aufgrund des zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags vorliegenden Sachverhalts die Erfolgsaussichten ihrer Klage zu Unrecht verneint hat, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Anhaltspunkte hierfür sind auch nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO sowie § 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).