Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.11.2018, Az.: 10 ME 372/18
Anerkenntnis; Anordnungsverfahren; Antragserweiterung; Antragserweiterung im Beschwerdeverfahren; Behauptungen; Beschwerdeverfahren; Kirchenrecht; öffentlich-rechtlich; Unterlassungsanspruch
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 23.11.2018
- Aktenzeichen
- 10 ME 372/18
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2018, 74258
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 24.09.2018 - AZ: 6 B 4729/18
Rechtsgrundlagen
- § 173 VwGO
- § 91 VwGO
- § 307 ZPO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zum öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Unterlassung von Behauptungen im einstweiligen Anordnungsverfahren.
Tenor:
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 6. Kammer - vom 24. September 2018 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragsteller gesamtschuldnerisch.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover vom 24. September 2018 hat keinen Erfolg.
1. Soweit die Antragsteller sich gegen die Ablehnung ihres erstinstanzlich gestellten Antrags wenden, mit dem der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung „unter Ausschluss des Fortsetzungszusammenhangs bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro“ aufgegeben werden soll, es zu unterlassen, 14 in der Antragsschrift vom 15. Juli 2018 im Einzelnen bezeichnete „Behauptungen wörtlich oder sinngemäß auf der Internetseite www.ezw-berlin.de oder im Wege sonstiger Veröffentlichungen aufzustellen, aufstellen zu lassen und/oder zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen“, ist die zulässige Beschwerde unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag zu Recht mit der Begründung abgelehnt, dass die Antragsteller (schon) die für einen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch nach der Rechtsprechung sowohl des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 11.11.2000 - 7 B 54.10 -, juris Rn. 14) als auch des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (z.B. Beschluss vom 25.07.2014 - 13 ME 97/14 -, juris Rn. 9) erforderliche konkrete Wiederholungsgefahr nicht glaubhaft gemacht haben. Die von den Antragstellern dagegen dargelegten Beschwerdegründe, auf deren Prüfung der Senat sich nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu beschränken hat, greifen nicht durch.
Insoweit ist festzustellen, dass sämtliche 14 der zum Gegenstand der Antragsschrift vom 15. Juli 2018 gemachten Behauptungen dem „Erfahrungsbericht ‚Businesscoaching nach Martin Sage‘“ entstammen, der in der Ausgabe 10/2005 (Seiten 374 bis 380) des Materialdienstes der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) veröffentlicht wurde. Jedenfalls seit dem 6. September 2018 gehen die Antragsteller selbst davon aus, dass der streitgegenständliche Artikel im Internetauftritt der EZW nicht mehr aufgerufen werden kann. Wie auch der Senat bei mehrmaligen Aufruf der Ausgabe 10/2005 des Materialdienstes der EZW festgestellt hat, ist der Artikel sowohl aus dem Inhaltsverzeichnis entfernt als auch auf den Seiten 374 bis 380 gelöscht worden. Ebenfalls entfernt worden ist, wie die Antragsteller selbst angeben, der auf den Seiten 372 bis 373 vorangestellte Artikel „Fragwürdige Großgruppentrainings“ von Michael Utsch. Damit hat die Antragsgegnerin ihre Erklärung aus dem Schriftsatz vom 29. August 2018, „die Unterlassungsansprüche zu Ziffer I. 1. bis 14. (…) des Anordnungsantrags vom 15. Juli 2018“ anzuerkennen, umgesetzt. Sofern die Antragsteller zur Begründung der von ihnen dennoch angenommenen konkreten Wiederholungsgefahr auf das Verhalten der Antragsgegnerin vor dem endgültigen Entfernen der Artikel „Businesscoaching nach Martin Sage“ und „Fragwürdige Großgruppentrainings“ spätestens zum 6. September 2018 abstellen, überzeugt dies angesichts der konsequenten Umsetzung der Erklärung vom 29. August 2018 und des zwischenzeitlich eingetretenen Zeitablaufs nicht. Dass die Antragsgegnerin in den letzten zweieinhalb Monaten eine oder mehrere der insgesamt vierzehn streitgegenständlichen Behauptungen im Internet oder sonst verbreitet hätte, ist nicht dargetan. Hiernach erscheint der zuletzt in der Beschwerdeerwiderung vom 9. November 2018 erfolgte Vortrag der Antragsgegnerin, aus ihrer Sicht handele es sich bei dem „Erfahrungsbericht ‚Businesscoaching nach Martin Sage‘“ um einen „betagten“ Beitrag, den sie gar nicht gezielt veröffentlicht habe, sondern der lediglich im Zuge der Digitalisierung ihres Gesamtbestandes im Netz erneut zugänglich gemacht worden sei, sie wolle ihn daher nicht mit großem Aufwand verteidigen, sondern habe zum Zwecke der raschen Verfahrensbeendigung eine Anerkenntniserklärung abgegeben und ihn aus der Online-Ausgabe ihres Materialdienstes entfernt, ohne weiteres glaubhaft. Die Antragsteller haben dem auch nichts mehr entgegengesetzt.
Mit ihrer Auffassung, das Verwaltungsgericht hätte auf die von der Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 29. August 2018 abgegebene Erklärung eine „Anerkennungsentscheidung im Eilverfahren“ erlassen müssen, dringen die Antragsteller ebenfalls nicht durch. Dabei kann offenbleiben, ob § 307 ZPO nach § 173 VwGO nicht nur im Hauptsacheverfahren (BVerwG, Gerichtsbescheid vom 07.01.1997 - 4 A 20.95 -, juris Rn. 5 f.), sondern auch im Eilverfahren entsprechend anwendbar ist (so VG München, Beschluss vom 27.05.2016 - M 1 S7 16.1570 -, juris Rn. 17 ff.; VG Bayreuth, Beschluss vom 14.04.2003 - B 4 S 03.79 -, juris Leitsatz und Rn. 24 ff. m.w.N.; ebenfalls Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Auflage 2017, Rn. 372). Denn jedenfalls muss das Anerkenntnis als einseitige prozessuale Erklärung, die ohne Sachprüfung zu einer unstreitigen Beendigung des Verfahrens führt, den gesamten prozessualen Anspruch, d.h. im Anordnungsverfahren sowohl den Anordnungsanspruch als auch den Anordnungsgrund umfassen (Finkelnburg/Dombert/Külpmann, a.a.O., Rn. 374). Der (vollständigen) Erklärung der Antragsgegnerin aus dem Schriftsatz vom 29. August 2018, „die Unterlassungsansprüche zu Ziffer I. 1. bis 14. und auch den Kostenanspruch zu Ziffer II. des Anordnungsantrags vom 15. Juli 2018“ anzuerkennen, lässt sich aber keine Aussage zum Bestehen des Anordnungsgrundes entnehmen. Dies hat das Verwaltungsgericht mit seiner Anfrage vom 3. September 2018, ob das Eilverfahren für erledigt erklärt werde, da ein Anordnungsgrund nach Abgabe der Erklärung der Antragsgegnerin nicht mehr vorliegen dürfte, auch zutreffend erfasst. Da die Antragsteller eine Erledigungserklärung nicht abgegeben haben, war erstinstanzlich über den Eilantrag mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO zu entscheiden. Von der in dem Schriftsatz vom 29. August 2018 abgegebenen Kostenübernahmeerklärung, mit der die die Antragsgegnerin offenbar ihrem vorgerichtlichen Verhalten Rechnung tragen wollte, konnten die Antragsteller daher nicht profitieren.
2. Die von den Antragstellern mit der Beschwerdebegründung vorgenommene Antragserweiterung, mit der der Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung „unter Ausschluss des Fortsetzungszusammenhangs bei Vermeidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro“ aufgegeben werden soll, es zu unterlassen, weitere drei im Einzelnen bezeichnete „Behauptungen wörtlich oder sinngemäß auf der Internetseite www.ezw-berlin.de oder im Wege sonstiger Veröffentlichungen aufzustellen, aufstellen zu lassen und/oder zu verbreiten und/oder verbreiten zu lassen“, ist unzulässig. Darauf hat bereits die Antragsgegnerin in ihrer Beschwerdeerwiderung vom 9. November 2018, der die Antragsteller nichts mehr entgegengesetzt haben, unter Verweis auf Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zu Recht hingewiesen. In Verfahren über Beschwerden im Sinne des § 146 Abs. 4 VwGO ist eine Antragsänderung (analog § 91 VwGO) in der Regel nicht zulässig, weil dies dem Zweck der erstgenannten Vorschrift zuwiderläuft, das Oberverwaltungsgericht von quasi erstinstanzlichen Prüfungen zu entlasten (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 07.09.2017 - 12 ME 249/16 -, juris Rn. 88 unter Verweis auf Sächsisches OVG, Beschluss vom 27.01.2017 - 5 B 287/16 -, juris Rn. 3; so auch der ganz überwiegende Teil der Rechtsprechung vgl. Finkelnburg/Dombert/Külpmann, a.a.O., Rn. 427 m.w.N.). Zwar kann ausnahmsweise und in engen Grenzen im Interesse der Effektivität des Rechtsschutzes oder der Prozessökonomie etwas Anderes gelten (Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 07.09.2017 - 12 ME 249/16 -, a.a.O. m.w.N.). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier aber nicht vor.
Prozessökonomische Erwägungen sprechen nicht für eine Erstentscheidung durch das Beschwerdegericht. Denn die zum Gegenstand der Antragserweiterung gemachten Behauptungen 15, 16 und 17 betreffen jeweils einen völlig anderen Streitgegenstand als die Behauptungen aus dem erstinstanzlich gestellten Eilantrag. Ziffer 15 bezieht sich auf den Artikel „Fragwürdige Großgruppentrainings“ von Michael Utsch, den die Antragsgegnerin zudem bereits aus der Ausgabe 10/2005 des Materialdienstes der EZW gelöscht hat. Ziffer 16 betrifft eine Fundstelle bei Eingabe des Suchbegriffs ‚Martin Sage‘ in ein im Internetauftritt der EZW befindlichen Lexikon. Die Recherche des Senats zeigte den betreffenden Treffer im Übrigen ebenfalls nicht mehr. Ziffer 17 schließlich zitiert aus dem in der Ausgabe 12/2008 des Materialdienstes der EZW enthaltenen Artikel „Psychoszene / Psychotraining - Wohin entwickelt sich der Coaching-Markt?“. Auch das Gebot effektiven Rechtsschutzes ist hier nicht betroffen. Zutreffend weist die Antragsgegnerin in ihrer Beschwerdeerwiderung darauf hin, dass alle drei von den Antragstellern angegriffenen Behauptungen schon vor der Stellung des ursprünglichen Anordnungsantrags im Internet veröffentlich waren. Eine Einbeziehung in das erstinstanzliche Verfahren wäre den Antragstellern mithin möglich gewesen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG (vgl. auch Ziffer 1.5 Satz 2 Streitwertkatalog 2013). Die Erhöhung des Streitwerts gegenüber dem ersten Rechtszug durch Verdoppelung des Regelstreitwerts ist hier wegen der mit der Beschwerdebegründung vorgenommenen Erweiterung des Streitgegenstandes geboten. Im Übrigen war von den Antragstellern erstinstanzlich selbst die Ansetzung eines Streitwertes von 10.000,00 EUR vorgeschlagen und geltend gemacht worden, dass die Umsatzeinbußen der Antragstellerin zu 2. mittlerweile im sechsstelligen Eurobereich lägen (Bl. 1, 16 der Antragsschrift vom 15. Juli 2018).