Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 23.08.2002, Az.: 6 A 3926/99

Behandlungsfall; Depression; Kleine Psychotherapie; Krankheitsfall; psychotherpeutische Behandlung; Vorprüfungsverfahren

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
23.08.2002
Aktenzeichen
6 A 3926/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 43538
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1.) Der Begriff des Krankheitsfalls in Ziff. 4.1 der Anlage 1 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV ist ein anderer als der des Behandlungsfalls in der GOÄ.

2.) Im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung sind ohne vertrauensärztliches Gutachten nur 10 Sitzungen je Krankheitsfall beihilfefähig; eine andere Betrachtung würde auf eine Umgehung der beihilferechtlichen Beschränkungen bei Psychotherapien hinauslaufen.

Tatbestand:

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Die Beteiligten streiten um die Beihilfefähigkeit von Heilmaßnahmen, die von einem Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie ausgeführt wurden.

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Die im ... geborene Klägerin ist als Hinterbliebene eines Ruhestandsbeamten Empfängerin von Versorgungsbezügen und zu 70 v.H. beihilfeberechtigt. Seit 1998 ist sie bei dem Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychologie ... in psychologischer Behandlung. In einer ärztlichen Bescheinigung von ihm unter dem 5. Oktober 1999 heißt es:

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"... befindet sich hier in ständiger ambulanter Behandlung. Ausweislich meiner Rechnungen handelt es sich um eine Depression. Die Erkrankung ist therapieresistent und führt zu schwankenden Befunden. Aus diesem Grunde ist eine ambulante psychiatrische Behandlung notwendig. Aufgrund der schwankenden Befunde sind auch regelmäßig diagnostische Bemühungen notwendig."

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Für den Zeitraum vom 2. bis zum 26. Februar 1998 berechnete der Nervenarzt der Klägerin ärztliche Leistungen im Umfang von 608,32 DM und legte dabei einmal die Ziff. 801 der GOÄ (eingehende psychiatrische Untersuchung), einmal die Ziff. 860 GOÄ (Erhebung einer biographischen Anamnese mit schriftlichen Aufzeichnungen) und fünfmal die Ziff. 849 GOÄ (psychotherapeutische Behandlung) der Rechnung zugrunde. Nachdem die Klägerin Beihilfe zu verschiedenen ärztlichen Leistungen und u.a. auch zu den vorgenannten Leistungen des Nervenarztes am 15. März 1998 beantragt hatte, gewährte der Beklagte ihr Beihilfeleistungen im Bescheid vom 26. März 1998, wobei diese Liquidation des Nervenarztes als beihilfefähig anerkannt wurde. Offensichtlich ließ sich der Beklagte dabei von der Erwägung leiten, dass nach Ziff. 2.1 der Anlage 1 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 der Beihilfevorschriften Aufwendungen für eine biographische Anamnese (Ziff. 860 der GOÄ) und höchstens fünf probatorische Sitzungen auch dann beihilfefähig seien, wenn sich später eine psychotherapeutische Behandlung als nicht notwendig erweisen sollte. Nachdem die Klägerin später in weiteren Beihilfeanträgen Beihilfe für Behandlungen ihres Nervenarztes beantragt hatte, teilte der Beklagte u.a. mit Bescheid vom 16. November 1998 der Klägerin mit, dass Leistungen nach der Ziff. 849 GOÄ nur insgesamt zehnmal beihilfefähig seien und diejenigen nach der Ziff. 860 GOÄ nur einmal pro Behandlungsfall.

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Für den Zeitraum vom 3. August bis zum 29. September 1998 stellte der Nervenarzt der Klägerin für seine Leistungen insgesamt 980,66 DM in Rechnung. Dabei berechnete er für Behandlungen am 3., 7. Und 10. August dreimal die Ziff. 849 GOÄ und am 4. August je einmal die Ziff. 801 und 806 GOÄ. In der Rechnung heißt es weiter unter dem 7. September 1998: "Neuer Behandlungsfall nach einem Monat" und es werden sowohl für diesen Tag als auch für den 8., 14., 15. und 21. September jeweils die Ziff. 849 GOÄ berechnet. Unter dem 25. September werden je einmal die Ziff. 801 und 860 und unter dem 29. September einmal die Ziff. 849 GOÄ in Ansatz gebracht. Mit Beihilfeantrag vom 16. Oktober 1998 beantragte die Klägerin u.a. auch hinsichtlich dieser Leistungen des Nervenarztes die Gewährung einer Beihilfe. Mit Bescheid vom 24. November 1998 sah der Beklagte von dem Rechnungsbetrag in Höhe von 980,66 DM höchstens 558,51 DM als beihilfefähig an und gewährte auf diesen Betrag eine Beihilfe in Höhe von 390,96 DM. Als Ausschlussgrund wurde die Ziff. 131 angegeben, nach der Aufwendungen nur in dem angegebenen Umfang im Sinne des § 5 Abs. 1 Beihilfeverordnung notwendig und daher dem Grunde nach nur beihilfefähig seien.

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Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 1. Dezember 1998 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, dass die Ziff. 849 und 860 jeweils auf den Zeitraum eines Monats Behandlungsdauer nach der Gebührenordnung der Ärzte bezogen seien, so dass zu Unrecht eine Kürzung erfolgt sei.

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Mit Widerspruchsbescheid vom 8. September 1999 - zugestellt am 1. Oktober 1999 - wies der Beklagte den eingelegten Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass Maßnahmen der psychosomatischen Grundversorgung, um die es sich bei den von dem Nervenarzt nach den Ziff. 849 GOÄ in Rechnung gestellten Leistungen handele, je Krankheitsfall nur mit zehn Sitzungen beihilfefähig seien. Dieser Behandlungsrahmen sei aber bei der Klägerin schon seit langem ausgeschöpft, da sie sich seit Jahren in psychotherapeutischer Behandlung befinde.

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Am 27. Oktober 1999 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie macht geltend: Die ihr zuteil gewordenen Leistungen ihres Nervenarztes seien notwendig und angemessen gewesen. Insbesondere sei dabei von Bedeutung, dass die Behandlungen durch einen Facharzt vorgenommen worden seien. Die von dem Beklagten angenommene Beschränkung der Anzahl der Sitzungen bezögen sich lediglich auf eine Abrechnung der Gebührenziffer 849 im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung. Das sei aber nicht zutreffend, denn auch bei psycho-reaktiven und neurotischen Störungen sei eine Abrechnung nach dieser Gebührenziffer erlaubt. Das sei auch in ihrem Falle so geschehen, so dass es sich nicht um Leistungen der psychosomatischen Grundversorgung bei ihr gehandelt habe.

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Die Klägerin beantragt (sinngemäß),

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den Bescheid des Beklagten vom 24. November 1998 und dessen Widerspruchsbescheid vom 8. September 1999 aufzuheben, soweit mit ihnen Leistungen ihres Nervenarztes im Zeitraum vom 3. August bis 29. September 1998 teilweise als nicht beihilfefähig angesehen wurden, und

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den Beklagten zu verpflichten, ihr auf den Beihilfeantrag vom 16. Oktober 1998 für die Behandlungen durch den Nervenarzt Hinrich Hörnlein-Rummel im Zeitraum vom 3. August bis zum 29. September 1998 eine weitere Beihilfe in Höhe von 295,50 DM zu gewähren.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er wiederholt und vertieft die Begründung der angefochtenen Bescheide.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, dass die weiteren Behandlungen durch ihren Nervenarzt als beihilfefähig anerkannt werden. Dazu im Einzelnen:

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Der Klageanspruch richtet sich vorliegend gemäß § 87 c Niedersächsisches Beamtengesetz (NBG) nach den gemäß § 79 des Bundesbeamtengesetzes (BBG) erlassenen allgemeinen Verwaltungsvorschriften für die Gewährung von Beihilfe im Krankheits-, Pflege-, Geburts- und Todesfällen (Beihilfevorschriften - BhV) vom 19. April 1995 in der im Zeitpunkt der Entstehung der Aufwendungen und Antragstellung geltenden und damit maßgeblichen, am 1. Juli 1997 in Kraft getretenen Fassung (GMBl. 1997, 429) sowie den hierzu ergangenen Durchführungshinweisen des Bundesministeriums des Inneren in ihren verschiedenen Fassungen. Dabei ist zu bedenken, dass die Gewährung von Beihilfe Ausdruck der Fürsorgepflicht des Dienstherrn ist (vgl. § 87 Abs. 1 Satz 1 NBG, § 79 BBG). Die Fürsorgepflicht gebietet aber nicht generell, Beihilfe zu jeglichen Aufwendungen zu gewähren, die aus Anlass einer Erkrankung im Einzelfall entstanden sind. Vielmehr können die  Beihilfevorschriften Art und Umfang der Fürsorgepflicht des Dienstherrn am Maßstab durchschnittlicher Verhältnisse, losgelöst vom Einzelfall, pauschalierend festlegen und dürfen insbesondere bei bestimmten Erkrankungen bestimmte Vorprüfungen durch die Beihilfestelle festlegen.

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Im vorliegenden Falle wurden durch die Klägerin Rechnungen eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie für eine Tätigkeit zur Behandlung von psychoreaktiven und neurotischen Störungen zur Beeinflussung einer Depression in Abrechnung gebracht. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 BhV sind beihilfefähig die Aufwendungen für ärztliche Leistungen aus Anlass einer Krankheit. Nach Satz 2 der Vorschrift bestimmen sich jedoch Voraussetzungen und Umfang der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für psychotherapeutische Behandlungen nach der Anlage 1 zu den BhV. Nach Ziff. 1 der Anlage 1 zu § 6 Abs. 1 Nr. 1 BhV sind Aufwendungen für ambulante psychotherapeutische Behandlungen nur nach Maßgabe der folgenden Nummern beihilfefähig. Dabei wird dort unter Ziff. 2.1. und Ziff. 3.1 im Falle der tiefenpsychologisch fundierten und analytischen Psychotherapie bzw. für Behandlungen nach der Verhaltenstherapie für eine Kostenübernahme stets als notwendig vorausgesetzt, dass die Beihilfefestsetzungsstelle vor Beginn der Behandlung die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen aufgrund der Stellungnahme eines vertrauensärztlichen Gutachtens zur Notwendigkeit und zu Art und Umfang der Behandlung anerkannt hat. Eine derartige vorherige Beantragung und Anerkennung der Beihilfefähigkeit der psychotherapeutischen Maßnahmen für die Klägerin ist im vorliegenden Falle nicht erfolgt. Daher kann schon aus diesem Grunde die in Streit stehende Rechnung nicht als beihilfefähig anerkannt werden.

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Aber auch dann, wenn man die Maßnahmen des betreffenden Nervenarztes als solche der psychosomatischen Grundversorgung ansieht, wie sie in Ziff. 4 ff der Anlage 1 zu § 6 Abs. 1 Nr. 2 BhV angesprochen sind, und die nicht einer vorherigen Anerkennung der Behandlung durch die Beihilfestelle bedürfen, hat die Klage gleichwohl keinen Erfolg. Denn die in Ziff. 4 ff der Anlage 1 erfasste sog. "Kleine Psychotherapie" ist nur in beschränktem Umfange beihilfefähig. Nach Ziff. 4.1 sind nämlich Aufwendungen für Maßnahmen der psychosomatischen Grundversorgung nur dann beihilfefähig, wenn bei einer entsprechenden Indikation die Behandlung der Besserung oder Heilung einer Krankheit dient und deren Dauer je Krankheitsfall bei verbaler Intervention als einzige Leistung zehn Sitzungen nicht überschreitet. Dabei sind nach Satz 2 der Regelung die Aufwendungen für eine verbale Intervention nur als einzige Leistung je Sitzung im Rahmen der Nr. 849 des Gebührenverzeichnisses der GOÄ beihilfefähig.

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Nach Ansicht des Gerichts liegt der Sinn dieser Regelungen zur Beihilfefähigkeit bei psychotherapeutischen Maßnahmen auf der Hand: Mit der Anlage 1 sollen hinsichtlich der Beihilfefähigkeit psychotherapeutischer Behandlungen im Rahmen des Beamtenrechts Beschränkungen vorgenommen werden. Dabei sollen Maßnahmen der sog. "Großen Psychotherapie" nur dann übernommen werden, wenn vorher vom Vertrauensärztlichen Dienst Umfang und Notwendigkeit bestätigt wurde. Und auch selbst dann sieht die Anlage 1 auch in diesem Bereich stundenzahlmäßige Beschränkungen vor, obwohl diese Leistungen durchaus nach der GOÄ abrechnungsfähig beim Privatenpatienten sind. Hinsichtlich der sog. "Kleinen Psychotherapie" will man auf das umständliche Vorprüfungsverfahren verzichten, jedoch erfolgt eine Beschränkung auf 10 Sitzungen je Krankheitsfall. Würde man fortlaufend nach jedem Monat Behandlungsdauer einen neuen Krankheitsfall annehmen, so liefe das auf eine Umgehung des vertrauensärztlichen Vorprüfungsverfahrens hinaus.

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Daher hat im vorliegenden Falle der Beklagte zu Recht in den angefochtenen Bescheiden eine weitere Übernahme der Kosten der psychotherapeutischen Behandlung der Klägerin abgelehnt. Die zehn Sitzungen je Krankheitsfall waren bei der Klägerin bereits ausgeschöpft. Das Gericht hat auch keinen Zweifel daran, dass es sich nur um einen Krankheitsfall handelt. Nach der ärztlichen Bescheinigung des Nervenarztes handelt es sich im Falle der Klägerin um eine seit langem bestehende Depression mit schwankenden Befunden. Damit liegt eine Erkrankung im Sinne eines Krankheitsfalles vor, so dass die hinsichtlich der Beihilfe vorgenommene Beschränkung hier eingreift.

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Entgegen der Ansicht der Klägerin kann auch nicht darauf abgestellt werden, dass nach Abschnitt C der Anlage zur Gebührenordnung für Ärzte, dort Teil B Ziff. 1, als Behandlungsfall für die Behandlung derselben Erkrankung der Zeitraum eines Monats nach der jeweils ersten Inanspruchnahme des Arztes angesehen wird. Damit wird zwar deutlich, dass nach der GOÄ abrechnungstechnisch dann ein neuer Behandlungsfall beginnt, wenn die Behandlung derselben Krankheit nach Ablauf eines Monats fortgesetzt wird. Indessen betreffen diese Bestimmungen allein die Regelung des Verhältnisses zwischen Arzt und Privatpatient und es kann für das vorliegende Verfahren offen bleiben, ob im zivilrechtlichen Sinne die von dem Nervenarzt der Klägerin in Rechnung gestellten Leistungen rechtlich zutreffend sind. Denn abweichend von diesem Privatrechtsverhältnis sind im öffentlich-rechtlichen Verhältnis zwischen dem Beamten bzw. Versorgungsempfänger und dem Dienstherrn im Beihilferecht einschränkende Regelungen erfolgt, die darauf hinauslaufen, dass im Wege der Beihilfe nicht stets und alle Kosten einer Erkrankung als beihilfefähig angesehen werden. Die Beihilfe ist eine lediglich ergänzende Fürsorgeleistung des Dienstherrn für den Beamten bzw. Versorgungsempfänger, die auch die Haushaltslage des Dienstherrn mit berücksichtigen darf (vgl. zur Rechtmäßigkeit einer Kostendämpfungspauschale: Urteil der Kammer vom 28. Februar 2001 - 6 A 3510/99 - Nds.Rpfl. 2001, 384 = Nds.VBl. 2001, 172).