Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 08.08.2002, Az.: 4 A 319/00

faktisches Vogelschutzgebiet; Vogelschutz; Windenergieanlagen

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
08.08.2002
Aktenzeichen
4 A 319/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 43541
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Die Kläger begehren die Erteilung eines Bauvorbescheides für Windenergieanlagen.

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Mit einem bei der Beklagten am 29. Juni 1998 eingegangenen Schreiben beantragten die Kläger als Bauherrengemeinschaft die Erteilung eines Bauvorbescheides für die Errichtung von 5 Windenergieanlagen auf den Flurstücken .., .., .., .. und .. der Flur .. der Gemarkung .... Der Antrag bezieht sich auf Anlagen des Typs Enercon E 66 mit Nennleistungen von jeweils 1500 kW, Nabenhöhen von jeweils 66,8 m und Rotordurchmessern von jeweils 66 m (überstrichene Fläche jeweils 3421 m²).

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Am 2. September 1998 beschloss der Rat der Beklagten die 25. Änderung des Flächennutzungsplans, die nach erteilter Genehmigung am 18. Dezember 1998 bekannt gemacht wurde. Sie beinhaltet die Darstellung von Sonderbauflächen für die Windenergienutzung an anderer Stelle des Gemeindegebiets (...) und den Ausschluss von Anlagen außerhalb dieser Sonderbauflächen im gesamten Gemeindegebiet.

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Mit Bescheid vom 22. Juni 1999 lehnte die Beklagte die Erteilung des Bauvorbescheides unter Hinweis auf die Änderung des Flächennutzungsplans ab. Das geplante Bauvorhaben liege außerhalb der ausgewiesenen Fläche. Die Darstellung im Flächennutzungsplan stehe deshalb dem Vorhaben als öffentlicher Belang entgegen.

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Gegen diesen Bescheid erhoben die Kläger Widerspruch und machten geltend, die Änderung des Flächennutzungsplans sei unwirksam. Ihren Anregungen zur Darstellung des beantragten Standortes im Flächennutzungsplan sei nicht gefolgt worden, da diese Flächen im Gutachten von Prof. ... als besonders schutzwürdig eingestuft worden seien. Eine eigenständige Überprüfung des Landschaftsbildes an dem in Aussicht genommenen Standort sei nicht vorgenommen worden. Dort befänden sich u.a. die alte Antennenanlage von Norddeich Radio sowie weitere Windkraftanlagen. Die Darstellung des Flächennutzungsplans basiere mithin auf einer fehlerhaften Bewertung des tatsächlich nicht schutzwürdigen Landschaftsbildes und sei daher abwägungsfehlerhaft.

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Die Bezirksregierung Weser-Ems wies den Widerspruch durch Bescheid vom 12. Januar 2000 als unbegründet zurück. Der These, die Darstellungen des Flächennutzungsplans seien nicht wirksam, könne nicht gefolgt werden. Im Übrigen sei eine Überprüfung der Planänderung im Widerspruchsverfahren ausgeschlossen.

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Am 21. Januar 2000 haben die Kläger Klage erhoben, die zunächst auf die Erteilung eines Bauvorbescheides für 5 Windenergieanlagen gerichtet war. In der mündlichen Verhandlung haben die Kläger die Klage auf die Verpflichtung zur Erteilung eines Bauvorbescheides - unter Ausklammerung der Frage der Erschließung - für 2 Anlagen auf den Flurstücken .. und .. beschränkt.

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Die Kläger tragen ergänzend vor: Bei der Ermittlung der Positivkriterien für die Standortwahl sei außer Acht gelassen worden, dass der von ihnen gewählte Standort der windhäufigste im gesamten Stadtgebiet sei. Eine Ermittlung von Potentialflächen für Standorte mit mindestens 5 Windenergieanlagen sei nicht vorgenommen worden. Abstandsempfehlungen des Niedersächsischen Innenministeriums seien unzulässigerweise und willkürlich auf 500 m bis 1000 m angehoben worden. Bei der Begründung des Auswahlvorschlages im Erläuterungsbericht sei der von ihnen in Aussicht genommene Standort nicht berücksichtigt worden, obwohl er wie benannte Alternativstandorte vorbelastet sei. Bei ordnungsgemäßer Abwägung wäre dieser Standort aufgrund seiner größeren Windhäufigkeit geeigneter gewesen als der dargestellte.

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Die Kläger beantragen,

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die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 22. Juni 1999 und des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Weser-Ems vom 12. Januar 2000 zu verpflichten, ihnen antragsgemäß einen positiven Bauvorbescheid für die Errichtung von 2 Windenergieanlagen des Typs Enercon E 66 auf den Flurstücken .. und .. der Flur .. der Gemarkung ... unter Ausklammerung der Erschließung zu erteilen.

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Im Übrigen erklären sie den Rechtsstreit für in der Hauptsache erledigt.

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Die Beklagte schließt sich der Erledigungserklärung an und beantragt im Übrigen,

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die Klage abzuweisen.

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Sie entgegnet: Die 25. Änderung ihres Flächennutzungsplans sei wirksam. Dem planungsrechtlichen Abwägungsgebot sei entsprochen worden. Eingeflossen in die Abwägung sei u.a. das Gutachten zum Einfluss von Windenergieanlagen auf das Landschaftsbild von Prof. ... sowie die Richtlinien über die Festlegung von Vorrangstandorten für Windenergieanlagen des Niedersächsischen Innenministeriums vom 11. Juli 1996 sowie die Leitlinie der Eingriffsregelung des NNatschG bei der Errichtung von Windenergieanlagen vom 21. Juni 1993 (avifaunistisch wertvolle Gebiete). Auf dem Gelände von Norddeich Radio befinde sich nur noch ein Antennenträger für Richtfunkzwecke. Der Hinweis auf eine größere Anzahl von Windkraftanlagen im Umfeld berücksichtige nicht die hier großen Sichtweiten. Durch die Zerstreuung der vorhandenen, überwiegend einzelnen Anlagen sei die Belastungsgrenze erreicht. Mit der Ausweisung der Potentialfläche 2 als Sonderbaufläche für Windenergieparks liege ein schlüssiges Planungskonzept vor.

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Das Gericht hat gemäß Beschluss vom 26. März 2002 Beweis erhoben über die avifaunistische Bedeutung der vom Antrag erfassten Standorte sowie über eventuelle Auswirkungen der Errichtung der vorgesehenen Windenergieanlagen auf Belange des Vogelschutzes durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Dr. ... vom 17. Juli 2002 (Beiakte F) Bezug genommen. Der Sachverständige hat sein Gutachten in der mündlichen Verhandlung, in deren Rahmen eine Ortsbesichtigung durchgeführt wurde, erläutert.

Entscheidungsgründe

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Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung durch entsprechende Erklärungen übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, d.h. hinsichtlich der drei ursprünglich geplanten Windenergieanlagen auf den Flurstücken .., .. und .., wird das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO eingestellt.

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Im Übrigen ist die Klage zulässig, aber unbegründet. Die Kläger haben gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die Erteilung des Bauvorbescheides (§ 74 NBauO) für die Errichtung von 2 Windenergieanlagen auf den Flurstücken .. und .. der Flur .. der Gemarkung ... entsprechend ihrem bei der Beklagten am 29. Juni 1998 eingegangenen Antrag.

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Das Gericht lässt dahingestellt, ob der Bauvorbescheidsantrag bescheidungsfähig und insbesondere hinreichend bestimmt ist. Hiergegen könnte sprechen, dass dem Antrag kein Lageplan (§§ 2, 3 Bauvorlagenverordnung) beigefügt war, aus dem sich die geplanten Standorte der Anlagen und ihre Abstände zu den jeweiligen Grundstücksgrenzen im Einzelnen ergeben. Ob schon dieser Mangel, auf den weder die Beklagte noch die Widerspruchsbehörde abgestellt haben, einer positiven Entscheidung entgegensteht, kann offen bleiben, da das Vorhaben unabhängig von der genauen Lage der beiden verbliebenen Anlagen auf den jeweiligen Flurstücken in materieller Hinsicht dem öffentlichen Baurecht widerspricht (§ 75 Abs. 1 NBauO).

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Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens beurteilt sich gem. § 29 BauGB nach § 35 BauGB, da der vorgesehene Standort weder im Bereich eines qualifizierten oder eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans (§§ 30 Abs. 1 und 2 BauGB) noch innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils (§ 34 BauGB), sondern im Außenbereich liegt. Dort ist das Vorhaben zwar nach § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB bevorrechtigt zulässig, da es der Nutzung der Windenergie dient. Ihm stehen aber öffentliche Belange gem. § 35 Abs. 3 BauGB entgegen. Dabei braucht nicht geklärt zu werden, ob bereits § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB eingreift, wonach einem Vorhaben nach Abs. 1 Nr. 6 öffentliche Belange in der Regel auch dann entgegenstehen, soweit hierfür - wie durch die 25. Änderung des Flächennutzungsplans der Beklagten - durch Darstellung im Flächennutzungsplan eine Ausweisung an anderer Stelle erfolgt ist. Unabhängig von der Frage einer wirksamen Konzentrationsplanung stehen dem Vorhaben jedenfalls Belange des Naturschutzes, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB, entgegen.

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Für die insoweit vorzunehmende Prüfung ist eine Abwägung zwischen dem Zweck des Vorhabens und dem öffentlichen Belang erforderlich. Bei dieser Abwägung spielt die Art des Vorhabens und die sich daraus ergebende Privilegierung ebenso eine Rolle wie die Frage, welche öffentlichen Belange berührt werden und welches Gewicht ihnen jeweils zukommt. Bei dem Vergleich der Gewichtigkeit der sich im Einzelfall gegenüberstehenden Positionen ist zugunsten privilegierter Vorhaben stets das ihnen von § 35 Abs. 1 BauGB zuerkannte gesteigerte Durchsetzungsvermögen in Rechnung zu stellen (BVerwG, Urteil vom 24. August 1979 - 4 C 8.78 - Buchholz 406.11 § 35 Nr. 159; Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Kommentar, Stand: Mai 2001, § 35 Rdnr. 60).

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Hier steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme auch unter Berücksichtigung der Bedeutung, die der Gesetzgeber der Entwicklung und Nutzung der Windenergie durch die Privilegierung von Windenergieanlagen in § 35 Abs. 1 Nr. 6 BauGB beigemessen hat, fest, dass sich das Interesse der Kläger an der Errichtung von Windenergieanlagen nicht gegen die Belange des Vogelschutzes als Unterfall des Naturschutzes iSd. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB durchsetzen kann. Für das vorgesehene Baugrundstück existiert zwar keine Norm, die diesen Standort wegen seiner avifaunistischen Wertigkeit ausdrücklich unter besonderen Schutz stellt. Insbesondere handelt es sich - noch - nicht um den Teil eines ausgewiesenen Vogelschutzgebietes iSd. Artikels 3 Abs. 2 a der EG-Vogelschutzrichtlinie (vom 2. April 1979 - 79/409/EWG) oder eines sonstigen innerstaatlichen Naturschutzgebietes. Die Beeinträchtigung des § 35 Abs. 3 Satz 1 Ziff. 5 BauGB setzt aber eine förmliche Unterschutzstellung nicht voraus (BVerwG, Urteil vom 13. April 1984 - 4 C 69.80 -, NVwZ 1985, 340 = BauR 1984, 614). Das allgemein so bezeichnete, unmittelbar an den Nationalpark ... anschließende Gebiet "...", in dem sich der vorgesehene Standort befindet, wurde auch nicht unter den in jüngerer Zeit an europäische Gremien gemeldeten besonders schutzwürdigen Gebieten aufgeführt. Der Sachverständige Dr. ... legt aber in seinem Gutachten vom 17. Juli 2002 sowie in seinen mündlichen Erläuterungen überzeugend dar, dass der betreffende Bereich Teil eines sogenannten faktischen Vogelschutzgebietes ist, in dem die Anlagen unzulässig sind (zu den Anforderungen Nds. OVG, Urteil vom 14. September 2000 - 1 L 2153/99 -, Nds. Rpfl. 2001, 205), und dass unabhängig hiervon auch bei kleinräumlicher Betrachtung die Aufstellung der vorgesehenen Anlagen zu aus avifaunistischer Sicht unvertretbaren Folgen führen würde.

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Bei dem Sachverständigen handelt es sich um einen in Fachkreisen anerkannten Ornithologen, der gerade für die hier interessierenden "Fragen" des Aufkommens von Rast- und Brutvogelbeständen im unmittelbaren Küstenbereich sowie der Auswirkungen von Windenergieanlagen auf derartige Bestände über eine besondere Erfahrung und Sachkunde verfügt. Seine Zählergebnisse und Bewertungen werden regelmäßig von den mit entsprechenden Fragen befassten Behörden berücksichtigt.  Er hat selbst speziell im niedersächsischen Küstenbereich, in dem sich auch das Gebiet der Beklagten und der vorgesehene Standort befinden, seit mehr als 10 Jahren eigene Untersuchungen vorgenommen und diese sowie die Ergebnisse der Untersuchungen anderer Experten in vielfachen Publikationen verarbeitet. Das Gericht teilt nicht die von den Klägern vorgebrachten Bedenken an der Unabhängigkeit des gerichtlich bestellten Sachverständigen. Aus dem Umstand, dass seine Ausarbeitung "Vogelrastgebiete im Grenzbereich zum Nationalpark "...", an der Unterems und an der Unterweser" (1998) im Auftrag (auch) des Naturschutz Bundesdeutschland e.V. (NABU), also einer dem Vogelschutz aufgeschlossenen Naturschutzorganisation, erstellt wurde, lässt sich weder allgemein noch speziell für diesen Rechtsstreit ein Schluss auf seine Voreingenommenheit ziehen. Weder in den Verfahren, in denen der Sachverständige bisher von der Kammer als Gutachter beauftragt worden war, noch in diesem Rechtsstreit haben sich Anhaltspunkte für eine einseitige Gewichtung zugunsten des Vogelschutzes ergeben. Die inhaltlichen Angriffe der Kläger gegen das schriftliche Gutachten, mit denen Mängel in der Methodik gerügt wurden, die im Ergebnis zur Berücksichtigung eines überhöhten Vogelaufkommens geführt hätten, hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung ebenfalls überzeugend entkräftet (dazu weiter unten).   

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Zu der avifaunistischen Bedeutung der Westernmarsch, in dem sich die vorgesehenen Standorte befinden, führt er (S. 11 ff. seines Gutachtens) und unter Hinweis auf die Ergebnisse eigener und fremder Untersuchungen aus, dass sowohl das umfassendere Hauptgebiet "..." als auch das Teilgebiet "..." aufgrund der Vogelbestände internationale Bedeutung erreicht. Die Kriterien hierfür werden erfüllt für die Arten großer Brachvogel, Möwen und Nonnengans. Daneben wird für viele Arten regionale, landesweite und nationale Bedeutung festgestellt. In formeller Hinsicht ist die Westermarsch einschließlich der hier strittigen Standorte vom Land Niedersachsen für die "Aktualisierung der Gebietsvorschläge gemäß der Vogelschutz-Richtlinie der EU (79/409/EWG) in Niedersachsen" als besonderes Schutzgebiet vorgesehen. Damit wird deutlich, dass auch die Niedersächsische Landesregierung dem gesamten Gebiet inzwischen eine herausragende avifaunistische Bedeutung beimisst. Der Sachverständige legt weiter dar, dass das Gebiet außerdem in der Liste der niedersächsischen Important Bird Areas (IBA) von ... und ... (2000), dem internationalen IBA-Verzeichnis von BirdLife International (Heath and Evans 2000) sowie der aktuellen deutschen IBA-Liste ( Sudtfeld u.a. 2002) geführt wird. Unter Bezugnahme auch auf die ersten beiden Verzeichnisse hat die Europäische Kommission in ihrem Mahnschreiben an die Bundesrepublik Deutschland am 20. Dezember 2001 u.a. das Gebiet "..." als Beleg für die defizitäre Meldung Deutschlands nach der EU-Vogelschutzrichtlinie angeführt. Die Bundesrepublik Deutschland hat daraufhin in ihrer Antwort vom 18. März 2002 darauf hingewiesen, dass dieses Gebiet nachgemeldet werden soll. Angesichts dieser Würdigung bzw. Bestätigung der Einschätzung des Sachverständigen durch nationale und europäische Fachgremien teilt die erkennende Kammer seine Einschätzung, dass es sich bei dem Gebiet Westermarsch um ein faktisches Vogelschutzgebiet handelt.

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Auf die von den Klägern aufgeworfene Frage, ob der Sachverständige in seinen früheren Ausarbeitungen sachgerechte Gebietsabgrenzungen vorgenommen hat, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, da die obengenannte "Aktualisierung der Gebietsvorschläge" jedenfalls den hier interessierenden Teilbereich der Westermarsch mit umfasst. Im Übrigen sind entgegen der Bewertung der Kläger die allgemeinen Ausführungen des Sachverständigen zur Abgrenzung und Bewertung von Teilgebieten (S. 171 f der Ausarbeitung "Vogelrastgebiete....") nicht willkürlich, sondern nachvollziehbar begründet. Insbesondere erscheint es nicht sachfremd, für die Abgrenzung auch Flächen mit einem Aufkommen von Vögeln zu berücksichtigen, die zwar jeweils für sich genommen die Schwelle avifaunistischer Bedeutsamkeit nicht erreichen, aber zusammengenommen einen zahlenmäßig hohen Anteil von Vögeln in dem jeweiligen Gebiet abdecken. Die Kläger haben insoweit auch keinen Widerspruch der Methodik des Sachverständigen mit der herrschenden wissenschaftlichen Meinung geltend machen können.

25

Bei einer Einstufung als faktisches Vogelschutzgebiet gilt hier das Schutzregime des Artikels 4 Abs. 4 Satz 1 der Vogelschutzrichtlinie, welches wesentliche Eingriffe in Vogelschutzgebiete aus wirtschaftlichen Gründen regelmäßig nicht zulässt (EuGH, Urteil vom 11. Juli 1996 - Rs C 44/95 - NuR 1997, 36; Urteil vom 28. Februar 1991 - Rs C 57/98 - NuR 1991, 249; BVerwG, Urteil vom 19. Mai 1998 - 4 A 9/97 - NVwZ 1998, 961; Beschluss vom 21. November 2001 - 4 VR 13.00 -, ZuR 2002, 225). Die insoweit weniger strengen Bestimmungen der Art. 6 Abs. 2-4 der Flora und Fauna - Habitat-Richtlinie (FFH-Richtlinie) vom 21. Mai 1992 (92/43/EWG) finden keine Anwendung, da sie nur für Flächen gelten, die von den Mitgliedsstaaten entsprechend Art. 4 Abs. 1 Unterabs. 3 und Abs. 2 der Vogelschutzrichtlinie zu Schutzgebieten erklärt worden sind, nicht aber für solche, die ohne eine derartige Bestimmung wegen ihrer ornithologischen Bedeutung als sog. faktische Vogelschutzgebiete anzusehen sind (EuGH, Urteil vom 7. Dezember 2000 - Rs C - 374/98 -, DVBl. 2001, 359). Die Errichtung der geplanten Anlagen würde einen iSd. Artikel 4 Abs. 4 Satz 1 der Vogelschutzrichtlinie erheblichen und somit unzulässigen Eingriff in das Vogelschutzgebiet darstellen. Es würden die Erhaltungsziele einer anzustrebenden Gebietsausweisung betroffen werden, in dem u. a. Lebensräume für im Anhang I der Vogelschutzlinie aufgeführte Vogelarten (Nonnengans, Goldregenpfeifer) und andere im europäischen Maßstab als bedeutend angesehene Tiere in einem nicht zu vernachlässigenden Umfang beschnitten werden würden.

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Angesichts der Gewichtigkeit eines faktischen Vogelschutzgebietes und den Ausführungen des Sachverständigen zu der beeinträchtigenden Wirkung des Vorhabens für dieses Gebiet wäre es Sache der Kläger gewesen, das sich aus der Vogelschutzrichtlinie ergebende Schutzbedürfnis für den hier in Rede stehenden Standort substantiiert zu widerlegen. Dieses ist den Klägern nicht gelungen. Vielmehr sprechen auch die nachstehenden, auf die konkreten Standorte und ihre Umgebung bezogenen Feststellungen des Sachverständigen für den hier eingenommenen Standpunkt. Aus diesen Überlegungen ergibt sich zugleich unabhängig von der Einstufung als faktisches Vogelschutzgebiet für die vorgesehenen Standorte der Vorrang der Belange des Vogelschutzes gegenüber dem Interesse der Kläger an der Verwirklichung ihres privilegierten Vorhabens.

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Es ist anerkannt (vgl. Runderlass des Nds. Innenministeriums vom 11. Juli 1996 (39.1 - 32 346/8.4)), dass in avifaunistisch wertvollen Gebieten von lokaler und höherer Bedeutung vorbehaltlich der Einzelfallprüfung grundsätzlich die Belange des Naturhaushaltes gegenüber den Belangen der Windenergienutzung überwiegen. Dieser Maßstab gilt nicht nur für Windparks bzw. für Windfarmen (ab 3 Anlagen), sondern grundsätzlich auch für Einzelanlagen (vgl. hierzu die inhaltsgleiche Vorgabe in Nr. 6.2 der auch Einzelanlagen betreffenden Leitlinie des Nds. Umweltministeriums vom 21. Juni 1993 - 113-22531/2/3 - zur Anwendung der Eingriffsregelung des Nds. Naturschutzgesetzes bei der Errichtung von Windenergieanlagen (Nds. Ministerialblatt 1993, S. 923). Die nicht zu Förderst auf den konkret vorgesehenen Anlagenstandort abstellende, sondern großräumigere Betrachtungsweise ("Gebiete") findet bei Rastvögeln, deren Schutz hier im Wesentlichen in Rede steht, ihre Rechtfertigung darin, dass aufgrund der Großräumigkeit des Rastvogelgeschehens eine Bewertung einzelner kleinflächiger Bereiche aus methodischen Gründen auf der Basis vorhandener Daten in der Regel nicht möglich und auch naturschutzrechtlich wenig sinnvoll ist. Der Sachverständige Dr. ... verweist hierzu in seinem Gutachten (auf S. 11) überzeugend auf die Dynamik des Rastvogelauftretens. So werden kleine Bereiche in manchen Jahren nur kurzzeitig oder gar nicht und in anderen regelmäßig und über längere Zeitabschnitte intensiv genutzt, weil die vorjährige Fläche durch Nutzungsänderung (z. B. Brache) nicht mehr zur Verfügung steht. Nach den mündlichen Ausführungen des Sachverständigen können auch andere äußere Einflüsse innerhalb eines Gebiets zu Wechseln in der Nutzung führen. Außerdem muss wegen der - für einzelne Arten unterschiedlichen - Wirkweite von Windkraftanlagen eine Betrachtung über die einzelnen Standorte bzw. Flurstücke hinausgehen und für die betroffenen Vögel funktional zusammenhängende Raumeinheiten beachten.

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Ausgehend davon liegt der hier zur Genehmigung gestellte Standort in einem Gebiet mit einer deutlich höheren als einer nur lokalen Bedeutung für den Vogelschutz und damit in einem von Windenergieanlagen grundsätzlich freizuhaltenden Bereich. Der Sachverständige stützt seine Einschätzung auf eine Vielzahl von selbst ermittelten und übernommenen Daten, die er mit nachvollziehbarer und widerspruchsfreier Begründung zu dem gefundenen Ergebnis verarbeitet. Nach seinen Erkenntnissen gehören sowohl das Hauptgebiet "... und ..." als auch das Teilgebiet ... zu den Gebieten mit internationaler Bedeutung. Das nähere Umfeld der geplanten Standorte gehört danach gleichfalls zu den wegen ihrer Bedeutung für den Vogelschutz von Windkraftanlagen grundsätzlich freizuhaltenden Gebieten. In seiner Ausarbeitung "Vogelrastgebiete im Grenzgebiet zum Nationalpark "Niedersächsisches Wattenmeer", an der Unterems und an der Unterweser" (1998) hebt der Sachverständige für das Hauptgebiet Krummhörn und Westermarsch hervor, dass es "im Untersuchungszeitraum der mit Abstand wertvollste binnenländische Rastbereich im gesamten Bearbeitungsgebiet" war (S. 194). Das Teilgebiet Westermarsch wird (S. 196) als das "zweitwichtigste Rastvogelgebiet im gesamten Grenzbereich zum Nationalpark" bezeichnet. Die besondere Wertigkeit der Westermarsch ergebe sich aus der Deichnähe und den sehr großflächigen Wattenmeerflächen vor dem Deich. Diese Flächen böten - so seine schriftlichen und mündlichen Ausführungen in diesem Rechtsstreit - während der Ebbe einer großen Zahl von Watvögeln (z.B. großer Brachvogel, Goldregenpfeifer) Nahrungsraum, den sie bei etwas höher auflaufendem Wasser komplett räumen müssten, da dann die Vorländereien komplett unter Wasser stünden. Die gleiche Funktion besäßen diese Flächen für die im Anhang I der Vogelschutzrichtlinie geführten Nonnengänse. Als Hochwasserfluchtplätze würden dann die deichnahen, offenen und dünn besiedelten Acker- und Wiesenflächen der Westermarsch aufgesucht. Die Westermarsch stelle damit in besonderem Maße eine funktionale Ergänzung auch des Nationalparks "Niedersächsisches Wattenmeer" dar. Diese Funktion sei bereits jetzt durch die seit Anfang der 90er Jahre errichteten Windkraftanlagen erheblich beeinträchtigt. Durch 2 oder mehr zusätzliche Anlagen würde der Freiraum für rastende Gänse und Watvögel in erheblichem Maße zusätzlich eingeschränkt. In seinem Gutachten vom 17. Juli 2002 verweist der Sachverständige auch auf andere Erkenntnisse zum strittigen Standort. Gerade dort und in dessen unmittelbarem Umfeld seien erhebliche Vogelansammlungen nachgewiesen worden. Für einen Umkreis von 600 m um jede Anlage würde der Rastplatz entweder gänzlich unbrauchbar oder erheblich beeinträchtigt werden. Diesen Ausführungen folgt die erkennende Kammer. Mit ihnen hat der Sachverständige zur ornithologischen Wertigkeit des näheren Umfeldes des Standortes der geplanten Anlagen Hinweise gegeben, die als Einzelfallprüfung (vgl. den Erlass des Niedersächsischen Innenministeriums vom 11. Juli 1996) das Ergebnis auch für den kleinräumigen Umgebungsbereich stützen.

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Die gegen die Bewertung für die konkreten Standorte erhobenen Einwendungen der Kläger greifen nicht durch. Der Sachverständige hat in der mündlichen Verhandlung überzeugend ausgeführt, dass er speziell für die Westermarsch auf ein besonders umfangreiches Datenmaterial zurückgreifen kann, welches eine sichere Einschätzung erlaubt. In der Westermarsch sind nach seinen Angaben in den vergangenen Jahren insgesamt ca. 50 Zählungen vorgenommen worden, die ein kontinuierliches Bild für einen längeren Zeitraum ermöglichen. Der Sachverständige hat dabei nicht nur auf eigene Erkenntnisse zurückgegriffen, sondern auch fremde Zählungen und Bewertungen berücksichtigt. Vermeintliche Widersprüche in seiner Argumentation hat er in der mündlichen Verhandlung aufgelöst. Dies gilt insbesondere für die Tatsache, dass in seiner zeichnerischen Darstellung für das Teilgebiet Westermarsch in seiner Ausarbeitung "Vogelrastgebiete..." für die hier beantragten Standorte und ihre unmittelbare Umgebung keine Flächen mit größerer Bedeutung dargestellt sind und erst in einiger Entfernung hiervon Flächen bis hin zu internationalen Bedeutung vermerkt wurden. Diese Diskrepanz zu seiner jetzigen Begutachtung erklärt sich nach der glaubhaften Erklärung des Sachverständigen damit, dass in der genannten Ausarbeitung lediglich Zähldaten aus einem bestimmten, zeitlich engen Beobachtungszeitraum (1995/96) verarbeitet wurden. Dies sei seinerzeit trotz des vorhandenen Datenmaterials für andere Zeiträume - hier wie in anderen Teilgebieten - bewusst geschehen, um gebietsübergreifend eine einheitliche und in sich stimmige Bestandsaufnahme wiedergeben. Ebenso würden auch die in seinem Gutachten vom 17.  Juli 2002 wiedergegebenen Ergebnisse anderer Ornithologen (Kowallik und Bornbach-Jaene ) eine momentane Bestandsaufnahme darstellen. Die ihm darüber hinaus zur Verfügung stehenden umfangreichen Daten aus eigenen und fremden Zählungen, die hier besonders dicht seien, erlaubten ihm jedoch eine sichere allgemeine und zeitunabhängige Einschätzung des Meideverhaltens im Umfeld der geplanten Standorte (vgl. hierzu auch die Auflistung auf Bl. 19 des Gutachtens).

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Ohne Erfolg melden die Kläger Zweifel an der Aussagekraft des Gutachtens des Sachverständigen mit dem Hinweis an, er habe für die einzelnen Vogelarten die Kreise um die jeweiligen Standorte zu groß gezogen und sei damit für diese von einem zu großen Vogelbestand ausgegangen. Dem hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung überzeugend entgegengehalten, dass seine eigenen Ergebnisse über das Meideverhalten von Vögeln im Umfeld von Windenergieanlangen im Wesentlichen mit denen anderer, auch den von den Klägern für ihre Kritik ins Feld geführten Ornithologen übereinstimmten. Soweit sich danach eher geringfügige Abweichungen ergäben, liege dies in der Natur der Sache und begründe sich durch die Umstände der jeweiligen Einzelzählungen, etwa durch geographische, meteorologische oder sonstige Besonderheiten. Deshalb sei es auch kein Widerspruch, wenn er selbst anderenorts für eine Art (Goldregenpfeifer) einen weitaus größeren Abstand festgestellt habe als im Bereich der Westermarsch. Diesen substantiierten und in sich stimmigen Ausführungen haben die Kläger nichts entgegengesetzt.

31

Schließlich bestand nicht aus anderen Gründen Veranlassung, entsprechend der Anregung der Kläger einen anderen Sachverständigen mit einer erneuten Begutachtung zu beauftragen. Auch die Kläger haben im übrigen keinen Sachverständigen nennen können, der in gleicher Weise wie der gerichtlich bestellte Gutachter eine Fachkompetenz zur Beantwortung der hier in Rede stehenden avifaunistischen Fragen aufweist und zugleich ebenso mit den Örtlichkeiten vertraut ist und auf eigenes umfangreiches Datenmaterial zurückgreifen kann.

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Nach allem kann dahingestellt bleiben, ob dem Vorhaben außer den Belangen des Naturschutzes auch weitere öffentliche Belange iS des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB entgegenstehen und dieses insbesondere die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigen bzw. das Landschaftsbild verunstalten würde.

33

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 2 VwGO iVm. § 708 Nr. 11 ZPO.