Verwaltungsgericht Oldenburg
v. 29.08.2002, Az.: 5 A 2305/00

Biogasanlage; Nachbarwiderspruch; Unzulässigkeit; Vorverfahren; Widerspruchsfrist

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
29.08.2002
Aktenzeichen
5 A 2305/00
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2002, 43544
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Bei der Fristbestimmung für die Erhebung eines Nachbarwiderspruchs ist der Zeitpunkt des Kennenmüssens der Baumaßnahmen maßgeblich.

Tatbestand:

1

Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung.

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Die Beklagte erteilte dem Beigeladenen mit Bescheid vom 24. Februar 1998 die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Biogasanlage auf dem Flurstück .../... der Flur ... der Gemarkung .... Auf den Widerspruch des Beigeladenen wurde u. a. die Nebenbestimmung C1 dieses Genehmigungsbescheides durch Widerspruchsbescheid vom 14. April 1998 neu gefasst. Danach war ein Probebetrieb der Anlage von bis  zu 5 Monaten vor der Schlussabnahme zulässig. Das Wohngrundstück des Klägers liegt nach dem bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen Kartenmaterial - durch die L ...und ein landwirtschaftlich genutztes Grundstück getrennt - etwa 200 m nördlich der genehmigten Anlage. Er legte mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 1. Dezember 1999, bei der Beklagten eingegangen am 3. Dezember 1999, Widerspruch gegen den Genehmigungsbescheid der Beklagten vom 24. Februar 1998 ein. Er führte dazu u. a. aus, die Anlage sei "erst Ende 1998" endgültig in Betrieb genommen worden. Auf Nachfrage der Beklagten legte das Gewerbeaufsichtsamt ... einen Übernahmeschein von Abfällen für die Biogasanlage des Beigeladenen vom 10. November 1998 vor. Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 17. Mai 2000 als unzulässig zurück. Sie führte dazu aus, im nachbarrechtlichen Rechtschutz könne ein Rechtsbehelf nur binnen Jahresfrist eingelegt werden. Diese Frist beginne mit der Kenntnis vom Ergehen eines Verwaltungsakts oder wenn der Nachbar diese Kenntnis erlangt haben könnte bzw. müsste. Aufgrund der Bautätigkeiten habe der Kläger vom Vorliegen eines Verwaltungsakts ausgehen können und müssen. Die Bauphase sei im November 1998 endgültig abgeschlossen gewesen, denn in diesem Monat habe die Biogasanlage den Betrieb aufgenommen. Der Kläger habe daher die Widerspruchsfrist nicht eingehalten.

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Mit der darauf am 16. Juni 2000 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt dazu vor, der Genehmigungsbescheid sei ihm nie zugestellt worden, ihm sei nur bekannt geworden, dass die Anlage Ende 1998 in Betrieb genommen worden sei. Die Widerspruchsfrist habe nicht zu laufen begonnen. Vor der endgültigen Inbetriebnahme sei es nach seiner Kenntnis zu mehreren Probeläufen gekommen, ohne dass sich für ihn daraus offensichtlich der Beginn des regulären Betriebes der Anlage ergeben habe. Es komme aber darauf an, wann die Anlage tatsächlich endgültig in Betrieb genommen worden sei. Die Vorschrift des § 58 Abs. 2 VwGO sei weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar, denn der angefochtene Genehmigungsbescheid sei ihm nicht bekannt gegeben worden. Wann der Beigeladene erstmals Strom in das Netz eingespeist habe, sei unerheblich, denn das sei für einen Dritten von außen nur schwer zu erkennen. Erst mit der Einweihung der Anlage durch den Landwirtschaftsminister im Frühjahr 1999 habe er erstmals erkennen können, was auf ihn zukomme.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14. April 1998 und den Widerspruchsbescheid vom 17. Mai 2000 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie trägt ergänzend vor, die dem Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung sei im vereinfachten Verfahren erteilt worden. Es sei daher nicht erforderlich gewesen, den angefochtenen Bescheid dem Kläger bekannt zu geben. Der Kläger wohne in unmittelbarer Nachbarschaft zu der genehmigten Anlage. Aufgrund der Baumaßnahmen habe er davon ausgehen müssen, dass diese genehmigt worden sei.

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Der Beigeladene beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er macht geltend, die Biogasanlage sei bereits im Oktober 1998 errichtet gewesen und sei ab diesem Zeitpunkt auch betrieben worden. Das werde durch die Bescheinigung der ... vom 3. Juli 2002 bestätigt. Daraus ergebe sich zweifelsfrei, dass die Anlage ab 15. Oktober 1998 Energie in das ...-Netz eingespeist habe. Dem Kläger sei die Errichtung der Anlage aber auch schon weit vor diesem Tag bekannt gewesen. Denn am 26. April 1998 habe eine Informationsveranstaltung über Biogasanlagen stattgefunden, auf der er - der Beigeladene - unmissverständlich dargelegt habe, eine Biogasanlage zu planen. Mitinitiator dieser Veranstaltung sei der Kläger gewesen.

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Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten dieses sowie der Verfahren 1 B 2487/00 und 1 B 3542/02 sowie auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Über die zulässige Klage konnte gemäß § 84 Abs. 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werden. Die Sache weist keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art auf. Die maßgeblichen Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt und der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist bekannt, weiterer Aufklärungsbedarf besteht entgegen der Ansicht des Klägers nicht.

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Die Klage ist unbegründet, denn der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 1998 (in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. April 1998) ist bestandskräftig. Nach eingehender Prüfung der Sach- und Rechtslage sieht die erkennende Kammer keine Veranlassung, von der diesbezüglichen vorläufigen Beurteilung der früher zuständigen 1. Kammer des Gerichts (vgl. Beschl. v. 6. Oktober 2000, 1 B 2487/00, S. 6 des Beschlussabdrucks), an deren Richtigkeit das OVG Lüneburg keine ernstlichen Zweifel hegt (vgl. Beschl. v. 13. März 2002 - 7 M 3743/00 -) abzuweichen.

15

Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsakts nach § 68 Abs. 1 S. 1 VwGO in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Das Vorverfahren beginnt mit der Erhebung des Widerspruchs, der innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben ist, §§ 69, 70 VwGO. Allerdings beginnt die Widerspruchsfrist gemäß §§ 70 Abs. 2, 58 Abs. 1 VwGO nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf ordnungsgemäß belehrt worden ist.

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Das ist hier zweifelsfrei nicht der Fall. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 1998 und der Änderungsbescheid vom 14. April 1998 wurden dem Kläger nicht zugestellt, die Bescheide wurden ihm auch nicht sonst amtlich bekannt gegeben. Gleichwohl steht dem Kläger aber grundsätzlich der Rechtsweg unter den gesetzlichen Voraussetzungen offen, denn die Widerspruchs- und Klagefrist wird in einem derartigen Fall ihm gegenüber nicht in Lauf gesetzt (vgl. BVerwG, Urt. V. 30. September 1997, 1 B 190/97, Buchholz 310, § 70 VwGO, Nr. 22, zitiert nach Juris). Jedoch muss sich ein Grundstückseigentümer, dem eine seinem Nachbarn erteilte Genehmigung nicht bekannt gegeben wurde, nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urt. v. 25. Januar 1974, IV C 2.72, NJW 1974, S. 1260; Beschl. v. 18. Januar 1988, 4 B 257/87, NJW 1988, S. 532; vgl. auch: VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 7. November 1997, 8 S 1170/97, zitiert nach Juris) nach Treu und Glauben so behandeln lassen, als sei ihm die Genehmigung amtlich bekannt gegeben worden, wenn er davon auf andere Weise zuverlässig Kenntnis erlangt hat. Das gleiche gilt, wenn er von der Genehmigung hätte Kenntnis haben müssen, weil sich ihm das Vorliegen einer derartigen Genehmigung aufdrängen musste und es ihm möglich und zumutbar war, sich darüber Gewissheit zu verschaffen. In derartigen Fällen ist ein Widerspruch - mangels einer Rechtsmittelbelehrung - innerhalb der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO einzulegen, ein später eingelegter Widerspruch ist unzulässig (vgl. BVerwG, Urt. v. 25. Januar 1974, a.a.O.).

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Danach ist der bei der Beklagten am 3. Dezember 1999 eingegangene Widerspruch des Klägers gegen die dem Beigeladenen mit Bescheid vom 24. Februar 1998 erteilte Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Biogasanlage unzulässig. Der Beigeladene hat - vom Kläger unwidersprochen - vorgetragen, der Kläger habe die Veranstaltung des Ortslandvolkverbandes ... zum Thema "Biogas in der Landwirtschaft" am 26. April 1998 mit initiiert. Auf dieser Veranstaltung habe er - der Beigeladene - unmissverständlich dargelegt, eine Biogasanlage zu planen. Die Bautätigkeit zur Errichtung dieser Anlage auf dem nur etwa 200 m Luftlinie vom eigenen Grundstück entfernten Grundstück des Beigeladenen konnte dem Kläger nicht verborgen bleiben. Beide Grundstücke liegen nach dem bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen Kartenmaterial im Außenbereich und das Wohngrundstück des Klägers ist nur durch ein landwirtschaftlich genutztes Grundstück sowie die L ... vom Betriebsgrundstück des Beigeladenen getrennt. Auch angesichts der Größe der Biogasanlage, die neben dem Bau einer 16 mal 10 m großen Anlagenhalle sowie zwei Betonfermentern mit einem Durchmesser von 12,64 m und einer Höhe von etwa 5 m auch die Erstellung einer gesonderten Zufahrt erforderte, erachtet es die erkennende Kammer als ausgeschlossen, dass der Kläger diese Bautätigkeit auf dem Grundstück des Beigeladenen nicht wahrgenommen hat. Im Hinblick auf das Ausmaß der Bautätigkeit musste es sich dem Kläger auch aufdrängen, dass der Bau der Biogasanlage nur mit Genehmigung der zuständigen Behörde erfolgt sein konnte. Etwaige Zweifel hätte er durch eine Anfrage bei der zuständigen Verwaltungsbehörde - der Beklagten -, bei dem Beigeladenen aber auch bei der Gemeinde ... ausräumen können. Diese hätte ihm zweifelsfrei die zuständige Genehmigungsbehörde genannt oder seine Anfrage dorthin weitergeleitet. Auf diese Weise hätte sich der Kläger die Information beschaffen können, die er zur Wahrnehmung seiner Rechte benötigte. Der Baubeginn der Anlage ist zwar nicht bekannt, auf eine genaue zeitliche Einordnung kommt es insoweit jedoch nicht an, denn es steht fest, dass in der Biogasanlage des Beigeladenen erzeugter Strom erstmals am 15. Oktober 1998 in das Netz der ... eingespeist wurde. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war die Anlage mithin betriebsbereit errichtet. Ein weiterer Aufklärungsbedarf besteht danach nicht, zumal der Kläger selbst vorgetragen hat, die Anlage sei Ende 1998 endgültig in Betrieb gegangen, zuvor sei es zu mehreren Probeläufen gekommen. Das steht in Einklang mit den weiteren Erkenntnissen, wonach am 10. November 1998 erstmals (Fremd-) Abfälle für die Biogasanlage des Beigeladenen angeliefert wurden. Der erst am 3. Dezember 1999 bei der Beklagten eingegangene Widerspruch des Klägers ist nach allem zweifelsfrei nach Ablauf der Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO erhoben worden. Die Beklagte hat den Widerspruch mithin mit Bescheid vom 17. Mai 2000 zu Recht als unzulässig zurückgewiesen.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Es entsprach der Billigkeit, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO), weil der Beigeladene einen Antrag gestellt und damit ein Kostenrisiko eingegangen ist (§ 154 Abs. 3 VwGO). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO.