Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 06.08.2002, Az.: 6 A 4176/00
2,3-facher Gebührensatz; Mehrschichtfülltechnik; Schmelz-Ätz-Technik; Schwellenwert
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 06.08.2002
- Aktenzeichen
- 6 A 4176/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43548
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 87c BG ND
- § 5 Abs 1 BLV
- § 5 GOZ
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Überschreiten des Schwellenwertes, also des 2,3-fachen Gebührensatzes, ist nicht deshalb gerechtfertigt, weil der Zahnarzt eine Mehrschichtfülltechnik und/oder eine Schmelz-Ätz-Technik bei der zwei- bzw. dreiflächigen plastiischen Füllung verwandt hat.
Tatbestand:
Der verheiratete Kläger ist als Beamter im Dienst der Beklagten und Vater von ... in den Jahren 19.. und 19.. geborenen Kindern beihilfeberechtigt zu einem Beihilfebemessungssatz von 70 % für eigene Aufwendungen und solcher seiner Ehefrau und 80 % für Aufwendungen seiner Kinder. Er begehrt eine weitere Beihilfe für zahnärztliche Leistungen, die der Zahnarzt unter dem 13. April 2000 für die Behandlung seines Sohnes ... über insgesamt 477,05 DM in Rechnung gestellt hat.
Der Sohn des Klägers befand sich vom 14. März 2000 bis zum 11. April 2000 in zahnärztlicher Behandlung, bei der u. a. die Zähne 36, 16 und 46 mit einer zwei- bzw. dreiflächigen plastischen Füllung in Mehrschichtfülltechnik bzw. zudem in Schmelz-Ätz-Technik versorgt wurden, die der Zahnarzt mit den Nrn. 207 und 209 GOZ jeweils mit dem Faktor 3,0, mithin einmal 69,30 DM und zweimal 99,00 DM, in Rechnung stellte. Die Faktorerhöhung erkannte die Beklagte nicht als beihilfefähig an und zog vom Rechnungsbetrag einmal 16,17 DM und zweimal 23,10 DM, insgesamt also 62,37 DM ab. Mit Bescheid vom 10. Mai 2000 gewährte die Beklagte dem Kläger zuvor grundsätzlich Beihilfe, jedoch reduziere sie für die Gebührennummern 207 und 209 GOZ den beihilfefähigen Betrag auf den 2,3-fachen Satz um 62,37 DM mit der Begründung, dass die Zahnarztrechnung den Schwellenwert von 2,3 ohne Grund überschreite. Die Begründung in der Rechnung sei dafür nicht ausreichend. Die Kürzung erfolge nach § 5 Abs. 1 der Beihilfevorschriften. Gegen den Beihilfebescheid vom 10. Mai 2000 legte der Kläger Widerspruch ein, soweit ihm Beihilfe nicht gewährt worden war. Die Beklagte wies den Widerspruch, soweit er sich auf die Faktorerhöhung bezog, mit Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2000 als unbegründet zurück.
Am 15. November 2000 hat der Kläger Klage erhoben.
Er trägt vor: Zu Unrecht habe die Beklagte 62,37 DM nicht als beihilfefähig anerkannt und ihm die darauf entfallende Beihilfe nach dem Beihilfebemessungssatz von 80 % nicht gewährt. Die vom Zahnarzt gegebene Begründung für die Erhöhung des Schellenwertes sei ausreichend, denn auch klare stichwortartige und kurze Begründungen genügten den Anforderungen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, ihm über die gewährte Beihilfe hinaus für die Rechnung des Zahnarztes vom 13. April 2000 eine weitere Beihilfe für in Rechnung gestellte 62,37 DM zu gewähren und die Bescheide der Beklagten vom 10. Mai 2000 und 24. Oktober 2000 aufzuheben, soweit sie dem entgegen stehen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erwidert: Sie habe die Erhöhung des Schwellenwertes nicht anerkannt, weil sie nicht gerechtfertigt sei, denn der Zahnarzt habe eine in der Praxis häufig angewandte Verfahrensweise bei der Behandlung der Zähne des Sohnes des Klägers gewählt. Das rechtfertige nicht die Faktorerhöhung.
Mit Schriftsatz vom 27. März 2002 hat die Beklagte und mit Schriftsatz vom 4. April 2002 hat der Kläger das Einverständnis mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Das Verwaltungsgericht Oldenburg - 6. Kammer- hat mit Beschluss vom 9. April 2002 den Rechtsstreit auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.
Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet. Dies konnte die Einzelrichterin gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem ihr der Rechtsstreit gemäß § 6 Abs. 1 VwGO zur Entscheidung übertragen worden ist.
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung einer weiteren Beihilfe im Hinblick darauf, dass ein höherer Beihilfebetrag anerkannt wird als durch die Bescheide der Beklagten erfolgt ist.
Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 87 c Abs. 1 des Niedersächsischen Beamtengesetzes (NBG) in Verbindung mit den Beihilfevorschriften des Bundes (BhV), wie sie - in Ermangelung abweichender Vorschriften - in der zum Zeitpunkt der Entstehung der Aufwendungen maßgeblichen Fassung vorlagen (vgl. § 5 Abs. 2 BhV). Der seit der Behandlung im März/April 2000 insoweit unverändert gebliebene § 5 Abs. 1 Satz 1 BhV erkennt Aufwendungen nur dann als beihilfefähig an, wenn sie dem Grunde nach notwendig und soweit sie der Höhe nach angemessen sind. Dabei beurteilt sich die Angemessenheit der Aufwendungen gemäß (§ 5 Abs. 1, Satz 2, 1. Halbsatz BhV nach dem Gebührenrahmen der maßgeblichen Gebührenordnungen, womit die Beihilfefähigkeit im Regelfall voraussetzt, dass der Arzt die Rechnungsbeträge bei zutreffender Auslegung der Gebührenordnung, vorliegend der Gebührenordnung für Zahnärzte - GOZ -, in Rechnung gestellt hat (vgl. BVerwG, Urteil v. 17. Februar 1994 - 2 C 10.92 -, BVerwGE 95, 117; ZBR 1994, S. 225 (226). Eine Ausnahme besteht unter anderem nur dann, wenn bei objektiver Betrachtung ernsthaft widerstreitende Auffassungen über die Berechtigung eines Gebührenansatzes bestehen (vgl. BVerwG, Urteil v. 30. Mai 1996 - 2 C 10.95 -, ZBR 1996, S. 314 (315)).
Dabei wird grundsätzlich nur eine Gebühr, die den Schwellenwert des Gebührenrahmens nicht überschreitet, als angemessen angesehen, soweit keine besonderen, gerade bei der Behandlung des betreffenden Patienten abweichend von der Mehrzahl der Behandlungsfälle auftretenden Umstände einen erhöhten Satz rechtfertigen, § 5 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz BhV. Dem Ausnahmecharakter des Überschreitens des Schwellenwertes widerspräche es nämlich, wenn schon eine vom (Zahn-)Arzt allgemein oder häufig, jedenfalls nicht nur bei einzelnen Personen wegen in ihrer Person liegender Schwierigkeiten angewandte Behandlung als eine das Überschreiten des Schwellenwertes rechtfertigende Besonderheit angesehen würde (BVerwG, Urteil v. 30. Mai 1996, a.a.O. - m.w.N.). Dabei ist davon auszugehen, dass die in der Regel einzuhaltende Spanne zwischen dem einfachen und dem 2,3-fachen Gebührensatz vom Verordnungsgeber (GOZ) nicht nur für einfache oder höchstens durchschnittlich schwierige und aufwändigere Behandlungsfälle, sondern für die große Mehrzahl aller Behandlungsfälle zur Verfügung gestellt worden ist und in diesem Rahmen auch die Mehrzahl der schwierigeren und aufwändigeren Behandlungsfälle abdeckt (BVerwG, Urteil v. 17. Februar 1994, a.a.O.).
Nach Maßgabe dessen ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte keinen höheren Gebührensatz als den 2,3-fachen anerkannt hat. Aus welchen Gründen der Zahnarzt den 3,0-fachen Satz erhoben hat, erschließt sich aus der Rechnung entgegen § 5 Abs. 2 GOZ nicht. Danach sind innerhalb des Gebührenrahmens die Gebühren unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und des Zeitaufwandes der einzelnen Leistung sowie der Umstände bei der Ausführung nach billigem Ermessen zu bestimmen, wobei die Schwierigkeit der einzelnen Leistung auch durch die Schwierigkeit des Krankheitsfalles begründet sein kann. Bemessungskriterien, die bereits in der Leistungsbeschreibung berücksichtigt worden sind, haben hierbei außer Betracht zu bleiben. In der Regel darf eine Gebühr nur zwischen dem einfachen und dem 2,3-fachen des Gebührensatzes bemessen werden. Ein Überschreiten des 2,3-fachen des Gebührensatzes ist nur zulässig, wenn Besonderheiten der in Satz 1 genannten Bemessungskriterien, also Schwierigkeit, Zeitaufwand oder Umstände bei der Ausführung, dies rechtfertigen. Hier hat der Zahnarzt zur Begründung des 3,0-fachen Satzes bei der Nr. 207 GOZ, zweiflächige plastische Füllung angegeben: "Mehrschichtfülltechnik" und zur Begründung des 3,0-fachen Satzes bei der Gebührennummer 209 GOZ, dreiflächige plastische Füllung: "Schmelz-Ätz-Technik" und "Mehrschichtfülltechnik" bzw. nur "Schmelz-Ätz-Technik". Die Nr. 207 GOZ regelt: Präparieren einer Kavität, Füllen mit plastischem Füllmaterial einschließlich Unterfüllung, Anlegen einer Matrize oder Benutzen anderer Hilfsmittel zur Formung der Füllung, zweiflächig und die Nr. 209 GOZ ist vorgesehen für: Präparieren einer Kavität, Füllen mit plastischem Füllmaterial einschließlich Unterfüllung, Anlegen einer Matrize oder Benutzen anderer Hilfsmittel zur Formung der Füllung, dreiflächig. Die vom Zahnarzt verwandte Mehrschichtfülltechnik rechtfertigt ebenso wenig die Faktorerhöhung wie die Schmelz-Ätz-Technik, denn es ist nicht ersichtlich, dass diese Techniken besonders schwierig oder besonders zeitaufwendig sind oder dass die Umstände bei der Ausführung oder die Schwierigkeit des Krankheitsfalles ein Überschreiten des 2,3-fachen des Gebührensatzes rechtfertigen. Vielmehr hat der Zahnarzt keine besonderen Umstände bei der Ausführung dargelegt. Auch hat er nicht auf besondere Schwierigkeiten oder auf einen besonderen Zeitaufwand hingewiesen, sondern nur eine besondere Technik beim Füllen mit plastischem Füllmaterial verwandt, ohne eine individuelle Beurteilung der einzelnen Leistung zu ermöglichen. Weder die Schmelz-Ätz-Technik noch die Mehrschichtfülltechnik weist derartige Besonderheiten auf, dass eine Überschreitung des 2,3-fachen Gebührensatzes gerechtfertigt wäre. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass auch eine durchgängige Berechnung des 2,3-fachen Gebührensatzes nicht zulässig ist, weil für eine einfache Maßnahme, wie z. B. für eine kleine Reparaturarbeit an Zahnersatz oder eine problemlose Zahnextraktion nur eine einfache Gebühr berechnet werden darf (so Gebührenordnung für Zahnärzte - GOZ -, bearbeitet von Manfred Lieber, Bundesanzeiger vom 1. März 2002, Nr. 42 a S. 15). Da der Zahnarzt weder besondere Schwierigkeiten oder einen besonderen Zeitaufwand noch besondere Umstände bei der Ausführung oder die Schwierigkeit des Krankheitsfalles oder in anderer Weise eine besondere Schwierigkeit der einzelnen Leistung dargelegt hat, ist nicht deutlich geworden, aus welchem Grunde die Erhöhung des sog. Schwellenwertes erfolgt ist. Die Mehrschichtfülltechnik oder die Schmelz-Ätz-Technik ist auch keine besonders ungewöhnliche Art der zahnärztlichen Behandlung, die für sich eine Überschreitung des Schwellenwertes rechtfertigen würde. Darauf hat die Beklagte zutreffend hingewiesen. Da bereits die Spanne zwischen dem einfachen und dem 2,3-fachen Gebührensatz vom Verordnungsgeber nicht nur für einfache oder höchstens durchschnittlich schwierigere aufwändigere Behandlungsfälle, sondern für die große Mehrzahl aller Behandlungsfälle zur Verfügung gestellt worden ist, ist in diesem Rahmen auch die Mehrzahl der schwierigeren und aufwändigeren Behandlungsfälle und mithin auch die Verwendung der Mehrschichtfülltechnik und der Schmelz-Ätz-Technik abgedeckt.