Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 21.08.2002, Az.: 5 A 1282/02

Aktualisierungsantrag; Einkommen; Einkommensprognose; Eltern; Kausalität; Leistungsersatz; nichtselbstständige Erwerbstätigkeit; schuldhafte Pflichtverletzung; Vorbehaltsleistung; Änderungsmitteilung

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
21.08.2002
Aktenzeichen
5 A 1282/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 43559
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
OVG Niedersachsen - 19.05.2003 - AZ: 12 LB 1/03

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Entwickeln sich die Einkommensverhältnisse im Falle von Vorbehaltsleistungen aufgrund eines Aktualisierungsantrages anders als prognostiziert, bedarf es keiner Anzeige nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I. Die Berücksichtigung derartiger Änderungen bleibt der endgültigen Entscheidung nach § 24 Abs. 3 BAföG vorbehalten.

Tenor:

Die Bescheide der Beklagten vom 13. Januar 1998 und 26. Februar 2002 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand:

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Die Beteiligten streiten um den Ersatz von Ausbildungsförderungsleistungen.

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Die Tochter ... des Klägers erhielt für ihr Studium an der Fachhochschule ... elternunabhängige Ausbildungsförderung. Mit Wiederholungsantrag vom 5. Juli 1993 beantragte sie Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum Oktober 1993 bis September 1994. Unter dem 14. Juni 1993, beim Studentenwerk ... eingegangen am 26. August 1993, beantragte sie, bei der Anrechnung des Einkommens des Vaters von den Einkommensverhältnissen in diesem Bewilligungszeitraum auszugehen. Der Kläger gab dazu an, seit dem 1. Juli 1993 beziehe er Arbeitslosengeld. Zum Nachweis seiner Einkünfte in der Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 1993 fügte er eine Kopie seiner Lohnsteuerkarte 1993 sowie den Bewilligungsbescheid des Arbeitsamtes ... vom 6. Juli 1993 bei. Das vom Kläger unter dem 27. Juli 1993 unterzeichnete Formblatt 7/93 enthält den folgenden Text:

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"Mir ist bekannt, dass ich die für die endgültige Feststellung des Einkommens im Bewilligungszeitraum erforderlichen Unterlagen unverzüglich und unaufgefordert vorlegen sowie alle Änderungen anzeigen muss und dass Überzahlungen, die durch das Unterlassen einer Änderungsanzeige verursacht worden sind, von mir zurückgefordert werden können (§ 47 a BAföG)."

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Der Tochter des Klägers wurde darauf durch Bescheid vom 11. Januar 1994 Ausbildungsförderung in Höhe von 832,-- DM monatlich gewährt. Dieser Bescheid erging unter anderem unter Hinweis auf § 24 Abs. 3 BAföG unter dem Vorbehalt der Rückforderung. Mit Bescheid vom 20. Dezember 1994 wurde die Ausbildungsförderung für die Monate August und September 1994 neu auf 851,-- DM festgesetzt. Auch dieser Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Rückforderung. Mit Bescheid vom 14. Februar 1997 wurde über den Bewilligungszeitraum Oktober 1993 bis September 1994 abschließend entschieden. Die Ausbildungsförderung wurde für die Zeit von Oktober 1993 bis Juli 1994 auf monatlich 761,-- DM und für die Monate August und September 1994 auf jeweils 779,-- DM festgesetzt. Zugleich wurde die Tochter des Klägers zur Rückzahlung eines überzahlten Betrages in Höhe von 854,-- DM aufgefordert. Dieser Bescheid wurde nach Zurückweisung eines Widerspruchs der Tochter des Klägers durch Bescheid vom 27. Februar 2002 bestandskräftig.

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Mit Schreiben vom 3. Dezember 1997 hörte die Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Heranziehung zum Ersatz zu Unrecht gezahlter Ausbildungsförderung an. Zur Begründung wurde ausgeführt, das tatsächliche Einkommen sei im Bewilligungszeitraum erheblich vom prognostizierten Einkommen abgewichen. Der Kläger führte dazu aus, er habe im Juli 1993 nicht voraussehen können, dass er ab 1. Mai 1994 eine "LKZ"-Stelle über das Arbeitsamt erhalten werde. In seiner Erklärung vom 3. September 1995 habe er seine Einkünfte im Jahr 1994 lückenlos angegeben und belegt.

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Mit Bescheid vom 13. Januar 1998 forderte die Beklagte vom Kläger den Ersatz von Ausbildungsförderung in Höhe von 854,-- DM zuzüglich 126,10 DM Zinsen. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Kläger habe erklärt, ab 1. Juli 1993 nur noch Arbeitslosengeld zu erhalten. Tatsächlich habe er jedoch aus einer Erwerbstätigkeit im Februar 1994 sowie ab 1. Mai 1994 im Jahr 1994 Einkünfte in Höhe von 28.908,-- DM erzielt. Diese Änderung der Verhältnisse habe er nicht unverzüglich mitgeteilt. Die Forderung gegen den Kläger sei vorrangig geltend zu machen; sofern er diese begleiche, werde der auch gegenüber der Tochter geltend gemachte Rückforderungsanspruch aufgehoben. Auf den dagegen erhobenen Widerspruch hob die Beklagte die Zinsforderung auf und wies den Widerspruch durch Bescheid vom 26. Februar 2002 im Übrigen zurück. Sie führte dazu aus, der Kläger habe die im Februar 1994 und ab Mai 1994 erzielten Einkünfte nicht unverzüglich angezeigt. Seine Tochter habe dadurch zu Unrecht Ausbildungsförderung erhalten.

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Der Kläger hat am 27. März 2002 Klage erhoben und ergänzend ausgeführt, es bleibe unverständlich, aus welchen Gründen die Beklagte die Forderung nicht gegenüber der Empfängerin der Leistung durchsetze. Diese sei erwerbstätig, verfüge über Grundvermögen und sei wirtschaftlich selbständig. Er sei durch eine Lohnkosten-Zuschussmaßnahme des Arbeitsamtes wieder erwerbstätig geworden. Seine Einkünfte seien erst nach Ablauf des Kalenderjahres 1994 endgültig feststellbar gewesen.

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Der Kläger beantragt,

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die Bescheide der Beklagten vom 13. Januar 1998 und 26. Februar 2002 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie ist der Ansicht, die Überzahlung sei entstanden, weil der Kläger die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und die damit verbundene Erhöhung des Einkommens nicht unverzüglich mitgeteilt habe. Eine rechtzeitige Änderungsmitteilung hätte zu einer Anpassung der Ausbildungsförderung an die tatsächlichen Einkommensverhältnisse geführt, so dass eine Überzahlung vermieden worden wäre. Denn bei rechtzeitiger Mitteilung wäre das Einkommen des Klägers bereits zum Zeitpunkt der Änderung in anderer Höhe berücksichtigt worden.

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Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid vom 13. Januar 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 2002 sowie der Erklärung der Terminsbevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.

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Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Klägers nach § 47 a BAföG, worauf die Beklagte die angefochtenen Bescheide gestützt hat, sind nicht gegeben. Haben unter anderem Eltern des Auszubildenden die Leistung von Ausbildungsförderung an diesen dadurch herbeigeführt, dass sie vorsätzlich oder fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht oder eine Anzeige nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I unterlassen haben, so haben sie (- ungeachtet der jeweiligen Fassung dieser Vorschrift -) gemäß § 47 a BAföG  dem Auszubildenden zu Unrecht geleistete Ausbildungsförderung zu ersetzen.

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Zu dem Aktualisierungsantrag seiner Tochter hat der Kläger unter dem 27. Juli 1993 korrekte Angaben gemacht. Insbesondere sind seine Angaben nicht schon deshalb falsch im Sinne von § 47 a BAföG gewesen, weil sich die Einkommensprognose im Nachhinein als objektiv unzutreffend erwiesen hat. Denn es liegt in der Natur der Sache, dass eine Prognose nicht eintritt (vgl. Rothe/Blanke, § 47 a BAföG, Rdnr. 4.3).

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Der Kläger hat entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht objektiv pflichtwidrig eine gebotene Anzeige nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I unterlassen. Denn prognosewidrig höhere Einnahmen im Bewilligungszeitraum führen grundsätzlich nicht zu einer Neuberechnung nach § 24 Abs. 3 BAföG, derartige Veränderungen müssen demnach auch nicht angezeigt werden (vgl. Rothe/Blanke, § 24 BAföG, Rdnr. 28, 20.1). Ob hieran auch im Hinblick auf Tz. 24.3.5 BAföG-VwV vom 20. Dezember 2001 (GMBl, Seite 1143) festzuhalten ist, bedarf keiner Entscheidung, denn jedenfalls bestand im hier maßgeblichen Zeitraum 1993/1994 keine Verpflichtung, derartige Änderungen anzuzeigen. Die Beklagte kann auch nicht mit dem Einwand durchdringen, wenn der Kläger seine Einkünfte mitgeteilt hätte, wäre die Vorbehaltsleistung für seine Tochter neu berechnet worden. Es stellt sich schon die Frage, ob die Tochter des Klägers eine derartige Nachberechnung hätte hinnehmen müssen. Daran bestehen erhebliche Zweifel, denn die Einkünfte in einzelnen Monaten wären voraussichtlich keine ausreichende Grundlage für eine derartige Neuberechnung gewesen. Aber auch das bedarf keiner abschließenden Beurteilung, denn der Kläger hat die Anzeige der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit jedenfalls nicht schuldhaft unterlassen. Ausreichend ist insoweit (leichte) Fahrlässigkeit, d.h. schuldhaft handelt derjenige, der die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt, § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB. Der Kläger hätte danach nur dann schuldhaft eine Pflicht zur Mitteilung von Änderungen verletzt, wenn für ihn bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt erkennbar gewesen wäre, dass die Änderung für die Förderungsgewährung von Bedeutung ist. Das ist jedoch nicht der Fall. Zwar hat der Kläger mit der Unterzeichnung des Formblatts 7/93 bestätigt, zu wissen, dass er alle Änderungen anzeigen muss. Auch bei Beobachtung der erforderlichen Sorgfalt hätte sich ihm aber nicht entschließen müssen, dass die Beklagte von ihm auch die Mitteilung der erneuten Aufnahme einer Erwerbstätigkeit erwartet. Im Hinblick auf die Belehrung des Formblattes, verpflichtet zu sein, die für die endgültige Feststellung des Einkommens im Bewilligungszeitraum erforderlichen Unterlagen unverzüglich unaufgefordert vorzulegen, konnte er vielmehr davon ausgehen, Änderungen in den Einkommensverhältnissen seien rechtzeitig mit der Vorlage der für die endgültige Feststellung des Einkommens im Bewilligungszeitraum erforderlichen Unterlagen mitgeteilt.

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Es fehlt aber auch an einer Leistung von Ausbildungsförderung (Erfolg), die durch die unterlassene Mitteilung der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit herbeigeführt wurde (Kausalität).

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Der Tochter des Klägers wurde auf ihren Antrag im Bewilligungszeitraum Oktober 1993 bis September 1994 Ausbildungsförderung unter anderem nach § 24 Abs. 3 BAföG gewährt, weil sie glaubhaft gemacht hat, dass das Einkommen des Klägers im Bewilligungszeitraum voraussichtlich wesentlich niedriger ist, als in dem Zeitraum nach § 24 Abs. 1 BAföG. Eine derartige Entscheidung kann nur für den gesamten Bewilligungszeitraum einheitlich erfolgen, denn die gesetzlich bestimmte Verfahrensweise kann nur auf den gesamten Bewilligungszeitraum angewandt werden. Die Berücksichtigung der prognosewidrig günstigeren Einkommensentwicklung des Klägers bleibt daher entgegen der Auffassung der Beklagten der endgültigen Entscheidung nach § 24 Abs. 3 BAföG vorbehalten (vgl. Rothe/Blanke, aaO, Rdnr. 28).

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Auch das grundsätzlich zulässige Vorziehen der Auflösung des Vorbehaltes wäre hier nicht in Betracht gekommen. Denn die dem Kläger seinerzeit allein mögliche Mitteilung, im Februar 1994 und ab Mai 1994 wieder Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit zu erzielen, hätte für eine Auflösung des Vorbehalts keine hinreichende Grundlage geboten. Ausbildungsförderung wird nur gewährt, soweit dem Auszubildenden die zur Durchführung der Ausbildung erforderlichen Mittel nicht anderweitig zur Verfügung stehen (§ 11 BAföG). Demgemäß ist nach § 24 BAföG unter anderem auf das Einkommen der Eltern abzustellen. Als Einkommen gilt nach § 21 BAföG ungeachtet der Regelungen im Einzelnen grundsätzlich die Summe der positiven Einkünfte im Sinne des Einkommenssteuergesetzes. Dieser Einkommensbegriff gilt einheitlich für das gesamte Gesetz, der Einkommensbegriff ist mithin auch in den Absätzen 1 und 3 des § 24 BAföG identisch (vgl. Rothe/Blanke, § 21 BAföG, Rdnr. 2, § 24 BAföG, Rdnr. 22). Dieser steuerrechtliche Einkommensbegriff des § 21 BAföG ist aber nicht identisch mit dem Begriff der Einkünfte aus nichtselbständiger Erwerbstätigkeit. Nur diese hätte der Kläger aber z.B. durch Vorlage einer Verdienstbescheinigung oder der vertraglichen Vereinbarungen belegen können. Die sich daraus ergebenden Brutto- und Nettobezüge sind aber nicht mit der Summe der positiven Einkünfte identisch. Schließlich wäre auch ungeachtet dieser Erwägungen zu jener Zeit eine Berechnung des Einkommens des Klägers im Bewilligungszeitraum nach § 24 Abs. 4 S. 2 BAföG nicht möglich gewesen. Während des Bewilligungszeitraums hätte daher allenfalls der Nettoarbeitslohn des Klägers in einzelnen Monaten, nicht aber das Gesamteinkommen im Bewilligungszeitraum im Sinne von §§ 24 Abs. 4 S. 2, 21 BAföG berücksichtigt werden können.

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Nach allem waren daher die angefochtenen Bescheide mit der Kostenfolge aus den §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2, 167 Abs. 2 VwGO aufzuheben.

Sonstiger Langtext

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Rechtsmittelbelehrung:

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Gegen dieses Urteil ist die Berufung nur eröffnet, wenn sie von dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg zugelassen worden ist. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem

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Verwaltungsgericht Oldenburg,

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Schloßplatz 10, 26122 Oldenburg,

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zu stellen und muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist (§ 124 Abs. 2 VwGO). Die Begründung ist bei dem Verwaltungsgericht Oldenburg einzureichen.

27

Der Antragsteller muss sich von einem Rechtsanwalt oder einem Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt oder einer nach § 67 Abs. 1 Sätze 3 bis 6 VwGO zur Vertretung berechtigten Person als Bevollmächtigten vertreten lassen.