Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.12.2016, Az.: 6 Sa 808/16

Auslegung der arbeitsvertraglichen Vereinbarung einer Kündigungsfrist

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
15.12.2016
Aktenzeichen
6 Sa 808/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 32605
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2016:1215.6SA808.16.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BAG - 22.02.2018 - AZ: 6 AZR 50/17

Fundstellen

  • AA 2017, 72
  • AE 2017, 62
  • SPA 2017, 60-61

Amtlicher Leitsatz

Bei der in § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG bestimmten vierwöchigen Kündigungsfrist handelt es sich um eine Mindestkündigungsfrist und keine zwingende Vorgabe, die vom Auszubildenden nicht überschritten werden darf.

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichtes Lüneburg vom 16.06.2016 - 4 Ca 52/16 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Zeitpunkt der Beendigung ihres Ausbildungsverhältnisses aufgrund einer Eigenkündigung des Klägers.

Der am 00.00.1998 geborene Kläger trat am 01.08.2015 eine Ausbildung zum Elektroniker bei der Beklagten an. Grundlage des Ausbildungsverhältnisses bildete der Berufsausbildungsvertrag vom 19.01.2015. Darin ist in § 7 Ziffer 2. Nachstehendes vereinbart:

"Nach der Probezeit kann das Berufsausbildungsverhältnis nur gekündigt werden

a) aus einem wichtigen Grund ohne Einhalten einer Kündigungsfrist,

b) von dem/der Auszubildenden mit einer Kündigungsfrist von 4 Wochen, wenn er/sie die Berufsausbildung aufgeben oder sich für eine Berufstätigkeit ausbilden lassen will."

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufsausbildungsvertrages wird auf Blatt 2 der Akte verwiesen.

Mit der Beklagten am 05.01.2016 zugegangenem Schreiben vom 04.01.2016 kündigte der Kläger den Ausbildungsvertrag zum 29.02.2016 mit der Begründung, dass er sich für einen anderen Berufsweg entschieden habe und seine neue Berufsausbildung am 01.03.2016 beginne. Mit Schreiben vom 13.01.2016 bestätigte die Beklagte dem Kläger den Eingang seines Kündigungsschreibens unter Hinweis darauf, dass das Ausbildungsverhältnis ausschließlich mit einer Frist von vier Wochen gekündigt werden könne und deshalb der letzte Tag des Ausbildungsverhältnisses der 02.02.2016 sei.

Mit der am 09.02.2016 beim Arbeitsgericht Lüneburg eingegangenen Klage macht der Kläger - soweit für das vorliegende Berufungsverfahren von Bedeutung - die Beendigung des Ausbildungsverhältnisses zum 29.02.2016 geltend. Er hat die Auffassung vertreten, dass er entsprechend seines Kündigungsschreibens vom 04.01.2016 unter Einhaltung der vereinbarten Frist von vier Wochen eine Beendigung des Ausbildungsverhältnisses zum 29.02.2016 und nicht früher herbeigeführt habe. Bei der von den Parteien vereinbarten vierwöchigen Kündigungsfrist handele es sich um eine Mindestkündigungsfrist.

Soweit für das vorliegende Berufungsverfahren von Bedeutung, hat der Kläger beantragt,

festzustellen, dass das Ausbildungsverhältnis der Parteien aufgrund der Kündigung des Klägers vom 04.01.2016 am 29.02.2016 geendet hat und nicht wie in den Schreiben der Beklagten vom 13.01.2016 und 25.01.2016 mit Wirkung des 02.02.2016 endet, sondern bis zum 29.02.2016 fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, das Ausbildungsverhältnis habe aufgrund der Kündigung des Klägers vom 04.01.2016 bereits am 02.02.2016 sein Ende gefunden. Das Ausbildungsverhältnis habe nach der vertraglichen Regelung nur und ausschließlich unter Einhaltung einer Frist von vier Wochen gekündigt werden können.

Mit Teilurteil vom 16.06.2016 hat das Arbeitsgericht Lüneburg festgestellt, dass das Ausbildungsverhältnis der Parteien aufgrund der Kündigung des Klägers vom 04.01.2016 nicht vor Ablauf des 29.02.2016 sein Ende gefunden hat. Wegen der rechtlichen Würdigung wird auf die Entscheidungsgründe dieses Teilurteils (Seiten 3 bis 6 desselben, Bl. 47 bis 50 d. A.) verwiesen.

Das Teilurteil ist der Beklagten am 15.07.2016 zugestellt worden. Mit am 25.07.2016 beim Landesarbeitsgericht Niedersachsen eingegangenem Schriftsatz hat die Beklagte hiergegen Berufung eingelegt und diese, nachdem ihr zuvor Fristverlängerung gewährt worden war, unter dem 17.10.2016 begründet.

Sie ist weiterhin der Auffassung, dass der Kläger das Ausbildungsverhältnis mit seiner Kündigung vom 04.01.2016 bereits zum 02.02.2016 beendet habe. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes sei die im Ausbildungsvertrag entsprechend § 22 Abs. 2 BBiG geregelte vierwöchige Frist zwingend. Anders als im Rahmen des § 622 BGB stehe es dem Kündigenden im Ausbildungsverhältnis nicht frei, freiwillig eine längere als die gesetzliche Kündigungsfrist einzuhalten. Das Wort "nur" in der gesetzlichen und vertraglichen Regelung beziehe sich nicht nur auf den für die Kündigung nach Ablauf der Probezeit erforderlichen Grund, sondern erfasse auch die mitgeregelten Kündigungsfristen. Anders als im Arbeitsverhältnis, in dem der Arbeitgeber aus der Beschäftigung des Arbeitnehmers bis zum Ablauf der Kündigungsfrist aus der Arbeitsleistung Wert schöpfen könne und mit steigender Beschäftigungsdauer das Bedürfnis an Übergabearbeiten und Know-How-Transfer bestehe, sei das infolge Eigenkündigung auslaufende Ausbildungsverhältnis nur noch belastend für den Ausbildenden. Dieser müsse einen ganz erheblichen Ausbildungsaufwand betreiben, wenn er das Ausbildungsverhältnis ordnungsgemäß abwickeln wolle. Der Ausbildungsaufwand für einen Auszubildenden, der seine Berufsausbildung aufgeben wolle, sei für den Ausbildenden über vier Wochen hinaus regelmäßig unzumutbar. Das Interesse des Auszubildenden, nahtlos in eine Anschlussbeschäftigung zu wechseln, trete dahinter zurück, zumal der Beendigungstermin durch den Erklärenden beeinflussbar sei. Das Fristenregime des § 22 BBiG beinhalte ein System des beiderseitigen Interessenausgleichs. Anders als § 622 BGB träfen § 22 Abs. 2 BBiG und die Kündigungsregelung im Ausbildungsvertrag zudem keine Bestimmung zum Beendigungszeitpunkt. Daran zeige sich, dass die Beendigung nicht zu einem bestimmten Termin wie der Monatsmitte oder dem Monatsende, sondern nach Ablauf der festgelegten Kündigungsfrist von vier Wochen nach Zugang der Kündigung erfolgen solle. Die verbindliche Beendigungswirkung werde dabei durch die Kündigungserklärung herbeigeführt. Bis zu deren Ausspruch habe der Ausbildende keinen Anlass, seinen Ausbildungsaufwand zu hinterfragen. Wäre der Auszubildende berechtigt, nach rechtsverbindlicher Äußerung seines Beendigungswillens eine längere Kündigungsfrist anzuwenden, wäre der Ausbildende verpflichtet, ein sinnentleertes Ausbildungsverhältnis fortzuführen.

Die Beklagte beantragt,

das Teilurteil des Arbeitsgerichtes Lüneburg vom 16.06.2016 - 4 Ca 52/16 - abzuändern und die Klage insoweit abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil als zutreffend.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien im Berufungsverfahren wird auf ihre Schriftsätze vom 17.10.2016 und 10.11.2016 sowie auf die in der mündlichen Verhandlung am 15.12.2016 wechselseitig abgegebenen Erklärungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

Das zwischen den Parteien bestehende Ausbildungsverhältnis hat am 29.02.2016 sein Ende gefunden. Das hat das Arbeitsgericht Lüneburg im Teilurteil vom 16.06.2016 zutreffend festgestellt. Die Berufungsbegründung der Beklagten rechtfertigt keine andere Entscheidung.

A

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist statthaft, form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden, §§ 64, 66 ArbGG, 519, 520 ZPO.

B

Die Berufung ist unbegründet.

Das zwischen den Parteien bestehende Ausbildungsverhältnis hat durch die Kündigung des Klägers vom 04.01.2016 zum 29.02.2016 sein Ende gefunden.

I.

Gemäß § 7 Ziffer 2. des schriftlichen Ausbildungsvertrages, der inhaltlich übereinstimmt mit der gesetzlichen Regelung in § 22 Abs. 2 BBiG, kann ein Berufsausbildungsverhältnis nach der Probezeit nur gekündigt werden entweder aus einem wichtigen Grund ohne Einhalten einer Kündigungsfrist oder von Auszubildenden mit einer Kündigungsfrist von vier Wochen, wenn sie die Berufsausbildung aufgeben oder sich für eine andere Berufstätigkeit ausbilden lassen wollen.

II.

An diesen Vorgaben gemessen ist die Kündigung des Klägers vom 04.01.2016 wirksam.

1.

Im Ausbildungsvertrag haben die Parteien unter B eine Probezeit von drei Monaten vereinbart. Diese war zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung am 04.01.2016, ausgehend vom Beginn des Berufsausbildungsverhältnisses am 01.08.2015, abgelaufen. Eine ordentliche Kündigungsmöglichkeit stand dem Kläger mithin nur nach § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG / § 7 Ziffer 2. des Berufsausbildungsvertrages zu, soweit er die Berufsausbildung aufgeben oder sich für eine andere Berufstätigkeit ausbilden lassen wollte. Dass diese Voraussetzungen gegeben sind, wird von der Beklagten nicht in Frage gestellt.

2.

Darüber hinaus hat der Kläger das Schriftformerfordernis des § 22 Abs. 3 BBiG / § 7 Ziffer 3. des Berufsausbildungsvertrages gewahrt und in seiner schriftlichen Kündigung vom 04.01.2016 die Gründe hierfür explizit angegeben. Er hat ausgeführt, dass er sich für einen anderen Berufsweg entschieden habe und deshalb die derzeitige Ausbildung aufgeben wolle.

III.

Die Kündigung des Klägers vom 04.01.2016 hat das Ausbildungsverhältnis zum 29.02.2016 und nicht schon zum 02.02.2016 beendet.

1.

Der Kläger hat, ausgehend vom Zugang bei der Beklagten am 05.01.2016, mit der zum 29.02.2016 erklärten ordentlichen Kündigung die vierwöchige Kündigungsfrist des § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG / § 7 Ziffer 2. b des Berufsausbildungsvertrages gewahrt.

2.

Entgegen der Auffassung der Beklagten konnte er die im Gesetz und im Berufsausbildungsvertrag vorgesehene vierwöchige Kündigungsfrist überschreiten. Bei der in § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG / § 7 Ziffer 2. b) des Berufsausbildungsvertrages bestimmten Kündigungsfrist handelt es sich um eine Mindestkündigungsfrist und keine zwingende Vorgabe, die vom Auszubildenden nicht überschritten werden darf. Das ergibt die Auslegung des § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG. Für § 7 Ziffer 2. b) des Berufsausbildungsvertrages gilt nichts anderes, weil dieser die gemäß § 25 BBiG ohnehin nicht abdingbaren Bestimmungen des Berufsbildungsgesetzes wortwörtlich übernommen hat.

a)

Maßgebend für die Auslegung von Gesetzen ist der in der Norm zum Ausdruck kommende objektive Wille des Gesetzgebers, wie er sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den er hineingestellt ist. Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Die Eindeutigkeit der im Wege der Auslegung gewonnenen gesetzgeberischen Grundentscheidung wird nicht notwendig dadurch relativiert, dass der Wortlaut der einschlägigen Norm auch andere Deutungsmöglichkeiten eröffnet, soweit diese Deutungen offensichtlich eher fernliegen. Anderenfalls wäre es für den Gesetzgeber angesichts der Schwierigkeit, textliche Eindeutigkeit herzustellen, nahezu unmöglich, sein Regelungsanliegen gegenüber der Rechtsprechung über einen längeren Zeitraum durchzusetzen (BVerfG 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 - Rn. 66).

b)

Nach diesen Grundsätzen ergibt die Auslegung von § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG, dass es sich bei der vom Auszubildenden im Falle einer Berufswechselkündigung einzuhaltenden vierwöchigen Frist um eine Mindestkündigungsfrist handelt.

aa)

Insoweit ist zunächst auf den Wortlaut des § 22 Abs. 2 BBiG abzustellen. Danach kann nach der Probezeit das Berufsausbildungsverhältnis "nur" gekündigt werden entweder aus einem wichtigen Grund ohne Einhalten einer Kündigungsfrist oder von Auszubildenden mit einer Kündigungsfrist von vier Wochen, wenn sie die Berufsausbildung aufgeben oder sich für eine andere Berufstätigkeit ausbilden lassen wollen. Das Wort "nur" in § 22 Abs. 2 BBiG bezieht sich erkennbar auf die in Ziffern 1. und 2. abschließend aufgeführten Kündigungsmöglichkeiten für das Berufsausbildungsverhältnis nach Ablauf der Probezeit. Dabei handelt es sich zum einen um eine fristlose Kündigung, die beiden Parteien des Berufsausbildungsverhältnisses offensteht, sofern ein wichtiger Grund vorliegt, und zum anderen um die ausschließlich dem Auszubildenden eröffnete ordentliche Kündigungsmöglichkeit nach Ziffer 2. im Fall des Berufsausbildungswechsels. Das Wort "nur" bezieht sich nicht auch auf die in § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG genannte vierwöchige Kündigungsfrist. Dagegen spricht die Position des Wortes "nur" im Satzaufbau des § 22 Abs. 2 BBiG.

bb)

Des Weiteren sind Sinn und Zweck der eingeschränkten Kündigungsmöglichkeit im Berufsausbildungsverhältnis nach Ablauf der Probezeit zu berücksichtigen. Der Beklagten ist zwar zuzugeben, dass sich ein Berufsausbildungsverhältnis wesentlich von einem Arbeitsverhältnis unterscheidet, weil nicht die Leistung von Arbeit durch den Auszubildenden, sondern seine Ausbildung im Vordergrund steht. Mit dem grundsätzlichen Ausschluss der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit nach Ablauf der Probezeit wird jedoch vom Gesetz den besonderen Interessen beider Parteien im Ausbildungsverhältnis Rechnung getragen; der Auszubildende kann sich während der Ausbildungszeit voll seiner Ausbildung widmen, ohne sich um den Bestand des Ausbildungsverhältnisses sorgen zu müssen; der Ausbildende kann sich darauf verlassen, dass der Auszubildende mit fortschreitender Ausbildungsdauer seine erlernten Fähigkeiten nutzbringend im Betrieb einsetzt (vgl. nur: Leinemann/Taubert 2. Aufl. § 22 BBiG Rn. 2). Auf dieser Grundlage erlaubt das Gesetz in § 22 BBiG nach Ablauf der Probezeit lediglich in zwei Konstellationen die vorzeitige Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses. Zum einen, wenn ein wichtiger Grund es entweder für den Auszubildenden oder den Ausbildenden unzumutbar macht, das Ausbildungsverhältnis fortzusetzen. Zum anderen, wenn der Auszubildende die Berufsausbildung beenden bzw. wechseln möchte. Die Ausnahmevorschrift in § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG dient erkennbar in erster Linie dem Schutz und der Gewährleistung der Berufsfreiheit der Auszubildenden aus Art. 12 GG. Diese sollen nicht zur Beendigung einer begonnenen Berufsausbildung gezwungen werden, wenn sie sich für einen anderen Beruf oder Lebensweg entscheiden (KR/Weigand §§ 21 bis 23 BBiG Rn. 84).

cc)

Dementsprechend wird auch in den Gesetzesmaterialien zu § 15 BBiG a. F., der inhaltlich übereinstimmt mit § 22 BBiG, ausgeführt, darin werde der Grundsatz statuiert, nach dem Ablauf der Probezeit solle eine ordentliche Kündigung, die keines besonderen Grundes bedarf, ausscheiden. Dies wird damit begründet, dass die Erfüllung der Berufsausbildungsaufgabe eine besonders starke Bindung der Vertragsparteien verlange. Dass eine ordentliche Kündigungsmöglichkeit allein dem Auszubildenden ausnahmsweise eröffnet werde, beruhe auf dem Gedanken, dass dieser auch noch nach Ablauf der Probezeit die Möglichkeit haben solle, den Beruf oder die Tätigkeit, in dem oder in der er ausgebildet werde, zu wechseln (BT-Drs. IV/4260, S. 11). Hieraus wird ersichtlich, dass es sich bei der ordentlichen Kündigungsmöglichkeit in § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG um eine Ausnahmeregelung handelt, die die verfassungsmäßige Berufsfreiheit des Auszubildenden gewährleistet.

dd)

Auf dieser Grundlage ist davon auszugehen, dass die vierwöchige Kündigungsfrist im Wesentlichen eine geordnete Abwicklung des Berufsausbildungsverhältnisses ermöglichen soll. Diesem Sinn und Zweck steht deren Verlängerung über vier Wochen hinaus nicht entgegen. Ein Übereilungsschutz kann damit entgegen der Auffassung der Beklagten nicht beabsichtigt sein. Dagegen spricht, dass die Kündigung des Auszubildenden mit Zugang des Kündigungsschreibens wirksam wird und von ihm anschließend nicht mehr einseitig zurückgenommen werden kann (KR/Weigand §§ 21, 22 BBiG Rn. 87). Der Auszubildende muss sich also bereits vor Abgabe der Kündigungserklärung darüber im Klaren werden, ob er das Berufsausbildungsverhältnis beenden will oder nicht. Dieser Wechsel soll nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers geordnet in einem dafür auskömmlichen zeitlichen Rahmen erfolgen. Diesen sieht das Gesetz grundsätzlich mit vier Wochen als ausreichend bestimmt. Dem steht nicht entgegen ihn zu überschreiten, z. B. um einen nahtlosen Übergang in ein neues Ausbildungsverhältnis zu ermöglichen. Das liegt im Interesse des Auszubildenden, dessen Schutz § 22 Abs. 2 Nr. 2 BBiG gerade dient. Dem stehen keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen des Ausbildenden entgegen. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang auf einen nutzlosen Ausbildungsaufwand verweist, ist das unbehelflich. Während der Dauer der Kündigungsfrist ist der Ausbildende zwar verpflichtet, den Auszubildenden weiter geordnet auszubilden. Der Auszubildende selbst ist aber seinerseits gehalten, sich mit Fortschreiten der Ausbildung in die praktische Arbeit des Ausbildungsbetriebes zunehmend gewinnbringender einzubringen. Diese grundsätzliche Konstellation wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Auszubildende bei einer Berufswechselkündigung eine über vier Wochen hinausgehende Kündigungsfrist wählt. Der vom Auszubildenden bis zum Ende des Ausbildungsverhältnisses zu leistende Einsatz wird für den Ausbildenden nicht deshalb nutzlos, weil dieser die Ausbildung aufgeben möchte. Dabei ist hervorzuheben, dass der Ausbildende auch keinen Anspruch darauf hat, dass der Auszubildende nach Abschluss seiner Ausbildung den vom Ausbildenden im Zuge der Berufsausbildung getätigten erhöhten Aufwand dadurch quasi zurückzahlt, dass er im Betrieb des Ausbildenden verbleibt und seine erworbenen Kenntnisse für diesen - dann als Fachkraft - einbringt. Das ergibt sich eindeutig aus der Regelung in § 12 BBiG, wonach Vereinbarungen, die Auszubildende für die Zeit nach Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses in der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit beschränken, nichtig sind. Nach dem Gesetz behält der Auszubildende trotz des ohne Frage nicht unerheblichen Aufwandes, den der Ausbildende zur Erfüllung seiner Ausbildungsverpflichtung tätigt, mit Rücksicht auf sein Grundrecht auf Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG die volle Entschlussfreiheit im Hinblick auf die Wahl seines zukünftigen Arbeitgebers. Die für den Ausbildenden mit der Ausbildung verbundenen Belastungen stehen nach der gesetzlichen Konstellation dahinter zurück. Dementsprechend ist es nicht als unzumutbare Überforderung des Ausbildenden zu qualifizieren, wenn der Auszubildende eine über die gesetzliche Mindestfrist hinausgehende Kündigungsfrist für die Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses wählt. Ohnehin ist der Auszubildende nicht verpflichtet, eine Berufswechselkündigung innerhalb eines bestimmten zeitlichen Rahmens auszusprechen. Vielmehr steht es ihm in zeitlicher Hinsicht frei, wann er seinen Entschluss zur Aufgabe der Berufsausbildung in verbindlicher Art und Weise nach außen dem Ausbildenden gegenüber durch Ausspruch einer schriftlichen Kündigungserklärung manifestiert. Dazu werden dem Auszubildenden vom Gesetz anders als bei der fristlosen Kündigung keine Vorgaben gemacht. Insgesamt ist deshalb davon auszugehen, dass die vom Auszubildenden bei einer ordentlichen Berufswechselkündigung einzuhaltende Frist von vier Wochen als Mindestkündigungsfrist zu qualifizieren ist und keine zwingende Vorgabe beinhaltet.

c)

Der Kläger konnte mithin das Ausbildungsverhältnis durch seine Kündigung vom 04.01.2016, ausgehend von deren Zugang am 05.01.2016, fristgemäß zum 29.02.2016 beenden und muss sich nicht auf einen früheren Beendigungstermin verweisen lassen.

4.

Der Kläger hat schließlich auch nicht unter Verstoß gegen § 242 BGB in treuwidriger Weise von seinem Recht auf ordentliche Kündigung unter Überschreitung der gesetzlichen Mindestkündigungsfrist Gebrauch gemacht. Er hat diese lediglich um knapp vier Wochen überschritten, um nahtlos zu seiner neuen Berufsausbildung wechseln zu können. Das ist noch nicht als unzulässige Ausübung einer formalen Rechtsposition zu qualifizieren.

C

Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

D

Die Zulassung der Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG veranlasst.