Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 26.02.2016, Az.: 13 TaBV 27/15
Unwirksame Betriebsratswahl bei Stimmabgabevermerken eines auch als Wahlbewerber antretenden Mitgliedes des Wahlvorstandes
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 26.02.2016
- Aktenzeichen
- 13 TaBV 27/15
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2016, 24662
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2016:0226.13TABV27.15.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hannover - 30.01.2015 - AZ: 6 BV 6/14
Rechtsgrundlagen
- Art. 5 Abs. 1 GG
- Art. 9 Abs. 3 GG
- § 14 Abs. 1 BetrVG
- § 19 Abs. 1 BetrVG
- § 20 Abs. 1 BetrVG
- § 20 Abs. 2 BetrVG
- BetrVG § 12 Abs. 3 WahlO
- BetrVG § 19 WahlO
Fundstellen
- ArbR 2016, 489
- EzA-SD 10/2016, 12
Amtlicher Leitsatz
1. Ein Mitglied des Wahlvorstandes, das zugleich Wahlbewerber ist, verletzt wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren, wenn es sich während der laufenden Betriebsratswahl von Wahlhelfern aus der mit Stimmabgabevermerken versehenen Wählerliste die Namen von noch nicht zur Wahl erschienenen Wahlberechtigten geben lässt, diese in der auf seinem Dienst Laptop hinterlegten Liste der Wahlberechtigten kennzeichnet und anschließend nur solche Personen auf die (Nicht)Ausübung ihres Wahlrechts anspricht.
2. Kann aufgrund der Anzahl der erfassten Namen bzw. der nach dem Verstoß noch zur Wahl erschienenen Personen oder aufgrund sonstiger Umstände nicht ausgeschlossen werden, dass das Wahlergebnis beeinflusst worden ist, kann die Betriebsratswahl wirksam angefochten werden.
Tenor:
1. Auf die Beschwerde der Antragsteller zu 1 - 3 wird der Beschluss des Arbeitsgerichts C-Stadt vom 31.01.2015 (6 BV 6/14) abgeändert:
Die am 13. und 14.05.2014 bei der Beteiligten zu 5 am Standort C-Stadt durchgeführte Betriebsratswahl wird für unwirksam erklärt.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.
Die Antragsteller zu 1) - 3) sind wahlberechtigte Arbeitnehmer der Beteiligten zu 5). Der Beteiligte zu 4) ist der bei der Beteiligten zu 5) am Standort C-Stadt gebildete Betriebsrat.
Am Standort C-Stadt der Beteiligten zu 5) wurde am 13. und 14. Mai 2014 ein 15-köpfiger Betriebsrat gewählt. Für die 1.083 wahlberechtigten Arbeitnehmer standen vier Listen zur Wahl. Jeder wahlberechtigte Arbeitnehmer hatte eine Stimme.
Der für diese Wahl gebildete Wahlvorstand bestand aus fünf Mitgliedern. Zu diesen zählten der Antragsteller zu 1), Spitzenkandidat der Liste 3, und Herr M., der Vorsitzende des bisherigen und im Zuge der Wahl gebildeten neuen Betriebsrates sowie Spitzenkandidat der Liste 2.
Herr M. erschien an beiden Wahltagen - am 14.05.2014 ab dem späten Vormittag - mit seinem Dienst-Laptop im Wahlraum. Er ließ sich am 14.05.2014 ab etwa 13.00 - 13.30 von Wahlhelfern die Namen von Mitarbeitern aus der mit den Stimmabgabevermerken versehenen Wählerliste geben. Er vermerkte in der ihm von der Beteiligten zu 5) zur Verfügung gestellten und auf dem Laptop hinterlegten Wählerliste, wer noch nicht zur Wahl erschienen war. Anschließend versandte er E-Mails an zumindest 27 Mitarbeiter, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht gewählt hatten. Wegen der Namen dieser Mitarbeiter wird auf den Schriftsatz des Beteiligten zu 4) vom 18.07.2014 (Bl. 50, 51 d.A.) verwiesen.
Die im Anhörungstermin des Beschwerdeverfahrens zur Akte gereichte E-Mail vom 14.05.2014 (Bl.d.A.) hat folgenden Inhalt:
Von:
Juergen01 M./te1/te/cag
An:
Datum: 14.05.2014 15:22
Betreff: Wahlbeteiligung BR-Wahl Vinnhorst - HEUE -
Der Wahlvorstand bittet alle Wahlberechtigten zur BR-Wahl im Studio Empfang bis heute 18 Uhr, soweit sie noch nicht an der Wahl teilgenommen haben. Wahlberechtigt sind grundsätzlich alle Beschäftigten und Leiharbeitnehmer sowie Zeitarbeitskräfte. Im Zweifel bitte im Wahllokal an den Wahlvorstand wenden!!!
DANKE
Mit freundlichen Grüßen
Wahlvorstand
Von den angeschriebenen 27 Mitarbeitern machten bis zur Schließung des Wahllokals insgesamt fünf von ihrem Wahlrecht Gebrauch.
Wegen des Ergebnisses der Wahl wird auf die Wahlniederschrift vom 14.05.2014 (Bl. 11, 12 d.A.) verwiesen. Von den insgesamt 809 ausgegebenen Wahlumschlägen befanden sich 808 Wahlumschläge in der Wahlurne. Die nicht abgegebene Stimme wurde zu den ungültigen Stimmen gezählt.
Mit ihrem am 28. Mai 2014 bei Gericht eingegangenen Antrag haben die Antragsteller die Wahl angefochten.
Die Antragsteller haben behauptet, Herr M. habe sich die Namen der Mitarbeiter geben lassen, um sich einen Überblick zu verschaffen, wer von den zu erwartenden Unterstützern seiner Liste noch nicht zur Wahl gekommen sei. Er habe in beträchtlicher Anzahl nicht nur E-Mails sondern auch SMS an Mitarbeiter versendet, die noch nicht gewählt hätten, und diese aufgefordert, zur Wahl zu erscheinen. Er habe auch SMS an die Vorgesetzen derartiger Mitarbeiter geschickt, verbunden mit der Aufforderung, diese Mitarbeiter nunmehr zum Wahlraum zu schicken. Er habe jedenfalls erheblich mehr SMS und E-Mails versendet bzw. direkt oder über die Vorgesetzen deutlich mehr als 27 Personen angesprochen, die noch nicht gewählt hatten, und bei denen er sich eine Unterstützung seiner Liste erhofft habe. Sie, die Antragsteller seien überzeugt, dass erheblich mehr Personen gezielt angesprochen worden seien aufgrund der Tatsache, dass ihre Stimmabgabe noch nicht im Wählerverzeichnis vermerkt gewesen sei. Diese hätten daraufhin auch ihre Stimme abgegeben, so dass sich tatsächlich Änderungen in der Zusammensetzung des Betriebsrates ergeben hätten.
Das Verhalten von Herrn M. stelle einen Verstoß gegen wesentliche Vorschriften des Wahlrechts und des Wahlverfahrens dar. Zum einen sei gegen den Grundsatz der Freiheit der Wahl verstoßen worden, weil eine unzulässige Drucksituation entstanden sei. Zudem sei das Gebot der Chancengleichheit verletzt, weil Herr M. seine Stellung als Betriebsratsvorsitzender und Wahlvorstand für seine Zwecke bzw. die seiner Liste ausgenutzt habe.
Der Verstoß sei auch geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen. Das Verhalten von Herrn M. habe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für eine ganz erhebliche zusätzliche Stimmenanzahl für die Liste 2 gesorgt. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass durch die gezielte Ansprache von Arbeitnehmern, die noch nicht gewählt hätten, das Wahlergebnis verändert worden sei, da die Möglichkeit bestanden habe, dass diese nicht gewählt hätten.
Die Antragsteller zu 1) - 3) haben beantragt,
die am 13. und 14.05.2014 bei der Firma I. am Standort C-Stadt durchgeführte Betriebsratswahl für unwirksam zu erklären.
Die Beteiligten zu 4) und 5) haben beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Sie haben behauptet, es seien lediglich die genannten 27 Mitarbeiter von Herrn M. mit dem Inhalt der im Anhörungstermin überreichten E-Mail angeschrieben worden. Herr M. habe nur versucht, den erklärten Willen des Wahlvorstandes umzusetzen, der auf eine möglichst hohe Wahlbeteiligung gerichtet gewesen sei. Es stelle keinen Verstoß dar, dafür zu werben, zur Wahl zu gehen. Wahlwerbung sei auch noch während des laufenden Wahlvorgangs zulässig.
Das Wahlergebnis sei auch objektiv nicht beeinflusst worden. Selbst wenn 27 Stimmen weniger auf Liste 2 entfallen wären, hätte dies zu keiner Änderung bei der Sitzverteilung geführt.
Das Arbeitsgericht hat mit einem den Antragstellern am 23.02.2015 zugestellten Beschluss vom 30.01.2015 (Bl. 129 - 135 d.A.), auf dessen Einzelheiten wegen des erstinstanzlichen Vorbringens und seiner Würdigung durch das Arbeitsgericht verwiesen wird, den Antrag zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, es sei zwar gegen wesentliche Wahlvorschriften verstoßen worden, doch wäre ohne das Anschreiben der 27 Arbeitnehmer das Wahlergebnis dasselbe. Hiergegen richtet sich die am 23.03.2015 eingelegte und am 22.05.2015 innerhalb der verlängerten Frist eingelegte Beschwerde der Antragsteller.
Die Antragsteller zu 1 - 3 machen geltend, das Arbeitsgericht habe den Untersuchungsgrundsatz verkannt. Sie müssten nur einen Ausgangspunkt für das von Amts wegen weiter durchzuführende Verfahren vortragen.
In 27 Fällen stehe ein Verstoß gegen Wahlvorschriften fest. Das begründe einen Anscheinsbeweis für eine unzulässige Betriebsratswahl. Die fehlende Kausalität hätte das Arbeitsgericht ermitteln müssen.
Das Gericht habe ohne jegliche Sachverhaltsermittlung den Vortrag des Beteiligten zu 4, Herr M. habe lediglich 27 E-Mails verschickt, von deren Adressaten sich fünf anschließend noch zur Wahl entschlossen hätten, zugrunde gelegt.
Für die Annahme einer Beeinflussung reiche es aus, dass die Möglichkeit eines anderen Ergebnisses nicht gänzlich unwahrscheinlich sei. Den Nachteil der Nichtaufklärbarkeit trage der Anfechtungsgegner.
Die Antragsteller zu 1 - 3 beantragen,
der Beschluss des Arbeitsgerichts Hannover vom 30.01.2015 - 6 BV 6/14 - wird abgeändert.
Die am 13. und 14.05.2014 bei der Firma I. am Standort C-Stadt durchgeführte Betriebsratswahl wird für unwirksam erklärt.
Die Beteiligten zu 4 und 5 beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie tragen vor, es liege schon kein Verstoß gegen Wahlvorschriften vor, da die E-Mail nur einen Hinweis auf die bis 18:00 Uhr stattfindende Wahl enthalte.
Der Antragsteller zu 1 sei selbst Mitglied des Wahlvorstandes und könne in die Wahlunterlagen Einsicht nehmen. Er könne daher sagen, ob mehr als nur fünf von den namentlich benannten 27 Mitarbeitern noch zur Wahl erschienen seien.
Wegen der Einzelheiten des im Beschwerdeverfahren gewechselten Vorbringens wird auf die dort gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Sitzungsprotokoll verwiesen.
II.
Die gemäß § 87 Abs. 1 ArbGG statthafte Beschwerde der Antragsteller zu 1) - 3) ist form- und fristgerecht im Sinne der §§ 89, 87 Abs. 2, 66 ArbGG eingelegt und begründet worden. Sie ist auch im Übrigen zulässig und begründet.
1.
Der gemäß § 19 Abs. 1 BetrVG statthafte und gemäß §§ 2 a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 80 ff ArbGG richtigerweise im Beschlussverfahren geltend gemachte Antrag ist auch im Übrigen zulässig. Die Antragsteller zu 1) - 3) sind gemäß § 19 Abs. 2 BetrVG antragsbefugt. Der am 28.05.2014 vorab per Fax bei dem Arbeitsgericht eingegangene Antrag hat die zweiwöchige Antragsfrist gemäß § 19 Abs. 2 S. 2 BetrVG gewahrt, denn das Wahlergebnis wurde am 14.05.2014 festgestellt.
2.
Der Antrag ist auch begründet.
a)
Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass bei der angefochtenen Betriebsratswahl gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren verstoßen worden ist.
aa)
Nach dem Grundsatz der geheimen Wahl, der nach § 14 Abs. 1 BetrVG auch für die Betriebsratswahl gilt, darf die Stimmabgabe des Wählers keinem anderen bekannt werden. Dies dient dem Zweck, den Wähler vor jeglichem sozialen Druck zu schützen (vgl. BAG v. 12.06.2013 - 7 ABR 77/11 - juris, Rn. 20). Zu den wesentlichen Vorschriften über das Wahlverfahren gehört ferner der Grundsatz der freien Wahl, der im Verbot der Wahlbeeinflussung in § 20 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG seinen Ausdruck gefunden hat. Das Verbot der Wahlbeeinflussung dient auch der Integrität der Betriebsratswahl. Diese soll allein auf der freien Entscheidung der Betriebsangehörigen beruhen. Der Grundsatz der freien Wahl umfasst auch die Freiheit der Entscheidung, nicht zu wählen. Auch hierbei darf der Wahlberechtigte keinem unzulässigen Druck ausgesetzt werden. Zu einer gemäß Artikel 5 Abs. 1, 9 Abs. 3 GG geschützten Wahlwerbung bei Betriebsratswahlen gehört es hingegen, wenn Wahlberechtigte - auch noch während des laufenden Wahlvorgangs - generell oder auch individuell dazu aufgefordert werden, ihr Wahlrecht auszuüben, solange keine unzulässigen Mittel verwandt werden (vgl. BAG v. 06.12.2000 - 7 ABR 34/99 - juris Rn. 24 f). Zu den wesentlichen Vorschriften über das Wahlverfahren gehört ferner der ungeschriebene Grundsatz einer demokratischen Wahl. Hierzu gehört das Gebot der Chancengleichheit der Wahlbewerber. Nach ihm soll jeder Wahlbewerber die gleichen Möglichkeiten im Wahlkampf und im Wahlverfahren und damit die gleiche Chance im Wettbewerb um die Wählerstimme haben (vgl. BAG v. 06.12.2000, aaO. Rn. 29).
bb)
Gegen diese Grundsätze ist verstoßen worden, indem sich Herr M. ab der Mittagszeit des zweiten Wahltages von Wahlhelfern aus den mit Stimmabgabevermerken versehenen Wählerlisten die Namen solcher Personen geben ließ, die bis dahin noch nicht gewählt hatten, diese außerhalb der Wahlakten (§ 19 WO) in der auf seinem dienstlichen Laptop vorhandenen Wählerliste vermerkt und anschließend solche Personen gezielt angeschrieben hat.
(1)
Eine unzulässige Drucksituation in dem unter aa) geschilderten Sinne entsteht, wenn die Aufforderung an den Wahlberechtigten, sein Wahlrecht auszuüben, mit dem gezielten Hinweis und dem Vorhalt verbunden werden kann, der Wahlberechtigte habe, wie sich aus den Wahlunterlagen ergebe, von seinem Wahlrecht noch keinen Gebrauch gemacht (im Einzelnen BAG v. 06.12.2000 - 7 ABR 34/99, juris Rn. 26). Schon zur Vermeidung der ernsthaften Gefahr, dass Wahlberechtigte auf ihr noch nicht in Anspruch genommenes Wahlrecht angesprochen werden, ist nicht nur eine Weitergabe der mit Stimmabgabevermerken versehenen Wählerliste bzw. eine Gestattung der Einsichtnahme während des laufenden Wahlvorgangs an Dritte, insbesondere Wahlbewerber, unzulässig. Auch Wahlbewerber, die aufgrund ihrer Funktion als Mitglied des Wahlvorstandes berechtigterweise während der laufenden Wahl Einsicht in die mit Stimmabgabevermerken versehenen Wählerliste nehmen können, sind verpflichtet, diese Kenntnis nicht dahin auszunutzen, Wahlberechtigte auf ihr noch nicht ausgeübtes Wahlrecht anzusprechen (vgl. BAG vom 06.12.2000, aaO. Rn. 27).
(2)
Bereits mit dem Erfassen der noch nicht zur Wahl erschienenen Wahlberechtigten auf seinem Dienst-Laptop unter Einschaltung der Wahlhelfer hat Herr M. seine Stellung als Mitglied des Wahlvorstandes unzulässig ausgenutzt. Anhand der Liste konnte er jederzeit ohne Zugriff auf die Wahlakten iSd. § 19 WO während des noch laufenden Wahlvorgangs und auch darüber hinaus Wahlberechtigte auf ihre Stimmabgabe bzw. Nichtabgabe ansprechen, sei es unmittelbar per Mail, sei es über Dritte, die er etwa nach zwischenzeitlichem Verlassen des Wahlraums, per E-Mail oder in sonstiger Weise über die von ihm erfassten Namen informieren konnte. Neben der gemäß § 12 Abs. 3 WO zwingend zu erstellenden Liste mit den Stimmabgabevermerken, die bereits eine Einschränkung des Grundsatzes der geheimen Wahl nach § 14 Abs. 1 BetrVG enthält, war die Erstellung einer weiteren Liste mit Namen der Wahlberechtigten, die ihr Stimmrecht (noch) nicht ausgeübt hatten, zur Durchführung einer ordnungsgemäßen Betriebsratswahl nicht erforderlich. Es kann dahinstehen, ob die Erfassung der Wahlbeteiligung überhaupt zu den gesetzlichen Aufgaben des Wahlvorstandes gehört. Dazu wäre die elektronische Kennzeichnung der Namen der Nichtwähler auf dem Dienstlaptop des Herrn M. nicht erforderlich gewesen. Ein bloßes Abzählen der nicht mit einem Stimmabgabevermerk versehenen Wähler anhand der Wählerliste hätte genügt. Auch kann dahinstehen, ob die Herbeiführung einer möglichst hohen Wahlbeteiligung zu den legitimen Aufgaben des Wahlvorstandes gehört und hierüber innerhalb des Gremiums Konsens bestanden hat. Wäre dies der Fall, hätte es genügt, an sämtliche Wahlberechtigten per E-Mail, SMS, Aushang an geeigneten Stellen etc. entsprechende Hinweise zu erteilen, wie dies nach Darstellung des Herrn M. offenbar auch am Vortag der Fall gewesen sein soll. Damit liegt der Fall nicht anders, als bei einem Wahlbewerber, der nicht Mitglied des Wahlvorstandes ist und von diesem während des laufenden Wahlvorgangs Einsicht in die mit einem Stimmabgabevermerk versehenen Wählerliste erhält (vgl. dazu BAG v. 06.12.2000 - 7 ABR 34/99 -) bzw. bei einem Wahlbewerber, der als Mitglied des Wahlvorstandes mit einer Namensliste der noch nicht zur Wahl erschienenen Personen vor Abschluss der Wahl das Wahllokal verlässt (vgl. hierzu LAG Köln, v. 20.02.2015 - 4 TaBV 79/14 - juris). In beiden Fällen wurde zutreffend ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften auch ohne positive Feststellung angenommen, dass konkret Personen auf die Nichtausübung ihres Wahlrechts angesprochen worden sind. Entscheidend dafür ist, dass angesichts der jeweiligen Vorgehensweise die ernsthafte Gefahr besteht, von dieser Möglichkeit werde in erheblichem Umfang Gebrauch gemacht, und der Negativbeweis kaum möglich ist.
(3)
Ungeachtet des Vorstehenden kommt im vorliegenden Fall hinzu, dass Herr M. tatsächlich jedenfalls 27 namentlich erfasste Mitarbeiter gezielt per E-Mail auf die Ausübung ihres Wahlrechts angesprochen hat. Es ist unerheblich, dass diese Personen nach dem Inhalt der E-Mail nur allgemein gebeten wurden, an der noch bis 18:00 Uhr stattfindenden Wahl teilzunehmen, was jeweils für sich betrachtet zulässige Wahlwerbung sein könnte. Denn es ist nicht auszuschließen, dass diese Mails gezielt nur an solche Personen versendet worden sind, von denen sich Herr M. Unterstützung für seine Liste versprochen hat. Damit wäre das Gebot der Chancengleichheit der Wahlbewerber berührt (vgl. BAG v. 06.12.2000 - 7 ABR 34/99, juris Rn. 29). Insbesondere konnte Herr M. bei seiner Befragung im Termin am 18.02.2016 nicht behaupten, er habe vollständig sämtliche im Betrieb anwesenden Mitarbeiter mit betrieblichem E-Mail Account angemailt, die er zuvor namentlich erfasst hatte. Ferner sollten nach Darstellung des Herrn M. im Anhörungstermin ersichtlich nicht nur die Nichtwähler aus dem Kreis der Mitarbeiter mit betrieblichem E-Mail Account angesprochen werden ("Wir haben geguckt, wo wir hingehen müssen. Es sollten die Nichtwähler mobilisiert werden. (...) Wir haben dann eine Bestandsaufnahme gemacht, wer schon da war und wen man gegebenenfalls ansprechen müsste"). Spätestens das spricht zumindest für die ernsthafte Gefahr, dass anhand seiner Aufzeichnung auch weitere Personen angesprochen werden sollten.
b)
Der Verstoß ist geeignet, den Wahlvorgang zu beeinflussen.
aa)
Nach § 19 Abs. 1 letzter Halbsatz BetrVG berechtigt ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften nur dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn er das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnte. Dafür ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte. Kann diese Feststellung nicht getroffen werden, bleibt es bei der Unwirksamkeit der Wahl (ständige Rechtsprechung, etwa BAG v. 12.06.2013 - 7 ABR 77/11 - juris Rn. 39).
bb)
So liegt der Fall hier. Unter Berücksichtigung des festgestellten Wahlergebnisses hätten jeweils für sich genommen 12 Stimmen weniger bei Liste 1, 31 Stimmen weniger bei Liste 2, 38 Stimmen weniger bei Liste 3 und 14 Stimmen weniger bei Liste 4 zu einer Veränderung der Sitzverteilung geführt bzw. über Losentscheid gemäß § 15 WO führen können. Bei insgesamt 808 abgegebenen Stimmen kann aber mangels entgegenstehender Anhaltspunkte nicht ausgeschlossen werden, dass vom Beginn des Verstoßes um ca. 13.30 Uhr des zweiten Wahltages bis zur Schließung des Wahllokals um 18.00 Uhr noch erheblich mehr als 38 Stimmen abgegeben worden sind. Auch kann nicht festgestellt werden, dass Herrn M. von den Wahlhelfern nicht mehr, als die schriftsätzlich mitgeteilten 27 Namen genannt und von ihm auf seinem Laptop erfasst worden sind. Im Gegenteil sind Herrn M. - auch nach eigener Darstellung - mehr als 27 Namen mitgeteilt worden. Er will nach eigenem Bekunden nämlich nur Mitarbeiter mit betrieblichem E-Mail Account angesprochen haben. Die Mehrheit von ca. 60 - 65 % der Arbeitnehmer bei der Beteiligten zu 5) verfügt aber nach seinen Angaben nicht über einen solchen. Geht man von einer in etwa gleichen Nichtwählerquote beider Arbeitnehmergruppen aus, ergäbe sich allein daraus rechnerisch mindestens die Annahme von 68 - 77 Namen. Dabei ist noch unberücksichtigt, dass Herr M. nicht mit Sicherheit behaupten konnte, die von ihm erfassten Arbeitnehmer mit betrieblichem E-Mail Account vollständig angeschrieben zu haben und dass die Zahl der Nichtwähler selbst bei Ende der Wahl noch bei 274 lag. Wenn aber nach dem zuvor Gesagten die ernste Gefahr bestand, dass alle namentlich erfassten Mitarbeiter mittels der erstellten Liste auf ihr Wahlrecht angesprochen werden sollten und ein solches Vorgehen nicht positiv ausgeschlossen werden kann, kann dasselbe Wahlergebnis ohne Verstoß nicht zwingend festgestellt werden. Ob die Wahl tatsächlich infolge des Verstoßes beeinflusst worden ist, ist für die Entscheidung unerheblich.
III.
Die Rechtsbeschwerde war gemäß §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Es ist bislang höchstrichterlich ungeklärt, wann ein Wahlbewerber seine Kenntnis als Wahlvorstand unzulässig dahin ausnutzt, Wahlberechtigte auf ihr noch nicht ausgeübtes Wahlrecht anzusprechen.
Wesskamp
Deters